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PULSAR/015: Wenn Sternleichen Signale senden (DFG forschung)


forschung 4/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Wenn Sternleichen Signale senden

Von Harald Lesch und Axel Jessner


Kosmische Elektrotechnik: Pulsare strahlen intensiver als jedes andere Objekt im Universum. Astrophysiker sind den rotierenden Neutronensternen auf der Spur - und finden dabei die Naturgesetze der Erde auch am Rande der Materie bestätigt.


Etwa alle 50 Jahre findet in der Milchstraße ein grandioses Ereignis statt: Ein großer Stern explodiert. Wie bei einer Bombenexplosion rasen dann die äußeren Gashüllen des Sterns ins Universum hinaus und erleuchten es. Der innerste Kern des Sterns, der etwa anderthalb Mal so schwer wie die Sonne ist, übersteht die Explosion, bricht aber unter seinem eigenen Gewicht fast zusammen. Was bleibt, ist ein merkwürdiger Überrest des alten Sterns, aufgebaut aus einer der extremsten Materieformen des Universums, die so dicht ist wie die der Atomkerne.

Während die davonrasenden Gashüllen sich in den umgebenden Weltraum verteilen und dabei immer schwächer leuchten, macht sich die verbliebene "Sternleiche" sehr oft mittels außerordentlich starker Radiopulse dem Universum bemerkbar. Radioastronomen können aus den Pulsen herauslesen, um was es sich handelt: Sie ist im Durchmesser nur wenige zehn Kilometer groß und dreht sich bis zu 650-mal um die eigene Achse. Sie strahlt offenbar wie ein kosmischer Leuchtturm, und sie strahlt sehr stark - pro Sekunde mit so viel Energie, wie die Menschheit in zehn Milliarden Jahren verbrauchen würde.

Das Objekt ist von einem Magnetfeld durchsetzt und umgeben, das Billionen Mal stärker ist als das Magnetfeld der Erde. Und: Ein nur würfelzuckergroßes Stück von diesem Objekt wiegt so viel wie alle Menschen auf der Erde zusammen.

Es ist ein Botschafter vom Rand der erkennbaren, materiellen Wirklichkeit. Wäre es etwas schwerer, wäre es seiner eigenen Schwere vollständig zum Opfer gefallen und es wäre ein Schwarzes Loch entstanden, von dem keine Strahlung entkommen kann.

Die Rede ist von Pulsaren, die 1967 als pulsierende Radioquellen am Himmel entdeckt wurden. Auch heute noch werden die meisten Pulsare durch Beobachtungen im Radiobereich gefunden. Sie gehören zum Hellsten, was unsere Milchstraße zu bieten hat. Angesichts ihrer Winzigkeit, stellt sich die Frage, wie es kommt, dass diese Objekte ausgerechnet in diesem Bereich des elektromagnetischen Spektrums so außergewöhnlich intensive und extrem genau Strahlungspulse abgeben. Denn ihr Pulsverhalten ist genauer als jenes irdischer Atomuhren.

Neben der erstaunlichen Regelmäßigkeit ihrer Radiopulse kommt es immer wieder zu Strahlungsausbrüchen, die in ihren extremsten Formen nur wenige Milliardstel Sekunden lang dauern. Multiplizieren wir die Zeit des Strahlungsausbruches mit der Lichtgeschwindigkeit von 300.000 Kilometer pro Sekunde, erhalten wir die Größe des Strahlungsgebietes. Das Ergebnis ist überraschend: Radioastronomen beobachten strahlende Gebiete, die nur etwa einen Meter groß, aber eine Trillion Meter (tausend Lichtjahre) von uns entfernt sind. Dieses Verhältnis würde, auf irdische Verhältnisse übertragen, bedeuten, dass man im Wasser eines zehn Kilometer tiefen Ozeans am Meeresgrund jeden einzelnen Atomkern des Wasserstoffatoms ganz klar erkennen könnte.

Damit solche kleinen Strahlungsgebiete in so großen Entfernungen überhaupt zu beobachten sind, muss die Radiostrahlung der Pulsare extrem intensiv sein. Es gibt keine anderen Objekte im Kosmos, die so hohe Strahlungsintensitäten erzeugen können. Die Pulsar-Radiostrahlung verhält sich zur normalen Strahlung eines Sterns ungefähr so, wie die Strahlung eines Lasers zur Strahlung einer Glühbirne. Eine Glühbirne strahlt praktisch wie eine Kugel in den ganzen Raum hinein. Ihre Leistung ist einfach nur die Summe der Leistung der einzelnen im Glühdraht angeregten Teilchen. Beim Laserstrahl hingegen ist die abgegebene Leistung auf einen kleinen Raumbereich konzentriert. In einem Laser werden sehr viele Elektronen durch technische Tricks dazu gezwungen, zu einem Zeitpunkt exakt die gleiche Energiemenge abzustrahlen. Die Leistung eines Lasers ist deshalb proportional zum Quadrat der Zahl strahlender Teilchen.

Genaue Rechnungen zeigen, dass die Radiostrahlung "kohärent" sein muss. Darunter versteht man elektromagnetische Wellen, die hinsichtlich ihrer räumlichen und zeitlichen Ausbreitung eine feste, zeitlich unveränderliche Phasenbeziehung haben. Dann können sie sich so überlagern, dass eine besonders hohe Intensität entsteht. Für das Auftreten von kohärenter Strahlung ist es nötig, dass möglichst viele Teilchen zu einem Zeitpunkt alle die gleiche Menge an Energie abstrahlen. Der irdische Laser ist ein kohärenter Strahler, während die Glühbirne ein inkohärenter Strahler ist. Die beobachtete Strahlungsleistung der Pulsare im Radiobereich ist nur erklärbar durch einige Billiarden Elektronen, die im gleichen Moment alle exakt die gleiche Energie abstrahlen. Technisch ist die Herstellung kohärenten Lichtes wie bei einem Laser heutzutage kein Problem mehr. Laser gibt es in der Augenmedizin oder als Laserpointer. In einem Pulsar aber gibt es keine Technik. Welcher "Trick" erzeugt dort auf natürliche Weise eine so hohe Intensität wie bei einem irdischen Laser?

Zur Beantwortung dieser Frage ist es nötig, sich die unmittelbare Umgebung eines Pulsars anzuschauen. Forscher gehen davon aus, dass Pulsare von einem Magnetfeld umgeben sind, das in den sich drehenden Pulsaren verankert ist und das ähnlich aussieht wie das eines normalen Stabmagneten. Wie schon aus dem Schulunterricht bekannt, werden durch bewegte Magnetfelder elektrische Felder erzeugt. Genauso geschieht es auch bei einem Pulsar; dort wird durch die Drehung der Magnetfelder ebenfalls ein elektrisches Feld erzeugt. Hier sind die Magnetfelder allerdings so stark, dass die elektrischen Felder so hohe Feldstärken haben, dass sie geladene Teilchen aus dem Pulsar herausreißen. Die herausgerissenen Teilchen bewegen sich nur entlang der magnetischen Feldlinien. Vom Pulsar strömt also ständig ein elektrisch geladener Teilchenstrom ab, der sich entlang des Magnetfeldes in den Kosmos hinausbewegt. Es sind diese Teilchen, die die hoch intensive Radiostrahlung abgeben. Aber wie?

Gehen wir zurück zum Laser. Er ist eine kohärente Strahlungsquelle für sichtbares Licht. Es gibt aber auf der Erde auch kohärente Strahlungsquellen im Radiobereich. Jeder Radiosender ist ein solcher kohärenter Strahler. In der Radiotechnik wird zur Erzeugung intensiver Radiostrahlung elektrischer Strom so durch einen Leiter geschickt, dass er bestimmte Ladungsschwankungen erzeugt. Je höher die Stromstärke, umso stärker können auch die Schwankungen sein und umso höher ist natürlich auch die abgegebene Radioleistung.

Diese Methode aus der Elektrotechnik lässt sich auf einen Pulsar übertragen: Dort entsteht der starke elektrische Strom durch die Drehung des im Pulsar verankerten Magnetfeldes. Wie aber kann man in einem Strom Ladungsschwankungen erzeugen, die als kohärente Radiostrahlung abgegeben wird?

Ein elektrischer Strom ist die Bewegung von elektrisch geladenen Teilchen in einer Richtung. Die Stromstärke hängt von der Zahl der sich bewegenden Teilchen und ihrer Geschwindigkeit ab. Die maximale Geschwindigkeit der Teilchen ist aber die Lichtgeschwindigkeit. Auch von einem Pulsar können die Teilchen nicht schneller abfließen als mit Lichtgeschwindigkeit. Es kommt deshalb schon bald zu "Teilchenstaus" entlang der magnetischen Feldlinien über der Pulsaroberfläche.

Und jetzt kommt die Überraschung: Die nachfolgenden Teilchen, also die, die "frisch" vom Pulsar kommen, werden von den aufgelaufenen Teilchenverdichtungen abgebremst, weil alle Teilchen dieselbe elektrische Ladung aufweisen. Viele der Teilchen werden sogar komplett reflektiert und rasen wieder in Richtung Pulsar zurück. Von dort kommen aber ununterbrochen neue Teilchen, die sich ihrerseits ständig vorwärts und rückwärts entlang der Feldlinien bewegen. Denn natürlich ist die stärkste Stromquelle die Oberfläche des Pulsars selbst. Sie "drückt" andauernd Teilchen und damit elektrischen Strom in das äußere Magnetfeld, und entlang der magnetischen Feldlinien laufen Dichteschwankungen. Die Teilchen werden "hin und her geschaukelt" und bewegen sich dabei annähernd mit Lichtgeschwindigkeit vom Pulsar. Rechnungen zum Stromkreismodell eines Pulsars ergaben die richtige Größe der Schwankungen, die richtige Leistung und die richtige abgestrahlte Frequenz im Radiobereich.

Vor allem aber kann das Modell eine tragfähige Erklärung für das Pulsar-Radiophänomen bereitstellen, weil es keinerlei "exotische" Physik in Anspruch nehmen muss. Es genügen die Gleichungen der Elektrodynamik, die der schottische Physiker James Clerk Maxwell in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Erster formulierte, und die von Albert Einstein in den Jahren 1905 bis 1915 entwickelte Relativitätstheorie.

Die Erklärung der Radiostrahlung der Pulsare ist eine bemerkenswerte Bestätigung, der aller Astrophysik unterliegenden Hypothese, dass die uns von der Erde her bekannten Naturgesetze auch im Universum überall gültig sind. Die von uns verwendeten Prinzipien finden alltäglich in vielen technischen Bereichen wie etwa beim Laser oder Radio Anwendung. Mit anderen Worten: Selbst die pulsierenden Sternleichen, die vom Rand der erkennbaren Wirklichkeit künden, lassen sich verstehen, und zwar mit einer Physik, mit der sich auf der Erde sogar Geld verdienen lässt. Wenn das kein Beweis ist ...


Prof. Dr. Harald Lesch ist Professor für theoretische Astrophysik an der LMU München; 2005 erhielt er den Communicator-Preis von DFG und Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.
Dr. Axel Jessner ist tätig am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn.

Adresse:
Institut für Astronomie und Astrophysik der Universität München
Scheinerstraße 1, 81679 München

Grundlegende Untersuchungen zur Pulsar-Radiostrahlung hat die DFG im Normalverfahren gefördert.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Ausschnitt aus dem Krebsnebel im Sternbild Stier. Die Strahlung des Pulsars heizt den Nebel und ist auch für das ihn umgebende blaue Leuchten verantwortlich.

> Nach Berechnung von Astronomen ist der Krebsnebel durch eine Supernovaexplosion im Jahre 1054 entstanden.

> Das 100-Meter-Radioteleskop des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bad Münstereifel-Effelsberg. Mit seiner Hilfe werden seit über dreißig Jahren Pulsare auch in höchsten Frequenzbereichen beobachtet.

> Ein aufgezeichneter Riesenpuls vom Krebspulsar, der aus einer Entfernung von mehr als 6000 Lichtjahren stammt und nur 10 Mikrosekunden angedauert hat.


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Quelle:
forschung 4/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft,
S. 13-15
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
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"forschung" erscheint vierteljährlich.
Jahresbezugspreis 2007: 53,50 Euro (print),
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jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2008