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SONNE/088: Feuriger Weltuntergang (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 7/08 - Juli 2008
Zeitschrift für Astronomie

Feuriger Weltuntergang

Von Klaus-Peter Schröder


Die Erde kann ihrem Schicksal nicht entgehen: In ferner Zukunft werden die Ozeane austrocknen und die Landmassen verglühen. Schuld daran ist ausgerechnet die Sonne, die zuvor über Jahrmilliarden hinweg für lebensfreundliche Bedingungen sorgte. Zu einem Riesenstern aufgebläht, wird sie unseren Heimatplaneten verschlingen.


In vielen astronomischen Lehrbüchern gilt es schon lange als Tatsache, dass die Erde in ungefähr 7,5 Milliarden Jahren von der dann zum Riesenstern aufgeblähten Sonne verschluckt wird. Dieser »Kollateralschaden« der Sonnenentwicklung ist aber keineswegs so einfach vorherzusagen. Denn einige wichtige Faktoren - wie zum Beispiel der genaue Massenverlust, den die künftige Riesensonne erleiden wird - konnten erst vor Kurzem genauer bestimmt werden. Demnach sollte die verringerte Sonnenmasse den Erdorbit in der kritischsten Phase eigentlich so weit anwachsen lassen, dass unser Heimatplanet dem Schlimmsten entgeht. Aber durch die Gezeitenwechselwirkung mit der nahen Sonnenphotosphäre wird dann leider doch alles ganz anders kommen...

Der gegenwärtige Erdbahnradius beträgt das 214-Fache des Sonnenradius. Das heißt: Weniger als 0,5 Prozent des Abstands Sonne-Erde werden von dem Glutball unseres Zentralgestirns eingenommen. Unvorstellbar, dass die Sonne einmal derart anschwellen könnte, dass sie die Erde verschluckt, oder?

Aber die Sonne ist nur ein Stern wie viele andere auch, und die machen es uns vor, was eines Tages mit ihr passieren wird. So kennen wir viele Sterne, die weit in ihrem Alter fortgeschritten sind und sich bereits zu Riesensternen entwickelt haben. Einige, wie die bekannten roten Überriesen Beteigeuze (α Ori) und Antares (α Sco), erreichen sogar 600 bis 700 Sonnendurchmesser. In die Mitte unseres Planetensystems verpflanzt, würden sie weit über die Marsbahn hinaus reichen.

Quelle: SOHO/SuW-Grafik

Abb.: In etwa 7,5 Milliarden Jahren wird es ungemütlich heiß auf der Erde, wenn sie nur knapp über der Photosphäre der Sonne kreist, die dann zum Roten Riesen geworden ist. (Die Größe der Erde ist hier stark übertrieben dargestellt.)
Quelle: SOHO/SuW-Grafik



Entwicklung zum Riesenstern

Um zu verstehen, welcher Stern denn nun wie groß wird, brauchen wir genügend viele Beispiele mit bekanntem Alter und bekannter Masse. Für Riesensterne, die sich in galaktischen Sternhaufen, in Kugelsternhaufen oder in einem bestimmten Typ von bedeckenden Doppelsternen, den ζ-Aurigae-Systemen [1], befinden, können wir diese Daten anhand von Beobachtungen ableiten. Durch die ζ-Aurigae-Systeme erfahren wir auch aus erster Hand etwas über den Massenverlust, den Riesensterne erleiden; auch Kugelsternhaufen geben uns darüber indirekt Auskunft. Somit lassen sich unsere heutigen Computer-Modelle von der Sternentwicklung eingehend testen und immer weiter verbessern. Deswegen können wir sie auch mit ziemlicher Gewissheit auf das zukünftige Schicksal der Sonne und unserer Erde anwenden.

Die meiste Zeit seines Daseins verbringt ein Stern damit, seinen Wasserstoffvorrat im Kernbereich zu verbrennen. In dieser Phase verändert er sich kaum. Seine Leuchtkraft L und sein Radius R vergrößern sich nur sehr langsam. Grundsätzlich aber hängen die Leuchtkraft sowie die Effektivtemperatur T für Sterne in dieser Phase empfindlich von ihrer Masse M ab; L wächst sogar fast mit der vierten Potenz von M, während die Effektivtemperatur eine Spanne von 3500 Kelvin (für massearme Sterne) bis zu über 50 000 Kelvin (für sehr massereiche Sterne) umfasst.

Anhand des bekannten Hertzsprung-Russell-Diagramms (HRD) lassen sich diese Zusammenhänge verdeutlichen (siehe Kasten "Sternentwicklungsmodelle"). Im HRD werden die Sterne nach ihrer Leuchtkraft (auf der y-Achse) über ihrer Temperatur (auf der x-Achse, von links nach rechts abnehmend) aufgetragen. Diejenigen Sterne, die in ihrem Kern Wasserstoff verbrennen, bilden in diesem Diagramm eine stark besetzte Diagonale, die so genannte Hauptreihe. Entlang der Hauptreihe finden wir die Sterne genau nach ihrer Masse sortiert aufgereiht: oben links (heiß und hell) die massereichen, unten rechts (kühl und leuchtschwach) die massearmen.

Massereichere Sterne verbrennen ihren Wasserstoffvorrat weit schneller als masseärmere. Folglich haben sie eine erheblich kürzere Lebensdauer als unsere vergleichsweise sparsame Sonne, die knapp zehn Milliarden Jahre mit ihrer nuklearen Energiequelle auskommt. Ein Vergleich verschiedener Sternhaufen (deren Mitglieder alle etwa zur selben Zeit entstanden und deshalb gleich alt sind) macht uns dies sehr anschaulich: Mit zunehmenden Haufenalter »brennt« die Hauptreihe wie eine Kerze von oben nach unten ab (siehe Grafik). Der hellste noch auf der Hauptreihe verbliebene Stern ist somit ein guter Indikator für das Alter des Haufens und aller seiner Sterne. Aus seiner Helligkeit können wir zudem seine Masse ermitteln, und deshalb auch auf die Massen der schon weiter entwickelten Riesensterne des Haufens schließen.

Wenn im dichten, heißen Kernbereich des Sterns der Wasserstoff zur Neige geht und das Plasma dort fast nur noch aus Helium besteht, dann verlagert sich zunächst das Wasserstoffbrennen auf eine Schale im Randbereich des Kerns. Im HRD verlässt der Stern nun die Hauptreihe nach rechts, er wird also zunächst kühler. Bei der Sonne wird dieser Prozess in rund fünf Milliarden Jahren langsam einsetzen und sich über rund eine Milliarde Jahre hinziehen. Bei massereicheren Sternen geht auch dieser Prozess sehr viel schneller.

Nachdem sich ein sonnenähnlicher Stern etwas von der Hauptreihe abgesetzt hat, steigt seine Leuchtkraft immer weiter an, und er wandert im rechten Randbereich des HRDs nach oben. Er ist dann zu einem roten Riesenstern geworden. Dessen dürfen wir uns ganz sicher sein, auch ohne die Größe des Sterns direkt gemessen zu haben. Denn die Leuchtkraft kann in dieser Phase (bei abnehmender oder unveränderter Effektivtemperatur) nur über eine stark vergrößerte Oberfläche ansteigen (siehe Formelkasten). In diesem ersten Riesenstadium bewegt sich der Stern im HRD auf dem so genannten »Roten Riesenast« (Red Giant Branch, oder RGB).



Formelkasten

Die Leuchtkraft L eines Sterns hängt von seiner Oberfläche 4π R² und seiner Effektivtemperatur Teff ab:
L = 4πR²οTeff4
(ο = Stefan-Boltzmann-Konstante)

Für Hauptreihensterne gibt es eine Beziehung zwischen ihrer Masse M und Leuchtkraft L:
L αM3,5

Der Massenverlust dM/dt eines Roten Riesen nimmt mit seiner Leuchtkraft L und seinem Radius R zu:
dM/dt = η L R / M
(η = Reimers-Konstante)

Der Drehimpulsverlust Γ durch Gezeiten-Wechselwirkung errechnet sich nach J.-P. Zahn zu:
Γ = const. (q² M R²/tk) (R/a)6 (Ω-ω)
mit q = Massenverhältnis Erde : Sonne,
tk = konvektive Reibungszeit =
(M R²/L)1/3, a = Erdorbit-Radius,
ω = Erdbahn-Winkelgeschwindigkeit,
Sonnenrotation Ω = 0



Aber warum entwickelt sich jeder Stern, mit Ausnahme der allermassereichsten, überhaupt zu einem Roten Riesen? Vereinfacht gesagt, sind die Veränderungen des äußeren Sternaufbaus eine erzwungene Reaktion auf das Schrumpfen und Heißerwerden des Kerns, im genau entgegengesetzten Sinne. Die Kontraktion des Kerns bestimmt jetzt also die Entwicklung des Sterns, und sie hält so lange an, bis Dichte und Temperatur im Zentrum die erheblich höheren Werte erreicht haben, die für die Fusion von Helium erforderlich sind. Das kann bei einem Stern mit nur einer bescheidenen Sonnenmasse gut eine Milliarde Jahre dauern, denn ein nicht unbedeutender Teil der aus seiner Kontraktion gewonnenen Energie verliert der Kern beständig durch Ausstrahlen von Neutrinos. Mit der anhaltenden Kontraktion gerät auch die Wasserstoff brennende Schale um den Kern unter immer höheren Druck und erzeugt deshalb eine zunehmend höhere Leuchtkraft des RGB-Riesensterns.


Sternentwicklungsmodelle

Im theoretischen Hertzsprung-Russell-Diagramm (HRD) wird, wie hier abgebildet, die Sternleuchtkraft (in Sonnenleuchtkräften, logarithmisch) über die Effektivtemperatur der Sternphotosphäre (logarithmisch, mit nach rechts abnehmenden Werten) aufgetragen. Helligkeit und Temperatur eines Sterns sind somit durch seine Position im HRD gekennzeichnet, und die Sternentwicklung wird durch Entwicklungswege im HRD auf einen Blick überschaubar: Nach ihrem Wasserstoffbrennen als Hauptreihenstern dehnen sich alle Sterne in ihren äußeren Bereichen aus, und ihre Photosphären werden kühler. Abhängig von der Masse werden derart gealterte Sterne in den meisten Fällen auch noch erheblich heller. In jedem Fall entwickeln sich massereichere Sterne deutlich schneller als etwa die Sonne, und sind schon auf der Hauptreihe wesentlich leuchtkräftiger.
Im HRD betrachtet bewegt sich ein sonnenähnlicher Stern im Zuge seiner Entwicklung von der Hauptreihe immer nach rechts und nach oben, wo wir die Roten Riesen finden. Das sind kühle, leuchtkräftige und sehr große Sterne, die kurz davor stehen, ihr Dasein als ausgebrannter Weißer Zwerg zu beenden. Exemplarisch ist hier der Entwicklungsweg der Sonne im HRD dargestellt, mit ihrem zweiten Riesenanstieg (AGB-Ast) nach dem Heliumbrennen, und dazu die Entwicklungswege je eines Sterns mit 2,5 und mit 6,3 Sonnenmassen.

Quelle: K.-P. Schröder/SuW-Grafik

Quelle: K.-P. Schröder/SuW-Grafik




»Entarteter« Kernbereich

Aus dem Kernbereich des Sterns entweichen große Mengen Neutrinos - Reaktionsprodukte der hier ablaufenden Fusionsreaktionen. Sie tragen Energie mit sich und bewirken damit eine Absenkung der Temperatur. Diese Neutrino-Kühlung des Kerns bewirkt, anders als bei massereicheren Sternen, eine so starke Verdichtung, dass die Elektronen quantenmechanische Effekte verspüren: Gemäß dem paulischen Ausschließungsprinzip können Elektronen keine identischen Quantenzustände einnehmen. Sie sind gezwungen, sich schneller zu bewegen, als sie es gemäß der Temperatur tun würden. Einen solchen paradoxen Plasma-Zustand bezeichnen Physiker daher auch gerne als »entartet«.

Fängt das Heliumbrennen dann an, so kommt es zu einer Explosion, dem Helium-Flash, denn zunächst verspüren die Elektronen gar nicht die nun schnell ansteigende Temperatur. Die Gasdichte bleibt deswegen zunächst noch sehr hoch, und eine bremsende Gegenreaktion des Plasmas in Form einer Expansion lässt auf sich warten. Allerdings sehen wir dem Stern diesen Helium-Flash von außen nicht an - nur, dass er danach im HRD einen anderen Platz einnimmt als ein weniger leuchtkräftiger, meist gelber Riese.

Wenn schließlich auch das Helium im Kernbereich verbrannt ist - bei der Sonne wird das relativ schnell (nach nur 110 Millionen Jahren) der Fall sein -, beginnt das Spiel mit dem kontrahierenden, entarteten Kern und dem sich außen aufblähenden Riesenstern von Neuem. In diesem zweiten Riesenstadium befindet sich der Stern im HRD auf dem »Asymptotischen Riesenast« (Asymptotic Giant Branch, oder AGB). Er ist dann nur nicht ganz so kühl, sondern steigt etwas links vom RGB auf. Auch die Sonne wird dieses letzte Stadium der Sternentwicklung durchlaufen, bevor alle nuklearen Brennprozesse erlöschen und sie als so genannter »Weißer Zwerg« endet - sie besteht dann nur noch aus dem bis zuletzt verbleibenden ausgebrannten, sehr kleinen, heißen Kernbereich.


Riesensterne verlieren Masse

Auf spektroskopischem Wege können wir die Masse eines Weißen Zwergs recht gut messen, denn die sehr hohe Schwerebeschleunigung an seiner Oberfläche verbreitert stark seine Spektrallinien. Darum wissen wir, dass sonnenähnliche Sterne Weiße Zwerge mit nur knapp 0,55 Sonnenmassen hinterlassen - aber wo bleibt der Rest?

Tatsächlich verlieren die Sterne im Riesenstadium einen ansehnlichen Teil ihrer Masse. Das sollte uns auch gar nicht so verwundern, denn was auch immer der Mechanismus ist: Riesensterne haben gegenüber der heutigen Sonne eine um 1000- bis mehr als 10.000-fach verringerte Anziehungskraft an ihrer Oberfläche!

Der Massenverlust eines Roten Riesen geschieht in Form eines »kühlen Windes«, den wir vor allem in den bereits erwähnten ζ-Aurigae-Systemen direkt beobachten und sogar recht genau messen können [1]. Diese und ähnliche Beobachtungen haben den Astrophysiker Dieter Reimers schon vor mehr als 30 Jahren zu einer inzwischen sehr bekannten, intuitiven Formel für die Massenverlustrate geführt (siehe Formel-Kasten oben).

Demnach nimmt der Massenverlust mit der Leuchtkraft und dem Radius des Sterns zu. Der genaue Mechanismus ist zwar auch heute noch nicht völlig verstanden, aber er unterscheidet sich eindeutig von den spektakulären staubigen »Superwinden« in der allerletzten Phase der Entwicklung der meisten Sterne, die zur Bildung eines Planetarischen Nebels führt [2]. Dieses Phänomen darf nicht mit einer Supernova verwechselt werden, die nur bei den allermassereichsten Sternen (mit mehr als zehn Sonnenmassen) vorkommt. Die Superwinde werden als »staubgetrieben« bezeichnet, denn der Strahlungsdruck des Sterns wird von vielen, in diesen noch kühleren Winden entstehenden Staubteilchen absorbiert, was sie dann mit dem Gas zusammen ins Weltall hinaustreibt. Aber der normale »kühle« Wind hat einen anderen Antrieb, denn er funktioniert auch völlig ohne Staub, und der Strahlungsdruck des Sterns kann nicht (oder nur zu einem unzureichenden Bruchteil) genutzt werden.

Als Energiequelle für den »kühlen« Wind kommt an sich nur die ausgedehnte, durch ihre brodelnde Turbulenz gestützte Chromosphäre in Frage. Wenn nur ein kleiner Anteil dieser kinetischen Energiefülle irgendwie nach außen geleitet werden kann, dann reicht das schon völlig aus, um den hauptsächlich potenziellen Energiebedarf des Windes zu befriedigen. Basierend auf dieser Grundidee lässt sich die Reimers-Formel in ihrem Kern tatsächlich verstehen, und es ergeben sich lediglich zwei zusätzliche Terme, die zusammen nur eine kleinere Korrektur ausmachen. Diese ist jedoch groß genug, um sie mit den heute möglichen Tests nachweisen zu können.


Ermittlung des genauen Massenverlusts

Im Detail lassen sich die Argumente und Tests, die wir hier nur kurz anreißen können, in [3] und [4] nachlesen. Neben den benachbarten, gut bekannten Riesensternen können wir dabei vor allem auf die entwickelten Sterne in Kugelhaufen zurückgreifen, die der Sonne in der Masse am ähnlichsten sind. Hier beobachten wir gleichzeitig Hauptreihensterne, RGB-Riesen und Sterne, die in der anschließenden Phase des Kern-Heliumbrennens sind. Letztere sind normalerweise als K-Riesen zu finden, bilden bei Kugelhaufen mit geringem Anteil schwerer Elemente aber den so genannten »Horizontalast« - einen sich von den K-Riesen zu heißen Temperaturen erstreckenden, waagrechten Streifen im HRD von Post-RGB-Sternen.

Quelle: K.-P. Schröder/SuW-Grafik

Abb.: Aus dem Hertzsprung-Russell-Diagramm von Sternhaufen lässt sich das Alter der Sterne ermitteln. Junge Haufen enthalten noch viele heiße Sterne hoher Leuchtkraft (blau). In älteren Haufen haben sich diese Sterne (gelb) bereits von der Hauptreihe wegentwickelt - die Hauptreihe brennt quasi wie eine Kerze von oben nach unten ab.
Quelle: K.-P. Schröder/SuW-Grafik



Haben wir bisher die Sternentwicklung eher theoretisch im Hertzsprung-Russell-Diagramm diskutiert, so betrachten wir nun einen typischen Kugelsternhaufen, beispielsweise NGC 5904. Für solche Zwecke ist es einfacher, anstelle der physikalischen Zustandsgrößen Leuchtkraft und Effektivtemperatur der Sterne deren beobachtete Helligkeit und Farbe in einem Diagramm aufzutragen. Ein solches Farben-Helligkeitsdiagramm (FHD) ist einem HRD gleichwertig, denn die Farbe ist ein guter Indikator für die Temperatur und die absolute Helligkeit ein Maß für die Leuchtkraft. Die hellsten Hauptreihensterne in dem FHD des Kugelhaufens NGC 5904 verraten uns einige wichtige Eigenschaften (Grafik unten): Die Masse, die sie vor Erreichen des RGBs haben, beträgt etwa 0,86 Sonnenmassen. Nach dem Verlassen des RGBs haben sie noch etwa 0,60 Sonnenmassen; dieser Wert lässt sich aus der Effektivtemperatur auf dem Horizontalast ableiten. Die Differenz ergibt den gesamten Massenverlust während der RGB-Phase - also etwa 0,26 Sonnenmassen für die Sterne von NGC 5904.

Quelle: SA/NASA/HST/SuW-Grafik

Abb.: Im Farben-Helligkeits-Diagramm (FHD) des Kugelsternhaufen NGC 5904 sind neben der unteren Hauptreihe vor allem der Rote-Riesenast (RGB) und der Horizontalast sehr gut besetzt. Dazu sind die Entwicklungswege von Sternen vor und nach der RGB-Phase eingezeichnet, mit indizierter Masse.
Quelle: SA/NASA/HST/SuW-Grafik



Nun braucht man nur noch Entwicklungsmodelle mit verschiedenen Massenverlustraten (beziehungsweise verschiedenen Reimers-Konstanten η) auszuprobieren. Dabei liefert das Entwicklungsmodell zu jedem Zeitschritt die aktuellen Zustandsgrößen Leuchtkraft, Radius und Masse sowie (vereinfacht ausgedrückt) die Verweildauer in jedem Zustand des RGB oder AGB. Die insgesamt verlorene Masse ist dann die Summe der Produkte aus der jeweils aktuellen Massenverlust-Rate mal der zugehörigen Verweildauer. Die Sternmodelle, deren Post-RGB-Masse dann die beobachteten Temperaturen der Horizontalaststerne reproduzieren, geben uns auf etwa zehn Prozent genau den Wert der Konstanten η.

Kugelsternhaufen gibt es mit sehr unterschiedlichem Anteil schwerer Elemente (»Metallizität«): von 0,5 (Beispiel: NGC 5927) bis zu weniger als 0,005 (NGC 5904) des solaren Wertes. Im Vergleich solch verschiedener Kugelhaufen zeigt sich, dass erster Näherung nicht von der chemischen Zusammensetzung abhängig ist. Die nun genau kalibrierte Massenverlust-Formel lässt sich somit auch auf die künftige Entwicklung der Sonne anwenden!


Die Sonne als Riesenstern

Unsere Sonne hat als Hauptreihenstern ein Alter von etwa 4,58 Milliarden Jahren - aber genau lässt sich das nicht bestimmen, denn die gegenwärtigen Veränderungen ihrer Zustandgrößen sind sehr langsam und recht klein. Erst gegen Ende ihrer Entwicklung wird es immer schneller gehen: Mit einem Alter von rund 10 Milliarden Jahren hat die Sonnenleuchtkraft ganz langsam auf das 1,84-Fache des heutigen Wertes zugenommen (siehe Tabelle). Der nachfolgende Übergang in das RGB-Riesenstadium wird für die Sonne zunächst noch recht langsam verlaufen, aber in den letzten 300 Millionen Jahren werden sich die Ereignisse dann geradezu überschlagen (siehe Grafik oben): Innerhalb von nur 50 Millionen Jahren schwillt der Radius des roten RGB-Sonnenriesen vom 10-Fachen auf das 256-Fache des heutigen Wertes an! Die letzten vier Millionen Jahre dieser Phase, die sich in 7,59 Milliarden Jahren abspielen wird, sind für das innere Planetensystem die kritischste Zeit, denn dann wird der Sonnenriese seine allergrößte Ausdehnung erreichen. Dabei verliert er aber auch ein Drittel seiner Masse!



Die Sonne im Wandel der Zeit
Phase
Alter [109 Jahre]
L/Lheute
Teff[K]
R/Rheute
M/Mheute
Beginn HR
0,00    
0,70 
5596 
0,89 
1,00 
Heute (HR)
4,58    
1,00 
5774 
1,00 
1,00 
Ende HR
      ca. 10
1,84 
5751 
1,37 
1,00 
RGB, max.
12,17    
2730 
2602 
256  
8,668
He-Brenn.
12,17    
53,7 
4667 
11,2 
0,668
AGB, max.
12,30    
2099 
3200 
149  
0,546


Nach einer Pause von 110 Millionen Jahren im Zustand des zentralen Heliumbrennens als vergleichsweise kümmerlicher Riese (siehe Tabelle) erlebt die Sonne dann noch ein weiteres Wachstum im anschließenden AGB-Stadium. Aber im Gegensatz zu konventionellen Entwicklungsmodellen ohne jeglichen Massenverlust kann die AGB-Sonne aus Massemangel nicht an ihre größte RGB-Ausdehnung herankommen. Auch kurzzeitige Instabilitäten (thermische Pulse genannt) in dieser Phase ändern daran nichts. Da schon die Hälfte der Sonnenmasse im entarteten, ultrakompakten Kern aus nuklearer Asche (vor allem als Kohlenstoff und Sauerstoff, den Endprodukten der Heliumfusion) gebunden ist, mangelt es dem solaren AGB-Riesen an Nachschub für einen Superwind.

Es darf daher vermutet werden, dass die Sonne - im Gegensatz zur vielerorts zu findenden Lehrbuchmeinung - keinen regulären Planetarischen Nebel erzeugen wird. Wenn es überhaupt zu einem sichtbaren Nebel kommen sollte, dann dürfte dieser recht unscheinbar und dem bekannten Ringnebel in der Leier sehr unähnlich sein.

Quelle: K.-P. Schröder/SuW-Grafik

Abb.: In den letzten 300 Millionen Jahren ihrer Entwicklung wird der Radius der Sonne gewaltig zunehmen. Die größte Ausdehnung wird mit 256 heutigen Sonnenradien im ersten Riesenstadium (RGB) erreicht. Zum Vergleich ist der hypothetische Erdbahnradius eingezeichnet (blaue Kurve), der sich ohne Drehimpulsverluste aus dem solaren Massenverlust ergäbe.
Quelle: K.-P. Schröder/SuW-Grafik



Überlebt die Erde?

Die konventionellen Entwicklungsmodelle für eine Sonne ganz ohne Massenverlust sagen voraus, dass erst der innerste Planet Merkur und dann die Venus in dem sich aufblähenden RGB-Sonnenriesen verloren gehen werden. Kurz vor Erreichen der Erdbahn soll dann aber das Heliumbrennen einsetzen, was der dann schon durchgeglühten Erde eine Atempause verschafft, bis die Sonne als noch größerer AGB-Riese dann den Weltuntergang nachholt. So ist es auch in vielen Lehrbüchern nachzulesen.

Sonnenentwicklungsmodelle mit Massenverlust ergeben jedoch ein anderes Bild, zumindest was das Schicksal der Erde angeht. Wie erwähnt, verlagert sich die kritischste Phase für die Erde ebenfalls in das erste Riesenstadium (also in das RGBStadium). Die Sonne verliert dabei auf dem RGB ein Drittel ihrer Masse und wird, weil sie nun unter verringerter Gravitation steht, noch größer als sie es ohne Massenverlust würde. Ihr Radius erreicht dabei fast 1,2 Astronomische Einheiten (AE) oder 256 heutige Sonnenradien. Aber aus demselben Grund sollte sich auch die Erdbahn ausdehnen dürfen - auf das 1,5-Fache des heutigen Wertes, denn bei Drehimpulserhaltung verhält sich der Erdbahnradius a umgekehrt proportional zur Sonnenmasse M. Auf den ersten Blick scheint die Erde damit, dank des solaren Massenverlustes, tatsächlich gerettet zu sein [5].


Leider doch nicht!

Die allerkritischste RGB-Phase, in der die Erde nur einen Bruchteil einer Astronomischen Einheit über der Sonnenoberfläche kreist, dauert weniger als eine Million Jahre. Dennoch zeigt eine eingehendere Betrachtung [6], dass insbesondere ein Effekt nicht vernachlässigt werden darf: die Gezeitenwechselwirkung mit der nahen, konvektiven Sonnenoberfläche. So winzig die Erde im Vergleich auch sein mag: Sie erzeugt kleine Gezeitenberge auf der Sonne. Da die Sonnenrotation bis dahin infolge von Aufblähung und Abbremsung zum Stillstand gekommen sein wird, werden die Gezeitenberge angesichts der inneren Reibung im konvektiven Sonnenmantel immer etwas gegenüber der Erde zurückbleiben und an ihr ziehen - und zwar entgegen dem Umlaufsinn.

Den Effekt der Gezeitenreibung hat der französische Astrophysiker Jean-Paul Zahn für Doppelsterne recht genau quantifiziert (siehe Formel-Kasten oben). Seine Beschreibung lässt sich auch gut auf das Problem mit der Erde anwenden. Der Drehimpuls der Erdbahn verringert sich langsam, so dass ihr Radius kleiner wird, was den Bremseffekt noch verstärkt. Zu guter Letzt dürfte auch die Reibung in dem dünnen Gas der Sonnenchromosphäre noch einen Beitrag leisten. Aber eine Abschätzung zeigt, dass die Gezeitenreibung der bei weitem dominierende Mechanismus ist.

Wenn man nun mit diesen Effekten rechnend den Erdorbit für jeden Zeitschritt des Sonnenmodells neu ermittelt, so ergibt sich ein ernüchterndes Bild (Grafik rechts): Die Erde stürzt nur rund 500.000 Jahre vor dem Ende der RGB-Phase in die Riesensonne! Auch wenn man alle Unsicherheiten im zu erwartenden solaren Massenverlust und in der Größe der Gezeitenreibung zu Gunsten der Erde aufsummiert, lässt sich dieser buchstäbliche Weltuntergang nicht wegdiskutieren. Damit sie ihrem Schicksal entgehen könnte, müsste die Erde einen 1,15-mal größeren Orbit haben. Ein Planet, der vermutlich mit einer solchen Umlaufbahn überlebt hat, wurde erst kürzlich beim Stern V391 Peg entdeckt [7].

Quelle: K.-P. Schröder/SuW-Grafik

Abb.: In den letzten vier Millionen Jahren der RGB-Phase unserer Sonne steigt ihr Radius stark an. Bevor jedoch die Sonnenoberfläche den Erdbahnradius (blau) erreicht, wird der Bahndrehimpuls der Erde durch Gezeitenwechselwirkung so stark reduziert, dass unser Heimatplanet in die Sonne stürzt.
Quelle: K.-P. Schröder/SuW-Grafik



Zurück zur »näheren« Zukunft

Nun könnten wir uns damit trösten, dass ein Überleben der Erde als Planet ja sowieso nur von akademischen Interesse sei. Denn eines ist gewiss: In der Phase der größten Annäherung wird die durchgeglühte Oberfläche unseres ehemals heimeligen Planeten schmelzen, und alles restliche Leben und alle Zeugnisse vergangener Kulturen werden ausgelöscht. Was aber die Bewohnbarkeit der Erde anbelangt, müssen wir uns bereits in einer (astronomisch) viel näheren Zukunft Sorgen machen!

In ziemlich genau einer Milliarde Jahren wird die Sonne ihre Leuchtkraft um zehn Prozent vergrößert haben. So gering das im Vergleich zu den dramatischen Veränderungen im Riesenstadium erscheint, so reicht dies doch aus, den inneren Rand der bewohnbaren Zone im Sonnensystem (gegenwärtig bei 0,95 AE) über die Erdbahn hinaus nach außen zu verschieben. Die Gefahr droht also schon lange vor dem Beginn der Riesenstadien der Sonne. Die Ozeane werden dann verdampfen, und das Klima wird recht plötzlich in einen tödlichen Treibhauseffekt umschlagen.

Gäbe es einen Weg, das planetare Inferno zu verhindern? Nur einen: Sollte es in ferner Zukunft eine dauerhafte, hochtechnisierte Kultur auf der Erde geben, könnte sie versuchen, über lange Zeiten hinweg den Erdorbit langsam zu vergrößern - durch gezielt herbeigeführte enge Begegnungen mit Asteroiden, die den Bahndrehimpuls der Erde nach und nach erhöhen würden. Theoretisch könnte dadurch der Erdorbit sogar größer als 1,15 AE werden - und somit groß genug, dass später der Absturz in die Riesensonne ausbleibt.

Klaus-Peter Schröder

Klaus-Peter Schröder promovierte und habilitierte an der Universität Hamburg. Danach war er als Astrophysiker und Dozent in Cambridge (England), Berlin und Brighton tätig. Seit 2005 ist er ordentlicher Professor für Astrophysik an der Universität von Guanajuato (Mexiko).


Literaturhinweise:

[1] Schröder, K.-P.: Zeta-Aurigae-Systeme. Ein Schlüssel zum Verständnis der Sternwinde Roter Überriesen. In: Sterne und Weltraum 6/1988, S. 368-372.

[2] Schröder, K.-P.: Superwinde und Staub von Riesensternen. Wie funktioniert der galaktische Recycling-Prozess? In: Sterne und Weltraum 5/2003, S. 40-45.

[3] Schröder, K.-P. und Cuntz, M.: A New Version of Reimer's Law of Mass Loss Based on a Physical Approach. In: Astrophysical Journal 630, L73-L76, 2005.

[4] Schröder, K.-P. und Cuntz, M.: A Critical Test of Empirical Mass Loss Formulas Applied to Individual Giants and Supergiants. In: Astronomy & Astrophysics 465, S. 593-601, 2007.

[5] Schröder, K.-P.: Die Zukunft der Erde. In: Sterne und Weltraum 7/2002, S. 14-15.

[6] Schröder, K.-P. und Smith, R. C.: The Distant Future of the Sun and Earth Revisited. In: Monthly Notices of the RAS 386, S. 155-163, 2008.

[7] Schmalzl, M.: Der Planet, der überlebte. In: Sterne und Weltraum 2/2008, S. 19.


© 2008 Klaus-Peter Schröder, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 7/08 - Juli 2008, Seite 42-48
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2008