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SONNE/112: Sonnenzyklus und Planeten - eine unglückliche Beziehungsgeschichte (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 1/15 - Januar 2015
Zeitschrift für Astronomie

Der Sonnenzyklus und die Planeten:
eine unglückliche Beziehungsgeschichte

Von Manfred Schüssler



Entgegen dem Ergebnis mancher Untersuchungen über den Einfluss der Gezeitenkräfte durch die Planeten auf die Sonnenaktivität gibt es offenbar doch keinen Hinweis auf solch eine Verquickung.


Trotz aller Misserfolge und der Winzigkeit der Gezeitenkräfte auf die Sonne, die ja einer physikalischen Wirkung der Planeten zu Grunde liegen, finden sich in der Literatur immer wieder Versuche, die so genannte Planetenhypothese wiederzubeleben. Dabei geht es um einen möglichen Einfluss der Planeten auf die Sonnenaktivität. Ein aktuelles Beispiel ist die Arbeit von Jose A. Abreu von der ETH Zürich und Mitarbeitern aus Spanien und den USA (siehe SuW 9/2013, S. 22).

Die Autoren betrachten in ihrer Arbeit das (sehr kleine) Drehmoment, das durch die Planeten auf die Sonne ausgeübt wird, wenn sie von der idealen Kugelgestalt, also von sphärischer Symmetrie abweicht. Eine solche Verformung kommt beispielsweise durch die Rotation der Sonne zu Stande, die zu einer leichten Abplattung führt: Der Radius am Rotationsäquator der Sonne ist etwa sechs Kilometer größer als an den Polen (bei einem mittleren Radius von etwa 700.000 Kilometer).

Abreu und seine Koautoren betrachten aber nicht diese Abplattung, sondern argumentieren mit der so genannten »Tachokline«, einer Schicht im Übergangsbereich zwischen der äußeren Konvektionszone der Sonne und ihrem radiativen Kern in einer Tiefe von etwa 200.000 Kilometern. In dieser Schicht ändert sich die Rotationsgeschwindigkeit von innen nach außen recht stark, so dass man auch von einer »Scherschicht« spricht.

Die Existenz der Tachokline wurde durch die Helioseismologie, welche die Analyse der inneren Struktur der Sonne auf Grund ihrer Eigenschwingungen betreibt, nachgewiesen. Dabei ergaben sich auch Hinweise darauf, dass die Tachokline die Form eines Ellipsoids hat, allerdings mit einem kleineren Radius am Äquator als an den Polen.

In einigen Modellen für den Sonnendynamo spielt die Tachokline eine wichtige Rolle für die Entstehung der starken Magnetfelder, die den Sonnenflecken zu Grunde liegen. Abreu und Kollegen setzten hier mit ihrer Überlegung an und betrachteten die zeitliche Variation des Drehmoments, das die Planeten auf eine solche ellipsoidale Schicht ausüben. Die dabei hervortretenden Perioden verglichen sie mit solchen, die sich aus der langfristigen Variation der Sonnenaktivität ergeben. Diese kann man anhand der »kosmogenen« Isotope Beryllium-10 und Kohlenstoff-14 in (ant)arktischen Eisbohrkernen beziehungsweise Baumringen teilweise bis etliche hunderttausend Jahre in die Vergangenheit zurückverfolgen (kosmogene Isotope entstehen durch die Wechselwirkung der kosmischen Strahlung mit Atomkernen in der Erdatmosphäre).

Abreu und Kollegen fanden nun auf den ersten Blick frappierende Übereinstimmungen zwischen fünf Periodizitäten im planetaren Drehmoment und der Sonnenaktivität im Bereich zwischen etwa 90 und 500 Jahren. Sie schlossen daraus, dass offenbar die Planeten langfristige Modulationen der Sonnenaktivität bewirken, wobei sie den grundlegenden hydromagnetischen Dynamomechanismus für den Elf-Jahres-Zyklus allerdings nicht anzweifeln.

Kritische Analyse

Das in Anbetracht der winzigen Effekte überraschende Ergebnis von Abreu weckte einige Aufmerksamkeit (nicht nur in Fachkreisen), so dass andere Wissenschaftler die Ansätze einer kritischen Überprüfung unterzogen. Es ergab sich eine Reihe von Problemen sowohl mit dem Ansatz als auch der statistischen Analyse und schließlich der Reproduzierbarkeit der Ergebnisse von Abreu. Diese Ergebnisse werden im Folgenden kurz präsentiert, wobei die teilweise recht technischen Aspekte nicht im Detail dargestellt werden.

In einer Veröffentlichung von Robert H. Cameron und mir, beide Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, stellten wir den Grundansatz der statistischen Signifikanztests von Abreu in Frage und wiesen den Autoren darüber hinaus teilweise krasse Fehler bei der Durchführung dieser Tests nach. Im Ergebnis veränderte sich die ursprünglich behauptete statistische Signifikanz (Zufallswahrscheinlichkeit) der Periodenübereinstimmungen von den von Abreu behaupteten Werten zwischen 10-7 und 10-11 auf 0,1! Wir wiesen auch auf einen grundsätzlichen Denkfehler bei der Annahme hin, auf die nicht-sphärische Tachokline werde ein spezielles Drehmoment ausgeübt, durch das der dort möglicherweise ablaufende Dynamomechanismus beeinflusst werde (siehe Weblink weiter unten).

Stepan Poluianov und Ilya Usoskin von der Universität von Oulu, Finnland, fanden Probleme bei der Berechnung des zeitlichen Mittelwerts des Drehmoments, durch die falsche Periodizitäten vorgespiegelt, beziehungsweise die Amplituden stark verändert werden können. Diese Verfälschung betrifft genau den Bereich von Perioden, auf den sich die Analyse von Abreu bezieht. Die Gruppe um Abreu ist mit dieser Schlussfolgerung nicht einverstanden und hat mittlerweile eine Erwiderung auf die Arbeit von Poluianov und Usoskin publiziert.

Schließlich führten Alexandre Cauquoin vom Laboratoire des Sciences du Climat et de l'Environnement in Gif-sur-Yvette, Frankreich, und Mitautoren den entscheidenden Test durch: Sind die Ergebnisse reproduzierbar? Der Untersuchung von Abreu liegt ein Datensatz kosmogener Isotope zu Grunde, der die letzten 9400 Jahre abdeckt - also fast das komplette Holozän, das vor rund 11.700 Jahren begann. Wenn es langfristige Periodizitäten im Planetensystem gibt, welche die Sonnenaktivität modulieren, so sollte das natürlich nicht nur für diese Zeitspanne gelten. Dies kann man testen, da die Daten für das Isotop Beryllium-10 in antarktischen Eisbohrkernen über mehrere 100.000 Jahre vorliegen. Cauquoin und Kollegen wiederholten die Analyse von Abreu für einen Zeitraum von 10.000 Jahren, der etwa 330.000 Jahre in der Vergangenheit liegt.

Für eine Zufallswahrscheinlichkeit von unter fünf Prozent finden sie nur eine einzige der fünf Perioden wieder, die dem Ergebnis von Abreu und Kollegen zu Grunde liegen. Dies bedeutet, dass deren Ergebnis nicht für einen anderen Zeitraum in der Vergangenheit reproduziert werden kann, obwohl sich die Umlaufverhältnisse der Planeten in dieser Zeit nicht signifikant geändert haben können.

Die methodischen und statistischen Mängel in der Analyse von Abreu und Mitarbeitern und die fehlende Reproduzierbarkeit der Ergebnisse für einen anderen Zeitraum zeigen, dass die Annahme eines Zusammenhangs zwischen der langfristigen Modulation der Sonnenaktivität und Einflüssen der Planeten auch weiterhin keine empirische Grundlage hat.

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Die Vorgeschichte

Im Jahr 1843 veröffentlichte der Dessauer Apotheker Samuel Heinrich Schwabe (1789-1875, siehe Bild unten links) seine Entdeckung einer etwa zehnjährigen Periodizität im Auftreten von Sonnenflecken. Neun Jahre später, 1852, präzisierte der Schweizer Astronom Rudolf Wolf (1816-1893, siehe Bild unten rechts) die Periode auf elf Jahre und berichtete auch von längeren Perioden in den von ihm zusammengetragenen umfangreichen Sonnenfleckenbeobachtungen.

Die Natur und Ursache der Sonnenflecken waren damals völlig unbekannt, so dass es nahe lag, die Regelmäßigkeit in ihrem Auftreten mit dem Paradebeispiel eines himmlischen »Uhrwerks«, nämlich dem Umlauf von Planeten in Zusammenhang zu bringen. Die Umlaufperiode von Jupiter von 11,86 Jahren »passte« ja leidlich. Wolf schrieb deshalb den 11-Jahres-Zyklus dem Jupiterumlauf zu, die längerfristigen Modulationen der gravitativen Wirkung von Saturn, Venus und Erde.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein galt diese Vorstellung, genannt Planetenhypothese, als gängige Erklärung für den Sonnenzyklus. Eine Reihe detaillierter Untersuchungen, auch hinsichtlich der Fleckenpositionen auf der Sonne, wurden unter dieser Hypothese durchgeführt (sehr schön dargestellt im einem Artikel von Paul Charbonneau aus dem Jahr 2002).

Bei der Vielzahl von Periodizitäten, die durch die Kombination von Planetenkonstellationen (Konjunktionen, Oppositionen, Quadraturen und so weiter) definiert werden können, besteht auch immer die Gefahr, dass man sich (bewusst oder unbewusst) diejenigen herauspickt, die zur jeweiligen Hypothese passen - auch Wissenschaftler sind vor Wunschdenken nicht immer gefeit.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass immer wieder scheinbar überzeugende Übereinstimmungen von planetaren Periodizitäten oder Konstellationen mit entsprechenden Eigenschaften der Sonnenflecken sich bei genauerer Untersuchung als zufällig, also statistisch insignifikant erwiesen.

Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.
Samuel Heinrich Schwabe (1789-1875)
Rudolf Wolf (1816-1893)


Manfred Schüssler forscht am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung über die Sonne und ihre Heliosphäre und lehrt an der Universität Göttingen.


Literaturhinweise

Abreu, J. A. et al.: Is there a Planetary Influence on Solar Activity? In: Astronomy and Astrophysics 548, A88, 2012

Abreu, J. A. et al.: Response to: »Critical Analysis of a Hypothesis of the Planetary Tidal Influence on Solar Activity« by S. Poluianov and I. Usoskin. In: Solar Physics 289, 2343-2344, 2014

Callebaut, D. K. et al.: The Influence of Planetary Attractions on the Solar Tachocline. In: Journal of Atmospheric and Solar-Terrrestrial Physics 80, S. 73-78, 2012

Cameron, R. H, Schüssler, M.: No Evidence for Planetary Influence on Solar Activity. In: Astronomy and Astrophysics 557, A83, 2013

Cauquoin, A. et al.: No Evidence for Planetary Influence on Solar Activity 330.000 Years ago. In: Astronomy and Astrophysics 561, A132, 2014

Charbonneau, P.: The Rise and Fall of the first Solar Cycle Model. In: Journal for the History of Astronomy 33, S. 351-372, 2002

Poluianov, S., Usoskin, I.: Critical Analysis of a Hypothesis of the Planetary Tidal Influence on Solar Activity. In: Solar Physics 289, 2333, 2014


Zur Physik des Einflusses der Planeten auf die Tachokline siehe den online gestellten Beitrag »Drehmomente auf der Tachokline?« unter:
www.sterne.und-weltraum.de/artikel/1320088.

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w i s - wissenschaft in die schulen

Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

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WiS in Sterne und Weltraum

Zum Kurzbericht »Der Sonnenzyklus und die Planeten: eine unglückliche Beziehungsgeschichte« empfehlen wir Ihnen den WIS-Beitrag »Sonnenflecken und der Lebensrhythmus der Sonne«: Das wohl bekannteste und offensichtlichste Phänomen beim Anblick der Sonnenscheibe sind die Flecken. Diese können mit einfachen schulischen Mitteln beobachtet, gezählt, ausgewertet und erklärt werden. Schüler können dabei aktiv werden. Entsprechend wird die Bestimmung der Sonnenfleckenrelativzahl als Praktikumsaufgabe vorgestellt. Die Entstehung und Entwicklung der Flecken im Zusammenhang mit dem Magnetfeld der Sonne wird durch verschiedene Medien veranschaulicht.
(ID-Nummer: 1051477)

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 24:
Unsere Sonne ist ein gigantischer Ofen, in dessen Zentrum ein Fusionsfeuer brennt. Die Aufnahme mit dem Solar Dynamics Observatory zeigt ihre Erscheinung am 11. April 2013 im extremen ultravioletten Licht bei den Wellenlängen von 13,1 und 17,1 Nanometer. Links oberhalb der Mitte ereignete sich ein heftiger Flare, dem ein koronaler Massenauswurf in Richtung Erde entsprang. Die Sonnenaktivität wird offenbar nicht durch Gezeiteneffekte der Planeten beeinflusst.

Abb. S. 26:
Eisbohrkerne wie dieser aus der westlichen Antarktis dienen als Grundlage zur Rekonstruktion der Stärke der Sonnenaktivität über lange Zeiträume in der Vergangenheit. Bei der dunklen Zone des ein Meter langen Kerns handelt es sich um eine Ascheschicht.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/suw-2015-01-s024-pdf/1321378

© 2015 Manfred Schüssler, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 1/15 - Januar 2015, Seite 24 - 26
URL: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2015-01-s024-pdf/1321378
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2015


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