Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → BIOLOGIE

FORSCHUNG/931: Kognitionsbiologie - Tischlerlehre für Papageien (idw)


Universität Wien - 03.09.2014

Tischlerlehre für Papageien



Kakadu Figaro holt sich eine Nuss aus einer vergitterten Box, in dem er einen länglichen Splitter aus einem Holzbalken beißt und mit diesem seine Reichweite verlängert. Was machen seine Artgenossen, wenn sie das beobachten? Dieser Frage ging Kognitionsbiologin Alice Auersperg von der Universität Wien zusammen mit ihrem internationalen Team von der Universität Oxford und dem Max-Planck-Institut Seewiesen nach. Sie konnten erstmals nachweisen, dass Goffini Kakadus in der Lage sind, errungene Kenntnisse durch soziales Lernen weiterzugeben. Aktuell erscheint dazu eine Publikation in dem Fachmagazin "Proceedings of the Royal Society B".

Foto: © Alice Auersperg

Ein länglicher Holzsplitter dient Kakadu Figaro, um an die begehrte Nuss zu gelangen.
Foto: © Alice Auersperg

Der kreative Gebrauch von Werkzeug geht oft mit einem intensiven Lernverhalten einher und kann in manchen Fällen von einem Individuum zum anderen weitergegeben werden und sich somit innerhalb einer sozialen Gruppe wie eine Art Brauch manifestieren. Bei Vögeln, denen der Werkzeuggebrauch nicht angeboren ist, konnte soziale Weitergabe von Werkzeuggebrauch jedoch bisher noch nie nachgewiesen werden. Nachdem der männliche Kakadu Figaro begann, längliche Splitter in geeigneter Länge aus einem dicken Holzbalken zu beißen, um damit eine Nuss hinter einem Gitter in seine Reichweite zu befördern, ergab sich für das Team um die Kognitionsbiologin Alice Auersperg von der Universität Wien die Frage, ob und wie solch eine technische Innovation an andere Mitglieder dieser Spezies weitergegeben werden kann.


Lösungskompetenz in Kontrollgruppen getestet

Verschiedene Gruppen von Kakadus durften jeweils andere Testanordnungen mit verschiedenen Teilaspekten der Aufgabe "Ich hole die Nuss aus der Box" beobachten. Eine Testgruppe durfte zusehen, wie Figaro gekonnt ein fertiges Stöckchen-Werkzeug verwendete, während dagegen eine andere Gruppe in einer sogenannten "Ghost Demonstration" sah, wie das Werkzeug, welches unter dem Tisch mit einem Magneten gesteuert wurde, die Nuss von selber heranholte, oder wie die Belohnung ohne das Werkzeug von selber magnetisch auf Figaro zukam.

Anschließend waren alle Beobachter auf sich alleine gestellt, um das "Wie-komme-ich-an-die-Nuss"-Problem zu lösen. Drei Männchen und drei Weibchen, die Figaros vollständige Arbeitsleistung gesehen hatten, interagierten mehr mit den potentiellen Werkzeugen als diejenigen, die stattdessen die "Ghost Demonstrationen" gesehen hatten. Bemerkenswerterweise erlangten alle drei Männchen in dieser Gruppe die Fähigkeit, erfolgreich mit dem Werkzeug an das Futter aus der vergitterten Box zu gelangen. Weder die Weibchen derselben Gruppe noch die Männchen und Weibchen der anderen Gruppe konnten das zustande bringen.

"Dies ist das erste Mal, dass die soziale Weitergabe von einer ursprünglichen Werkzeuginnovation empirisch kontrolliert bei einer Vogelart, bei welcher der Werkzeuggebrauch nicht angeboren ist, gezeigt werden konnte", erklärt Projektmitarbeiter Stefan Weber.


Emulation statt Imitation

Die erfolgreichen Männchen ahmten Figaros Bewegungen nicht einfach nur nach: Die Technik, mit welcher das Werkzeug in Aktion gebracht wurde, war selbst eine neue Erfindung. "Figaro hielt das Werkzeug am distalen Ende und steckte es an verschiedenen Höhen durch das Gitter um die Orientierung des Werkzeugs an die sich ändernde Position der Nuss anzupassen und diese somit an sich heran zu bringen", erklärt Auersperg. "Seine Beobachter dagegen steckten das Stöckchen auf Bodenhöhe, parallel zur Nuss durch das Gitter und brachten die Belohnung in Reichweite, indem sie es wie einen Hebel seitwärts schnippten. Statt Figaros exakte Bewegung zu imitieren schienen die erfolgreichen Tiere somit vielmehr auf das Resultat von Figaros Interaktion mit dem Werkzeug zu achten und entwickelten ihre eigenen Strategien, um dieses Resultat zu erreichen. Dies ist typisch für etwas, das Psychologen Emulationslernen nennen würden", so Auersperg weiter.

Foto: © Alice Auersperg

Die Kakadus nutzen unterschiedliche Techniken, um an die begehrte Nuss zu gelangen.
Foto: © Alice Auersperg


Werkzeugbau

Zwei der erfolgreichen Beobachter wurden später in Abwesenheit von fertigen Stöckchen, aber mit geeignetem Material zum Eigenbau eines Werkzeuges getestet. Einer von ihnen begann seine eigenen Splitterwerkzeuge aus einem Holzblock zu beißen, ohne dafür weitere Vorerfahrung zu benötigen. Der andere war nach einmaliger Beobachtung von Figaro beim Werkzeugbau ebenfalls erfolgreich. "Obgleich das im Moment noch nicht vollständig belegbar ist, könnte dieses Experiment darauf hinweisen, dass das Erlernen von Werkzeuggebrauch per se in den Kakadus die Aneignung von Werkzeugherstellung stimuliert", fügt Auersperg hinzu.


Kreativer Prozess durch soziale Interaktion

Alex Kacelnik von der Universität Oxford ist besonders an den Verhaltensunterschieden zwischen Figaro und seinen Beobachtern interessiert: "Es gibt einen substantiellen Unterschied, das Verhalten eines Vorführers zu wiederholen oder eine eigene Methode durch Emulation zu entwickeln, die im Endeffekt zum selben Ergebnis führt. Die Emulation impliziert einen kreativen Prozess, welcher durch soziale Interaktion stimuliert wird. Ersteres hingegen könnte zumindest potenziell auf Imitation basieren. Die Kakadus scheinen ihren Lehrer in der Effizienz ihrer Methode zu übertreffen und dies ist nartürlich etwas, was sich alle Professoren von ihren Studenten erhoffen", so Kacelnik.

Publikation in "Proceedings of the Royal Society B":
Social transmission of tool use and tool manufacture in Goffin cockatoos (Cacatua goffini): Alice M.I. Auersperg, Auguste M.P. von Bayern, Stefan Weber, Anna Szabadvari, Alex Kacelnik. September 2014.
Proceedings of the Royal Society B 20140972.
http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2014.0972 (sobald online)


Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas: An 15 Fakultäten und vier Zentren arbeiten rund 9.700 MitarbeiterInnen, davon 6.900 WissenschafterInnen. Die Universität Wien ist damit auch die größte Forschungsinstitution Österreichs sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund 92.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit über 180 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes. Die Universität Wien ist auch eine bedeutende Einrichtung für Weiterbildung in Österreich. 1365 gegründet, feiert die Alma Mater Rudolphina Vindobonensis im Jahr 2015 ihr 650-jähriges Gründungsjubiläum.
www.univie.ac.at


Weitere Informationen unter:

http://www.zoo.ox.ac.uk/group/kacelnik/goffin_cockatoos_social_transmission.mov
- Video 1, Techniken beim Werkzeuggebrauch von Figaro und den drei erfolgreichen Beobachtern

http://www.zoo.ox.ac.uk/group/kacelnik/goffin_cockatoos_tool_making.mov
- Video 2, Werkzeugherstellung Beispiele von Figaro, Dolittle & Kiwi

http://cogbio.univie.ac.at/labs-and-research-sites/goffin-lab/
- Goffin-Lab

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution84

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Veronika Schallhart, 03.09.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2014