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GENETIK/158: Schutz vor fehlerhafter Genexpression (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 13. Oktober 2011

GENETIK | ZELLBIOLOGIE
Schutz vor fehlerhafter Genexpression

Max-Planck-Wissenschaftler zeigen, dass schädliche Fehler bei der Genexpression bereits im Genom systematisch unterdrückt werden


Forscher gehen davon aus, dass fast kein Protein genau seiner genetischen "Anleitung" entspricht. Allerdings führt nur ein Bruchteil der Ablesefehler während der Transkription zu tatsächlichen Funktionsstörungen. Im Laufe der Evolution hat sich vielmehr eine Reihe von Mechanismen entwickelt, über die Fehler weitgehend minimiert werden. Unschädliche Ablesefehler, die keine Funktionsbeeinträchtigung des betroffenen Proteins nach sich ziehen, werden dagegen vom Organismus vernachlässigt; die Forscher sprechen in diesem Zusammenhang von der Robustheit des Genoms. Wissenschaftler des Berliner Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik konnten jetzt gemeinsam mit französischen Kollegen die Funktion eines solchen Mechanismus aufdecken, über den die Robustheit des Genoms bewahrt wird. Demnach werden "fragile" Codons, die bei fehlerhafter Transkription als Stop-Codon abgelesen und so zu einer Verkürzung der Proteinsequenz führen könnten, an bestimmten Stellen im Genom gezielt unterdrückt. So sollen schädliche Fehler bei der Proteinsynthese bereits im Genom systematisch vermieden werden.

Jede Aminosäure ist im Erbgut durch eine Kombination aus drei Nukleinsäuren codiert. Manche dieser Codons können durch einen einfachen Buchstabentausch zum Stopp-Codon werden. - Abbildung: © Art For Science

Jede Aminosäure ist im Erbgut durch eine Kombination aus drei Nukleinsäuren codiert. Manche dieser Codons können durch einen einfachen Buchstabentausch zum Stopp-Codon werden.
Abbildung: © Art For Science

Nur vier unterschiedliche Nukleinsäuren bilden die Buchstaben der Erbsubstanz, in langen Reihen angeordnet schreiben sie die verschiedenen Gene. Proteine dagegen bestehen aus langen Ketten von insgesamt 20 verschiedenen Aminosäuren. Jeweils drei in einer bestimmten Reihenfolge angeordnete Nukleinsäuren, ein so genannter (Codon, definieren eine Aminosäure. Da es aber mehr mögliche Nukleinsäurekombinationen als Aminosäuren gibt, werden die meisten Aminosäuren durch mehrere Codons bestimmt. Drei Codons (TAA, TAG, TGA) definieren keine Aminosäuren, sondern zeigen das Ende eines Translationsprozesses an, sie werden als Stop-Codon bezeichnet. Einige Codons werden durch einen "Unsinn"-Fehler als Stop-Codon abgelesen, die Forscher schufen dafür den Ausdruck "fragile Codons". Im Gegensatz dazu können "robuste" Codons durch einen Ablesefehler zwar für eine andere Aminosäure kodieren, aber nicht zu einem Stop-Codon werden.

"Die Natur nutzt verschiedene Mechanismen, die die Konsequenzen von Fehlern bei der Genexpression vermindern", erklärt Brian Cusack, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik und Erstautor der jetzt veröffentlichten Arbeit. "Wir haben uns besonders mit einem Mechanismus beschäftigt, der als "Unsinn-vermittelter Zerfall" bezeichnet wird. Dieser sorgt für den Abbau von Transkripten, die aufgrund eines fehlerhaft, d.h., verfrüht eingebauten Stop-Codons zu verkürzten Proteinen führen würden. Diese sind oft giftig für die Zelle, ihr Abbau ist daher besonders wichtig."

Wenn ein Gen abgelesen wird, entsteht zunächst eine Art Zwischenstufe, die sogenannte Boten-RNA. Bevor sie in ein Protein übersetzt werden kann, muss sie weiter bearbeitet und damit funktionsfähig gemacht werden. Ein wichtiger Teil der Prozessierung ist das Splicing, dabei werden die Abschnitte, die keine kodierende Informationen enthalten, entfernt und die verbleibenden Teile, die so genannten Exons, miteinander verbunden. Die Verbindung der einzelnen Exons wird durch einen Proteinkomplex, den Exon Junction Complex (EJC), gekennzeichnet.

Bei Genen mit mehreren Exonen kommen im letzten Exon deutlich weniger fragile Codons vor, da Stopp-Codons hier vom Abbaukomplex nicht entdeckt werden können. Ist nur ein Exon vorhanden, sind fragile Codons in diesem Bereich ebenfalls seltener. - Abbildung: © Art For Science

Bei Genen mit mehreren Exonen kommen im letzten Exon deutlich weniger fragile Codons vor, da Stopp-Codons hier vom Abbaukomplex nicht entdeckt werden können. Ist nur ein Exon vorhanden, sind fragile Codons in diesem Bereich ebenfalls seltener.
Abbildung: © Art For Science

Genau an dieser Stelle setzt der von den Wissenschaftlern untersuchte Zerfallmechanismus ein. Er erkennt Stop-Codons, die sich vor einem EJC befinden und bewirkt einen Abbau der betreffenden Boten-RNA. Einige Gene bestehen jedoch nur aus einem Exon, so dass eine Positionsbestimmung von Stop-Codons in Bezug auf einen EJC nicht möglich ist. Dies gilt auch für fehlerhafte Stop-Codons, die sich im letzten Exon eines aus mehreren Exonen bestehenden Gens befinden.

In der jetzt vorgelegten Untersuchung verglichen die Forscher aus Berlin und Frankreich das Vorkommen von robusten und fragilen Exons zwischen Genen mit einem oder mehreren Exonen bzw. zwischen den ersten und dem letzten Exon eines Gens. Sie konnten nachweisen, dass in single-Exon-Genen bzw. im letzten Exon eines Gens signifikant weniger fragile Codons vorkommen, als in den vorderen Exonen. Die Forscher sehen darin einen eindeutigen Hinweis, dass im Laufe der Evolution verschiedene und zueinander komplementäre Mechanismen entstanden sind, welche die Folgen von Ablesefehlern im Genom minimieren sollen.

Bislang richtete sich das Augenmerk der Evolutionsbiologen ausschließlich auf Mutationen in der DNA-Sequenz, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. "Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass auch Fehler bei der Genexpression, selbst wenn sie nicht vererbt werden, dennoch von Nachteil für das Individuum sind und dadurch eine Rolle bei der Evolution spielen", sagt Brian Cusack.
PM/HR


Originalveröffentlichung
Brian P. Cusack, Peter F. Arndt, Laurent Duret, Hugues Roest Crollius
Preventing dangerous nonsense: selection for robustness to transcriptional error in human genes
PloS Genetics, 13. Oktober 2011

Ansprechpartner

Dr. Patricia Marquardt
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin
E-Mail: patricia.marquardt@molgen.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 13. Oktober 2011
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2011