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MELDUNG/291: Fossilfund in den Alpen - Einblicke in die Lebenswelt der urzeitlichen Tiefsee (idw)


Georg-August-Universität Göttingen - 21.05.2014

Fossilfund in den Alpen: Einblicke in die Lebenswelt der urzeitlichen Tiefsee

Forscherteam mit Beteiligung der Universität Göttingen findet fossile Überreste von fast 70 Organismen



Fossilien aus der Tiefsee werden mit zunehmendem erdgeschichtlichem Alter immer seltener. Dennoch ist es einem internationalen Forscherteam unter Beteiligung von Wissenschaftlern der Universität Göttingen gelungen, in etwa 180 Millionen Jahre alten Ablagerungen in den Salzburger Alpen fossile Überreste von fast 70 verschiedenen Tiefsee-Organismen zu finden. Die Bedeutung der Tiefsee als Ort der Entstehung und der Erhaltung von Artenvielfalt ist deshalb wesentlich größer als bisher angenommen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschienen.

Foto: © Ben Thuy

Heutiger Schlangenstern (Präparat) aus der Tiefsee, ähnlich denen, die in den Tiefsee-Gesteinsablagerungen der Salzburger Alpen gefunden wurden.
Foto: © Ben Thuy

Durch einen Vergleich mit heute noch lebenden Verwandten konnten die Forscher zeigen, dass die Anpassung an die Tiefsee zwar vor Aussterben schützt, sie deswegen aber noch nicht das Ende der Evolution von Organismen bedeutet, die im harten Konkurrenzkampf in küstennahen Regionen nicht mehr bestehen können. Im Gegenteil, die Studie zeigt einen dynamischen Austausch von Artenvielfalt zwischen Tiefsee und Schelfmeeren. "In den vergangenen Jahren hat sich unter Biologen die Meinung etabliert, die Lebenswelt der Tiefsee sei im Zuge von Massenaussterben und globalen Veränderungen der Ozeane wiederholt ausgelöscht und durch Einwanderer aus den flachen Meeresgebieten ersetzt worden", erklärt Ben Thuy, Erstautor der Studie vom Naturhistorischen Museum in Luxemburg, vormals Universität Göttingen.

Da Überreste von Organismen aus der Tiefsee jedoch nur selten als Fossilien gefunden werden, war eine direkte Überprüfung dieser Annahme bisher kaum möglich. Die nun entdeckten Fossilreste stammen von Seeigeln, Seesternen, Schlangensternen, Seelilien, Schnecken sowie den sogenannten Armfüßern, die heute in der Tiefsee sehr häufig und artenreich sind. Aber wie kommen Tiefsee-Fossilien überhaupt in die Alpen? "Durch Plattentektonik wurden die Ablagerungen des damaligen Ozeans im Laufe von Jahrmillionen zu einem Gebirge aufgefaltet. So bieten die Alpen einmalige Einblicke in längst ausgestorbene Ökosysteme, selbst aus großen Meerestiefen", so Thuy. Etliche der untersuchten Fossilien sind die ältesten Nachweise ihrer Familien - älter als ihre Verwandten aus Ablagerungen von küstennahen Schelfmeeren.

Foto: © Ben Thuy

Fossile Schnecke aus den Tiefsee-Gesteinsablagerungen der Salzburger Alpen.
Foto: © Ben Thuy

Diese Tiergruppen entstanden deshalb in der Tiefsee und sind nicht, wie bisher vermutet, aus dem Flachwasser in die Tiefsee abgewandert. Zudem kennt man etliche der jetzt in den Alpen gefundenen Organismen seit Jahrmillionen nur noch aus Tiefsee-Ablagerungen, aber nicht aus Flachmeer-Ablagerungen. "Das passt nicht zur gängigen These vom Massensterben in der Tiefsee mit nachfolgender Neubesiedlung aus den Schelfmeeren", sagt Mitautor Dr. Steffen Kiel von der Universität Göttingen. "Die Tiefsee spielt eine wesentlich größere Rolle als Ort der Entstehung und der Erhaltung von Artenvielfalt als bisher angenommen. Um so kritischer sollten die Auswirkungen der tiefen Schleppnetz-Fischerei und des aktuell geplanten Erzabbaus in der Tiefsee geprüft werden", ergänzt Thuy.


Originalveröffentlichung: Ben Thuy et al. First glimpse into Lower Jurassic deep-sea biodiversity: in-situ diversification and resilience against extinction.
Proceedings of the Royal Society B.
Doi: http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2013.2624

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution77

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Georg-August-Universität Göttingen, Thomas Richter, 21.05.2014
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2014