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MELDUNG/434: Ein neuer Name für die Seekuh aus dem Mainzer Becken (idw)


Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung - 20.02.2017

Ein neuer Name für die Seekuh aus dem Mainzer Becken


Die Wirbeltierpaläontologin Manja Voß und ihr Kollege Oliver Hampe vom Museum für Naturkunde Berlin fanden heraus, dass sich insgesamt zwei Arten von fossilen Seekühen in ca. 30 Millionen Jahre alten Sedimenten des Mainzer Beckens nachweisen lassen. Die beiden neu entdeckten Arten sind außerdem so verschieden von allen anderen bekannten Seekühen, dass sie eine eigenständige Gruppe bilden mit dem Gattungsnamen Kaupitherium.


Während der Entstehung der Alpen im Zeitalter des Oligozäns, vor ca. 30 Millionen Jahren, waren weite Teile Deutschland von einem Flachmeer bedeckt; die Nordsee reichte bis zum Niederrhein und den heutigen Mittelgebirgen und der Vorläufer des heutigen Mittelmeeres, die Paratethys, erstreckte sich bis nach München. Eine ca. 300 km lange und 40 km breite Meeresstraße verband Nordsee und Urmittelmeer und die Bereiche um Basel, Kassel, Mainz und Frankfurt a. M. waren damals seichte, sand- und tongefüllte Buchten. Dank ausgezeichnet erhaltener Fossilfunde vor allem im Mainzer Becken, wo z.B. Überreste von Haien, Rochen und Seekühen freigelegt wurden, erlangten die "Mainzer Meeressande" weitreichende Bekanntheit.

Seekühe sind eine außergewöhnliche Gruppe von Säugetieren, da sie vollständig an ein Leben im Wasser angepasst sind und sich rein vegetarisch ernähren. Die noch heute vorkommenden Arten, auch bekannt als Manatees und Dugongs, sind auf die Küstenregionen und Flussläufe der Tropen und Subtropen beschränkt. Deshalb sind die Funde von Seekühen im Mainzer Becken und der anliegenden Regionen etwas ganz Besonderes, weil Sie anzeigen, dass bei uns das Klima vor 30 Millionen Jahren viel wärmer war.

Die ersten Reste einer Seekuh, ein einzelner Zahn, wurden bereits 1838 gefunden und als Halitherium schinzii beschrieben. Seither sind aus gleichalten Ablagerungen eine Vielzahl weiterer Funde, auch ganzer Skelette, bekannt und zum Teil als verschiedene Seekuharten beschrieben worden. Diese erlangten allerdings nie Gültigkeit, so dass lange Zeit die Existenz von einer einzigen Art angenommen wurde. Beobachtungen von Unterschieden im Körperbau zogen aber immer wieder Verwirrung nach sich und es stellte sich die Frage wie viele Seekuharten nun tatsächlich im einstigen Oligozänmeer Mitteldeutschlands vorkamen.

Die Berliner Wirbeltierpaläontologin Manja Voß und ihr Kollege Oliver Hampe gingen dieser Frage auf den Grund und fanden nun heraus, dass sich insgesamt zwei Arten nachweisen lassen. Wie aber konnten sich zur selben Zeit zwei verschiedene Arten denselben Lebensraum und dieselbe Nahrung teilen? Dies ist gar nicht so unwahrscheinlich und kommt auch in der heutigen Lebewelt häufig vor. Der Vergleich von Skeletten der beiden Seekuharten ergab, dass sich wesentliche Unterschiede in der Ausbildung des Hinterhauptes und in der Bezahnung finden. Wahrscheinlich hängen diese Verschiedenheiten damit zusammen, dass sich beide Arten ihre gemeinsame Nahrungsquelle, nämlich hauptsächlich Seegras, unterschiedlich aufteilten. Zudem geht man davon aus, dass es in der erdgeschichtlichen Vergangenheit eine viel größere Vielfalt an Seegräsern gab als heute, so dass es denkbar ist, dass sich die beiden verschiedenen Seekühe auf bestimmte Seegräser spezialisierten und dadurch vermieden sich in die Quere zu kommen.

Beide Wissenschaftler konnten außerdem feststellen, dass keine der oligozänen Seekühe in die Gattung Halitherium gehört. Da nur ein einzelner Zahn die materielle Grundlage für diese Gattung bildet und es unmöglich war ihn irgendeiner der bisher bekannten Seekuharten eindeutig zu zuordnen, bleibt der Gattungsname lediglich auf diesen Zahn beschränkt. Die beiden neu beschriebenen Arten sind zudem so verschieden von allen anderen Seekühen, dass sie eine eigenständige Gruppe bilden. Also musste ein neuer Gattungsname her. Dieser setzt sich nun aus dem latinisierten Wort zu Ehren von Prof. Dr. J.J. Kaup und dem griechischen Wort für Tier zusammen: Kaupitherium.

Einige der Seekuh-Fossilien können in den Ausstellungen der naturkundlichen Museen z.B. von Mainz, Frankfurt a.M., Darmstadt besichtigt werden.


Publikation:
Voss, M. & Hampe, O. 2017.
Evidence for two sympatric sirenian species (Mammalia, Tethytheria) in the early Oligocene of Central Europe,
Journal of Paleontology
http://dx.doi.org/10.1017/jpa.2016.147



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http://idw-online.de/de/institution1323

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und
Biodiversitätsforschung, Dr. Gesine Steiner, 20.02.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2017

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