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ORNITHOLOGIE/229: Haussperling - Kolonien und Gezeter (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 2/2011

Kolonien und Gezeter: Haussperling

Von Anita Schäffer


Für viele Menschen gelten Haussperlinge als der Inbegriff von Natur in Städten. Die kleinen graubraunen Vögel bringen Leben in Fußgängerzonen und Hinterhöfe. Während des letzten Jahrhunderts haben die Bestände jedoch rapide abgenommen. Die Gründe liegen im Nahrungs- und Wohnungsmangel, der den in Kolonien lebenden Haussperlingen in besonderem Maße zusetzt, weil der Verlust eines geeigneten Lebensraumes meist gleich mehrere Brutpaare betrifft. Will der engagierte Vogelfreund dem Spatzen durch Maßnahmen im eigenen Garten oder Hinterhof unter die Schwingen greifen, so wird er feststellen, dass der Haussperling derlei Angebote gerne annimmt - wenn er denn seine Sippschaft mitbringen darf und ausreichend Nahrung und Nistplätze zur Verfügung stehen.


In ländlichen Gegenden mit traditioneller Viehzucht, Getreidespeichern und unverbauten Traufen ist das Tschilpen und Zetern von Haussperlingen tägliches Hintergrundgeräusch. Die Vögel sitzen auf Dächern, in Hecken und dichtem Gebüsch in gemeinschaftlichen Rast- und Schlafplätzen und gehen gemeinsam auf Nahrungssuche am Boden. Männchen und Weibchen sind dabei deutlich zu unterscheiden. Ein schwarzer Latz, eine graue Kopfplatte und ein dunkelbraunes Band von den Augen bis in den Nacken sind die Erkennungsmerkmale der Männchen, die Wangen sind grauweiß. Nach der Mauser im Sommer sind die Federn noch mit beigen Rändern versehen, sodass im Winter der schwarze Latz und das Dunkelbraun im restlichen Gefieder weniger ausgeprägt bzw. mehr beige erscheinen. Im Laufe des folgenden Jahres nutzen sich die beigen Ränder ab, im Frühsommer ist der Kontrast daher am stärksten. Die Größe des schwarzen Latzes scheint in der Rangordung eine Rolle zu spielen, z. B. beim Besetzen von Nistplätzen oder an Futterstellen im Winter. Weibchen und Jungvögel sind wesentlich unauffälliger graubeige gefärbt. Sehr deutlich sind die klobigen Schnäbel, die sich bestens zum Fressen von Körnern und Sämereien eignen. Daneben ernähren sich Haussperlinge auch von Knospen und Insekten. Die Jungvögel werden ausschließlich mit tierischer Nahrung versorgt, z. B. Blattläusen, kleinen Raupen und Spinnen. In Städten gelten Haussperlinge als "Allesfresser", Brotreste und Kuchenkrümel werden in Biergärten häufig von den Tischen stibitzt.


Unordentliche Kinderstube

Haussperlinge sind Kulturfolger. Ursprünglich bewohnte die Art steppenähnliche Flächen mit ausreichend Grassamen. Mit Sesshaftwerden der Menschen lernten die Vögel jedoch schnell, dass in der Nähe von Viehzucht und Ackerbau immer genügend Nahrung zu finden ist. So leben Haussperlinge seit Jahrtausenden mit den Menschen im bebauten Gebiet. Hier müssen jedoch ausreichend für Bruten geeignete Höhlungen sowie Insekten zur Jungenaufzucht vorhanden sein, und das für Kolonien von fünf bis zehn und häufig mehr Brutpaaren. Brutplätze liegen in Abständen von mindestens 20 bis 50 cm und werden lautstark verteidigt. Die großen kugeligen Nester mit seitlichem Eingang werden unter Dachpfannen, in Gebäudehöhlungen oder sogar Baumhöhlen angelegt, eigentlich überall, wo sie Platz finden, am liebsten jedoch vor Wind und Regen geschützt. Sehr selten bauen Haussperlinge ihr Nest frei in dichter Vegetation. Gelegentlich besetzen Haussperlinge auch Mehlschwalbennester oder sind Untermieter in Weißstorchhorsten, und auch Nistkästen werden bewohnt. Zum Nestbau wird alles verwendet, was den Vögeln geeignet erscheint, von Heu und Pflanzenfasern bis hin zu Bindfäden und Plastik, Federn dienen als beliebte Polsterung. Leider verheddern sich immer wieder Jung- und manchmal auch Altvögel in diesem künstlichen Nistmaterial und gehen qualvoll ein. Insgesamt wirkt das Nest sehr unordentlich, häufig kann man Neststandorte an heraushängendem Material erkennen. Haussperlinge leben in Einehe, wobei Verluste von Partnern recht schnell wieder ersetzt werden. Die Weibchen legen drei bis sechs weiße, braun gefleckte Eier, die von beiden Partnern bebrütet werden. Nach etwa 11 bis 14 Tagen schlüpfen die Jungen. Etwa eine Woche werden sie noch gehudert und insgesamt etwa drei Wochen als Nestlinge mit kleinen Wirbellosen gefüttert. Zum Zeitpunkt des Flüggewerdens stellen die Eltern auf Sämereien um. Die Jungen werden noch weitere 14 Tage versorgt, hauptsächlich vom Männchen, da das Weibchen sich bereits auf die nächste Brut vorbereitet. Ein bis vier, selten auch fünf Bruten zwischen März und August sind die Regel. Bei durchschnittlich fünf Jungen pro Brut kann ein Spatzenpaar auf diese Weise, rein rechnerisch, bis zu 20 Vögel für die nächste Generation beisteuern. Die Jungen suchen in großen Gruppen gemeinsam nach Nahrung, wobei sie später im Jahr nach Beendigung der Brutsaison zusammen mit den Elterntieren in die frisch gereiften Getreidefelder einfliegen. Im Herbst gibt es hier reichlich Nahrung, die Kolonien in der Nähe der Häuser scheinen verlassen. Bereits zu Beginn des Winters lösen sich die großen Schwärme auf und die Haussperlinge kehren in ihre Brutkolonien zurück.


Bestandstrend, Gefährdung, Gefährdungsursachen

Der Allerweltsvogel Haussperling ist heute tatsächlich weltweit zu finden. Nur wenige Gebiete im Südosten Asiens und Westaustraliens, in der Nähe des Äquators sowie rund um die Pole sind nicht besiedelt. Nach Nord- und Südamerika sowie Südafrika und Australien gelangten Haussperlinge mit europäischen Siedlern. Weltweit wird der Bestand des Haussperlings auf 500 Millionen Individuen geschätzt, 5,6 bis 11 Millionen davon leben in Deutschland. Obwohl die Art damit zu den häufigsten Vögeln Deutschlands gehört, sind Beobachtungen längst nicht mehr so alltäglich, wie sie es vor wenigen Jahrzehnten noch waren: In vielen Bundesländern ging der Bestand in den letzten 25 Jahren um 20 bis 50 Prozent zurück - in einigen Großstädten wie Hamburg verlor der "Hausspatz" sogar mehr als Dreiviertel seiner Bestände seit den 1970er Jahren. Bundesweit steht der kleine, gesellige Vogel deshalb bereits auf der Vorwarnliste der Roten Liste der gefährdeten Brutvögel Deutschlands. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts bis etwa 1900 wurden Haussperlinge als Schädlinge verfolgt. Dass die wirtschaftlichen Verluste durch die Aufnahme von Körnern, die sich die Vögel im Winter holten, durch das Vertilgen zahlreicher Insekten, die als Getreideschädlinge Ernteeinbußen verursachen könnten, im Sommer wieder ausgeglichen wurden, war lange Zeit ignoriert worden. Der Umstieg von Pferdewagen auf motorisierte Fahrzeuge während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nahm den Haussperlingen in Städten eine wichtige Nahrungsquelle, nämlich das überall zugängliche Pferdefutter.

Zunehmende Intensivierung der Viehhaltung in geschlossenen Gebäuden, "saubere" Wirtschaft bei der Ernte bzw. Lagerung von Getreide und der Verlust von Stoppelfeldern durch Änderung der Bewirtschaftung in den folgenden Jahrzehnten verschlechterten die Situation für Haussperlinge auf dem Land zunehmend. In Städten sind vor allem der Verlust geeigneter Niststandorte durch Altbausanierungen, die Bebauung von Garten- und insbesondere Brachflächen im Zuge der Verdichtung von Siedlungen und der damit einhergehende Mangel an geeigneter Nahrung, vor allem Insekten zur Jungenaufzucht, für die Bestandsrückgänge verantwortlich.

Untersuchungen in Großbritannien ergaben, dass die Zahl von Haussperlingen im bebauten Gebiet dreimal größer war, wenn Gärten im Untersuchungsgebiet vorkamen, als in Flächen ohne Hausgärten. Möglicherweise lässt das Vorhandensein von Wohn-/Mietshäusern, Hausgärten, Kleingartenanlagen und landwirtschaftlichen Betrieben auf Bestandsdichten von Haussperlingen schließen. Beim British Trust for Ornithology (BTO) laufen derzeit Studien zur Lebensraumnutzung von Haussperlingen im städtischen Gebiet. Mithilfe der Ergebnisse sollen Maßnahmenkataloge entwickelt werden, um weiteren Bestandsverlusten von Haussperlingen rechtzeitig entgegen zu wirken. Fest steht, dass bei fehlendem Brutplatz- und unzureichendem Nahrungsangebot Haussperlingkolonien rasch aufgegeben werden. Der Art kann nur geholfen werden, wenn das Vorkommen mehrerer Paare in der Nachbarschaft akzeptiert wird. Die "Spatzenfibel" des LBV München gibt Auskunft über Maßnahmen, die jeder in Haus und Garten umsetzen kann (siehe Kasten) sowie über rechtliche Grundlagen bei Sanierungsarbeiten und Neubauten in Städten, damit auch in Zukunft das Gezeter der Spatzen von den Dächern klingt.


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Informationen zum Thema:

Bauer H-G. Berthold P 1996: Die Brutvögel Mitteleuropas. Bestand und Gefährdung. Aula-Verlag, Wiesbaden

Chamberlain DE, Toms MP, Cleary-McHarg R, Banks AN 2007: House Sparrow (Passer domesticus) habitat use in urbanizes landscapes. J. Ornithol. 148: 453-462.

Schäffer, A, Schäffer N 2006: Gartenvögel - Naturbeobachtungen vor der eigenen Haustür, Aula-Verlag, Wiebelsheim

www.dda-web.de
www.nabu-de/aktionenundprojekte/vogeldesjahres/helfensiedemspatz/
www-lbv-muenchen.de/projekte/gebaudebrut/spatz/htm
www.bto.org.uk/search/node/house%20sparrow



Deckung, Sand und Wasser

Damit Spatzenkolonien bestehen bleiben oder sich ansiedeln, muss eine Reihe von Lebensraumansprüchen erfüllt sein. Dazu zählen zunächst genügend geeignete Nist-, Schlaf- und Rastplätze in kurzer Entfernung und ausreichend Nahrung für die Kolonie. Spatzen brauchen gegenseitige Gesellschaft, Schlaf- und Versammlungsplätze haben Tradition und werden von Generation zu Generation in der Kolonie weiter genutzt. Dabei sind die Vögel ebenso wie bei der Nahrungssuche extrem ortstreu, der Aktionsradius beträgt nur etwa 500 m, während der Brut sogar nur 50 m rund um den Brutplatz. Haussperlinge lieben dichte Büsche, Hecken oder Fassadenbegrünungen, in denen sie sich geschützt zum Rasten und Schlafen versammeln können. Weiterhin benötigen Spatzen zur Gefiederpflege Wasser und Sand, in denen sie ausgiebig baden können. Wo keine Teiche, Pfützen und unbefestigte Wege vorhanden sind, werden Spatzen schnell Wasserstellen und Sandbäder im Garten annehmen. Dabei kann man die Vögel gut beobachten: Flache, große Schalen, z. B. Topfuntersetzer, mit Wasser oder feinem Sand füllen (beim Sandbad kleine Löcher in den Boden bohren, damit Regenwasser ablaufen kann), in der Nähe eines guten Beobachtungsstandortes im Garten aufstellen, fertig.

Hecken und dichte Büsche lassen sich nicht so schnell anlegen, über Jahre gut geplant zeigt solche Gartengestaltung jedoch auch Erfolg. Dass zugunsten von Insekten als Nahrung für Haussperlinge und andere Arten auf den Einsatz von Chemie im Garten verzichtet werden muss, versteht sich von selbst. Mit einer Auswahl Samen tragender, möglichst heimischer Blütenpflanzen lockt man ebenfalls Insekten an und stellt eine Nahrungsquelle für die Vögel im Herbst und Winter. Fütterungen besuchen Haussperlinge regelmäßig. Sonnenblumenkerne und Erdnüsse scheinen besonders beliebt zu sein, aber auch Fettfutter wird nicht verschmäht.

Weitere Tipps hierzu finden sich in der Broschüre "Die Spatzenfibel" des LBV München unter:
www.lbv-muenchen.de/Projekte/gebauedebrut/spatz.htm



Beobachtungstipps zum Haussperling

Auffälligstes Merkmal: schwarze Kehle, graue Kopfplatte, braunes Augenband; Weibchen und Jungvögel unscheinbar graubeige
Wann: ganzjährig
Wo: in der Nähe des Menschen, wenn die Lebensraumansprüche erfüllt sind
Was: Schlafplatzgemeinschaften, Revierverteidigung, Eintrag von Nistmaterial, bettelnde Jungvögel, Sand- und Wasserbaden, Hierarchie an Fütterungen


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Am deutlichsten sind das Grau der Kopfplatte, der schwarze Latz sowie das dunkelbraune Band von den Augen bis in den Nacken bei Haussperling-Männchen im Frühsommer, wenn sich die beigen Federränder abgenutzt haben.

- Der kräftige Schnabel eignet sich zum Aufpicken von Körnern ebenso wie zum Zusammentragen von Nistmaterial und Insekten für die Jungen. Männchen (links) und Weibchen (rechts) des Haussperlings sind deutlich zu unterscheiden.

- In Deutschland ist der Bestand von Haussperlingen seit Jahren rückläufig.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 2/2011
58. Jahrgang, Februar 2011, S. 49-51
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2011