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ORNITHOLOGIE/258: Thüringen - Alte Kulturlandschaft mit reicher Vogelfauna (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2012

Alte Kulturlandschaft mit reicher Vogelfauna
Thüringer Wald und Thüringer Schiefergebirge

Von Christoph Unger, Siegfried Klaus und Jochen Wiesner



Die Anfänge der Vogelkunde im Thüringer Gebirge liegen in der Vogelfängerei, die hier eine lange Tradition hat. Viele der alten Vogelfänger wurden nach dem 2. Weltkrieg Beringer und stellten ihre Kenntnisse nun in den Dienst der Wissenschaft. Darunter fallen neben Kartierungen wie beispielsweise für den Atlas Deutscher Brutvogelarten (ADEBAR) auch Wiederansiedlungsprojekte zum Auerhuhn, Wanderfalkenschutz oder naturnahe Waldwirtschaft zugunsten von Haselhuhn und Spechtarten.

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Die Besiedlung des Thüringer Waldes und Thüringer Schiefergebirges begann schon im Mittelalter. Die Primärwälder des Thüringer Mittelgebirges waren vor der menschlichen Beeinflussung reich mit Eichen und Buchen bestanden, wie Pollenanalysen aus den Mooren des Thüringer Waldes belegen. Im Thüringer Mittelgebirge gab es mehrere Phasen der Holzübernutzung, beginnend im 14./15. Jahrhundert mit dem Erzbergbau und der Gründung erster Saiger- und Glashütten. Die Folgen waren ein hoher Holzverbrauch und waldfreie Höhenzüge. Wie überall entstanden auch in Thüringen mit der Einführung der regulären Forstwirtschaft vor circa 250 Jahren von Fichten dominierte Forste.

Der Thüringer Wald und das sich südöstlich anschließende Schiefergebirge (im Folgenden immer als Thüringer Gebirge bezeichnet) erstrecken sich von Eisenach im Nordwesten bis in den Thüringer Frankenwald im Südosten. Das Gebiet umfasst eine Fläche von etwa 1500‍ ‍km². Dem Verlauf des Gebirgskammes folgt der Rennsteig, ein alter Handelsweg, heute ein beliebter Höhenwanderweg, mit einer Länge von circa 170 km. Während der Thüringer Wald als typisches Kammgebirge gilt, ist das Thüringer Schiefergebirge durch zum Teil recht ausgedehnte Plateaulagen gekennzeichnet, die immer wieder von tief eingeschnittenen Tälern unterbrochen werden.


Typische Vogelarten der Kammlagen

In den Höhenlagen des Thüringer Waldes und des Schiefergebirges gibt es eine Reihe typischer Vogelarten, die als Leitarten für Bergwälder angesehen werden. Zu ihnen zählen Sperlings- und Raufußkauz, Schwarzspecht, Schwarzstorch, Wanderfalke und Tannenhäher. Charaktervögel der Fichtenforste sind unter anderem Fichtenkreuzschnabel und Wintergoldhähnchen. Kreuzschnäbel wurden früher in großer Menge zu Speisezwecken gefangen oder in Käfigen gehalten. Entlang der zahlreichen Gebirgsbäche ist die Wasseramsel eine typische Vogelart. Zu den Zugzeiten sind in exponierten Höhenlagen Ringdrosseln regelmäßig zu beobachten. Einst waren auch die Raufußhühner weit verbreitet, heute sind sie allerdings akut vom Aussterben bedroht oder schon ganz verschwunden.


Auerhuhn - früher Charakterart

Bis etwa 1920 kam das Auerhuhn im gesamten Thüringer Wald und Schiefergebirge vor. Schon Mitte der 1940er Jahre änderte sich diese Situation merklich. Erhöhte Holzeinschläge in den Kriegs- und Nachkriegsjahren und die Windbruchkatastrophe von 1946 vernichteten in den Höhenlagen großflächig die Waldbestände in den Auerhuhnlebensräumen. Schon in den 1950er Jahren setzte ein Rückgang ein, der dann ab 1970 dramatisch wurde. Während 1970 noch 300 Auerhühner auf etwa 120000 ha Waldfläche siedelten, waren es 1990 noch 20‍ ‍bis 30 Vögel auf etwa 30000 ha. Seit 1990 wird der Bestand durch Zusetzen gezüchteter Vögel gestützt. Wie in ähnlichen Projekten zeigte es sich leider, dass Auerhühner aus der Zucht nach der Freilassung sehr hohe Verluste aufweisen, sodass die Mehrzahl der Auswilderungsvögel das reproduktionsfähige Alter nicht erreicht. Die Hauptgründe sind eine mangelnde Zelluloseverdauung und ein vermindertes Feindvermeidungsverhalten. Sowohl Telemetrieuntersuchungen in Thüringen als auch im Schwarzwald und Harz ergaben, dass Zuchtvögel nach ihrer Freilassung nur sehr geringe Überlebenschancen haben. Keines der in Deutschland etablierten Auerhuhn-Auswilderungsprojekte, die nahezu ausschließlich gezüchtete Vögel auswilderten, konnte einen langfristigen Erfolg verzeichnen.

Aus diesem Grund wurden im Zuge von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für den Bau des Pumpspeicherwerkes Goldisthal und der Talsperre Leibis/Lichte von 1999 bis 2003 145 in freier Wildbahn der mittleren Taigazone Russlands gefangene Auerhühner im Thüringer Schiefergebirge ausgesetzt. Diese Translokation der russischen Wildfänge führte zu neuen Balzplätzen, zu Reproduktion und kurzfristig zu einem Bestandsanstieg. Leider war diese Umsiedlung nur mittelfristig erfolgreich und konnte einen erneuten Bestandseinbruch nicht verhindern. Hauptursachen dafür sind die mangelnde Qualität der Brut- und Aufzuchtshabitate (u. a. Schädigung der Heidelbeerstrauchschicht durch überhöhte Rotwildbestände), geringer Reproduktionserfolg, hoher Prädationsdruck (Fuchs, Wildschwein) und ständige Unruhe in den Wäldern.


Birkhuhn - heute ausgestorben

Das Birkhuhn gilt heute in Thüringen als ausgestorben. Lediglich Einzelvögel aus der bayerischen Langen Rhön können heute noch den kleinflächigen Thüringer Anteil der Hochrhön sporadisch erreichen, der jedoch kaum geeignete Lebensräume bietet. Das Birkhuhn besiedelte früher in Thüringen vier weitgehend voneinander getrennte Teilgebiete: das Thüringer Schiefergebirge, die Rhön, den Kleinen und Mittleren Thüringer Wald und die nordöstlich davon gelegenen Truppenübungsplätze Ohrdruf (maximal 30 Vögel) und Kindel. Der Gesamtbestand in Thüringen sank von 1993 (30 Hähne), 1998 (10 Hähne), 2000 (3 Hähne) auf den Stand Null.

Eine interessante Populationsentwicklung verlief auf dem Kamm des Thüringer Waldes nach großflächigen Sturmwürfen und Borkenkäferkalamitäten 1946. Das Fehlen von Rotwild ermöglichte das üppige Aufwachsen besonders von Ebereschen in den durch Einsaat gegründeten "Vorwäldern" und die Entwicklung einer reichen Beerstrauchvegetation. Die kleine, meist an Hochmoore, Bergwiesen und Kahlschläge gebundene Population von circa 30 Birkhühnern wuchs auf mehr als 300 Vögel (1968) an. Gleichzeitig dehnte sich die besiedelte Fläche von 4000 ha (1945) auf 120000 ha aus. Heute ist der Bestand trotz mannigfaltiger, aber viel zu kleinflächiger Schutzbemühungen vollkommen erloschen. Hauptursachen sind der Mangel an Pioniergehölzen als Winternahrung und einer vitalen Ericacceen-Strauchschicht (überhöhte Rotwildbestände) sowie die enorme Zunahme touristischer Störungen. Die Renaturierung der Thüringerwald-Hochmoore, die eine wesentliche Lebensraumbereicherung darstellen sollte, kam für die Art leider zu spät.


Haselhühner im Frankenwald

Von den drei in Deutschland heimischen Waldhühnerarten verlor das Waldland Thüringen zuerst das Haselhuhn. Im Thüringer Wald verschwand es wahrscheinlich schon vor über 100 Jahren. Die Umwandlung der ursprünglich bunt gemischten Wälder zu monotonen Fichten-Altersklassenforsten im Laufe des vergangenen Jahrhunderts nahm ihm den Lebensraum. Neben der Vernichtung der als Winternahrung unverzichtbaren Pioniergehölze spielte sicher auch der traditionelle Vogelfang eine heute kaum noch einzuschätzende Rolle.

Da das Raufußhuhn früher auch im Frankenwald heimisch war, möchte die Prinz Reuss'sche Forstverwaltung diese ehemalige Charakterart wieder in ihre Wälder zurückholen. Noch ehe aber an Aussetzungen gedacht werden konnte, wurde der Haselhuhnlebensraum auf 2500 ha Fläche im Rahmen naturnaher Forstwirtschaft optimiert. Das Revier wurde daher auch in das Europäische Vogelschutzgebiet Nr. 37 "Frankenwald-Schieferbrüche um Lehesten" aufgenommen, in welchem durch die haselhuhnfreundliche Forstwirtschaft eine ganze Reihe streng geschützter Wald bewohnender Vogelarten erhalten und gefördert wird. Die Liste reicht vom Schwarzstorch über Uhu, Sperlings- und Raufußkauz, Grau- und Schwarzspecht, Waldschnepfe bis zu den Bergbachvögeln Wasseramsel und Eisvogel. Vorteilhaft ist auch die Eingliederung des "Grünen Bandes" in das Projektgebiet, des durch bunt gemischte Waldsukzession ausgezeichneten Grünstreifens, auf dem die ehemalige deutsch-deutsche Grenze verlief. Diese lineare Vernetzungsachse verbindet das Projektgebiet mit benachbarten Forstämtern in Bayern und Thüringen.

Zum naturnahen Waldbau gehört die Entfernung von Fichten entlang der Bergbäche und die Förderung von kätzchentragenden Pioniergehölzen wie Erlen, Weiden, Haselbüschen und Birken, aber auch von Ebereschen und Buchen.

2001‍ ‍wurde mit einer ersten Auswilderung von Haselhühnern aus naturnaher Aufzucht begonnen. Erfahrungen aus dem Haselhuhnprojekt im Harz waren Anlass, bereits zu Projektbeginn die kombinierte Freilassung mit Wildfang-Haselhühnern aus Österreich durchzuführen. Anstelle einer Bejagung wurden Haselhühner lebend gefangen, um das Thüringer Projekt zu unterstützen. Bis einschließlich 2011 wurden 23 Wildfänge und 142 Haselhühner aus naturnaher Aufzucht freigelassen. 2011‍ ‍gelang ein erster Brutnachweis. Ob dieses Projekt allerdings langfristig erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten.


Bestände von Sperlings- und Raufußkauz stabil

Schon der noch heute bekannte Vogelpastor aus Renthendorf, Christian Ludwig Brehm, kannte die beiden Waldkleineulen in Thüringen, denn er beschreibt 1820 neben dem damals bis in die oberen Lagen des Thüringer Waldes verbreiteten Steinkauz auch Raufuß- und Sperlingskauz - also alle drei Arten nebeneinander. Ein ihm im Juli 1817 überbrachter Sperlingskauz-Jungvogel stellt übrigens den ersten indirekten Brutnachweis dieser Art für Deutschland dar! Dennoch galten lange Zeit hindurch beide waldbewohnende Arten als extrem selten, sodass sogar einer der Pioniere der thüringischen Vogelkunde, Hugo Hildebrandt, 1917‍ ‍den Sperlingskauz-Nachweis des Altmeisters Brehm ernsthaft anzweifelte. Erst im Jahr 1978 - also rund 160 Jahre nach dem ersten Brutnachweis für Thüringen - konnte eine besetzte Bruthöhle des Sperlingskauzes bei Wolfersdorf entdeckt werden. Diesem Nachweis ging bereits zwei Jahre zuvor der bemerkenswerte Fund eines flüggen Jungkauzes, der dem Straßenverkehr zum Opfer gefallen war, voraus.

Die Kenntnisse über den Raufußkauz zeichnen sich ebenfalls dadurch aus, dass nach den Brutnachweisen von C. L. Brehm in der Umgebung von Renthendorf weit über hundert Jahre nur spärliche Hinweise auf ein Vorkommen dieser nachtaktiven Eulenart in Thüringen zu finden sind. Erst bei nächtlichen Beobachtungen an Uhubrutplätzen wurde bei Rudolstadt überraschend ein ziemlich dicht siedelnder Brutbestand des Raufußkauzes entdeckt.

In beiden Fällen setzte nach der Wiederentdeckung der versteckt in Nadelwäldern lebenden Kleinkäuze eine verstärkte, teils zielgerichtete Suche nach weiteren Vorkommen ein. Das recht lückenhafte Bild über die Verbreitung, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten bestand, hat sich dadurch grundlegend verbessert, sodass sich unser gegenwärtiger Kenntnisstand kaum noch durch Neufunde ergänzen lässt. Im Rahmen wissenschaftlicher Vogelberingung sowie anhand langzeitökologischer Studien wurden in Thüringen wesentliche brutbiologische und siedlungsökologische Erkenntnisse an beiden Kleineulen erarbeitet. In den letzten Jahren konnten durch den Einsatz von Telemetrie neue Erkenntnisse, besonders zur Siedlungsstruktur des Sperlingskauzes, gewonnen werden.

Die großen zusammenhängenden Wälder des Thüringer Waldes und des Thüringer Schiefergebirges sind flächig von Sperlings- und Raufußkauz besiedelt. Aber auch in den aufgelockerten Mischwäldern der den Mittelgebirgen vorgelagerten Randplatten, in der Rhön und am Südrand des Harzes gibt es inzwischen viele Revier- und Brutnachweise. Der Sperlingskauz kommt zwar vorrangig in ausgedehnten Nadelwäldern vor, er ist aber auch in der Lage, laubwaldreiche Mischwälder wie etwa bei Jena zu besiedeln. Im Gegensatz zum Raufußkauz brütet er sogar in relativ jungen Waldbeständen, wenn dort Buntspechthöhlen vorhanden sind, die er als Brut- und Depothöhlen nutzen kann. Der tag- und dämmerungsaktive Sperlingskauz jagt sowohl Mäuse als auch Kleinvögel, die er zu Winterbeginn mit dem Einbruch frostiger Witterung in plünderungssichere Nahrungsdepots - Buntspechthöhlen und Nistkästen - einspeichert und in langen Mittwinternächten frisst. Aufgrund seines als Generalist breit gefächerten Beutespektrums schwanken seine Brutbestände nicht so stark wie die des Raufußkauzes. Dieser ist als nachtaktiver Jäger ein ausgesprochener Mäusespezialist, der in Jahren mit schlechtem Kleinsäugerangebot oftmals mit der Brut ganz aussetzt. In Mangeljahren kann sich die Zahl der Brutnachweise dadurch um ein Vielfaches verringern. Führt man eine Raufußkauz-Erfassung in einem solch schlechten Mäusejahr durch, so registriert man wesentlich weniger Revierkäuze als in einem Jahr mit sehr guter Nahrungssituation. Auch hinsichtlich seines Lebensraumes ist der Raufußkauz anspruchsvoller als sein kleinerer Verwandter. Er benötigt zum Brüten unbedingt Altholzbestände mit Schwarzspechthöhlen und siedelt auch in Wäldern mit hohem Buchenanteil, wenn in der Nähe der Bruthöhlen geeignete Nadelbäume stehen, in denen er sich tagsüber verbergen kann. Der Mangel an Schwarzspechthöhlen, der zukünftig in den intensiv bewirtschafteten Waldgebieten noch zunehmen dürfte, kann zeitweise mit geeigneten Nistkästen überbrückt werden. Doch die Nachwuchsquote ist infolge von Prädation in Nistkästen deutlich geringer, auch ist die Nutzungsdauer der Holzkästen auf wenige Jahre begrenzt und von ständiger lokaler Betreuung abhängig.

Der von Jahr zu Jahr stark schwankende Bestand des Raufußkauzes wird inzwischen aufgrund der im Rahmen der ADEBAR-Kartierung erhaltenen Ergebnisse für Thüringen auf maximal 450 bis 650 Brutpaare geschätzt. Davon ist knapp ein Drittel in den großflächigen EG-Vogelschutzgebieten repräsentiert, die sich sowohl in den Thüringer Mittelgebirgen als auch in den bewaldeten Buntsandstein- und Muschelkalkvorländern befinden.

Der Sperlingskauz ist eine sesshaftere, aber viel kurzlebigere Art als der Raufußkauz. Daher ist auch sein Bestand vom Bruterfolg der Vorjahre in höherem Maße abhängig. Sein Brutbestand wird anhand der ADEBAR-Kartierung gegenwärtig auf maximal 300 bis 400 Brutpaare geschätzt. Davon ist seit 2007 mehr als ein Drittel des Bestandes in den EG-Vogelschutzgebieten Thüringens repräsentiert.


Schwarzstorch - wieder heimisch

Der Schwarzstorch war schon 1810 aus Thüringen verschwunden. Über 170 Jahre später wurde 1984 die erste Schwarzstorchbrut im thüringisch-fränkischen Grenzbereich entdeckt. In den Folgejahren kamen im Thüringer Wald noch weitere Paare hinzu. Seit Mitte der 1990er Jahre breitet sich die Art dank intensiver Schutzmaßnahmen und parallel steigender und stabiler Bestände in den wald- und fließgewässerreichen Nachbarbundesländern Bayern und Hessen wieder kontinuierlich aus und besiedelt inzwischen auch Gebiete außerhalb des Thüringer Gebirges und Schiefergebirges. Lag der Brutbestand 2007 bereits bei 44 aufgezeichneten Paaren, so ist er nach den jüngsten Rückmeldungen der Nestbetreuer für 2011 mit 43 bekannten Revierpaaren in Thüringen stabil geblieben. Jedoch ist aufgrund der schwierigen Erfassung dieser Vogelart von weiteren, bisher unentdeckt gebliebenen Vorkommen auszugehen. Die Hälfte dieser Population siedelt aktuell im Thüringer Wald sowie im Schiefergebirge. Entscheidend für diese gegenwärtig noch anhaltende Ausbreitung in Thüringen ist das vorhandene Potenzial an ökologisch intakten, kleinfischreichen Bachläufen in Verbindung mit ruhigen Brutwäldern. Seit 2008 erhielten 38‍ ‍nestjunge Schwarzstörche gut ablesbare Farbkennringe. Die Beringung erfolgt im Rahmen eines europäischen Schwarzstorchberingungsprojektes. Diese Markierungsmethode liefert für die erbrüteten Schwarzstörche in Thüringen sehr wertvolle Hinweise zum Dipersal-, Zug- und Überwinterungsverhalten.


Wanderfalke - Erfolgsgeschichte im Artenschutz

Wie der Schwarzstorch, so siedelte sich auch das erste Wanderfalkenpaar 1984 wieder im Thüringer Wald an. Anfänglich waren es ausschließlich Felsen, wo sich die Art niederließ. Intensive Nestschutzmaßnahmen in Verbindung mit der Schaffung von Brutnischen und das Anbringen von Nistkästen durch den Arbeitskreis Wanderfalkenschutz e. V. führten erfreulicherweise in den vergangenen Jahren zur Ausbreitung des Wanderfalken auch außerhalb des Thüringer Waldes. Der Thüringer Wald weist nur eine begrenzte Anzahl von Felsen auf, sodass die Falken in den vergangenen Jahren verstärkt die neu entstandenen Autobahn- und ICE-Brücken besiedeln. Zusätzlich gibt es an den Felsen Konkurrenz durch den Uhu, die oft zum Verlust der Jungen, eines Altvogels oder zur Aufgabe der Brut führt. Die Brückenbauwerke scheinen eine gute Alternative zu Felsen zu sein. Nach den Beobachtungen der Nestbetreuer waren die Bruterfolge an den Brücken meist besser als an den Felsen. In Thüringen gibt es 44 bekannte Wanderfalkenreviere, über die Hälfte davon sind im Wald zu finden.


Uhu - geringe Bruterfolge und hohe Altvogelverluste

Eine weitere Art, die auch an den Felsen des Thüringer Waldes brütet, ist der Uhu. Noch vor fünfzig Jahren galt diese größte Eule Europas als akut vom Aussterben bedroht. Nur an wenigen Stellen in Deutschland gab es diese majestätische Großeule noch - Thüringen gehörte dazu. Lange Jahre galt es als Stammland der Uhus in Deutschland. Erfreulicherweise nahm der Uhu fast überall in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten in seinem Bestand wieder zu. In Thüringen gibt es aktuell 80 bis 90 Brutpaare. Viele Niststandorte befinden sich in Felsen entlang von Flusstälern, aber auch Steinbrüche werden als Brutplätze genutzt. Im Thüringer Wald und dem Schiefergebirge brüten 25‍ ‍bis 30 Paare. Allerdings ist der Bruterfolg vielerorts sehr schlecht, was wohl hauptsächlich an Nahrungsmangel liegt. Viele Paare haben keinen Bruterfolg. Die durchschnittliche Reproduktionsrate lag in den vergangenen Jahren zwischen 0,8 und 1,4 Jungen pro Paar. Recht hohe Verluste werden auch bei den Altvögeln registriert. Die Vögel verunglücken sehr häufig an Stromleitungen oder werden Opfer des Straßenverkehrs. Trotz der relativ hohen Zahl von Revierpaaren in ganz Thüringen ist vor dem Hintergrund der geringen Bruterfolge und der hohen Verluste von Altvögeln die Situation des Uhus in Thüringen durchaus kritisch zu bewerten.


Wasseramseln und Gebirgsstelzen - typisch für Gebirgsbäche

Schaut man sich die die Landschaft des Thüringer Gebirges an, so fällt die starke Strukturierung durch die tief eingeschnittenen Bachtäler auf. Typische Vögel der klaren Gebirgsbäche sind Wasseramsel und Gebirgsstelze. Aufgrund von geeigneter Nahrung und vorhandenen Brutplätzen an diesen Fließgewässern finden beide Arten hier ideale Lebensbedingungen. Der Vergleich der Bestände der Wasseramsel in den 1980er Jahren mit der aktuellen Situation zeigt eine deutliche Zunahme aufgrund der sichtbar verbesserten Wasserqualität. Wasseramseln erreichen an bestimmten, besonders geeigneten Bergbachabschnitten im Thüringer Gebirge Dichten von einem Brutpaar je Flusskilometer. Hierbei spielt das Brutplatzangebot eine entscheidende Rolle. Die Wasseramseln brüten meist unter den alten Natursteinbrücken, wo es in tiefen Spalten zahlreiche Neststandorte gibt. Bei der Sanierung solcher Brücken ist es unbedingt notwendig, Nistplätze für Wasseramseln zu erhalten oder zu schaffen.


Drei Spechtarten in den Höhenlagen

Der häufigste Specht im betrachteten Gebiet ist der Buntspecht. Als Generalist in der Wahl der Brutplätze kommt er in fast allen Waldtypen und Altersstadien vor. Er hat eine große Bedeutung für den Sperlingskauz, der als Höhlennachmieter weitgehend auf diese Spechtart angewiesen ist. In den älteren Waldsukzessionsstadien ist der Schwarzspecht regelmäßig zu finden. Als Höhlenbauer schafft er Wohnstätten für viele Vogel- und Fledermausarten. Unter den Vögeln seien hier besonders der Raufußkauz und die Hohltaube genannt. Eine dritte Spechtart, die vor allem dort vorkommt, wo in die monotonen Fichtenforste Buchen eingestreut und genügend Lücken vorhanden sind, ist der Grauspecht. Er ist im Thüringer Wald in geeigneten Habitaten bis in Höhenlagen um 900 Meter ü. NN zu finden. Viele der Höhlenbäume fielen in den vergangenen Jahren forstwirtschaftlichen Maßnahmen zum Opfer.

Seit einigen Jahren gibt es eine Schutzverordnung für Höhlenbäume und auch Fördermöglichkeiten für die Erhaltung von Höhlen- und Habitatbäumen. Durch eine spezielle Markierung von Höhlenbäumen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, den Höhlenbaumschutz entscheidend zu verbessern. Das zeigt sich auch in stabilen Beständen der Spechte und ihrer Nachmieter im Thüringer Mittelgebirge.

Dr. Christoph Unger promovierte an der Universität in Jena über die Translokation russischer Auerhühner nach Thüringen. Seit 2010 ist er Geschäftsführer des Vereins Thüringer Ornithologen. Beruflich ist er im Artenschutz tätig.

Dr. Siegfried Klaus leitete bis zu seiner Pensionierung 2007 das Referat "Artenschutz, Staatliche Vogelschutzwarte Seebach" an der Thüringer Landesanstalt für Umwelt in Jena. Raufußhühner und Mittelspecht sind zurzeit seine bevorzugten Untersuchungsobjekte.

Dr. Jochen Wiesner ist Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Eulen. Nach der politischen Wende 1989‍ ‍arbeitete er als Leiter der Vogelschutzwarte Seebach und war maßgeblicher für die Abgrenzung und Meldung der EG-Vogelschutzgebiete Thüringens zuständig.


Literatur zum Thema:

Hiekel W, Fritzlar F, Nöllert A, Westhus W 2004: Die Naturräume Thüringens. Naturschutzreport 21, Jena.

Klaus S, Stede T 1993: Der Schwarzstorch in Thüringen - Bestandsentwicklung, Reproduktion und Schutz. Landschaftspfl. Naturschutz Thüringen 30: 7-11.

Siano R; Klaus S 2011: Auerhuhn-Wiederansiedlungs- und Bestandsstützungsprojekte in Deutschland nach 1978. In: Naturpark Oberer Bayerischer Wald (Hrsg.): Das Auerhuhn im Oberen Bayerischen Wald und Böhmerwald: 93-118 (in deutsch & tschechisch).

Wiesner J, Klaus S, Wenzel H, Nöllert A, Werres W 2008: Die EG-Vogelschutzgebiete Thüringens. Naturschutzreport 25, Jena.

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2012
59.‍ ‍Jahrgang, April 2012, S. 130-135
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2012