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ORNITHOLOGIE/290: Vom Totensymbol zum Sympathieträger - Steinkäuze in Nordrhein-Westfalen (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2013

Vom Totensymbol zum Sympathieträger: Steinkäuze in Nordrhein-Westfalen

Von Michael Jöbges



Nordrhein-Westfalen kann man ohne Übertreibung als das Eulenland in Deutschland bezeichnen. Das Bundesland bietet für Eulen viele attraktive Lebensräume mit unterschiedlichen Landschaftsstrukturen und einem meist milden Winterklima, sodass hier regelmäßig sieben Eulenarten brüten. Am bedeutensten ist der Steinkauz: 66 Prozent des deutschen Brutbestands brüten in diesem Dichtezentrum Mitteleuropas - ein guter Grund, den Steinkauz im Emblem der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft (NWO) zu führen.

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Kaum eine Eulenart ist in der Kulturgeschichte so tief verwurzelt wie der Steinkauz. In grauer Vorzeit adelten ihn die alten Griechen zum Wappenvogel der Glücksgöttin Pallas Athene, was sich in ihrem wissenschaftlichen Namen Athene noctua "Athene der Nacht" widerspiegelt. Leider galt die Art durch die Christianisierung und die damit verbundene Verdammung der alten Göttervögel im Mittelalter als Todesbote und Unglücksbringer. Sein typisches "Kuwitt - kuwitt" wurde als "Komm mit - komm mit" interpretiert und sollte den Sterbenden ins Totenreich geleiten. Durch den Aberglauben wurde er vereinzelt auch noch im 20. Jahrhundert verfolgt und als Abschreckung an Scheunentore genagelt. Mitunter fürchten sich auch noch heute Personen vor Steinkäuzen. Aktuell besitzt der Vogel einen umfassenden Schutzstatus und wird als gerngesehener Gast und Mäusefresser von den meisten Landwirten auf ihren Bauernhöfen begrüßt.

Der kaum 200 Gramm leichte, koboldhaft anmutende Kauz mit den schwefelgelben Augen ist nicht selten am Tag aktiv. Gerne nimmt er ein Sonnenbad an einer windgeschützten Stelle und während der Fortpflanzungsperiode kann man die kleine Eule bereits in den Nachmittagsstunden beim Beutefang beobachten. Die Jagdreviere sind zur Brutperiode mit Ausmaßen zwischen fünf und zehn Hektar relativ klein. Im Winterhalbjahr ist der Aktionsraum deutlich größer. Steinkäuze nutzen Nischen, gemauerte Kamine oder die Innenräume von landwirtschaftlichen Gehöften als Tageseinstand. Häufig leben sie in Dauerehe zusammen mit ausgesprochener Standorttreue und Territorialverhalten. Das Männchen verteidigt sein Revier gegenüber Artgenossen vehement. Seine Balzrufe sind in den Monaten Februar bis März in der Abenddämmerung zu hören. Die in der Regel drei bis fünf Eier werden im April gelegt. Gerne brüten Steinkäuze in Nistkästen in Streuobstwiesen. Weitere "natürliche" Brutplätze befinden sich an Hofgebäuden und Nischen alter bäuerlicher Wirtschaftsgebäude sowie in den Höhlen von Kopf- und Obstbäumen. Im Juni fliegen die Jungvögel aus und können sich noch bis in den Herbst hinein im elterlichen Revier aufhalten. Durch Feinde wie Steinmarder und Waldkauz kommen Verluste vor, auch verunglücken die unerfahrenen Jungtiere regelmäßig im Straßenverkehr. Jungvögel wandern meist nicht sehr weit und versuchen in der Regel im Umkreis von zwanzig Kilometern geeignete Brutplätze zu finden.

Der Steinkauz in der nordrhein-westfälischen Kulturlandschaft

Der Steinkauz besiedelt in Deutschland waldarme, reich strukturierte Kulturlandschaften in den Tieflagen. Die Verbreitungszentren des als typischer Kulturfolger angesehenen Kauzes befinden sich in Nordrhein-Westfalen in den klimatisch günstig gelegenen Regionen wie dem Unteren Niederrhein und dem angrenzenden Münsterland mit lokal hohen Siedlungsdichten bis zu 100 Revieren auf einer topografischen Karte 1:25000. Weitere beachtenswerte Brutbestände weisen die Kölner Bucht und die Westfälische Bucht in den Kreisen Paderborn und Soest auf. Gebiete mit Höhen über 300 Meter ü. NN werden vom Steinkauz nicht besiedelt, da großflächige Waldgebiete und hohe Schneelagen im Winter die Lebensraumbedingungen negativ beeinflussen. In den Dichtezentren des Tieflandes finden Steinkäuze Brutplätze und Nahrungsflächen in den offenen oder halboffenen, grünlandreichen Niederungslandschaften. Steinkauzhabitate sind gekennzeichnet durch siedlungs- und bauernhofnahe Obstwiesen mit Beweidung als traditioneller Unternutzung. Bedeutsame Habitatelemente bilden höhlenreiche Kopf- und ältere Obstbäume. Entscheidend für das Vorkommen und die Ansiedlung der Art sind Grünlandflächen mit ganzjährig geringer Vegetationshöhe, die von Rindern, Schafen und zunehmend von Pferden beweidet werden. Hier kann der Steinkauz seine Beutetiere wie Kleinsäuger, Käfer oder auch Regenwürmer im Rahmen seiner typischen Ansitz- und Bodenjagd erreichen. Auch Vögel wie Sperlinge, Finken und Meisen zählen regelmäßig zum Beutespektrum. Ein zu hoher Pflanzenbewuchs, zum Beispiel durch späte Wiesenmahd zur Zeit der Jungenaufzucht, führt zur Reduzierung der Nahrungserreichbarkeit.

Bestandsentwicklung und Gefährdung

Die gegenwärtige Konzentration der Vorkommen in Dorfnähe und an landwirtschaftlich genutzten Höfen kennzeichnet den Steinkauz als Charakterart der bäuerlichen Kulturlandschaft. In den letzten Jahrzehnten hat sich seine Situation auch in Nordrhein-Westfalen durch die Veränderungen in den Dörfern und den anhaltenden Strukturwandel in der Landwirtschaft, besonders durch Rückgang der Milchviehwirtschaft und Weidetierhaltung, deutlich verschlechtert. Lebensraumverluste traten durch Grünlandumbruch, verstärkten Maisanbau, durch die Ausweisung von Bau- und Industriegebieten sowie durch den Braunkohletagebau in der Kölner Bucht auf. Der Verlust von Obstweiden, die zu den typischen Elementen der heimischen Kulturlandschaft zählten, verringert die Lebensraumqualität und führt zum Verlust vieler Steinkauz-Brutplätze und somit auch zur Reduzierung der Biodiversität. Zusätzlich können vereinzelte schneereiche Winter im Tiefland die Populationsentwicklung witterungsbedingt beeinträchtigen. Landesweit lag der Brutbestand im Jahr 2010 zwischen 5200 bis 5700 Paaren. Gegenüber der Erfassung aus dem Jahr 2003 verschlechterte sich die Populationsgröße um sieben Prozent. Der landesweite Brutbestand des Steinkauzes bewegt sich gegenüber anderen Bundesländern immer noch auf einem hohen Niveau. Trotzdem musste der Steinkauz in der Roten Liste der gefährdeten Brutvogelarten Nordrhein-Westfalens aufgrund der kontinuierlichen Lebensraumverluste als "gefährdet" eingestuft werden. Zunehmende Arealverluste betreffen die Randbereiche des Verbreitungsgebietes und wirken sich in der Kölner Bucht und in der Westfälischen Bucht im Übergangsbereich zu den Mittelgebirgslagen Sauerland, Bergisches Land und Eifel aus. Die Brutbestände am Niederrhein und im Münsterland stehen in Kontakt mit den belgischen, niederländischen und niedersächsischen Vorkommen.

Schutzmaßnahmen

Seit vielen Jahren führen rund 400 zumeist ehrenamtliche Natur- und Artenschützer gezielte Schutzmaßnahmen durch und erfassen mit hohem Engagement in ihrer Freizeit die Brutbestände. Aufgrund der verfügbaren Daten und ergänzenden Informationen zur Lebensraumsituation sind der Naturschutzbund Deutschland (NABU), die Nordrhein-Westfälische Ornithologengesellschaft und die staatliche Vogelschutzwarte im Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalens (LANUV) in der Lage, konkret die Gefährdungssituation der Art zu analysieren und geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Habitatverhältnisse in Zusammenarbeit mit den zuständigen Kreisbehörden einzuleiten. Ebenfalls bemühen sich mehrere Biologische Stationen um die Erhaltung der Brutplätze und führen konkrete Maßnahmen durch. Die zuständigen Behörden finanzieren im Rahmen des Vertragsnaturschutzes und aus weiteren Fördertöpfen konkrete Maßnahmen, in erster Linie die Pflege und Neuanpflanzung von Streuobst- und Kopfweidenbeständen. Die Beratung der Landwirte und das Aufhängen von speziellen Steinkauz-Nistkästen gehören zu den erforderlichen Sofortmaßnahmen. Durch das Anbringen und die Betreuung von 4900 Nisthilfen konnte das Brutplatzangebot für den Steinkauz wesentlich verbessert werden. Landesweit brüten rund 40 Prozent der Brutpaare in den artspezifischen Nisthilfen. Zu der längerfristigen Erhöhung des Brutplatzangebotes zählen die Pflege, Erhaltung und Neuanpflanzung von Obst- und Kopfbäumen. Regelmäßige Beweidung des Grünlandes, besonders in Hofnähe, erhöht das Nahrungsangebot für den Steinkauz. Kleinviehhaltung trägt zu einem höheren Spatzen- und Kleinsäugerbestand bei und verbessert dadurch die Nahrungsgrundlage für den Steinkauz. Aufgrund der hohen Bedeutung, die die Nähe zu Gehöften für die Art hat, sollten die genannten Lebensraum verbessernden Maßnahmen und die Förderung des Brutplatzangebotes hauptsächlich in Hofnähe erfolgen. Wichtig ist dabei, dass auf Flächen mit Pferdehaltung die Obstbäume vor Verbiss gesichert werden.

Öffentlichkeitsarbeit und Kooperation

Landesweite Erfahrungen zeigen, dass Schutzbemühungen nur durch eine vertrauensvolle Kooperation mit den Eigentümern der "Steinkauzflächen" Erfolg versprechend sind. Die Zusammenarbeit des ehrenamtlichen Naturschutzes mit den Landwirten hat in den letzten Jahrzehnten den Steinkauzbestand stabilisiert und lokal zu Zunahmen bis in die 1990er Jahre geführt. Insgesamt überlagert jedoch der landwirtschaftliche Strukturwandel derzeit die Erfolge der Vergangenheit. Einen wesentlichen Beitrag der Öffentlichkeitsarbeit stellen neben den zahlreichen Gesprächen mit Grundbesitzern und der Ortsbauernschaft Berichte über diese attraktive Eulenart in Tageszeitungen und im Fernsehen dar. Zur Vermittlung des Themas dienen geführte Exkursionen in Steinkauzrevieren, Vorträge an Schulen und Wanderausstellungen. Um das Naturerleben zu fördern, können Landwirte und interessierte Personen beispielsweise bei Beringungsaktionen der Käuze mithelfen, die ehrenamtliche Mitarbeiter im Auftrag der Vogelwarte Helgoland durchführen. Solche Aktivitäten führen zur Sensibilisierung für die Belange dieser faszinierenden Eule und zur Weiterentwicklung des Schutzgedankens.

Die meisten Steinkauzreviere befinden sich in der sogenannten Normallandschaft und die wenigsten Paare brüten in Natur- oder Vogelschutzgebieten. Hauptsächlich wegen der engen Bindung des Steinkauzes an Streuobstbestände ist für die Sicherung und Entwicklung dieser Lebensstätten vor allem die Etablierung einer wirtschaftlichen Komponente der Streuobstnutzung notwendig. Landwirte erhalten auf Dauer nur dann ihre Obstwiesen, wenn eine wirtschaftlich nachhaltige Nutzung der Obstbäume mit dem Verkauf von Obst oder daraus gewonnenem Saft gewährleistet ist. Der Verbraucher könnte den Schutz des Steinkauzes unterstützen, indem er verstärkt Produkte aus Obstwiesen konsumiert. In einigen Regionen, beispielsweise am Niederrhein und im Münsterland, gibt es bereits etablierte und erfolgreiche "Versaftungsprojekte".

Außerdem sind weiterhin regelmäßige, standardisierte Erfassungen des Brutbestandes und der Gefährdungsursachen notwendig. Nur so lassen sich fundierte Aussagen zur Bestandsentwicklung und zu weiteren Schutzerfordernissen treffen, damit Nordrhein-Westfalen auch weiterhin die Hochburg für den Steinkauz bleibt.


Literatur zum Thema:

NWO - Nordrhein-Westfälische Ornithologengesellschaft (Hrsg.) 2006:
Themenheft Steinkauz, Charadrius 42.

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 6/2013
60. Jahrgang, Juni 2013, S. 237-239
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2013