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ORNITHOLOGIE/370: "Vogelfelsen light" - Dreizehenmöwen am Bulbjerg (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2016

"Vogelfelsen light": Dreizehenmöwen am Bulbjerg

von Philipp Meister


Der in Deutschland relativ unbekannte dänische Vogelfelsen Bulbjerg ragt nicht nur markant aus der Festlandküste Nordjütlands heraus, sondern weist auch eine besondere Nutzungs- und Besiedlungsgeschichte auf. Eine relativ kleine, bislang weitgehend stabile und für Vogelbeobachter gut zugängliche Population der Dreizehenmöwe ermöglicht Einblicke in die komplexe Situation für Hochseevögel an Dänemarks Küsten und erlaubt interessante Perspektiven auf das Brutgeschehen.

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Trotz einer Küstenlänge von über 7000 km mit Hunderten von Inseln gibt es in Dänemark nur einen einzigen Vogelfelsen. Etwa 47 m erhebt sich der Bulbjerg aus der weitläufigen Strand- und Dünenlandschaft Nordjütlands, 26 km östlich der Stadt Hanstholm gelegen. Die ältesten Teile des Steilküstenabschnitts bestehen aus Kalkstein, der vor etwa 65 Millionen Jahren aus Kalkschalen von Meerestieren entstand und im Zuge der Eiszeit von Moränenlehm und Flugsanden überlagert wurde. Auf diesen hat sich eine Heidelandschaft entwickelt, die von der rückwärtigen Seite der Steilküste ins Hinterland überleitet. Über Jahrhunderte wurde der Kalkstein als Rohstoff zum Hausbau genutzt und hierbei auch ins Landesinnere transportiert, wovon heute nur noch die ehemaligen Abbaukanten zeugen.

In jüngerer Vergangenheit wurde dem Bulbjerg seine exponierte und somit militärstrategische Lage zum Verhängnis. Die deutschen Besatzer legten hier während des Zweiten Weltkriegs Horch- und Radarposten für die Geschützstände in Hanstholm an, wozu massive Betonbauten im oberen Teil des Bulbjergs errichtet wurden. Verschiedene Bunkeranlagen sind noch erhalten, für Besucher begehbar und werden teilweise als Informationsraum mit geschichtlichen und naturkundlichen Schautafeln genutzt.

Brutgeschehen auf Augenhöhe

Erst seit der Gründung einer Dreizehenmöwenkolonie in den 1970er Jahren etablierte sich der Bulbjerg als einziger dänischer Vogelfelsen. Eine Besonderheit für Vogelbeobachter stellen die gute Erreichbarkeit des Bulbjergs und seine ungewöhnliche Lage unmittelbar an einem Badestrand dar. Während viele Vogelfelsen nur von oben zugänglich sind oder gefährliche Kletterpartien am Hang erfordern, kann man die Dreizehenmöwen hier bei entsprechendem Wasserstand von einem schmalen Strandabschnitt am Fuß des Felsens aus beobachten. Die Vögel, die in der nach Norden und Westen ausgerichteten Steilwand bereits in knapp zwei Metern Höhe brüten, haben sich an Spaziergänger und Vogelbeobachter gewöhnt und ermöglichen interessante Einblicke in das Kolonieleben.

Außerhalb der Brutzeit leben Dreizehenmöwen fast ausschließlich pelagisch, das heißt auf dem offenen Meer. Nur für wenige Monate im Jahr sind sie auf den schmalen Simsen und Vorsprüngen in der Brutwand anzutreffen. Die Brutsaison beginnt mit der Balz im März, nachdem die meisten Vögel zwischen Februar und März in den Brutgewässern eingetroffen sind. Durch die Konkurrenzsituation um geeignete Nistplätze und die räumliche Enge am Brutplatz wird sehr viel Zeit für Drohungen, Kämpfe und Beschwichtigung aufgewendet, was für eine lautstarke Kulisse unterhalb der Steilwand sorgt.

Wie bei anderen heimischen Möwenarten verläuft die Paarbildung als langsamer Prozess, bei dem das gegenseitige Misstrauen allmählich einer Duldung und Annäherung der beiden Partner weicht. Ein wichtiges Ritual hierbei ist das sogenannte Nestlocken. Unverpaarte Männchen besetzen einen geeigneten Vorsprung in der Wand und stoßen mit s-förmig gekrümmtem Hals gedehnte Lockrufe "ae-ae-ae" aus, wobei der Schnabel immer weiter geöffnet wird. Landet ein Weibchen am potenziellen Brutstandort, wird es mit jauchzenden Balzrufen "kid-de wä" - hierher rührt der englische Name Kittiwake - und oft mit nochmaligem Nestlocken begrüßt. Dieses Verhalten dient der Einstimmung und dem Abbau von aggressivem Verhalten, denn es kommt in dieser Phase immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den beiden Geschlechtern. Paarungswillige Weibchen setzen sich schließlich auf den Vorsprung beziehungsweise das Nest, ziehen den Kopf zurück und beschwichtigen mit nickenden Bewegungen. Sie betteln durch Schnabelpicken um Futter, worauf das Männchen mit Kopfnicken reagiert und Nahrung hochwürgt, die das Weibchen dann aus seinem Schlund holt. Danach erfolgt meist die Kopulation.

Eingespielte Paare vollziehen die Begattungen auch ohne vorherige Balz, doch führt ein Landemanöver mit dem charakteristischen Jauchzruf in der Regel zu einer akustischen Interaktion mit den unmittelbaren Brutnachbarn. Zu eigentlichen Attacken unter Brutnachbarn kommt es eher selten, da nur das Nest als Revier verteidigt wird. Generell wird gegenüber dem Partner das rote, signalfarbene Schnabelinnere nicht vollständig gezeigt, während vermeintliche Gegner bei Streitigkeiten damit konfrontiert werden. Im Streitfall versucht der Angreifer, den Schnabel des Gegners zu fassen und dessen Kopf hin und her zu drehen. Der Kampf endet damit, dass der Angegriffene den schmalen Sims verlassen muss oder beide Vögel ineinander verbissen abstürzen. Verbirgt der Angegriffene den Schnabel im Brustgefieder, lässt der Angreifer bald von ihm ab.

Extremer Brutplatz

Der Nestbau am Bulbjerg begann in den letzten Jahren frühestens Ende März, wobei die meisten Dreizehenmöwen ihr Nest erst im Mai fertigstellen. Als Nestmaterial setzen die Vögel Erde, Kot, Tang, Seegras und andere Pflanzenteile, aber auch Kunststoffschnüre, Folienreste und Teile von Fischnetzen ein, die sie auf einer stabilen Plattform aus festgetretenem Schlamm aufhäufen. Durch entsprechendes "Einsitzen" formen die Vögel eine Mulde mit einem Randwall, in die sie ein bis drei Eier legen. Im Laufe der Brutsaison werden die Nester durch Kotspritzer zunehmend weiß und vermutlich zusätzlich verfestigt. Aufgrund der relativ kompakten Nestkonstruktion können Dreizehenmöwen in einer Felswand auch solche Vorsprünge erschließen, die für andere Vogelfelsbewohner bereits zu schmal oder zu steil sind.

Zwischen Ende Mai und Mitte Juni schlüpfen die Jungvögel, deren Dunengefieder am Kopf sehr hell und am Rücken einheitlich hellgrau ausfällt und nicht das typische Tarnmuster anderer Möwenküken aufweist. Dies erklärt sich damit, dass die Jungen der Dreizehenmöwe im Gegensatz zu den anderen heimischen Möwenarten keine Nestflüchter sind, sondern bis zu ihrer Flugfähigkeit im Nest verbleiben. Es handelt sich hierbei um eine Anpassung an den extremen Neststandort, da der Nachwuchs bei unvorsichtigen Schritten mehrere Meter tief und unter Umständen in die Brandung stürzen würde. Selbst bei Angriffen durch fremde Altvögel fliehen die Küken nicht, sondern drücken sich tief ins Nest und verstecken den Schnabel beschwichtigend unter der Brust.

Kommt es dennoch zu Abstürzen, resultieren diese in der Regel aus Streitigkeiten zwischen Brutnachbarn oder stürmischen Wetterverhältnissen, wie es im Juni 2015 vereinzelt der Fall war. Die Küken sterben in solchen Fällen meist infolge des Sturzes an inneren oder äußeren Verletzungen oder verenden innerhalb der nächsten Tage, da sie nicht weiter von den Elterntieren gehudert, bewacht und gefüttert werden. Hierbei spielt auch eine Rolle, dass die Eltern ihre Jungen in den ersten vier Lebenswochen nicht an der Stimme erkennen, sondern sich nur optisch am Niststandort orientieren.

Altvögel verlassen den Brutfelsen nach dem Flüggewerden der Jungvögel, die etwa einen Monat später folgen. Es findet kein gerichteter Zug statt, da die Vögel sich in Abhängigkeit von Nahrungsangebot und Wetter auf dem Meer bewegen. Von Oktober bis Dezember sind die europäischen Dreizehenmöwen im Nordatlantik verteilt, bevor sie sich gegen Ende Januar wieder in Richtung ihrer Brutgewässer begeben.

Inselhopping im Kattegat, Umzug in den Skagerrak

Die Besiedlung des Bulbjergs durch Dreizehenmöwen vor etwa vierzig Jahren erfolgte erst relativ spät, ist aber im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Art seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu sehen und gut dokumentiert. Noch im 19. Jahrhundert war die Nachstellung durch den Menschen so groß, dass im gesamten Nordseebereich ein starker Rückgang der Dreizehenmöwen zu verzeichnen war und viele Brutklippen verlassen waren. Nachdem zuerst auf den Britischen Inseln, später auch in weiteren Ländern Nordeuropas Schutzmaßnahmen für die Gelege und Jungvögel an Brutplätzen eingeführt wurden, nahmen die Brutbestände der Dreizehenmöwe in den verbliebenen Kolonien zu und führten zu einer vor allem südwärts gerichteten Ausbreitung der Art zwischen den 1930er und 1970er Jahren. Im Zuge dieser Bestandszunahme wurden beispielsweise 1938 Helgoland wiederbesiedelt, 1941 erstmals Dänemark und 1967 erstmals Schweden. Wesentliche Ursache dieser Bestandszunahme war, neben dem weitgehenden Wegfall direkter Verfolgung, die ab Mitte der 1950er Jahre zunehmende Menge an Beifang aus der Fischerei, der über Bord geworfen und von Dreizehenmöwen intensiv genutzt wird.

Diie Ansiedlung der ersten dänischen Brutvögel vor rund fünfundsiebzig Jahren fand auf der Inselgruppe Hirsholmene nordöstlich von Frederikshavn im Kattegat statt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die nächstgelegenen Brutkolonien in Schottland und Norwegen, woher die Vögel stammten, über 800 km entfernt. Interessanterweise brüteten die Dreizehenmöwen auf den Hirsholmenen inmitten einer Lachmöwenkolonie am Boden. Weitere kleinere Kolonien gründeten sich in den 1950er Jahren ausschließlich im Kattegat auf der Nachbarinsel Læsø und bei Skagen. Das Hauptvorkommen auf den Hirsholmenen wuchs innerhalb von fünfzehn Jahren auf etwa 500 Paare an, bevor die Bruten in den 1970er Jahren vermutlich wegen starken Fraßdrucks durch Ratten aufgegeben wurden.

Ein Teil dieser Vögel wechselte 1974 auf die westliche Seite Nordjütlands in den Skagerrak. Damals ließen sich etwa 40 Dreizehenmöwenpaare auf der vorgelagerten Felsnadel Skarreklit am Rande der Jammerbucht nieder, die nur vier Jahre später während eines gewaltigen Septembersturmes abbrach und bis auf ein heute noch zu sehendes Fundament im Meer verschwand. Infolgedessen siedelten die Dreizehenmöwen 1979 schließlich auf den etwa 100 m zurückgesetzten Bulbjerg über und gründeten eine der wenigen festländischen Brutkolonien im europäischen Küstenraum. Anfänglich brüteten jährlich etwa 200 Paare auf den schmalen Vorsprüngen und Simsen des Kalkfelsens. Seit den 1990er Jahren liegt der Bestand am Bulbjerg zwischen 400 und 500 Paaren.

Neben dem Bulbjerg existieren in Dänemark heute nur noch kleinere Brutvorkommen von Dreizehenmöwen in Hanstholm und Hirtshals mit insgesamt knapp 100 Paaren, die dort an Gebäuden und Hafenanlagen brüten. Das letzte regelmäßige Dreizehenmöwenvorkommen Nordre Rønner auf der Kattegat-Insel Læsø erlosch 1996.

"Vogelfelsen light": Außer Möwen nichts gewesen?

Brutvogelarten wie Trottellumme, Tordalk und Basstölpel, die sich typischerweise an den Vogelfelsen der Nordsee finden, fehlen am Bulbjerg. Unregelmäßig brütet aus dem üblichen Artenspektrum nur noch der Eissturmvogel mit bis zu drei Paaren. Die Ansiedlung der Eissturmvögel fällt in die nordatlantikweite Ausbreitung der Art und wurde in Dänemark mit großem Interesse verfolgt. Sie begann mit dem Übersommern von etwa zehn Eissturmvögeln im Jahr 1987, bis die Vögel 1992 einen ersten Brutversuch am Bulbjerg wagten. Nach anfänglichen Misserfolgen dauerte es insgesamt elf Jahre, bis 1998 zwei Brutpaare erstmals Eier legten. Die erste erfolgreiche Brut fand 2000 statt und wurde als Sensation im dänischen Fernsehen übertragen. In den letzten Sommerhalbjahren hielten sich zwar nahrungssuchende und rastende Eissturmvögel vor dem Bulbjerg auf, zeigten aber kein Brutverhalten.

Kein Populationsrückgang am Bulbjerg

Während es seit den 1990er Jahren an vielen Vogelfelsen im östlichen Nordatlantik zu Bestandseinbrüchen in teils dramatischem Ausmaß kommt und die Dreizehenmöwenpopulation der Nordsee etwa um die Hälfte geschrumpft ist, scheint der Bulbjerg von dieser Entwicklung weitgehend verschont zu bleiben. Sein Brutbestand wurde von dänischen Wissenschaftlern in einer Studie aus dem Jahr 2012 als stabil eingestuft, wohingegen verschiedene Hochseearten, darunter auch Papageitaucher und Trottellumme, in der Nordsee und im östlichen Nordatlantik weiterhin abnehmende Brutpaarzahlen verzeichnen. Zahlreiche Untersuchungen führen diese Negativentwicklung auf die schlechte Verfügbarkeit von Nahrungsfischen während der Brutzeit, insbesondere Sandaalen, zurück. Je nach Region und Vogelart kommt es zu einer Mangelversorgung der Jungvögel, einer Aufgabe oder einem Ausbleiben der Brut. Das Phänomen trat zuerst an den Vogelfelsen Schottlands, Englands, später auch auf den Färöern, Island sowie in Norwegen auf und wird ursächlich auf die industrielle Überfischung von Sandaalen und eine Erhöhung der Frühjahrstemperaturen im Nordostatlantik zurückgeführt. Letztere verändert die Zusammensetzung der Planktongesellschaften und hat insbesondere einen Einfluss auf den Ruderfußkrebs (Calanus finmarchicus), der eine wichtige Nahrungsgrundlage für Sandaale bildet. In vielen Brutgewässern steht er während der Brut- und Aufzuchtphase der Hochseevögel nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung. Mit dem Rückgang des kälteliebenden Calanus finmarchicus geht eine Ausbreitung von Calanus helgolandicus in nördliche Nordseebereiche einher, der allerdings kleiner und weniger energiereich ist und für die meisten Beutefische der Seevögel keinen adäquaten Ersatz darstellt.

Dreizehenmöwen sind unter den pelagischen Seevögeln insofern besonders stark von Veränderungen des Nahrungsangebotes betroffen, da sie aufgrund ihrer relativ kleinen Körpergröße in einem Umkreis von maximal 50 km um den Brutstandort nach Nahrung suchen und diese ausschließlich nahe der Wasseroberfläche erbeuten. Andere Pelagen fliegen zur Nahrungssuche auch weitere Strecken oder jagen als Taucharten in tieferen Wasserschichten, weshalb sie besser auf lokale Veränderungen des Nahrungsangebots reagieren können.

Die - im atlantikweiten Vergleich - kleine Dreizehenmöwenkolonie am Bulbjerg stellt mit ihrem relativ stabilen Brutpaarbestand eine erfreuliche Ausnahme vom allgemeinen Trend dar. Auch wenn bislang kein systematisches Monitoring des Bruterfolgs am Bulbjerg durchgeführt wurde, deutet die Datenlage darauf hin, dass es nur im Jahr 2008 zu auffälligen Brutausfällen kam. In der betreffenden Brutsaison wurden von insgesamt rund 400 Brutpaaren nur etwa ein Dutzend Küken an den Brutstandorten Bulbjerg und Hirthals aufgezogen. Die Gründe für die ansonsten positive Bestandssituation am Bulbjerg wird in der unterschiedlichen Nahrungsgrundlage der Dreizehenmöwen vermutet, zu der zum einen der Fischereihafen in Hanstholm beitragen dürfte, der durch Fischereiabfälle für ein zusätzliches Nahrungsangebot in Reichweite der Brutvögel vom Bulbjerg sorgt. Zum anderen wird angenommen, dass in den flachen Küstengewässern westlich von Jütland während der Brutsaison vermutlich solche Sandaalarten zur Hauptnahrungsquelle der Dreizehenmöwen zählen, deren Laichansprüche und Nahrung möglicherweise weniger empfindlich gegenüber Erhöhungen der Wassertemperaturen sind, als es bei Sandaalarten des offenen Meeres der Fall ist. Zu den Arten, die typischerweise in sandigen und flachen Küstengewässern laichen, gehören der Gefleckte Große Sandaal und der Tobiasfisch, während der Kleine Sandaal, die Hauptnahrung an vielen Vogelfelsen, in größeren Wassertiefen des offenen Nordatlantiks laicht.

Da Dreizehenmöwen ihre Nahrung im Schlund zum Nest transportieren, lassen sich Nahrungsanalysen nur sehr aufwendig durchführen. Insofern wird bei der Aufschlüsselung der konkreten Nahrungszusammensetzung am Bulbjerg noch weitgehend im Trüben gefischt. Hingegen liefert ein Beringungsprojekt, das im Rahmen einer 18-jährigen Studie durchgeführt wurde, aufschlussreiche Erkenntnisse über den Bestand der Brutvögel. Durch die Beringung von rund 150 Vögeln und regelmäßige Kontrollen wurde die Wiederfundrate der Vögel in der Brutwand festgestellt. Diese Größe verwendet man zur Ermittlung der Wiederkehrrate und Kolonietreue der Vögel, bei denen die Männchen generell als sehr standorttreu gelten und in der Regel über Jahre hinweg an ihren Brutstandort zurückkehren. Am Bulbjerg kehrten 82% der beringten Vögel im Laufe der Untersuchung an ihren Brutort zurück, was im Vergleich zu anderen Brutstandorten im Atlantik und Pazifik mit einer Wiederfundrate von 80 bis 93% eher niedrig ist.

Immature Vögel sind wanderfreudig

Dass die Population am Bulbjerg dennoch stabil ist, kann folglich weder auf eine hohe Kolonietreue der Altvögel noch gesichert auf einen konstant hohen Bruterfolg mit einer hohen Wiederansiedlung der Jungvögel an ihrem eigenen Brutort zurückgeführt werden. Die Untersuchungsmethodik des Beringungsprojekts bedingt, dass abwandernde beringte Vögel das Ergebnis der durchschnittlichen Wiederkehrrate verschlechtern, da sie in der Erfassung nicht mehr als "lebend" auftauchen. Sie werden aber möglicherweise unbemerkt durch eine vergleichbare oder sogar größere Zahl unberingter Zuwanderer ersetzt, was ebenfalls zu einer etwa konstanten Brutvogelpopulation am Bulbjerg beitragen könnte. Für einen Austausch zwischen benachbarten Kolonien sprechen die Erkenntnisse aus den letzten Jahrzehnten. Beispielsweise geht die Besiedlung der schwedischen Insel Nidingen auf Fremdansiedlung dänischer Vögel zurück, während beringte schwedische Dreizehenmöwen bereits am Bulbjerg brüteten. Bei der Aufgabe von verschiedenen dänischen Standorten im Kattegat seit den 1980er Jahren kann davon ausgegangen werden, dass sich zumindest ein Teil dieser Vögel auch an den Brutstandorten im Skagerrak niederließ und dass wiederum ein Austausch von Brutvögeln mit den Kolonien in Hirtshals und Hanstholm besteht, da diese beiden Brutstandorte maximal 70 km vom Bulbjerg entfernt liegen.

Besonders immature Vögel gelten als wanderfreudig und dürften als Erstbrüter einen nicht unwesentlichen Teil des Zuwachses am Bulbjerg ausmachen. Hierfür sprechen die Ringablesungen von zwei Dreizehenmöwen, die als Jungmöwen auf den Farne Islands in Nordostengland beringt wurden.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass während der Sommermonate größere Trupps von immaturen Dreizehenmöwen auf den Sandbänken vor der westjütländischen Küste rasten, die aus Großbritannien und Norwegen stammen. Offensichtlich speichern einige der noch nicht geschlechtsreifen Vögel die Koordinaten potenzieller neuer Brutgelegenheiten ab und kehren dann im Folgejahr dorthin zurück. Andere gehören möglicherweise zur stark schwankenden Überwinterungspopulation in der Ostsee und bleiben beim Verlassen des Winterquartiers in den Brutgewässern vor dem Bulbjerg hängen. Auch diese Vögel stammen vor allem aus den britischen Brutkolonien und wandern zwischen Juni und November vom Skagerrak in den nördlichen Kattegat, den sie zwischen Ende Januar und Ende Februar wieder verlassen.

Eine Vermischung der Brutpopulationen verschiedener Standorte erfolgt generell während des Winterhalbjahres. Der Großteil der europäischen Dreizehenmöwen überwintert in den Meeresgebieten rund um die Britischen Inseln und in der Labradorsee. Erste Ergebnisse einer Studie, in der Dreizehenmöwen mit Datenloggern bestückt wurden, zeigen, dass die dänischen Brutvögel sowohl zwischen Südgrönland und Neufundland als auch westlich von Schottland und in der Norwegischen See überwintern.

Was bringt die Zukunft?

Der Kreis schließt sich vorläufig mit dem wenige Millimeter kleinen Ruderfußkrebs. In den Überwinterungsgebieten der Dreizehenmöwen steht der Ruderfußkrebs (C. finmarchicus) im Winter oberflächennah als Nahrung zur Verfügung, während er in anderen Teilen des Nordatlantiks in großen Meerestiefen überwintert. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch in Teilbereichen der angestammten Überwinterungsgebiete zu einer Verschlechterung der Nahrungssituation für Dreizehenmöwen kommt, die sich auf die Fitness der Vögel und damit den Bruterfolg auswirken könnte.

Denkbar wäre auf der anderen Seite auch, dass bestimmte Seevogelarten - bedingt durch die höheren Meerestemperaturen - zukünftig solche Fischarten vorfinden, für die der kleinere Ruderfußkrebs (Calanus helgolandicus) bereits jetzt als Nahrung fungiert. Hierzu gehört mit der Sardine eine Fischart, deren Verbreitungsgebiet sich im Zuge der Verlagerung von Calanus helgolandicus ebenfalls nach Norden verlagert hat.

Inwiefern die Brutvögel vom Bulbjerg und ihre Nahrungsressourcen zukünftig von solchen Szenarien betroffen sein könnten, bleibt Spekulation. Konkrete Anhaltspunkte wird hingegen die geplante systematische Erfassung des Bruterfolges am Bulbjerg liefern. Letztlich wird sich mit Hilfe dieser Daten zeigen lassen, ob die Nahrungsbedingungen im Skagerrak einen solchen Bruterfolg ermöglichen, der den Brutbestand am Bulbjerg stabil hält, oder ob die Kolonie möglicherweise stärker von Zuwanderung gebietsfremder Dreizehenmöwen profitiert, als bisher angenommen.


Philipp Meister ist Diplom-Geograph und arbeitet in der Umweltplanung. Dabei beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit dem Themenfeld erneuerbarer Energien und Vogelschutz.


Informationen zum Thema:

DOF 2010: Riderne på Danmarks fuglefjeld fortæller nyt fra de store have. www.dof.dk/om-dof/nyheder?nyhed_id=785

HELCOM Red List Bird Expert Group 2013: Species Information Sheet Rissa tridactyla. www.helcom.fi/baltic-sea-trends/biodiversity/red-List-of-species/red-list-of-birds

Lerche-Jørgensen M, Pedersen JL, Frederiksen M 2012: Survival of breeders in a Danish Black-legged Kittiwake Rissa tridactyla colony - a capture-mark-recapture study. SEABIRD 25, 2012: 14-21.

Prentow K 2009: Riden som ynglefugl i Nordjylland. Fugle og dyr i Nordjylland 2008. Rapport nr. 45 fra Nordjysk Ornitologisk Kartotek.

Glutz von Blotzheim, UN, Bauer KM 1999: Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Band 8/I, Charadriiformes (3. Teil) Schnepfen-, Möwen- und Alkenvögel. 2. Aufl., Aula-Verlag, Wiesbaden 1999.

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Reisetipps

Der Bulbjerg gehört zur Gemeinde Thisted und kann unter anderem von Frøstrup aus über die Straße 569 angesteuert werden. Die letzten 4 km führen über den gut ausgebauten Bulbjergvej zu zwei Parkplätzen, die jeweils noch etwa 350 m Fußmarsch vom Vogelfelsen entfernt sind.

Als Reisezeit für Beobachtungen am Vogelfelsen empfehlen sich die Monate Juni und Juli, wobei sich die Jungenaufzucht ab Ende Juni am besten beobachten lässt. In den umliegenden Dünen- und Heidegebieten mit eingestreuten Kiefernwäldern brüten interessante Arten wie Neuntöter, Braun- und Schwarzkehlchen, Heidelerche und Ziegenmelker.

Im Hinterland verläuft der vielfältig zergliederte und rund 170 km lange Limfjord mit Brack- und Süßwasserbiotopen, wo verschiedene Lappentaucher-, Limikolen-, Seeschwalben- und Rallenarten brüten. Die wichtigsten Beobachtungsgebiete hier sind Aggertange, Vestelige Vejler, Karby Odde und Munkholm Odde, Tømmerby Fjord und Ïstelige Vejler. Aufgrund der Größe des Gebiets empfiehlt sich eine gründliche Reisevorbereitung. Bei einem längeren Aufenthalt steht ein großes Angebot an Ferienhäusern in der Gegend um Frøstrup zur Verfügung.

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2016
63. Jahrgang, Juli 2016, S. 12-18
mit freundlicher Genehmigung des Autors und des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
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Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2016

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