Veterinärmedizinische Universität Wien - 28.02.2017
Nach Gebietseroberungen werden männliche Pfeilgiftfrösche zu Kannibalen
Im Tierreich kommt es in manchen Arten relativ häufig zum "Kindsmord" an fremdem Nachwuchs. Zumeist hat dieser Kannibalismus einen rein sexuellen Hintergrund. Weibchen sollen dadurch schneller zur Paarung verfügbar gemacht werden. Eine Studie der Vetmeduni Vienna zeigte nun erstmals, dass auch männliche Pfeilgiftfrösche selektiv die Nachkommen ihrer Konkurrenten fressen, und zwar nach der Eroberung von deren Territorien. Im eigenen Territorium kümmern sie sich dagegen um jedes, also auch fremde Gelege. Damit zeigten die Forschenden, dass einfache Entscheidungen komplexe Verhaltensmuster wie Brutpflege koordinieren können. Die Studie wurde im Fachjournal Scientific Reports veröffentlicht.
Männliche Pfeilgiftfrösche werden zu Kannibalen, wenn sie neue
Gebiete erobern.
Foto: © Andrius Pasukonis
Die Männchen der Pfeilgiftfroschart Allobates femoralis gelten eigentlich
als äußerst fürsorgliche und umsichtige Väter. Verhaltensforscherin Eva
Ringler und ihr Team konnten zeigen, dass sie sich zumeist um alle Gelege
in ihrem Territorium kümmern, sogar wenn sie in den Wochen zuvor kein
eigenes Gelege befruchtet hatten.
Diese Kinderfreundlichkeit legen sie allerdings rasch ab, wenn die Froschmännchen ein neues Gebiet erobern konnten, wie die aktuelle Studie des Forschungsteams gezeigt hat. In diesem Fall werden die hingebungsvollen Väter nämlich zu Kannibalen. Sie fressen alle Gelege in dem neuen Gebiet auf.
Kannibalismus und Kindsmord sind keine Seltenheit im Tierreich. Derartiges Verhalten kommt unter anderem bei Raubkatzen, Primaten, Insekten, Fischen und Vögeln vor. Häufig steckt hinter dem Fressen von fremdem Nachwuchs eine sexuelle Motivation. Weibchen werden ohne den Nachwuchs meistens schneller wieder paarungsbereit. Dadurch schlagen die Kannibalen zwei Fliegen mit einer Klappe: sie vermindern den Fortpflanzungserfolg ihrer Konkurrenten, und erhöhen gleichzeitig die Chancen auf eigenen zukünftigen Paarungserfolg.
Ganz anders verhält es sich dagegen bei den Pfeilgiftfröschen. Hier sind die Männchen für die Brutpflege zuständig. Das Fressen fremder Gelege durch Männchen dient definitiv nicht der Manipulation von Weibchen, sondern eher der Vermeidung von Fürsorge fremder Nachkommen. Dabei scheinen Männchen sowohl bei der Brutpflege, als auch beim Kannibalismus einem einfachen Auslöser zu folgen.
In beiden Fällen - Brutpflege und Kannibalismus - ist das das Territorialverhalten der Männchen entscheidend. Im eigenen Gebiet, das die Männchen üblicherweise lautstark und vehement verteidigen, kommt es ihnen nicht in den Sinn, dass eines der Gelege nicht ihres sein könnte. Deshalb werden all jene Kaulquappen, die sich innerhalb des Territoriums befinden, zu geeigneten Wasserstellen getragen, wenn die Zeit reif ist.
Erobern sie dagegen das Gebiet eines Rivalen, werden die männlichen Pfeilgiftfrösche zu Kannibalen und holen sich damit gleich mehrere Vorteil für sich selbst. Zum einen bereinigen sie das Gebiet komplett vom Rivalen, der damit nicht nur sein Gebiet, sondern auch seinen Nachwuchs verliert. Sämtliche Gelege des Vorgängers aufzufressen, bedeutet auch, dass die Männchen sich danach über die Vaterschaft aller zukünftigen Gelege sicher sein können. Außerdem stellen Gelege eine sehr nahrhafte Kost dar, und dienen sicher auch als wertvolle Energiequelle.
Der Nachweis dieses Verhaltens - initiiert durch eine einschlägige Beobachtung im Freiland - gelang Ringler und ihrem Team in einem Versuch, bei dem sie eine Gruppe Allobates femoralis Männchen in einem Terrarium quasi ein neues Gebiet erobern ließen. Eine zweite Gruppe verblieb in ihrem angestammten Revier. In beiden Fällen platzierten die Forscher fremde Gelege in den Terrarien. Während die Männchen in der "Eroberer" Gruppe zu Kannibalen wurden und die fremden Gelege verschlangen, verschonten die Männchen in der Kontrollgruppe die fremden Eier und transportierten diese sogar mehrheitlich zu den angebotenen Wasserstellen.
Das Verhalten in der Natur sieht Ringler ähnlich konsequent. "Im natürlichen Lebensraum kommt es regelmäßig zu Revierstreitigkeiten und Gebietseroberungen. Es ist damit sehr wahrscheinlich, dass es in diesen Fällen häufig zu Kannibalismus kommt", so die Forscherin. Mit dem kannibalistischen Verhalten wird dem Rivalen zudem ein weiterer Grund genommen, das Gebiet zurückzuerobern, da er seine Nachkommenschaft verliert.
Für Ringler ergibt sich durch ihre Ergebnisse ein neuer Blickwinkel auf das Auftreten Kannibalismus im Tierreich. "Bei den Pfeilgiftfröschen hat sich gezeigt, dass ein einfacher Auslöser reicht, um zwischen einer extrem destruktiven Handlung und elterlicher Fürsorge zu wechseln." Während in andere Tierarten Individuen aus sexueller Motivation oder Hunger zu Kannibalen werden, scheint bei Pfeilgiftfroschmännchen hingegen rein der Territoriumsstatus der Auslöser zu sein.
Das Verhalten der männlichen Pfeilgiftfrösche erinnert damit an Konflikte unter anderem im Mittelalter, bei denen bei Eroberungen nicht nur ein Herrscher gestürzt und getötet wurde, sondern auch gleich seine Nachkommen. Damit wurde verhindert, dass sie den Thron beanspruchen. "Allerdings kam es dabei nicht zum Kannibalismus", schließt Ringler.
Service:
Der Artikel "Adopt, ignore, or kill? Male poison frogs adjust parental
decisions according to their territorial status" von Eva Ringler, Kristina
Barbara Beck, Steffen Weinlein, Ludwig Huber und Max Ringler wurde in
Scientific Reports veröffentlicht.
www.nature.com/articles/srep43544
Über die Veterinärmedizinische Universität Wien
Die Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna) ist eine der
führenden veterinärmedizinischen, akademischen Bildungs- und
Forschungsstätten Europas. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Forschungsbereichen
Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit, Tierhaltung und Tierschutz sowie
den biomedizinischen Grundlagen. Die Vetmeduni Vienna beschäftigt 1.300
MitarbeiterInnen und bildet zurzeit 2.300 Studierende aus. Der Campus in
Wien Floridsdorf verfügt über fünf Universitätskliniken und zahlreiche
Forschungseinrichtungen. Zwei Forschungsinstitute am Wiener
Wilhelminenberg sowie ein Lehr- und Forschungsgut in Niederösterreich
gehören ebenfalls zur Vetmeduni Vienna.
www.vetmeduni.ac.at
Über das Messerli Forschungsinstitut
Das Messerli Forschungsinstitut wurde 2010 mit der Unterstützung der
Messerli-Stiftung (Schweiz) unter Federführung der Veterinärmedizinischen
Universität Wien in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien und
der Universität Wien gegründet. Es widmet sich der Erforschung der
Mensch-Tier-Beziehung und ihrer Grundlagen in den Bereichen Ethik,
vergleichende Medizin sowie Kognition und Verhalten von Tieren. Dabei
zeichnet es sich durch einen breiten interdisziplinären Zugang (Biologie,
Humanmedizin, Veterinärmedizin, Philosophie, Psychologie,
Rechtswissenschaft) und eine starke internationale Ausrichtung aus.
www.vetmeduni.ac.at/messerli
Weitere Informationen unter:
http://www.vetmeduni.ac.at/de/infoservice/presseinformationen/presseinformationen-2017/kannibalenfrosch/
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1560
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Veterinärmedizinische Universität Wien, Mag.rer.nat Georg Mair, 28.02.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2017
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang