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BERICHT/035: Die Pflanzenwelt in Frankfurt am Main in den Jahren 1800-2000 (idw)


Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen - 26.04.2012

Ein Kommen und Gehen: die Pflanzenwelt in Frankfurt am Main in den Jahren 1800-2000



Frankfurt, den 26.04.2012. Frankfurts Pflanzenwelt hat sich in den letzten zweihundert Jahren stark gewandelt. Rund 190 Arten sind in dieser Zeit neu eingewandert, etwa 320 Arten sind verschwunden. Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstitutes können durch eine Analyse von Archiven und Sammlungen erstmals genaue Aussagen zum Wandel der Flora treffen. Die zugehörige Studie ist kürzlich im Fachjournal "Landscape and Urban Planning" erschienen.

Das Heideröschen ist nett anzusehen: Die nach Nelken duftende Blume mit den tiefrosa, vierblättrigen Blüten blüht von Mai bis Juni in lichten, beweideten Wäldern. Im Frankfurter Stadtwald sucht man die Pflanze der Gattung Seidelbast aber seit etwa 100 Jahren vergeblich, denn wie viele andere Pflanzenarten verschwand das Heideröschen aus dem Stadtbild.

"Wir haben die Entwicklung der Frankfurter Pflanzenwelt im Zeitraum von 200‍ ‍Jahren untersucht", erklärt Dr. Thomas Gregor, Erstautor der Studie und Botaniker am Senckenberg Forschungsinstitut. "Dabei hat uns besonders interessiert, warum manche Pflanzen verschwinden und andere einwandern." Hierfür haben die Wissenschaftler botanische Archive und über 10.000 Pflanzenbelege analysiert. Seit über 20 Jahren arbeiten die Senckenberger Botaniker eng mit dem Umweltamt der Stadt Frankfurt zusammen und erfassen im Rahmen der Biotopkartierung in regelmäßigen Abständen die Flora und Fauna der Großstadt. Nun konnten sie auf diese Daten und die umfangreichen Herbarien Senckenbergs zurückgreifen.

Foto: ©  Annette Höggemeier

In Frankfurt nicht mehr heimisch: das Heideröschen (Daphne cneorum)
Foto: © Annette Höggemeier

Die wichtigsten Gründe für das Verschwinden von Arten sind Veränderungen in der Land- und Forstwirtschaft. An erster Stelle steht hier die Intensivierung des Ackerbaus, der zum Verlust von 65 Arten - meist Ackerwildkräuter - geführt hat. Davon betroffen sind besonders Äcker auf kalkreichen Böden, wie es sie am Lohrberg und am Lerchesberg gab, Verschwunden sind beispielsweise die attraktiven Arten Sommer-Adonisröschen (Adonis flammula) oder Venuskamm (Scandix pecten-veneris). "Bemerkenswerterweise führte auch die Aufgabe der Weidenutzung des Stadtwaldes zu einem Rückgang der Pflanzenvielfalt in Frankfurt", sagt Prof. Georg Zizka, Abteilungsleiter Botanik und Molekulare Evolutionsforschung des Senckenberg Forschungsinstitut und fährt fort: "Durch die veränderte Nutzung verschwanden Lebensräume für 60 Arten, wie das Heideröschen oder die von der Europäischen Union in der Flora-Fauna-Habitate-Richtlinie besonders geschützte Silberscharte." Weitere 85‍ ‍Arten gingen durch den Ausbau von Gewässern für den Hochwasserschutz und die Absenkung des Grundwasserspiegels verloren. Darunter finden sich Moorpflanzen, wie der Rundblättrige Sonnentau (Drosera rotundifolia), aber auch Wasserpflanzen wie die Weiße Seerose (Nymphaea alba) oder den - trotz seines Namens keineswegs häufigen - Gewöhnlichen Wasserschlauch (Utricularia vulgaris).

Aber die Pflanzengemeinde in Frankfurt hat nicht nur Verluste zu verzeichnen, es gibt auch viele pflanzliche Neubürger! "Häufiger als gedacht verwildern eingeführte Zierpflanzen", sagt Dr. Indra Starke-Ottich, die sich in ihrer Dissertation mit den Zuwanderern der Frankfurter Flora beschäftigte. "Auf diese Art sind 92 Pflanzenarten - wie beispielsweise die Traubenhyazinthe oder die Mahonie - Teil der heutigen Stadtflora geworden.

Entlang der vom Menschen angelegten Verkehrswege sind weitere 18 Arten eingewandert. Zu dieser Gruppe gehört beispielsweise das heute in der Stadt allgegenwärtige "Autobahngold", das Schmalblättrige Greiskraut (Senecio inaequidens) aus Südafrika.

Die Einwanderung neuer Pflanzenarten findet laufend statt, die Herkunftsgebiete der Neuankömmlinge sind vor allem Südeuropa und Nordamerika. Ein Beispiel hierfür ist das nordamerikanische Kurzfrüchtige Weidenröschen (Epilobium brachycarpum). Es wurde 2004 erstmals in der Mainmetropole entdeckt und ist heute an verschiedenen Stellen in Frankfurt, wie im Stadtteil Riedberg, häufig zu finden.

Foto: © Senckenberg

Das Kurzfrüchtige Weidenröschen - ein pflanzlicher Neubürger Frankfurts Foto: © Senckenberg

Die Zahl der in Frankfurt dauerhaft vorkommenden Pflanzenarten ist in 200 Jahren von 1247 auf 1117 gesunken. Hinzu kommen noch mehr als 300 Arten, die nur unregelmäßig auftreten. "Auf einer vergleichsweise kleinen Fläche wie dem Frankfurter Stadtgebiet gibt es heute also rund 1360 Arten, ungefähr ein Drittel der gesamten Artenvielfalt in Deutschland", erläutert Georg Zizka. "Man kann - trotz des Rückgangs der Artenanzahl - sagen, dass Frankfurt und andere Großstädte wegen der vielfältigen Lebensräume Orte hoher Biodiversität sind!"

Mehr zur Frankfurter Pflanzenwelt unter:
http://www.flora-frankfurt.de.

Publikation
Gregor, T., Bönsel, D., Starke-Ottich, I & Zizka, G. (2012):
Drivers of floristic change in large cities - A case study of Frankfurt/Main (Germany).
Landscape and Urban Planning 104: 230-237.
http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0169204611003112

Die Erforschung von Lebensformen in ihrer Vielfalt und ihren Ökosystemen, Klimaforschung und Geologie, die Suche nach vergangenem Leben und letztlich das Verständnis des gesamten Systems Erde-Leben - dafür arbeitet die SENCKENBERG Gesellschaft für Naturforschung. Ausstellungen und Museen sind die Schaufenster der Naturforschung, durch die Senckenberg aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse mit den Menschen teilt und Einblick in vergangene Zeitalter sowie die Vielfalt der Natur vermittelt.

Mehr Informationen unter:
www.senckenberg.de.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution639

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Judith Jördens, 26.04.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2012