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FORSCHUNG/397: Jasmonatarmer Tabak ist für Säugetiere ein gefundenes Fressen (idw)


Max-Planck-Institut für chemische Ökologie - 29.06.2016

Jasmonatarmer Tabak ist für Säugetiere ein gefundenes Fressen


Tabakpflanzen, denen die Steuerungshormone für die Produktion des Nervengiftes Nicotin fehlen, werden zum Leckerbissen für Kaninchen und andere Säugetiere.


Foto: © Arne Weinhold / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Eine Taschenratte (Geomiydae) zieht den Stängel einer Tabakpflanze in ihr Nest. Fehlen die Steuerungshormone für die Nicotinproduktion, ist der Tabak auf der Speisekarte vieler Säuger zu finden.
Foto: © Arne Weinhold / Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Der Kojotentabak Nicotiana attenuata bildet ein starkes Nervengift: Nicotin. Die Nicotinproduktion wird durch Jasmonate, pflanzliche Hormone, je nach Bedarf oder Befall gesteuert. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie, der Universität Bern und der Washington State University konnten nun zeigen, wie wichtig diese Hormone für das Überleben der Pflanzen in der Natur sind, wenn sie von Säugetieren angefressen werden. Pflanzen, die aufgrund einer genetischen Veränderung einen Jasmonat-Mangel aufwiesen, wurden sowohl von Insekten als auch von Wirbeltieren stärker attackiert. Während sich Insektenbefall jedoch kaum auf die Blütenbildung auswirkte, befallene Pflanzen also trotzdem ausreichend Samen bilden konnten, schädigten gefräßige Säugetiere die pflanzliche Reproduktionsfähigkeit nachhaltig. Dabei spielte das Nicotin als Abwehr gegen Säugetiere eine entscheidende Rolle. Besonders Kaninchen fanden Tabakpflanzen, in deren Stängeln kein Nicotin mehr gebildet wurde, sehr appetitlich. Das Gift ist in den äußeren Gewebeschichten der Stängel ein besonders effektiver Schutz. Die Studie, die die jasmonatgesteuerte pflanzliche Verteidigung gegen Säugetiere in der Natur untersucht, wurde jetzt in der Zeitschrift eLife veröffentlicht (eLife, Juni 2016, DOI: 10.7554/eLife.13720).

Der Kojotentabak Nicotiana attenuata wächst im Südwesten der USA, wo er insbesondere nach Bränden in großen Populationen auftritt. Seit fast 20 Jahren ist diese Wildpflanze Untersuchungsgegenstand in der von Ian Baldwin geleiteten Abteilung Molekulare Ökologie am Jenaer Max-Planck-Institut für chemische Ökologie. Die Forscher untersuchen die ökologischen Wechselwirkungen des Tabaks mit seiner Umwelt. Viele pflanzenfressende Tiere interessieren sich für die zarten Pflanzen: Oftmals sind sie das erste Grün, wenn nach Blitzeinschlag und Feuer die Vegetation verbrannt sind. Die Pflänzchen sind aber erstaunlich gut gegen Fressfeinde geschützt. Vor allem das starke Nervengift Nicotin verdirbt vielen hungrigen Pflanzenfressern den Appetit. Um herauszufinden, wie die Abwehrmechanismen der Pflanze funktionieren und welche Auswirkungen sie auf die Interaktionen mit anderen Lebewesen aus ihrer Umgebung haben, arbeiten die Wissenschaftler in Feldversuchen mit genetisch veränderten Pflanzen, in denen einzelne Abwehr-Gene "stillgelegt" wurden. Die Freilandexperimente finden im natürlichen Lebensraum des Kojotentabaks, auf der Feldstation des Instituts im Wildpark Lytle Ranch, im Südwesten des US-amerikanischen Bundesstaates Utah statt.

Während der Feldsaison 2012 konnten die Forscher beobachten, dass viele der Versuchspflanzen von kleinen Säugetieren kahlgefressen worden waren. Normalerweise sind die Taschenratten und Wildkaninchen in dieser Region sehr scheu und werden nur selten auf den Versuchsfeldern gesehen. Genauere Analysen der Schäden ergaben, dass es vor allem Pflanzen waren, die aufgrund genetischer Veränderung keine Jasmonate mehr bilden konnten (inverted repeat allene-oxide cyclase, irAOC), die den Fressattacken von Säugetieren zum Opfer gefallen waren. Jasmonate sind sogenannte Phytohormone, die bekannterweise neben anderen physiologischen Prozessen auch Abwehrreaktionen gegen Attacken von Fressfeinden steuern. Zu ihrer Überraschung fanden die Wissenschaftler aber kaum Studien zur jasmonatgesteuerten pflanzlichen Verteidigung gegen Säugetierfraß und wollten daher dieses Phänomen näher untersuchen.


Säugetierfraß hat schlimmere Folgen für die Pflanzen als Insektenbefall

Weitere gezielte Versuchsreihen mit Pflanzen, die keine Jasmonate mehr produzieren konnten, zeigten, dass der Befall durch Insekten und Säugetiere bei diesen abwehrschwachen Pflanzen höher war. Dieses Ergebnis war nicht unerwartet, denn ein Screening der Stoffwechselprodukte hatte ergeben, dass irAOC-Pflanzen ohne Jasmonate deutlich weniger Abwehrstoffe, insbesondere Nicotin, in den Blättern und Stängeln bildeten. Allerdings hatten nur durch Säugetiere verursachte Schäden Auswirkungen auf die Blütenproduktion. Da Säugetiere, anders als Insekten, häufig die Pflanzenstängel anknabbern oder schälen, wird die Blütenbildung und somit die Samenproduktion deutlich vermindert. Die Fortpflanzungsfähigkeit, die von Biologen auch als die eigentliche "Fitness" einer Pflanze bezeichnet wird, geht dabei verloren. Immerhin ist der Stängel, der auch als Sprossachse bezeichnet wird, das wichtigste Transportorgan für Wasser und Nährstoffe. Dieser starke negative Effekt tritt bei Insektenbefall nicht auf. Das Nicotin ist also in den äußeren Schichten der Epidermis des Pflanzenstängels von besonderer Bedeutung, um dieses wichtige Organ vor Fressattacken zu schützen.


Die Chemie der Tabakpflanzen beeinflusst die Fressvorlieben kleiner Säuger

Da Kaninchen und Ratten jasmonatarme Tabakpflanzen bevorzugten und diese Pflanzen weniger Abwehrstoffe, darunter auch Nicotin, produzieren, wollten die Wissenschaftler ermitteln, ob die Abwesenheit von Nicotin in den Stängeln und Blättern für die folgenreichen Fraßschäden verantwortlich gemacht werden kann. Dafür entwickelten Matthias Erb, der am Jenaer Max-Planck-Institut eine Forschungsgruppe leitete und jetzt eine Professur an der Universität Bern innehat, Ricardo Machado, der in Jena seine Doktorarbeit geschrieben hat und jetzt als Postdoktorand in Bern forscht, zusammen mit Mark McClure von der Washington State University einen Fütterungsversuch für das wilde Berg-Baumwollschwanzkaninchen (Sylvilagus nuttallii), das auch in der Natur an Tabakpflanzen frisst. Sie stellten aus wilden und genetisch veränderten irAOC-Tabakpflanzen Trockenpellets her, die den Kaninchen zusammen mit Kontroll-Pellets aus Alfalfa, ihrer Lieblingsnahrung, angeboten wurden. Innerhalb von 24 Stunden hatten die Pellets aus wilden Tabakpflanzen kaum abgenommen, während die Pellets der irAOC-Pflanzen von den Kaninchen offensichtlich ebenso gern und schnell aufgefressen wurden wie die Alfalfa-Pellets. Die Vermutung, dass das Nicotin für diese Fressvorlieben beeinflusst, wurde durch einen weiteren Versuch bestätigt, der zeigte, dass Kaninchen Pellets aus irAOC-Pflanzen verschmähten, wenn ihnen Nicotin zugesetzt wurde. Dass die Kaninchen an den Tabakpellets ebenso interessiert waren wie an Alfalfa, war eine Überraschung für die Forscher. "Wir hatten erwartet, dass die Kaninchen zuerst die Kontroll-Pellets essen würden, denn eigentlich sollte Alfalfa alle wichtigen Nährstoffe für Kaninchen enthalten. Stattdessen wechselten sie beim Fressen zwischen Alfalfa und jasmonatarmem Tabak ab. Offensichtlich gibt es im Tabak irgendetwas, was die Tiere haben wollen, und nehmen dabei geringe Mengen an Pflanzengiften, die sie mit der anderen Nahrung immer wieder verdünnen, in Kauf," erläutert Mark McClure.


Die Rolle von Säugetieren bei der Evolution von Pflanzenabwehr

Es ist unbestritten, dass Säugetiere das Überleben von Pflanzen und die Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften beeinflussen. Dennoch haben Säugetiere bei Untersuchungen zur Ökologie und Evolution der pflanzlichen Verteidigung bisher kaum eine Rolle gespielt. Dies trifft auch auf Studien zur Rolle von Jasmonaten und Nicotin im Kojotentabak Nicotiana attenuata zu, die ebenfalls die Abwehr von Insekten in den Mittelpunkt stellten. Jetzt zeigten Freiland- Experimente mit genetisch veränderten Pflanzen, in denen die Jasmonat-Abwehr stillgelegt worden war, dass sich diese effektive Verteidigung in einem evolutionären Prozess und in Wechselwirkung mit pflanzenfressenden Säugern entwickelt haben könnte. "Wir hatten nicht damit gerechnet, dass der Fraßschaden durch Säugetiere eine derart verheerende Wirkung auf die Pflanzenfitness haben würde", meint Erstautor Machado. Tabakpflanzen ohne Jasmonate können kaum noch Samen bilden, wenn sie von Säugetieren angefressen wurden.

"Wenn wir verstehen wollen, wie sich pflanzliche Abwehrmechanismen entwickelt haben und wie Pflanzen in der Natur überhaupt überleben, müssen wir den Einfluss aller möglicher Fressfeinde einbeziehen; hierzu zählen nicht nur Insekten, sondern auch Wirbeltiere", fasst Studienleiter Erb zusammen. Die Wissenschaftler wollen nun weitere Untersuchungen durchführen, die Säugetiere als mögliche Schädlinge an Tabakpflanzen einbeziehen. Derzeit gibt es bereits ein Projekt, das untersucht, ob Kleinsäuger, wie beispielsweise die Buschschwanzratte, nikotinhaltige Tabakblätter in ihren Nestern als Schutz gegen Parasiten nutzen. [AO]


Originalveröffentlichung:
Machado, R. A. R., McClure, M., Hervé, M. R., Baldwin, I. T., Erb, M. (2016) Benefits of jasmonate-dependent defenses against vertebrate herbivores in nature. eLife. DOI: 10.7554/eLife.13720
https://elifesciences.org/content/5/e13720


Weitere Informationen unter:
http://www.ice.mpg.de/ext/index.php?id=molecular-ecology&L=1
- Abteilung Molekulare Ökologie am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1258

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Angela Overmeyer, 29.06.206
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2016

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