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MELDUNG/036: Blütenpflanze auf 4505 Metern (idw)


Universität Basel - 24.05.2011

Blütenpflanze auf 4505 Metern


Der Botaniker Christian Körner von der Universität Basel hat im Rahmen einer Studie, in welcher er die kältesten Orte der Welt nach pflanzlichem Leben erforscht, die Lebensbedingungen der am vermutlich kältesten Standort gedeihenden Blütenpflanze entschlüsselt. Bei der besagten Pflanze handelt es sich um den Gegenblättrigen Steinbrech, der am Dom in der Mischabelgruppe auf 4505 Metern wächst. Körners Forschungsbericht ist in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins «Alpine Botany» publiziert.

Der Gipfel des Dom (4545 m), hier (Pfeil) leben die höchstgelegenen Blütenpflanzen Europas (unten). - Foto: © Maria Brassel

Der Gipfel des Dom (4545 m), hier (Pfeil) leben die höchstgelegenen Blütenpflanzen Europas (unten).
Foto: © Maria Brassel

Blühende Kissen des Gegenblättrigen Steinbrechs  - Foto: © Maria Brassel

Blühende Kissen des Gegenblättrigen Steinbrechs
Foto: © Maria Brassel

Es grenzt an ein Wunder, doch auf 4505 m ü.M., rund 40 Meter unter dem Berggipfel des im Kanton Wallis gelegenen Doms, wurden kürzlich üppig blühende Kissen des Gegenblättrigen Steinbrechs (Saxifraga oppositifolia) entdeckt. Der Fundort und die gefundene Pflanze können gleich zwei Rekorde für sich in Anspruch nehmen: Beim Gegenblättrigen Steinbrech am Dom handelt es sich um die höchstgelegenen Blütenpflanze, die je in Europa dokumentiert wurde, und der Fundort ist vermutlich der kälteste Standort der Welt, an dem eine Blütenpflanze gefunden wurde.

Christian Körner, Professor am Botanischen Institut der Universität Basel, erfasste an diesem neu entdeckten Extremstandort mit einer automatischen Temperatursonde auch den Jahresgang der Temperatur. Während der etwa zweimonatigen, zeitweise schneefreien Periode liegt die Durchschnittstemperatur zwischen den Felsblöcken bei drei Grad Celsius. In jeder Nacht frieren die Pflanzen ein. Bei Sonnenschein kann sich die Nische für kurze Zeit bis auf 18 Grad aufwärmen, obwohl die Lufttemperatur unter null Grad bleibt. Den Pflanzen genügen etwa 600 Stunden pro Jahr, in denen ihre Körpertemperatur drei Grad übersteigt. Zwischen den abgestorbenen Blättern im Inneren der Kissen tummelten sich zahlreiche Springschwänze (Thalassaphorura zschokkei), ein sogenanntes Ur-Insekt, das nach dem Basler Zoologen Zschokke benannt ist. Verwandte dieser Art sind auch als Gletscherflöhe bekannt.

Der bisherige Höhenrekord für Blütenpflanzen in Europa stammt ebenfalls vom Dom. 1978 berichteten die Bergführer Pierre und Grégoire Nicollier (Sion) von einem Fund des Zweiblütigen Steinbrechs (Saxifraga biflora), rund 55 Höhenmeter tiefer. Bei späteren Begehungen der Südroute waren diese Pflanzen jedoch nicht mehr zu finden. Im Himalaya gibt es noch auf 6300 m ü.M. Blütenpflanzen, aber dort sind die Temperaturen wärmer als am Dom, wie Körner in seiner Studie nachweist.


Gegenblättriger Steinbrech

Der Gegenblättrige Steinbrech gehört zur Familie der Steinbrechgewächse. Er hält jede denkbare Frosttemperatur aus, auch das Eintauchen in flüssigen Stickstoff. Die ältesten Pflanzenreste unter Mooskissen am Gipfel wurden mit der 14C-Methode datiert. Dabei benutzt man das Abklingen des Fall-out der Atombombenversuche der 50er Jahre als Messgrösse. Die Untersuchung ergab ein Alter von etwa 13 Jahren. So lange braucht es in dieser Höhe, bis tote Blättchen abgebaut werden.

Die Steinbrechkissen sind so gross, dass sie wohl schon einige Jahrzehnte dort oben leben. Dass sie keimfähige Samen ausbilden, ist sehr unwahrscheinlich. Es darf daher angenommen werden, dass der Wind die Samen hoch geblasen hat. Es grenzt an ein Wunder, dass sich Pflanzen in dieser Kältewüste etablieren konnten und dass neben unsichtbaren Pilzen und Bakterien gleich noch deren «Konsumenten» in Gestalt der Springschwänze zur Stelle sind. Auf etwas höheren Gipfel wie dem Mont Blanc, die fast vollständig unter Eis und Schnee liegen, ist dauerhaftes Leben kaum möglich.


Originalbeitrag
Christian Körner
Coldest places on earth with angiosperm plant life
Alp Botany, 2011, 121:11-22, DOI 10.1007/s00035-011-0089-1

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution74


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Basel, lic. phil. Hans Syfrig Fongione, 24.05.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2011