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INNOVATIONEN/097: Lebensmittelchemie - Recycling von Backwaren? (SB)


Recycling von Backwaren

Statt "Brot für die Welt" jetzt Brot für den Konverter


Kaum ein Land, in dem sich das tägliche Brot derart zu einem Kultobjekt stilisiert hat wie in Deutschland. Während sich der Hunger überall auf der Welt ausweitet und die Weizen-, Roggen-, Gerste- und Haferernte schon lange nicht mehr für alle reicht, produzieren Deutschlands Bäcker und Großbäckereien über 1000 verschiedene Brotsorten für den Handel, die sich vorwiegend durch die verwendeten Rohstoffe - meistens Roggen- oder Weizenmehl bzw. -schrot und deren Mischungen, sowie speziellen Zutaten (z.B. Ölsamen wie Kürbis- und Sonnenblumenkerne, Zwiebel-, Speck- oder Kohlbrote usw.) - sowie ihre Zubereitung als Hefe- und Sauerteige unterscheiden. Der Phantasie der Bäcker für ihre Brote, Pizzas, Baguettes und Brötchen ist kaum eine Grenze gesetzt und laufend finden sich neue verlockende Kreationen im Angebot, von süßen Hefeteilchen und Kuchen ganz zu schweigen.

Doch nur das ofenfrische Brot macht Wangen rot. Was abends oder am Tag nach der Auslieferung in den Regalen der Bäckereien und Supermärkte liegt, hat kaum noch eine Chance, verkauft zu werden. Der verwöhnte deutsche Kunde verlangt erstklassige Qualität für sein Geld. Das Lebensmittel Brot ist schon deshalb ein Luxusartikel, der teuer bezahlt werden muß, denn etwa zehn Prozent der Backwaren laufen nach rund drei Tagen wieder in den Großbäckereien ein. Dieses einwandfreie "Rückbrot", das bisher nur als Viehfutter für einen geringen Preis weiterverteilt werden durfte, der nicht einmal die Kosten des aufgewendeten Mehles decken kann, wird quasi vom Verbraucher mit seinem realen Tagesbedarf an frischem Brot mitbezahlt.

Nun könnte man meinen, diese vollwertigen Nahrungsmittel, die keiner mehr will und deren Produktionskosten schon durch die Kalkulation gedeckt sind, könnten vielleicht dort, wo es not tut, Mangel und Hunger lindern. Das wäre zwar sozial, aber nicht ökonomisch gedacht. Denn gerade im Überfluß sind Not und Mangel ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor, der die hohen Preise rechtfertigt und deshalb erhalten werden muß. Älteres Billigbrot hätte bei der heutigen Wirtschaftslage sicherlich schnell einen Markt gefunden, würde jedoch die Preise der Qualitätsprodukte drücken.

Andererseits sind Recycling und somit die Rücknahme von unverkäuflichen Backwaren inzwischen vom Gesetzgeber vorgeschrieben und die Frage, wie man die darin enthaltenen Roh- und Nährstoffe am besten und nutzbringendsten verwertet und wo man überhaupt mit dem vielen Brot hin soll, bleibt nach wie vor offen.

Was stattdessen mit dem Altbrot geschieht, blieb bis heute der Öffentlichkeit vorenthalten:

Schon im Jahr 2000 wurde am Institut für Lebensmitteltechnologie II der Technischen Universität Berlin von Friedrich Meuser und seinen Mitarbeiter mit Förderung der Umweltstiftung Osnabrück ein Verfahren entwickelt, um die hygienisch einwandfreien Backwaren stofflich vollständig wiederzuverwerten. Das Ziel ihrer Forschung war ein geschlossener Stoffkreislauf, der ihnen durch die Aneinanderreihung verschiedener etablierter und zum Teil aufwendiger Verfahren jetzt gelungen scheint. Grundlage sind Techniken zur Aufarbeitung von kohlenhydratreichen Rohstoffen, wie man sie auch zum Bierbrauen nutzt.

Die rücklaufenden Backwaren werden zunächst im Schredder zerkleinert, getrocknet und dann zu Pulver vermahlen. Dies mischt man mit Wasser zu einer teigartigen Masse. Fehlchargen aus der Produktion der Großbetriebe gelangen ohne Trocknung hinein. Ein Zusatz von Enzymen wandelt nun die Stärke (des Mehls) in Glucose (Traubenzucker) um, wobei eine sogenannte Maische entsteht. Milchsäurebakterien sorgen anschließend für die weitere Vergärung, d.h. die Maische wird angesäuert bis zu einem pH-Wert, in dem andere Mikroorganismen nicht mehr überleben können. Man kennt diese Wirkung der Milchsäuregärung von verschiedenen anderen Konservierungsverfahren (z.B. Sauerkraut).

Danach lassen sich unlösliche Proteine und Ballaststoffe aus der Maische abscheiden - und als Rohstoffe für neue Backwaren zurückgewinnen. In zwei Fermentern wird dann aus dem noch verbleibenden Überstand unter Zufuhr von Sauerstoff (aerob) die enthaltene Backhefe vermehrt und unter Sauerstoffausschluß (anaerob) Alkohol (CH3CH2OH) sowie Kohlendioxid (CO2) erzeugt. Insbesondere die großtechnische Rückführung der Hefe in den Backprozeß soll Kosten senken. Der durch Destillation separierte Alkohol kann nach einfacher Umstellung der Brenner auch Backöfen heizen. Gärungs-Kohlendioxid, durch Kompression verflüssigt, eignet sich in speziellen dafür eigens konstruierten Apparaten als Kühlflüssigkeit, z.B. zur Kühlung der Teige. Die letztlich verbleibende Flüssigkeit dient wieder als Säuerungsmittel für Sauerteige oder für den nächsten Maischeansatz.

Auf diese Weise werden Proteine, Ballaststoffe und Hefe zurückgewonnen und nebenbei sowohl Heizenergie wie Kühlmittel erzeugt. Das erscheint sehr wenig im Vergleich zu den eingesetzten hochwertigen und einwandfreien Lebensmitteln, auch wenn die Entwickler versichern, daß sich das Kreislauf-Verfahren für alle Arten von Gebäck, gleich ob süß oder salzig, eignen soll.

Auch gesundheitliche Bedenken bestünden nicht, denn ein Schimmelbefall ist schon aufgrund der relativen Frische der Ausgangsprodukte ausgeschlossen (ein durchschnittliches Alter der Backwaren von mehr als drei Tagen ist kaum anzunehmen), und die verschiedenen Kochstufen wie auch die Hefefermentation würden ihm letztlich zusätzlich den Garaus machen.

Dennoch ist der technische Aufwand zu groß im Vergleich zu seinen Produkten und selbst für Großbäckereien oder Verbünde kleinerer Betriebe wirtschaftlich noch völlig uninteressant. Ob sich das Verfahren tatsächlich jemals einmal rechnen könnte, läßt sich derzeit nicht beantworten. Um den gesetzlichen Auflagen zu genügen und die finanziellen Risiken dafür gering zu halten, soll zunächst nur ein Teilprozeß - nämlich die Hefegewinnung - großtechnisch realisiert werden, weil sie die höchste Wertschöpfung bietet.

Die Entwicklung von technischem Know how um Lebensmittelabfälle oder gar Biomüll, die bisher auf Mülldeponien oder bestenfalls in Verbrennungsanlagen landeten, möglichst vollständig auszuwerten und zu recyclen, läßt jedoch vermuten, daß diese Forschung aus anderen als ökonomischen oder ökologischen Gründen forciert und unterstützt wird, nämlich wegen des wachsenden Mangels an Rohstoffen. Nur der begrüßenswerte Schwund unserer Müllberge läßt dann ahnen, daß unser täglich Brot auch nicht mehr das sein kann, was es früher einmal war.

Erstveröffentlichung 2000

3. Januar 2008