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KOMMENTAR/102: Fukushima - In ein paar Monaten ist alles okay? (SB)


Die Mär von der baldigen Wiederkehr


Anläßlich des 25. Jahrestages des Reaktorunglücks in Tschernobyl blieb es in der Berichterstattung um das havarierte japanische Kernkraftwerk Fukushima unerwartet still. Derzeit macht man sich offensichtlich mehr Sorgen über das negative Image auf dem Geldmarkt. Die Ratingagentur "Standard & Poor's" hat den Ausblick für Japan von "stabil" auf "negativ" heruntergestuft. Da neben der bereits immensen Staatsverschuldung nun u.a. Imagekiller wie die dazu kommenden Kosten, die zur Beseitigung der Schäden des Megaerdbebens, des anschließenden Tsunamis, sowie der havarierten Atomkraftwerksanlagen aufgebracht werden müssen, das Bild von einer führenden Nation in der Weltwirtschaft zum Wanken bringen, hat man sich wohl entschlossen, die nukleare Katastrophe in Fukushima nicht mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu ziehen.

Dabei läßt sich jetzt schon eine massive nukleare Verseuchung des Grundwassers rund um das Kernkraftwerk nicht mehr schönreden (siehe hierzu Schattenblick -> Umwelt -> Redaktion -> ATOM/390: Grundwasser rund um das Akw Fukushima Daiichi mutiert zur nuklearen Kloake (SB)). Seit dem 13. März 2011 wird kontinuierlich hochradioaktiv verseuchtes Kühlwasser produziert, gleichzeitig entweichen radioaktive Partikel ebenso wie Neutronenstrahlung aus der Kraftwerkruine. Die Lage ist prekärer als jemals zuvor. Unabsehbar bleibt, wie lange noch. Gerade dieser Tage wird man an die Folgen des Super-GAUs in Tschernobyl vor 25 Jahren erinnert, die bis heute noch spürbar sind. So hieß es in der Süddeutschen Zeitung:

Die Atom-Explosion in der Ukraine "brachte furchtbares Leid über Millionen von Menschen. Und sie tut es immer noch", warnten Atomkraftgegner. Heute jährt sich das Reaktorunglück zum 25. Mal.
(Süddeutsche Zeitung, 26. April 2011)

In zahlreichen Medien wurde im Wortlaut die folgende Pressemitteilung bekanntgegeben:

Durch die Reaktorexplosion waren radioaktive Teilchen in die Atmosphäre geschleudert worden, durch die folgende Feuersbrunst waren weitere Isotope in die Luft gelangt. Eine radioaktive Wolke breitete sich über weite Teile Westeuropas aus. Bis heute sind Böden mit radioaktiven Stoffen wie etwa Cäsium-137 belastet. Das Strahlengift kann Krebs und andere Krankheiten erzeugen.
(Süddeutsche Zeitung, 26. April 2011)

Nun, auch in Fukushima soll die derzeitig hohe Strahlenbelastung im Umkreis von 20 Kilometern um das Kernkraftwerk zu 80 Prozent von langlebigen Cäsium-Isotopen stammen. D.h. auch hier wird die Strahlung lange nicht abklingen, es sei denn, die Region würde großflächig von den radioaktiven Isotopen gereinigt, welche die gefährliche Strahlung beim Zerfall freisetzen. Laut eines Berichts der Süddeutschen Zeitung, in der der Sprecher der japanischen Agentur für Nuklearsicherheit, Hidehiko Nishiyama, zitiert wurde, sei so etwas bisher noch nie gemacht worden. "Man müsse die ganze Fläche dekontaminieren, in der die Menschen leben, die Gebäude und ihre Umgebung. Für letzteres müßte man die oberste Schicht des Bodens entfernen." Was aber gar nicht gesagt wird, ist, daß genaugenommen sämtliche Gebäude entfernt werden müßten, sämtliche anorganischen wie organischen Bestandteile, die mit den aus der Abluft des Kernkraftwerks austretenden radioaktiven Teilchen in Berührung gekommen sein könnten, d.h. Bäume, Gräser, Blumenrabatten, Zäune, Holzwände, aber auch Wasserbecken oder Seen. Das betrifft selbst die nicht gleichfalls evakuierten wildlebenden Tiere und Haustiere. Denn die in der Luft enthaltenen radioaktiven Teilchen können sich theoretisch auf allem absetzen, in Poren eindringen, sich - da es sich um wasserlösliche Ionen handelt - in organischem Gewebe (pflanzlichem wie tierischem) festsetzen. Darüber hinaus ist ein Teil der Strahlung theoretisch in der Lage, bestimmte nicht radioaktive Elemente in radioaktive Zerfallsprodukte umzuwandeln.

All dieses Material müßte gewissermaßen als nuklearer Müll in Endlagern entsorgt werden, die es ja noch nicht einmal in ausreichendem Umfang und zufriedenstellender Sicherheit für den aus den Atomkernkraftwerken stammenden Brennelemente-Müll gibt. Schon um die Dekontaminationsarbeiten des Erdreichs zu gewährleisten, bräuchte man Monate, doch weitere Jahre um eine vollständig ausgeschachtete, tote Gegend dann wieder mit Behausungen, neuen Wasserquellen und neuer Landschaft und Kultur zu versehen. Und all das könnte überhaupt erst dann sinnvoll werden, wenn die Ruine in Fukushima Daiichi nicht mehr strahlt...

Wenn also die Regierung bzw. der Handels- und Industrieminister Banri Kaieda den derzeit evakuierten Einwohnern des Landstrichs verspricht, einige von ihnen würden in sechs bis neun Monaten heimkehren können, dann ist das nur ein Ausdruck für das Ausmaß der Hilflosigkeit. Der Betreiber Tepco, der sich an seinen selbst auferlegten Zeitplan halten muß, in dem laut Goshi Hosono, einem Berater des Premierministers, detailliert die einzelnen Schritte aufgelistet und präzisiert worden seien, gibt selbst an, daß erst in neun Monaten (bzw. Ende des Jahres) überhaupt ein Zustand erreicht werden könnte, der es erlaubt, eine geordnete Demontage der Ruine vorzunehmen. Und das nur, wenn die Kühlung der Brennstäbe den gewünschten Erfolg bringt und die Kernschmelze gestoppt werden kann.

Zumindest die nächsten drei Monate, aber aufgrund der technischen Möglichkeiten vermutlich wesentlich länger, wird also ganz offiziell eine konstante Verstrahlung in Kauf genommen bzw. von einem kontinuierlichen Austreten von Radioaktivität aus der Kernkraftwerk- Ruine ausgegangen. Worin noch nicht die Kontamination des Grundwassers mit radioaktiven Stoffen enthalten ist (siehe oben ATOM/390), die durch die absehbar noch monatelang andauernde Kühlung und die Produktion radioaktiv verseuchten Kühlwassers und das Problem seiner Entsorgung entsteht. Auch der Bau von zusätzlichen Zwischenlagern durch den Betreiber, von denen am 24. April in den Medien die Rede war, letztlich also sicheren Wassertanks für radioaktiv kontaminiertes Kühlwasser, läßt sich nicht innerhalb weniger Monate durchführen. All das sollte die Rückkehr der Einwohner in die Sperrzone um Fukushima doch selbst noch zu einem sehr viel späteren Termin sehr in Frage stellen.

Wie die Geschichte zeigt, gleicht auch 25 Jahre nach dem Super-Gau in Tschernobyl die ehemals bewohnte Gegend mehr den Geistersiedlungen aus amerikanischen Western als einer, die sich langsam von den Jahren der Vergiftung und Verstrahlung erholt. Durch die unabsehbaren Folgen der Naturkatastrophen, vor allem die tektonischen Bewegungen während und nach den Beben, besteht für Japan jedoch eine völlig andere Ausgangssituation als in der Ukraine. Dort hatte man es "nur" mit dem nuklearen Unfall zu tun. Was bisher kaum erwähnt wurde, ist ein Phänomen, das jedwede Dekontamination in Frage stellt, die allmähliche Verflüssigung des Untergrunds, von dem wir im Schattenblick schon berichtet haben. Experten haben unlängst selbst in küstenfernen Gebieten ernsthafte und äußerst gefährliche Bodenveränderungen registrieren können.

Bisher war ein solches Phänomen der Wissenschaft nur bei Böden in der unmittelbaren Nähe vom stehenden und fließenden Gewässern wie Flüssen oder Seen bekannt. Wirkte auf diese ein Beben ein, konnte das eine Bewegung des sandigen und nassen Bodens auslösen. Dieser ging somit vom festen in den flüssigen Aggregatzustand über. In der Folge rutschten nicht selten schwere Gesteinsmassen nach unten, während Wasser und feine Sandpartikel an die Oberfläche gelangten. Der so entstehende Schlamm setzte sich oft in Richtung des benachbarten Gewässers in Bewegung. Doch bislang war dieses Phänomen lokal begrenzt. In Japan reicht diese Verflüssigung des Erdbodens nun in Gebiete, die Hunderte von Kilometern von Stränden und Küsten entfernt sind. (Schattenblick -> Nachrichten -> Vom Tage ->UMWELT/5212: Ökologie, Umweltschutz und Katastrophen - 24.04.2011
(SB))

Unweigerlich drängt sich einem angesichts dieser Verschlammung die Frage auf: Wie radioaktiv ist dieses Wasser?

27. April 2011