Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

KOMMENTAR/110: Blütenbäume, Rettungsträume ... (SB)


Neues, leeres GeoTec-Versprechen - Treibhausgase hinter Gittern?

Über den höchst zweifelhaften Sinn, CO2 in Eiskäfigen zu fangen



Grundlagenforschung - mehr Schaden als Nutzen?

Hat die reine "Grundlagenforschungforschung", d.h. das systematische Nachprüfen von ungeklärten Fragen, beispielsweise nach dem Aufbau der Materie oder was sonst noch 'die Welt im Innersten zusammenhält', vor der immer wieder geäußerten Kritik, zu teuer und zu nichts gut zu sein, den Schwanz eingezogen?

Vor allem Astronomie oder Physik sehen sich zunehmend mit Vorwürfen konfrontiert, ihr Forschungsbudget wäre in anderen Bereichen wie die Klimafolgenminimierung besser angelegt. Diese Disziplinen scheinen offenbar ohne hochtechnische Geräte wie Teleskopen, Satelliten oder Teilchenbeschleunigern, deren Anschaffung und Wartung Millionen und manchmal auch Milliarden von Steuergeldern verschlingen, nicht weiterzukommen. In den USA wurden aus ökonomischen Gründen bereits Budgetkürzungen bei Weltraumunternehmungen (wie die NASA) und anderen großen renommierten Forschungsorganisationen (wie das USGS) vorgenommen.

Abgesehen vom Klimawandel, der unlängst vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) zur "neuen Normalität" erklärt wurde, die sich selbst dann noch steigere, wenn die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad Celsius begrenzt werden könnte, brennt die Welt von Problemen, die mit den Ergebnissen der Grundlagenforschung, beispielsweise den gefeierten Entdeckungen kurioser Materieteilchen wie das Higgs-Boson, eben gerade nicht gelöst werden können. Die zunehmende Ressourcenknappheit, die besorgniserregende Welternährungslage, die wachsende Armut (zwei Milliarden Menschen leben am Rande oder unter dem Existenzminimum), der Verlust der biologischen Vielfalt und die Schadstoffbelastung in der Atmosphäre sind weitere Beispiele. Zudem - nur mal nebenbei bemerkt - haben nicht erst die Ergebnisse vieler wissenschaftlicher Disziplinen die Welt überhaupt erst auf den Kollisionskurs in Richtung klimatösen Kollaps gebracht ...?

Abgesehen vom anwachsenden Ausstoß an atmosphärischen CO2 seit Erfindung des Feuers und seinen industriellen Folgen kamen auch zahlreiche, inzwischen ubiquitär verbreitete Radionuklide vor dem Bau erster Versuchsreaktoren, um auch das bis dahin Unteilbare zu spalten, in der Atmosphäre gar nicht vor. Wird sich die Wissenschaft nun ihrer Verantwortung bewußt und schafft sich selbst ab? Soll eine neue Forschung, wie einst der frisch Erleuchtete unter dem Bodhibaum sämtliche Bäume der Welt zum blühen brachte, für Menschen und Natur also nur noch "Gutes" tun? Wohlan...


Mit Umweltzertifikat und voller Kraft weiter so wie bisher

Weit gefehlt, es hat nur ein kaum spürbarer Paradigmenwechsel stattgefunden. Die neue, altruistische, bzw. wohl doch eher "angewandte", Grundlagenforschung, die nicht bloß Platz und Pfründe der Forschungslandschaft beansprucht, sondern mindestens das Klima zu retten verspricht, läßt sich zwar feiern. Das "Zum-Wohle-der- Menschheit"-Etikett verschafft ihr jedoch vor allem kritiklosen Zugriff auf die superteuren, superaufwendigen und am Ende zumeist Superforschungsblasen, die mit einem lautlosen "Plopp" wieder unauffällig in die Annalen Millionen anderer vergeigter Forschungsansätze eingehen und bestenfalls einen Beitrag zu den grundlegenden Forschungsergebnissen leisten, wie es ganz sicher nicht funktioniert.

Ganz oben auf der Skala der noch zu erfindenden Weltrettungsmaschinen stehen Lösungen für den Klimawandel.


Etikettenschwindel - von trägen Angelhäkchen, leeren Eiskäfigen und anderen Schaumschlägereien

So hat man zwar nie wieder etwas über den Sonderforschungsbereich 558 der Ruhr-Universität oder von seinen Bemühungen, Kohlenstoffdioxid (CO2) mit Zinkoxid-Angelhäkchen aus der Atmosphäre zu fischen, gehört, seit er vor sieben Jahren mit der Titelzeile "Aus trägen Stäbchen werden reaktive Häkchen: Zinkoxid reißt CO2 aus seiner Trägheit heraus" [1] für die "geniale" Forschungsidee warb, CO2 nicht nur, wie bei den vieldiskutierten CCS-Verfahren [2], aus der Atmosphäre rauszuhalten, indem man es am Orte des Entstehens abfängt. Die Forscher des SFB 558 wollten den schädlichen Dreck auch noch nutzen, ihn recyclefähig machen, in den Wertstoff Methanol umwandeln und ihn so der Wertschöpfungskette wieder zuführen. Schon damals zeichnete sich ab, daß, was zunächst wie ein Perpetuum Mobile aussah, chemische Reaktionen voraussetzte, bei denen Energie verbraucht und neues CO2 wie auch andere unerwünschte Begleitprodukte produziert werden würden; mal abgesehen davon, daß auch noch eine zündende Idee für eine kleine, aber nicht unwesentliche Nebensache fehlte, nämlich die für die Reaktion nötigen Ausgangsprodukte, CO2, H2 sowie CO tatsächlich aus der Atmosphäre zu fischen. Sie mußten für die Versuche erst chemisch hergestellt werden. Die damals schlagzeilenmachenden, aber auch vielleicht nicht ganz unabsichtlich leicht mißverständlichen "Angelhäkchen" aus Zinkoxid sollten nämlich erst später als Katalysator des Prozesses zum Einsatz kommen. Zum Reinigen der Luft waren sie nicht gedacht.

Trotz alledem und ohne positive Wirkung auf das Klimageschehen hat der Sonderforschungsbereich 558 zahlreichen Forschern mit Stoff für Dissertationen die wissenschaftliche Laufbahn eröffnet, auch wenn sie sich nur an anderen vermeintlichen Angelhaken wie Titan- oder Aluminiumoxid-Katalysatoren abarbeiteten ohne den immer wieder in Aussicht gestellten und sicher nicht ohne Echo verhallten, bahnbrechenden Erfolg. Die Entdeckung der Klima- bzw. Weltrettungsmaschine steht somit noch aus.


Käfige aus Eis ... halten nicht

Eines der jüngsten Forschungsprojekte, auf das dieses Schema paßt, machte unlängst über eine Pressemitteilung der Georg-August-Universität Göttingen von sich reden. [3] Zunächst schien es sich bei der Entdeckung der bislang "am wenigsten dichten Form von Wasser" um reine Grundlagenforschung zu handeln. Eis XVI ist die siebzehnte Modifikation (das ist kein Schreibfehler: von Eis I gibt es zwei Modifikationen Ih und Ic), die man bei gefrorenem Wasser unterscheidet und die bislang dokumentiert wurde. Die siebzehnte Form entspreche der Anordnung von Wassermolekülen, die normalerweise Gase in den sogenannten Gas-Clathraten oder Gashydraten (z.B. Methanhydrat) einhüllen, schrieb die Fachzeitschrift "Nature", in der die Ergebnisse der Studie veröffentlicht wurden. [4] Nur daß sich die Struktur ohne Wechselwirkung zu einem "Gaseinschluß" ein wenig lockere, d.h. der leere Hydratkäfig noch größer und somit auch weniger "dicht" würde.

Für Wasser (H2O), ohnehin die einzige Flüssigkeiten, die trotz ihres geringen Molekülgewichts bei Zimmertemperatur "flüssig" ist (vergleichbare Verbindungen wie Schwefelwasserstoff H2S nehmen einen gasförmigen Zustand an) und die beim Übergang in die feste, kristalline Phase nicht an Dichte zunimmt, sondern sich ausdehnt (man denke an platzende Bierflaschen, die zu dicht an das Eisfach im Kühlschrank geraten sind ...), wäre also die siebzehnte Modifikation der Festphase nur eine weitere Anomalie von vielen. Die interessante neue Struktur weckt allerdings bereits Begehrlichkeiten in Bezug auf mögliche Anwendungen. Immerhin werden Methanhydrate im Permafrost- und im Meeresboden an Kontinentalrändern und in der Tiefsee als potentielle Energielieferanten (Methan ist nichts anderes als Erdgas) bereits von Ressourcenjägern ins Visier genommen, trotz Warnungen vor möglichen Risiken für die Umwelt, falls das Methan vorzeitig freigesetzt würde. Methan ist ein etwa 30mal so starkes Treibhausgas wie CO2. Ein Ausgasen von Methan an Kontinentalhängen könnte Erdrutsche u.ä. nach sich ziehen. Ein größeres, nutzbares Wissen über die Struktur des Wasserclathrats könnte demzufolge direkt dem weiteren Raubbau dieser noch wenig erschlossenen Regionen der Erde Vorschub leisten.

Gas-Clathrate, also gefrorene Erdgas-Wassereiskomplexe, machen aber auch beim Transport von Gas und Öl durch Pipelines immer wieder Ärger, wenn sie sich unter den darin herrschenden Druck- und Temperaturbedingungen als feste Strukturen und Pfropfen ausbilden, die unter Umständen auch zu Korrosion oder Leckagen führen können. Auch dafür versprechen die Wissenschaftler der Universität Göttingen und des Instituts Laue-Langevin in Grenoble, die für den Nature-Bericht federführend sind, Lösungen. Sobald man mit neuer Folgeforschung mehr über die Wechselwirkungen zwischen Gaseinschluß und Wasserkristallhülle in Erfahrung gebracht hätte, könne man auch neue kostengünstigere Methoden entwickeln, solche Blockaden zu verhindern oder zumindest rechtzeitig und genau vorherzusagen.

Neben der Bedeutung für Geowissenschaftler und Chemie-Ingenieure, also einem noch relativ kleinen Teil der Menschheit, winken die Forscher allerdings auch noch mit dem Klimaretterfähnchen, d.h. mit einer potentiellen Lösung, das Fortschreiten des Klimawandels für die gesamte Menschheit auszubremsen. Mit "noch mehr" Forschung an den Hydrathüllen ohne Gas hätte man doch potentielle Eiskäfige für CO2, das man dort künstlich hineinoperieren könnte. Das darin gefangene Klimagas würde dann im Meer bzw. in den Meeresboden versenkt, um vielleicht die Methanhydrat-Clathrate zu ersetzen, die man ohnehin als Energiequelle zu nutzen gedenke - zwei Fliegen mit einer Klappe also?

Der Chemiker Thomas Hansen, der dazu vom Deutschlandfunk interviewt wurde, gab zu, daß dies noch keine realistische Basis habe. Dennoch werden trotz aller Einschränkungen Hoffnungen geweckt, um die eigene wissenschaftliche Arbeit, die eingesetzte Energie und die damit verbundenen Ausgaben zu rechtfertigen. Der ebenfalls beachtliche CO2-Fußabdruck wird allerdings meist unterschlagen:

Das klingt noch ein bisschen nach Science-Fiction, und da ist noch viel Arbeit zu tun, wenn das überhaupt mal machbar sein sollte. Deshalb müssen wir über Gashydrate soviel wie möglich wissen." [5]

Dabei ist über die neue Eisform bereits einiges bekannt, was ihre Eignung als "Weltrettungsmaschine", Marke "CO2-Käfig" in Frage stellt: Abgesehen davon, daß es sich um die leichteste von allen Eis-Phasen handelt (ungefähr 80 Prozent der Dichte von normalem Eis), also ein Feststoff, der sich nicht so einfach ohne weiteren Griff in die Trickkiste im Meer versenken läßt, ist das neue Eis ganz offensichtlich nicht besonders stabil: "Nach einer gewissen Zeit scheinen die leeren Käfige von selbst zu zerfallen", hieß es im DLF-Beitrag. [5] Daß filigrane Eisgebilde in flüssigem Wasser normalerweise einfach schmelzen, ist offenbar zu banal, um es wissenschaftlich zu erwähnen.

Davon einmal abgesehen fordert der potentielle Käfig auch einen Vertrauensbonus ein, was seine Undurchlässigkeit betrifft, selbst wenn er ganz stabil wäre. Immerhin haben die Forscher den in "Nature" gefeierten und zuvor im für diese Zwecke größten europäischen Forschungsreaktor in der Experimentierhalle am Institut Laue-Langevin (ILL) beäugten leeren Eiskäfig nur konstruieren können, indem sie zuvor ein Neon-Clathrat (ein Gashydrat aus dem Edelgas Neon und Wasser) hergestellt hatten, ein, wie der Deutschlandfunk andeutete, überaus aufwendiges Verfahren, das den CO2-Fußabdruck weiter ausdehnt.

Die Leute in Göttingen haben es geschafft, ein sogenanntes Neon-Hydrat herzustellen, vom Edelgas Neon. Das war schon schwierig genug. [5]

Gas raus - Gas rein - Gas wieder raus?

Um daraus wieder nur den äußeren Käfig zu erhalten, ein "leeres Clathrat", benutzten sie eines der einfachsten Instrumente, das in jedem Chemielabor zur Verfügung steht, um bestimmte Versuchsbedingungen zu gewährleisten: eine Vakuumpumpe. Nach fünf Tagen kontinuierlichem Wasserverbrauchs (einfache Wasserstrahlvakuumpumpen werden dafür einfach ans Wasserversorgungsnetz angeschlossen und der Hahn aufgedreht) der Saugeinrichtung habe man, wie die englische Tageszeitung "The Economist" schrieb [6], gehofft, damit sämtliche Reste des Gases aus der Probe entfernt zu haben. Um allerdings zu prüfen, ob diese Hoffnungen begründet sind, bedurfte es wesentlich komplexeren Equipments, der weltweit größten Neutronenschleuder des ILL. [7] Neutronen werden offenbar besser von Wasserstoffatomen abgelenkt, als die ebenfalls häufig zur Strukturanalyse verwendeten Röntgenstrahlen. Deshalb war die äußerst kostspielige (1,5 Milliarden Euro hat die Anlage in Grenoble gekostet) und energieauwendige Analyse (zur Neutronenerzeugung müssen Atomkerne zertrümmert werden) und das komplizierte Verpacken der empfindlichen Versuchsanordnung für die Reise nach Grenoble für die Göttinger Forscher das Mittel der Wahl. Ob eine entsprechende Analyse nötig wird, um gewissermaßen nachzusehen, ob der geplante Klimagastransfer in den fragilen Käfig gelungen ist, sei dahingestellt. Bereits nach diesem Einsatz müßte sich der CO2-Fußabdruck, des potentiellen Käfigs, mit dem ein CO2-Molekül gefangen werden könnte, grob geschätzt über die gesamte Welt ausdehnen ... Soviel zu Weltrettungsideen.

Mal abgesehen davon, daß bislang immer noch keine umweltschonenden "Angelhaken" gefunden wurden, um tatsächlich CO2 aus der Atmosphäre abzufischen, also bestenfalls neu produzierte Abgase in den wie auch immer gearteten Abfangkäfigen landen könnten, wenn so weiterproduziert wird wie bisher, scheint die werbewirksame Vorstellung des Konzepts doch zumindest einen Nutzen für die Forschung zu haben. Der Mensch gewöhnt sich allmählich an den Gedanken, daß die Probleme der Welt nur noch mit hochtechnischen, aber vielleicht sehr viel besser erforschten Maßnahmen zu lösen sind. Für die Erforschung der umstrittenen, aber derzeit viel diskutierten Geoengineering Technologie [siehe 2] scheinen damit Tür und Tor geöffnet. Sie steht der gefürchteten Tradition wissenschaftlicher Anwendungen in nichts nach: mehr Schaden als Nutzen ...


Anmerkungen:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/cheko083.html

[2] Standpunkte zu Geoengineeringprojekten wie Carbon Capture and Storage (CCS) u.a. Verfahren wurden auf der "Climate Engineering Conference 2014" von Vertretern der Forschung und der Zivilgesellschaft ausgetauscht, diskutiert und vom Schattenblick begleitet. Berichte und Interviews dazu finden Sie mit dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" in dem Pool:
INFOPOOL → UMWELT → REPORT

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/natur/fakten/nfme0185.html

[4] http://www.nature.com/nature/journal/v516/n7530/full/nature14014.html

[5] Forschung aktuell / Beitrag vom 11.12.2014, Frank Grotelüschen "Leere Hülle - Forscherteam findet neue Form von Eis"
http://www.deutschlandfunk.de/leere-huelle-forscherteam-findet-neue-form-von-eis.676.de.html?dram:article_id=305925

[6] http://www.economist.com/news/science-and-technology/21635972-never-seen-phase-water-ice-leaves-room-gas-storage-ice-locket-challenge

[7] Das Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble ist ein internationales Forschungszentrum, das mit seinem Hochflußreaktor (HFR) die stärkste Neutronenquelle der Welt betreibt. Mit Strahlrohren und Neutronenleitern werden die Neutronen an über dreißig Experimentierplätze geführt. Jedes Jahr werden von zirka 1.500 Gastforschern mehr als 800 Experimente, vor allem auf dem Gebiet der Neutronenstreuung, durchgeführt.

Mehr dazu:
http://www.weltderphysik.de/gebiete/stoffe/analyse-von-materialien/neutronen-als-sonde/ess/

19. Dezember 2014