Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

KOMMENTAR/111: Warnsignal Befindlichkeit ... (SB)


Gedanken über den Winterblues in Zeiten des globalen Wandels



Kennen Sie den Winterblues? Lange Zeit galt diese Form der psychischen Verstimmung als ein Phänomen, das Menschen betrifft, die in der Nähe des nördlichen Wendekreises leben. Doch auch in unseren Breiten ist er keine Seltenheit mehr. Etwa 800.000 Menschen, das sind etwa ein Prozent, versinken allein in Deutschland Jahr für Jahr in einem tiefen, dunklen Loch, wenn die Tage kurz und grau werden. Das heißt, spätestens im November vor dem alljährlichen Weihnachtskoller, der sich oftmals in Verdrängungssymptomen wie schlechter Laune, zunehmender Müdigkeit und extreme Lust auf Zucker und Schokolade äußert, und dann wieder nach dem Katzenjammer am Neujahrstag kann es die dafür Sensiblen empfindlich treffen: Energielosigkeit, Unausgeglichenheit, Traurigkeit, Lustlosigkeit, erhöhtes Schlafbedürfnis, Vernachlässigung sozialer Kontakte gelten als Symptome dieser "Winterdepression", wie der Volksmund das seelische Tief zur kalten Jahreszeit nennt. Der medizinische Fachbegriff lautet "saisonal abhängige Depression" oder "seasonal affective disorder", kurz: SAD.

Die darunter Leidenden mehren sich von Jahr zu Jahr. In nordischen oder skandinavischen Gebieten, wie etwa Alaska, Norwegen, Schweden sind es gar fünf Prozent der Landesbevölkerung, in den Mittelmeerländern hingegen ist die Winter- oder Lichtmangeldepression eher genauso unbekannt wie der auslösende Umstand: wintergraues Einerlei. Deshalb und weil sie häufig mit den Herbststürmen kommt und erst wieder geht, wenn im Frühling die Sonne scheint, wird der Mangel an Lebensfreude und -energie von einigen mit dem Mangel an Sonnenlicht in Verbindung gebracht und von denen, die es sich leisten können, entsprechend therapiert. Andere halten sie für eine Modeerkrankung, mit der die wohlhabendere Minderheit eine passende Ausrede bekommt, in die sonnigen Malediven abzudüsen ... .

Ältere Mitmenschen und letzte Überlebende der Kriegs- und Nachkriegsgeneration führen oft das Argument im Mund, "das alles habe es früher nicht gegeben, und schon gar nicht in der Not". Winterdepressionen wären demzufolge am besten mit einem "ordentlichen Tritt in die 'vier Buchstaben' zu kurieren, den sich die Betroffenen am besten selbst verpassen sollten.

Von dem vermutlich nicht zufällig gewählten Acronym SAD (engl.: traurig, betrübt) angefangen, das leicht mit der SAD (für Schmerz-Angst-Depression) verwechselt werden kann, die eine ganz andere Leidensart umschreibt, scheint auch die Medizin nicht wirklich Licht in die Angelegenheit bringen zu können, warum der Mangel an Sonnenlicht den Stoffwechsel im Hypothalamus oder genauer nukleus suprachiasmaticus bei manchen Menschen durcheinanderbringt und bei anderen nicht. Sie empfiehlt gezielte Lichtduschen von 2.500 bis 10.000 Lux über 30 bis 120 Minuten täglich (entsprechend eines sonnigen Frühlingstages), um die gestörte Biorhythmik des Patienten und damit sein Wohlbefinden wieder herzustellen bzw. das damit gleichgesetzte positive Verhältnis von Serotonin zu Melatonin [1]. Wahlweise wird zu langen Spaziergängen an der frischen Winterluft und zu einer ausgewogenen Ernährung geraten, bei der besonders eine ausreichende Zufuhr von Vitaminen, vor allem aber Magnesium (Bananen, Linsen, Nüsse und Trockenfrüchte) empfohlen wird und kohlenhydratreiche Lebensmittel wie Nudeln, Kartoffeln und Bitterschokolade, die - warum auch immer - die Ausschüttung des stimmungsaufhellenden Serotonin fördern könnten. Letzteres natürlich in "maßvoller Weise" genossen, damit es nicht mit Blick auf die anwachsenden Pfunde oder magenbedingter Verstimmungen zu einem Rebound-Effekt der beschriebenen Symptomatik kommt. Nicht gesagt wird allerdings, daß das vermeintlich "böse", Unpäßlichkeit befördernde Melatonin tatsächlich im Körper aus eben diesem Serotonin gewonnen wird. Eine erhöhte Konzentration des sogenannten "Glückshormons", könnte also unter bestimmten Umständen, über die die Medizin derzeit genaugenommen noch gar nichts weiß, eben jenes Ausgangsprodukt für die dämmerlichtinduzierte Stoffwechselentgleisung liefern.

Auch der wohl wenig effiziente Ratschlag zu langen Spaziergängen - mit dem zweifelhaften Erfolg einer dadurch erzwungenen Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Ursache der eigenen Niedergeschlagenheit (nämlich mit der Tristesse des Winteralltags oder der fehlenden Sonne) - verdeutlicht ebenso wie die Empfehlung des Ernährungszusatzes "Magnesium" nur die medizinische Wissenslücke, die mit den verhaltenskorrigierenden Maßnahmen eigentlich verschleiert werden sollte: Im Bereich der psychischen Erkrankungen wird zwar vermutet, daß schizophrene Psychosen und Depressionen durch einen Magnesiummangel verstärkt werden können, doch der "Winterblues" hat mit diesen Erkrankungen, ihrem Symptomkreis und ihren Auslösern so wenig zu tun, wie ein Hase mit Weihnachten ...

Und der bei etwa 60 Prozent der deutschen Bevölkerung erwiesenermaßen existierende Vitamin-D3-Mangel im Winter, der tatsächlich damit begründet werden könnte, daß die Winterbekleidung das wenige Sonnenlicht davon abhält, die Bildung des Vitamins in der Haut zu stimulieren, wird dagegen aus medizinischer Sicht überhaupt nicht mit dieser saisonal abhängigen Befindlichkeitsstörung in Verbindung gebracht. Ein größerer Einfluß des Vitamins zum Beispiel auf das Immunsystem wird zwar von einigen Ernährungsphysiologen vermutet, aber bislang nicht untersucht. [2]

Sollte nicht allein der Umstand, daß eigentlich keine zufriedenstellenden physiologischen Erklärungen, aber auch keine ausreichenden medizinischen Therapien dafür vorliegen, die Einschränkungen aber auch nicht einfach wegzubehaupten und immer mehr Menschen von den belastenden Symptomen betroffen sind, Anlaß genug sein, in eine ganz andere Richtung zu denken? Nach Abstrich aller Widersprüche bleiben zwei unbestreitbare Tatsachen: Die fraglichen Befindlichkeitsstörungen hat es noch vor wenigen Jahren nicht in diesem Ausmaß gegeben, und sie treten tatsächlich immer dann vermehrt dann auf, wenn das Licht abnimmt.


Weniger Licht in unseren Breiten

Woher also kommt die zunehmende Empfindlichkeit auf den Jahreslichtrhythmus und wer hat sich nun verändert, der Mensch oder das Licht? Für eines der wohl anpassungsfähigsten Lebewesen dieser Erde scheint es allerdings fraglich zu sein, warum ausgerechnet in dieser Zeit des relativen Wohlstands und der durch Technik und Elektronik erleichterten und unterhaltsam gestalteten Lebensumstände die Sensibilität für dämmerlichtinduzierte psychische Befindlichkeitsstörungen in unseren Breiten derart zunehmen sollte. Damit scheint in der logischen Konsequenz der schwarze Peter und der Grund zunehmender SAD-ness an die winterliche Dunkelheit zu gehen. Das Thema könnte man als wissenschaftlich unterbelichtet bezeichnen, weil es möglicherweise von wenig karriereversprechender Relevanz in der Forschung ist, vor allem angesichts der großen globalen Probleme, mit der sie sich dieser Tage auseinanderzusetzen hat, doch gibt es für den unvoreingenommenen Beobachter Hinweise, die auf eine zunehmende Dämmung des Tageslichts in Herbst und Winter im Laufe der letzten Generation schließen lassen, und zwar mit ähnlich naheliegender wie lückenhafter, wissenschaftlicher Evidenz auf die sich die Behauptung der Pharmakologie stützt, wenn sie sagt, daß Schokolade glücklich macht.

Ein Beispiel wäre die bereits 2011 eingeführte Pflicht, bei neuen Fahrzeugkonstruktionen sogenannte Tagfahrleuchten einzubauen, die eine relativ energie- und kosteneffiziente Ganztagsbeleuchtung bei PkWs ermöglichen, damit diese auch bei Tageslicht besser gesehen werden, in dunklen Alleen etwa oder anderen Schattenzonen ... . Doch wo gibt es die in unserer illuminierten Welt überhaupt noch, in der sogar die Nächte taghell beleuchtet sind? Sollte sich an der Natur des Tageslichts etwas dauerhaft geändert haben, das gesetzlicher Regelung bedarf? [3] Kann man von einer Verdunkelung des Tageslichts sprechen? Die wissenschaftliche Antwort ist "Jein". Tatsächlich soll der meßbare Durchschnitt der Sonneneinstrahlung heute noch um etwa vier Prozent geringer sein als vor fünfzig Jahren. Der Hauptgrund dafür ist die Luftverschmutzung. Beim Verbrennen von Kohle, Öl und Gas, aber auch durch die Brandrodung von Wäldern, ebenso durch Vulkanausbrüche gelangen kleinste Partikel, sogenannte Aerosole (vor allem Schwefel, SO2-Tröpfchen und Ruß), in die Atmosphäre. Sie reflektieren die Sonnenstrahlen und führten so zu einer allmählichen Verringerung der Intensität des Tageslichts, das die Erdoberfläche erreicht. Darüber hinaus bilden Aerosole auch Kondensationskeime für Wassertröpfchen und führen zu einer verstärkten Wolkenbildung, die ebenfalls den Himmel beschatten. Seit den 1950er Jahren wurden von der Arktis bis zur Antarktis Hunderte von Meßstationen installiert, die die Sonneneinstrahlung messen. [4]

Eine weitere Reihe von Messungen im Indischen Ozean zeigte 1999, daß die Luftverschmutzung bei der globalen Verdunkelung eine große Rolle zu spielen scheint. Dort maßen Wissenschaftler in Gebieten mit hoher Luftverschmutzung eine um zehn Prozent geringere Sonneneinstrahlung als in Gebieten mit sauberer Luft. Abgesehen von Asien und Europa sind die USA (ebenfalls zehn Prozent Dimmung) einer der entscheidenden Brennpunkte, von denen eine Verringerung der Sonnenintensität ausgeht. Dementsprechend kämen aber auch brennende Ölquellen in Kuwait oder Brandrodung des Regenwaldes in Brasilien als mögliche Verursacher zunehmender Winterdepressionen in Frage. Die industrielle Luftverschmutzung geht inzwischen durch gesetzlich festgelegte Filterauflagen und zunehmende Reinigung von Abgasen in einigen Ländern inzwischen zurück, was sich mit einiger Verzögerung auch global auswirken wird.

Da mit der Reflexion des Sonnenlichts auch ein nicht unerheblicher Kühleffekt einhergeht, der das bisherige Ausmaß des Treibhauseffekts gedämpft hat, befürchten Klimaforscher nun bei einer Bereinigung der Luftverschmutzung eine Eskalation der Klimaerwärmung. Erwarteten manche bisher eine Zunahme der Durchschnittstemperatur um etwa 5 °C bis zum Jahr 2100, könnte eine Verringerung der globalen Verdunkelung zu einer Erhöhung von 8 bis 10 °C führen.


Oder hängt die Erdachse schief in den Seilen?

Menschen, die sich aus existentieller Notwendigkeit oder aufgrund ihrer Lebensweise einen unverstellten Blick bewahrt haben und deren Kultur bereits seit geraumer Zeit mit erheblichen und lebensbedrohlichen Folgen des sogenannten globalen Wandels zu tun hat, wie Dr. Dirk Notz dem Schattenblick im Interview im Rahmen einer Pressekonferenz zum damaligen Meereis-Schwund-Rekord in der Arktis (2012) bestätigte [5], haben bereits auf gravierende Naturveränderungen in ihrer Region aufmerksam gemacht: Die Alten der Naturvölker könnten heraufziehende Unwetter aufgrund der Entwicklungen nicht mehr so exakt vorhersagen wie zuvor. Inuit berichten von zunehmenden Wetterkapriolen, von höheren Temperaturen im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor und Regen im polaren Winter, statt Schnee und Eis. Die Eisschollen würden sich anders verhalten, die Windrichtung habe nachweislich gewechselt: statt überwiegend aus dem Norden komme der Wind jetzt manchmal sogar aus dem Süden, aber hauptsächlich aus dem Osten, was schlecht für die Jagd sei. In den nördlichen Regionen, allen voran Finnland, schreitet die globale Erwärmung derzeit am schnellsten voran. Dort ist die Durchschnittstemperatur in den letzten 166 Jahren um mehr als zwei Grad Celsius gestiegen. [6] Daneben gaben Inuit aus Nordkanada und Grönland bereits 2011 an, daß der Aufgang der Sonne nach der Polarnacht zwei Tage zu früh stattgefunden hatte. [7] Im Frühjahr darauf warnten weitere Vertreter der indigenen Bevölkerung vor einer möglichen Erdachsenverschiebung, in der sie auch den mutmaßlichen Auslöser für die ungewöhnlichen Beobachtungen sehen:

Die Sonne ist falsch. Die Sterne sind falsch. Die Erdachse hat sich verändert. Um Seehunde zu jagen benötigen wir Tageslicht. Wir hatten nur eine Stunde Tageslicht [im polaren Winter, Anm. der Red.]. Heute hatten wir zwei Stunden Tageslicht (am 21.Dezember, Tag des Sonnentiefstandes). Diese Veränderung ist deutlich feststellbar, denn das Tageslicht ist viel höher am Horizont als sonst. (Ludy Pudluk, Elijah Nowdlak, Herve Paniaq von den Inuit an der Ostküste Grönlands) [7]

Sie hätten diese Veränderungen allein an Veränderungen in der Atmosphäre und dem Verlauf der Sonne feststellen können, die nun an einem anderen Punkt des Horizonts (statt neben der höchsten Bergspitze nun dahinter) aufgehen würde als früher. Auch der Nachthimmel und der Stand der Sternbilder habe sich verändert. Könnten solche Beobachtungen ursächlich auf einen anderen Neigungswinkel der Erdachse zur Sonne zurückgehen, war damals die Frage. Ein dadurch veränderter Einfallswinkel des Sonnenlichts könnte vieles erklären, auch seinen nicht unerheblichen Beitrag zur Erderwärmung ...

Dem hält die Wissenschaft entgegen, daß die wahre Erdachse schon immer periodische Bewegungen, sogenannte Polbewegungen, vollzieht, die aber relativ klein sind und von internationalen Diensten überwacht werden. Geophysiker führen sie auf Massenverlagerungen im Inneren der Erde, der Ozeane und auch in der Atmosphäre zurück. Sie umfassen Größenordnungen von bis etwa 0,25 Bogensekunden, was auf der Erdoberfläche einer Strecke von neun Metern entspricht. Im Verlauf eines Jahres eiert die Erde mit Amplituden von 6,3 oder 3,2 Metern, je nachdem, welcher Zeitraum betrachtet wird. Dagegen scheinen die spontanen Verlagerungen mit Amplituden von einigen Zentimetern, die von See- oder Erdbeben ausgelöst werden, wenig spektakulär: So soll das Beben, das den Tsunami am 26. Dezember 2004 im Indischen Ozean vor der Insel Sumatra auslöste, die Erdachse um sieben Zentimeter verschoben haben. Sechs Jahre danach verschob das Erdbeben in Chile die Erdachse möglicherweise um acht Zentimeter. Der Hauptrekordverdächtige mit einer möglichen Erdachsenverschiebung von sogar zehn Zentimetern ist in diesem Zusammenhang das Tohoku-Erdbeben von 2011, das Japan mit einer Stärke von 8,9 auf der Richterskala heimgesucht, einen nicht minder zerstörerischen Tsunami ausgelöst und das Land in ein atomares Desaster gestürzt hat. Wie Kenneth Hudnut von der US-amerikanischen Geologiebehörde "USGS" gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN erläuterte, worüber Spiegel Online am 13. März 2011 berichtete [8], konnte man anhand von GPS-Messungen nachweisen, daß das Beben außerdem die japanische Hauptinsel um 2,4 Meter nach Osten verrückt hatte, je nach Entfernung vom Epizentrum wurden andere Teile des Inselreichs bis zu 4,3 Meter verschoben. Berechnungen der NASA zufolge soll sich die Achse dabei sogar um 17 Zentimeter bewegt haben.

Die durch Erdmassenverlagerung hervorgerufene Erdachsenverschiebung, von der hier die Rede ist, betrifft jedoch nicht die Rotationsachse durch Nord- und Südpol, an die ein Laie sofort denken würde, sondern "nur" die sogenannte Figurenachse (die Achse, um welche die Masse der Erde verteilt ist). Diese liegt etwa zehn Meter von der normalen Nord-Süd-Achse der Erde versetzt. Eine Verschiebung der Erdachse um dramatische zehn bis siebzehn Zentimeter kann demnach keine Auswirkungen auf den Neigungswinkel der Erde zur Sonne haben. Statt also in ihrer virtuellen Verankerung gerissen und in eine Schieflage gebracht zu sein - wenn man einmal an eines der als Schreibtischbeleuchtung erwerbbaren Globusmodelle denkt, das durch irgendeinen Fremdeinfluß aus den Angeln gehoben wird - führt die Änderung der Figurenachse nur dazu, daß die Erde bei ihrer Drehung etwas anders taumelt als zuvor, sagen die Geologen. Außerdem habe sich unser Heimatplanet infolge des Japanbebens minimal schneller gedreht, was laut Nasa unsere Tage um 1,8 Millionstelsekunden verkürzt. Dies wäre mit dem Pirouetteneffekt vergleichbar: Zieht ein Eiskunstläufer während einer Drehung seine Arme dichter an den Körper heran, dreht er sich schneller.

Nun sind See- und Erdbeben nicht die einzigen Einflüsse, die auf die Verteilung der Erdmasse wirken. Der Mensch selbst ist unermüdlich an ihrer Oberflächenumgestaltung und dabei an ihrer Massenverlagerung beteiligt. Ob es die gewaltigen Gesteinsmengen sind, die im weltweiten Tagebau aus dem Erdinnern geholt und quer über den Globus transportiert werden (Wissenschaftler sprechen allein von neun Gigatonnen an Kohle pro Jahr, dazu kommen aber noch andere Erze für die von der Industrie benötigten Rohstoffe), oder das Absprengen von Bergspitzen beim sogenannten Mountain-Top-Removal-Mining, mit dem bis zu 120 Meter mächtige Deckgebirge der Lagerstätten in den Bergkuppen der Appalachen (USA) gesprengt werden, um an die Steinkohle zu gelangen, sollte auch das nicht ohne Effekt auf das pirouettenhafte Trudeln unseres Planeten bleiben. Erdstöße, die durch weitere bergbauliche Maßnahmen oder Geoengineering an der Tagesordnung sind, wenn gewaltige Flüssigkeitsmengen in die Eingeweide der Erde gepreßt werden, um Erdöl- oder Erdgas herauszufracken, sollten ihr übriges tun, ebenso einige klimabedingte Naturkatastrophen größeren Ausmaßes wie Erdrutsche in den Anden oder Überschwemmungen. Und schließlich könnte das Schmelzen der Polkappen und Gletscher [9], das aufgrund der immer weiter anwachsenden CO2-Emissionen schon längst begonnen hat, die Erdachse um einen weiteren "figürlichen" Moment weiter ins - wenn auch wenig spürbare - Schleudern bringen. Dazu kommt, daß die Verlagerungen auch gegensätzliche Auswirkungen auf das Trägheitsmoment der Erde haben können, die sich gegenseitig aufheben ... [10]

Auch wenn sich mit diesem Gedankenexperiment neben der Spur konventioneller, wissenschaftlicher Zuordnung die vermeintlich zunehmende Dämmung des Tageslichts oder "gefühlte" polarnächtliche Verhältnisse in unseren Breiten nicht begründen lassen und das Trudeln und Taumeln der Welt durch anthropogene Erdstöße und andere Einflüsse gemeinhin für normal erachtet werden müssen, so läßt sich doch ebensowenig ausschließen, daß sich Veränderungen dieser Größenordnung zumindest in ihrer Aufsummierung an irgendeiner Stelle auf das Gemüt der Menschen niederschlagen. Anders gesagt, auch in diesem Jahr gibt es genug menschenverursachte Gründe, die zu Hoffnungslosigkeit und Depressionen Anlaß geben und sich nicht mit Lichtduschen, Schokoladenverzehr oder langen Winterspaziergängen vertreiben lassen.

Laut einer internationalen Studie von 18 Wissenschaftlern, die vor kurzem im Fachjournal Science veröffentlicht wurde und in sieben Seminaren beim World Economic Forum in Davos vorgestellt werden soll (21. bis 25. Januar 2015), sind bereits vier von neun festgelegten planetaren Grenzen, innerhalb derer die Stabilität und die Widerstandskraft des Erdsystems gewahrt sein soll, überschritten worden. Diese betreffen den Klimawandel, den Artenschwund, den Landverbrauch sowie die außer Kontrolle geratenen, biochemischen Kreisläufe von Stickstoff oder Phosphor. [11]


Anmerkungen:

[1] Die Synthese (Herstellung) von Melatonin erfolgt aus Serotonin, einem biogenen Amin, das unter anderem das Wohlbefinden steigert. Bei Lichtmangel steigt die Konzentration von Melatonin, während die Konzentration von Serotonin abnimmt. Diese Konstellation kann Depressionen auslösen, die z.B. in den Wintermonaten auftreten, wenn das Tageslicht nicht lange genug anhält. Sie wird als saisonabhängige Depressionen (SAD) bezeichnet.

[2] Nebenbei bemerkt verhindert die Winterbekleidung die durch Sonnenlicht in der Haut induzierte Vitamin D-Bildung. 60 Prozent der deutschen Bevölkerung sind in den Wintermonaten nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt. Das haben Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts und des Max-Rubner-Instituts festgestellt. Jeder fünfte Mann und jede fünfte Frau haben sogar weniger als zehn Nanogramm pro Milliliter, also einen schweren Mangel. [1]
Man vermutet, daß das Vitamin auch vor Bluthochdruck, Funktionsverlust, Abnahme der Gehirnleistung und Infekten schützen kann bzw. an der körpereigenen Abwehr beteiligt ist. Es könnte mehr mit Winterblues zu tun haben, als alles andere. Die normale Cholecalciferol (oder 25(OH)Vitamin-D3) Konzentration im Blut liegt beim Erwachsenen in den Sommermonaten zwischen 20 und 60 Nanogramm/ml. Werte unter 10 Nanogramm/ml deuten auf eine signifikante Unterversorgung mit erhöhter Gefahr einer Rachitis beim Kind bzw. einer Osteomalazie beim Erwachsenen hin.
http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/sendung/2012/sonne-100.html

[3] Diese Maßnahme wird hierzulande wie auch in der Schweiz und Frankreich gesetzlich und vom ADAC empfohlen, aber nicht bei entgegengesetzter Handlung unter Bußgeld gestellt. Eine solche Lichtpflicht, d.h. eine unter Bußgeld gestellte gesetzliche Verpflichtung, auch tagsüber mit eingeschaltetem Abblendlicht zu fahren, kannte man lange nur aus Ländern nahe des nördlichen Wendekreis, wie Estland, Litauen, Norwegen und dann auch nur ab September, wenn die Tage dort bereits kürzer wurden. Eine verbindliche Lichtpflicht (wahlweise durch die neuen Tagfahrleuchten) wurde inzwischen in allen skandinavischen Ländern, aber auch in Rußland und Polen für das ganze Jahr bindend eingeführt. In Deutschland, der Schweiz und Frankreich war es lange Zeit überhaupt kein Thema.

[4] Die englischen Forscher Gerald Stanhill und Shabtai Cohen, die Einstrahlungsmessungen von 1950 bis 1980 verglichen, dokumentierten regionale Unterschiede.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1029/2009JD011976/abstract

[5] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0040.html
Nun haben die Inuit mehr als andere Kulturkreise bereits seit geraumer Zeit mit erheblichen und lebensbedrohlichen Veränderungen durch die Auswirkungen der globalen Erwärmung zu tun. Letzteres würden die Betroffen schicksalsergeben hinnehmen und sich entsprechend anpassen, bestätigte Dr. Notz auf eine Frage des Schattenblicks. Dadurch wäre die seit Jahrhunderten praktizierte traditionelle Lebensweise völlig im Umbruch. So könnten Inuit beispielsweise ihr Fleisch nicht mehr einfach zum Trocknen draußen in die Luft hängen, weil es durch die wärmeren Sommer inzwischen sogar hier Insekten und Parasiten gibt, die ihre Eier in das rohe Fleisch legen, so daß es verdirbt. Früher war es so kalt, daß Insekten nicht überleben konnten. Was früher eine Methapher für etwas völlig Sinnloses war oder einen guten Marketing-Strategen ausmachte, wenn er "einem Eskimo einen Kühlschrank verkaufen" konnte, scheint zunehmend Notwendigkeit und damit Symbol des Wandels zu werden:

"Und wenn das Meereis im Winter halt nicht mehr kommt, dann schaffen wir unsere Hundeschlittengespanne ab und gehen Fische fangen. Daß wir dabei Fische fangen, für die wir keine Namen haben, weil das Wasser wärmer geworden ist, und plötzlich ganz andere Fische kommen, das ist einfach so. Das heißt, man paßt sich einfach ganz konkret und direkt an die Veränderungen an, und momentan ändert sich dort sehr viel."

[6] Eine genauere Schilderung diesbezüglicher Zusammenhänge finden Sie hier:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-547.html

[7] Eine Sammlung von Quellen, in denen Vertreter der indigenen Bevölkerung nördlicher Länder von deutlichen Veränderungen sprechen, die ihres Erachtens auf eine Verschiebung der Erdrotationsachse hinweisen, findet man im Weblog des "Honigmanns".
https://derhonigmannsagt.wordpress.com/2014/10/11/die-warnungen-der-inuit-uber-die-erdachsenverschiebung

[8] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/globale-wirkung-beben-verschiebt-japan-um-zwei-meter-a-750676.htm
Forscher messen solche Veränderungen mit Hilfe des Satelliten-Navigationssystems GPS. Auf diese Weise habe man festgestellt, daß die Hauptinsel Japans um 2,40 Meter verschoben wurde, sagte Kenneth Hudnut von der US-Geologiebehörde USGS dem Fernsehsender CNN am Samstag. "Bis jetzt wissen wir, dass eine GPS-Station um acht Fuß gewandert ist", sagte Hudnut. Eine Karte der japanischen Geospatial Information Authority zeige, daß das Muster der Verschiebung für die gesamte Landmasse gelte. Die Wissenschaftler sprechen von der gewaltigsten Landbewegung seit mehreren Jahrzehnten, bestätigte auch das italienische Institut für Geophysik und Vulkanforschung, "Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia" (INGV).

[9] Das Deutsche Geodätische Forschungsinstitut in der Technischen Universität München brachte unlängst eine neue Studie dazu heraus:
http://www.dgfi.badw.de/en/

[10] Masse nahe an den Polen und damit nahe an der Erdachse würde sich über die gesamte Planetenoberfläche verteilen, auch in größerer Entfernung zur Erdachse. Deshalb passiert in diesem Fall das Gleiche, als wenn eine Eiskunstläuferin ihre Arme ausstreckt: Die Rotation - in dem Fall der Erde - würde sich etwas verlangsamen. Ausgehend davon, daß das Eis an den Polkappen restlos schmilzt und der Meeresspiegel der Ozeane dadurch um rund 30 Meter ansteigen würde, ergibt sich für die Erde, die normalerweise 23 Stunden, 56 Minuten und 4,099 Sekunden für eine Erdumdrehung braucht, eine Ausbremsung um 0,72 Sekunden.
http://texercises.com/exercise/eisschmelze-der-polkappen

[11] https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/vier-von-neun-planetaren-grenzen201d-bereits-ueberschritten

19. Januar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang