Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

RATGEBER/235: Bio-Wursthüllen mit appetithemmender Wirkung (SB)


Was heißt hier "Bio-Wursthüllen"?

Vergleich von herkömmlichen und neuem Lyocell-Verfahren zur Herstellung von Kunstdarm


Als "Hightech-Maßanzug für die Wurst" wurde ein neues sogenanntes "Lyocell-Verfahren" zur Wurstpellenherstellung aus Cellophan vom Informationsdienst Wissenschaft (idw) als Pressemitteilung der Fraunhofer-Gesellschaft schon am 7. Mai 2002 werbewirksam in Szene gesetzt. Das neue Verfahren sei nicht nur einfacher und umweltfreundlicher, sondern könne auch noch "maßgeschneidert" den individuellen Bedürfnissen der verschiedenen Wurstsorten angepaßt werden.

Dabei vergißt man wohl, daß das ursprüngliche und derzeit noch gebräuchliche Verfahren auf wenigen, sehr einfachen und grundlegenden Chemikalien beruht und deshalb überschaubar und vergleichsweise kontrollierbar bleibt. Bei entsprechender Entsorgung und Aufbereitung der anfallenden Chemie läßt sich sogar die Umweltverschmutzung in Grenzen halten, zieht man in Betracht, daß seit 1963 die Chemiefaser- Industrie etwa 2,4 Millionen Tonnen Zellwolle hergestellt hat, 400.000 Tonnen mehr, als alle Schafe der Welt an Wolle liefern.

Angesichts der Beliebtheit von Wurst und Aufschnitt gerade hierzulande geht es nicht mehr ohne Kunstdarmumhüllung. Laut idw soll sich der Durchschnittsdeutsche rund siebzig Gramm der beliebten Fleischrollen täglich einverleiben. Und für diese Unmengen an gehacktem Fleisch gibt es nicht genügend geeignete Naturdärme, in die sie sich stopfen ließen, zumal Innereien (und somit auch Därme) seit die Verbraucher durch Rinderwahn (BSE), Maul- und Klauenseuche oder Schweinepest in den zurückliegenden Jahren zunehmend auf von Tierprodukten verbreitete Tierseuchen sensibilisiert sind, immer weniger akzeptiert werden.

Daher greift man schon lange zu synthetischen Chemiefasern bzw. -häuten, die allerdings aus natürlichen Rohstoffen stammen. Kunstdarm wird vorzugsweise aus Cellulose hergestellt, dem Hauptbestandteil von Holz. Diese wird in einem speziellen Verfahren zu Viskose (Kunstfasern, Kunstseide) oder Cellophanfolie regeneriert.

Während sich die faserförmige Cellulose reifer Baumwolle direkt als Textilfaser verarbeiten läßt, muß Cellulose aus Holz und Stroh erst zu Textilfasern oder Folie umgewandelt werden. Da sich das Ausgangsmaterial (meist Zellwolle) dafür nicht einfach schmelzen und als Folie vergießen läßt, schlägt das alte Viskoseverfahren einen Umweg ein: Die Cellulose wird chemisch umgewandelt, in eine viskose Lösung überführt und in einem Fällbad wieder ausgehärtet und zwar in der Form, in die man sie dann mechanisch gebracht hat.

Hierzu wird die Cellulose zunächst mit Natronlauge aufgequollen und Kohlenstoffsulfid (CS2) zugesetzt. Es entsteht eine zähflüssige (fachsprachlich = viskose) Masse. Aus der Zustandsbeschreibung des Grundstoffs wurde später der Name für das Produkt.

Denn das "Zähflüssige" bzw. die "Viskose" wird durch Spinndüsen in ein angesäuertes Bad gepreßt, wo sie zu sogenannten Reyon-Fäden erstarrt. Drückt man sie dagegen durch eine Schlitzdüse, entsteht Cellophanfolie.

Beim neueren Lyocell-Verfahren soll angeblich der Umweg über die viskose Lösung entfallen und die Gesamtzahl der Verfahrensschritte geringer sein. Auch sei das Verfahren umweltfreundlicher, weil man das Lösungsmittel nahezu vollständig zurückgewinnen kann. Doch bei genauerer Betrachtung ändert sich eigentlich nur die chemische Zusammensetzung von Lösungsmittel und Fällbad. An dem Verfahren an sich - auflösen und wieder ausfällen - ändert sich nichts.

Ganz im Gegenteil wirkt der Apparatebau aufwendiger und moderner, denn die Fasern, Folien und Schläuche sollen schon in den gewünschten Größen sowie in der gebrauchsfertigen Porosität die Maschine verlassen. Was also an weiteren Schritten entfällt, ist die mechanische Bearbeitung der Folie. Das Verfahren spart durch diese Rationalisierung hauptsächlich Arbeitskräfte ein. So hieß es in einem Bericht des idw dazu:

Projektleiter Dr. Peter Weigel erläutert den Ablauf: "Die Celluloselösung tritt kontinuierlich aus einer Ringdüse aus. Der Clou unserer Variante ist, dass der Schlauch aus zähflüssiger Celluloselösung nicht sofort in das Fällbad eintritt, sondern einen Luftspalt durchläuft. In dieser kurzen Zeit stellen wir über den inneren Luftdruck die Eigenschaften des Schlauches ein. Wesentlich sind die Quer- und Längsfestigkeit." Später, wenn die Würste gebrüht, gekocht oder geräuchert werden, treten weitere Eigenschaften der Hüllen in den Vordergrund, wie Bereichsleiter Dr. Hans- Peter Fink weiß: "Mit der Porosität der Wursthülle legen wir fest, wie schnell Geschmacksstoffe hindurchtreten können. Und von der Struktur der inneren Oberfläche hängt es ab, wie stark der Inhalt an der Hülle haftet."
(idw, 7. Mai 2002)

Vor drei Jahren begann die Kooperation mit dem belgischen Unternehmen Teepak NV, Marktführer für Wursthüllen aus Cellulose. Nach Untersuchungen im Labor wurde eine halbindustrielle Pilotanlage aufgebaut, die Ende vergangenen Jahres in Betrieb ging. Nicht nur Wursthüllen, auch Verpackungsfolien und Membranen mit maßgeschneiderten Eigenschaften sollen sich dort in Zukunft herstellen lassen. Setzt sich das Verfahren durch, dann legt Teepak NV in Zukunft die Wurstgrößen fest und kann möglicherweise auch die weitere Verpackung, d.h. die als Aufkleber geeigneten Etiketten usw., bestimmen.

Das gesamte Verfahren wurde letztlich nicht - wie erklärt - vereinfacht, sondern schon von der technischen Seite her sehr viel komplizierter und unüberschaubarer. Dafür wird die weiterverarbeitende Verpackungsindustrie überflüssig. Der geschäftliche Vorteil für Teepak NV ist allerdings unübersehbar.

Fraglich bleibt, ob das vom Hersteller hochgelobte Lösungsmittel N- Methylmorpholin-N-oxid, das Cellulose ohne weitere Zusätze auflösen und im Fällbad wieder freisetzen kann, wirklich weniger schädlich für Mensch und Umwelt ist als die im hergebrachten Verfahren verwendeten Substanzen.

           / \
 H3C    O   (-)
       \  /
        N      (+)
       /  \
 H2C    CH2
   ¦         ¦
 H2C    CH2
       \  /
        O

N-Methylmorpholin-N-oxid


Bleibt beispielsweise ein Rückstand von N-Methylmorpholin-N-oxid in den Wursthüllen zurück, so haben wir es hier mit einem Grundgerüst zu tun, das schon nach geringfügigen chemischen Veränderungen eine systemische Wirkung im Organismus und Nervensystem haben könnte. So kennt man einige Morpholinderivate, die als Appetitzügler pharmazeutisch verwendet wurden z.B. das (+)-2-Phenyl-3-methyl-morpholin (Phenmetrazin, Preludin) oder das (+)-2-Phenyl-3.4-dimethyl-morpholin (Phendimetrazin, Sedafamen). Appetitzügler sind seit jeher wegen ihrer zentral erregenden Wirkung (man denke an Ephedrin) umstritten und in vielen Fällen inzwischen schon vom Markt genommen.

Da zwingt sich dem kritischen Beobachter dieser Vorgänge geradezu die Frage auf, ob sich die Lebensmittelindustrie mit Appetitzüglern in der Wurst nicht sprichwörtlich ins eigene Fleisch schneidet oder ob diese Technologie zu den vorbereitenden Maßnahmen gehört, deren Tendenz sich schon in weiten Zügen (und vermeintlichen Anti-Obesity-Kampagnen) abzeichnet, nämlich in naher Zukunft immer mehr Lebensmittel einzusparen.

Erstveröffentlichung 2002

Neue, überarbeitete Fassung
18. Februar 2008