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RATGEBER/285: Vorsicht bei Töpferwaren - Gift in der Suppenterrine (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT, ...

daß Selbstgetöpfertes frei von Schadstoffen ist


Tatsächlich ist es ein weitverbreiteter Irrtum zu glauben, daß alles, was aus der Natur kommt, automatisch unschädlich ist. So müssen Vertreter der Ökologiebewegung, die u.a. auch die Nutzung althergebrachten Keramikgeschirrs für die Aufbewahrung und Lagerung von Lebensmitteln propagieren - und in der Anwendung wesentlich praktischeres, aber Weichmacher u.ä. ausdünstendes Kunststoffmaterial ablehnen - eines Besseren belehrt werden. Laut des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) können Schwermetalle aus Keramikglasuren durchaus die Gesundheit gefährden.

Die Umstände sind lange bekannt: So enthalten schon Lehme und Tone, die hierzulande seit altersher zum Töpfern oder für die Ziegelherstellung benutzt werden, umwelttoxische Substanzen und giftige, mineralische Elemente wie Arsen und Vanadium.

Diese kommen teilweise natürlich im Boden vor, stammen aber auch aus jahrhundertealtem, mit Schwermetallen belasteten Abraum aus dem früheren Bergbau, der seinerzeit einfach achtlos in die Landschaft geschüttet wurde und dessen giftiger Inhalt durch die gleichen Sickerungsvorgänge in tiefere Schichten gelangte wie heutige Umweltgifte auf aktuellen Mülldeponien. Auf diese Weise waren die Lehmlöcher, aus denen frühere Töpfer ihre Rohstoffe bezogen, auch schon mit Giften und Schwermetallen belastet.

Haar und Nagelproben von mumifizierten Leichenresten ergaben, daß die Menschen im Altertum und Mittelalter in großem Maße Arsen, Cadmium, Blei und Quecksilber aufnahmen. Die Stoffe waren nicht nur in Tongeschirr und Glasuren enthalten, sondern auch in Wandfarben (Bleiweiß), Schminken, Salben und sogar Heilmitteln. In den frühen Zeiten der Menschheitsgeschichte wurde aber die Schädlichkeit vieler Giftstoffe gar nicht bemerkt, weil die Gesamtbedrohung des Menschen groß und die Lebenserwartung ohnehin mit 20 bis 30 Jahren gering war. Oft wirken solche Gifte aber erst, wenn sie sich über mehrere Jahrzehnte im Fettgewebe angereichert haben.

Der moderne Mensch mit seiner entsprechend höheren Lebenserwartung kommt dagegen in den vollen "Genuß" seiner angesammelten Giftbelastung, die neben den giftigen Elementen auch noch mit einer Vielzahl an neu entwickelten organischen Molekülen in Wechselwirkung oder Synergie (sich gegenseitig verstärkende Wirkung) treten können.

Nun ist bekannt, daß manche Farben in den Glasuren von Keramikgeschirr durch Schwermetalle wie Blei oder Cadmium zustande kommen. Glaubte man bislang, daß der größte Teil dieser Gifte durch den Sintervorgang beim Brennen praktisch wie in Glas eingeschweißt wird (indem sich ein Film aus geschmolzenem Glas um die Giftstoffe legt), während der Mensch demgegenüber, was darüber hinaus an Giftstoffen entweichen kann, eine gewisse Toleranz entwickelt, so zeigt sich bei genauerer Untersuchung, daß sehr viel mehr Gift aus den Glasuren entweicht, als man allgemein annimmt. So forderte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schon 2005 strengere Richtlinien für Keramikgeschirr:

Beim Kontakt mit Nahrungsmitteln können diese giftigen Stoffe in unterschiedlichem Maße aus der Keramik herausgelöst werden. Welche Mengen an Blei und Cadmium aus der Keramik in die Lebensmittel übergehen, hängt neben der Qualität der Glasur im wesentlichen von der Temperatur ab, mit der die Keramik gebrannt wurde, sowie von der Art des Lebensmittels und der Dauer des Kontakts. Die europäische Richtlinie, welche die Abgabe von Blei und Cadmium aus Keramik regelt, wird derzeit überarbeitet. Aus diesem Anlass hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) die geltenden Höchstmengen überprüft. "Gesundheitsgefährdungen durch extreme Bleiaufnahmen über Lebensmittel, die längere Zeit in bleilässigen Keramikgefäßen aufbewahrt wurden, können auch heute nicht völlig ausgeschlossen werden", sagt BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel.

Selbst bei Einhaltung der geltenden Regelungen können unter bestimmten Umständen Schwermetallmengen aus der Keramik an Lebensmittel abgegeben werden, die insbesondere für Blei als nicht mehr sicher zu bewerten sind. Das BfR empfiehlt deshalb eine Absenkung der gesetzlichen Höchstmengen für die Abgabe von Blei und Cadmium aus Keramikgegenständen. Verbraucher sollten Lebensmittel nicht über längere Zeit in Keramikgefäßen aufbewahren.
(BfR-Presseinformation Nr. 08/2005)

Blei akkumuliert, d.h. es sammelt sich im Körper an, wobei ungefähr 90% des Bleis in die Knochen gelangen, in Form des schwerlöslichen tertiären Bleiphosphats, aus denen es jeder Zeit wieder freigesetzt werden kann. Einbau und Depot verlaufen analog zum Calcium. Das Bleidepot in den Knochen kann jedoch auch 40 bis 90 Jahre überdauern. Alle Einflüsse, die normalerweise zum Knochenabbau führen, mobilisieren schließlich auch Blei: physischer Streß, Acidose, Katabole Steroide, Infektionskrankheiten oder Schwangerschaft (bei Durchschnitts-Mitteleuropäern gelten 0,3µg/ml Blut und 0,03µg/ml Harn als normal). Das entspricht der von der WHO festgelegten Höchstmenge von 3mg Blei pro Woche, die ein Erwachsener unbeschadet überstehen soll (bei Kindern, die wesentlich empfindlicher auf Bleivergiftungen reagieren, ist die Grenze bei höchstens 1mg Blei pro Woche festgesetzt).

Ab 1µg/ml Blut treten gewöhnlich die ersten Vergiftungsanzeichen auf. Die obere Grenze des toxikologisch unbedenklichen Konzentrationsbereichs ist 0,7µg/ml Blut, entsprechend 0,07µg/ml Harn. Bleivergiftungen wirken sich sehr unterschiedlich aus und umfassen Störungen der Blutbildung, Hochdruck, Überaktivität und Schäden im Gehirn. Eine akute Vergiftung macht sich durch Koliken mit stärksten Schmerzen und einer sogenannten Bleiencephalopathie bemerkbar, die mit Obstipation bis Nervenlähmungen einhergehen, und die in 30% der Fälle bei Nichtbehandlung tödlich enden.

Doch auch in geringer Dosis stört Blei den Organismus: Es bindet sich mit Vorliebe an eine Vielzahl verschiedener Moleküle wie Aminosäuren, Hämoglobin, mehrere Enzyme, RNA und DNA, wo es die Stoffwechselvorgänge beeinflußt, indem es zum Beispiel die Biosynthese des Häms beeinträchtigt. Inzwischen gibt es auch eine vierjährige Studie US-amerikanischer Neurologen, mit der sie belegen wollen, daß schon ständige unterschwellige Werte von Blei den Alterungsprozeß (Demenz) beschleunigen. Darin konnten sie auch erstmals nachweisen, daß sich die Schäden durch Blei auch dann noch verschlimmern, wenn der Körper das Blei schon wieder ausscheidet. Bislang war man davon ausgegangen, daß die Giftwirkung dann nachläßt.

Meßwerte ergaben schließlich, daß aus Keramikgefäßen, die einen Bleigehalt aufweisen, der nahe an die erlaubte Grenze für die Abgabe an Lebensmittel heranreicht, bis etwa 4 Milligramm Blei pro Liter (mg/L) ausdiffundieren. Damit würde die Bleiaufnahme - je nach Berechnungsmodell - den von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgeleiteten Wert für die vorläufige tolerierbare wöchentliche Aufnahmemenge (PTWI) von 0,025 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht (mg/kg KG) und Woche zum Teil erheblich überschreiten. Sauer eingelegte oder saure Lebensmittel, die längere Zeit in schwermetalllässigen Keramikgefäßen aufbewahrt werden, können allerdings noch kritischere Bleimengen aus der Glasur ziehen:

Glasuren von Töpferwaren enthielten früher - im Ausland z.T. noch heute gebräuchlich - Bleisilikate, aus denen saure Speisen (Salate, Fruchtsäfte) toxische Bleimengen freisetzen können; [...]
(Schattenblick -> Naturwissenschaften -> Chemie, NEWS/127: Neue toxikologische Befunde - Blei noch giftiger als gedacht, 2004)

Bleivergiftungen durch Fruchtsäfte, die in bleilässigen Keramik- Krügen aufbewahrt wurden, kommen auch heute noch vor.

"Auch wenn davon auszugehen ist, dass derart hohe Überschreitungen weder täglich noch lebenslang vorkommen, handelt es sich um zusätzliche und vor allem vermeidbare Belastungen", so Hensel.
(BfR-Presseinformation Nr. 08/2005)

Ähnliches gilt laut BfR für das Schwermetall Cadmium, wobei dort die Überschreitungen des PTWI von 0,007 mg/kg KG und Woche deutlich niedriger ausfallen. Dennoch gibt es Personengruppen, die schon aufgrund ihrer Verzehrs- und Lebensgewohnheiten den Grenzwert für Cadmium nahezu ausschöpfen. So kommt es beispielsweile in hoher Konzentration im Tabak vor. Außerdem reichert es sich in Pilzen an (hier vor allem in Haut und Lamellen), sowie in Nieren und Leber von Wildtieren. Vor häufigem Verzehr von Wildpilz-, Nieren- oder Lebergerichten ist deshalb heute schon abzuraten. Bei starker Cadmium- Belastung kommt es zu Nierenschäden. Bei Mäusen und Hamstern hat es nachweislich Krebs ausgelöst. Über seine Cancerogenität bei Menschen streiten sich die Experten allerdings immer noch zulasten der potentiell Betroffenen. Doch ist auch noch nicht der Gegenbeweis erbracht.

Cadmium nimmt unter den toxischen Metallen eine Sonderstellung ein. Einerseits sind ionogene Verbindungen des Cadmiums in der Lage, Proteine außerordentlich stark zu denaturieren und dadurch sehr heftige gastrointestinale Symptome zu erzeugen. Andererseits wird Cadmium, wenn es resorbiert ist, außerordentlich stark mittels Bindung an bestimmte Blut und Gewebsproteine durch die Niere verstoffwechselt. Dementsprechend rufen lösliche Cadmiumverbindungen zwei verschiedene Typen von Vergiftungen hervor:

Werden akut toxische Mengen an Cadmiumsalzen mit der Nahrung aufgenommen (beispielsweise über mit Cadmium versehene Kunststoff- Eisbereiter in Kühlschränken, bei denen das Cadmium durch Fruchsäuren herausgelöst wird), so kann dies zu heftigsten Brechdurchfällen führen. Sie sind im allgemeinen aber nicht lebensgefährlich. Eine Resorbtion des Cadmiumions findet dabei kaum statt.

Wirklich bedrohlich ist die Inhalation von Cadmiumoxid(CdO)-Rauch. Dieser entsteht beim Schmelzen von Cadmium, wobei freiwerdender Dampf sofort mit Luftsauerstoff zu dem roten, fein verteilten festen Oxid aufoxidiert wird, ferner beim Schweißen oder Schneidbrennen von cadmiumhaltigen Legierungen. Es entwickelt sich - nach einer Latenzzeit von z.T. mehr als 24 Stunden - ein typisches, toxisches Lungenödem, das schon vielfach tödlich endete. Nachfolgend bildet sich eine schwere Lungenentzündung, die noch nachträglich zur Todesursache werden kann. Dieser Gefahr wären aber bestenfalls Töpfer ausgesetzt, die mit Brennöfen ohne Schadstoffilter arbeiten. Todesfälle durch akute Cadmiumvergiftungen sind jedoch im Vergleich zu anderen Arbeitsunfällen mit Todesfolge höchst selten.

Für die hier beschriebenen Vergiftungserscheinungen sind natürlich sehr viel höhere Dosen notwendig, als durch eine schleichende Vergiftung mit dem ubiquitär vorkommenden Schwermetall bei einer mittleren Verweildauer von 20 bis 30 Jahren im Körper angereichert werden könnten. Gefährlich wird es für den Menschen erst, wenn die in Leber und Niere gespeicherte Cadmiummenge 200 ppm (was etwa 14 Gramm in einem 70 Kilo schweren Menschen entspricht) übersteigt. Bei dieser Menge ist die Kapazität der Nieren erschöpft und es kommt zu Störungen der Reabsorption von Proteinen, Glucose und Aminosäuren bis hin zu Schädigungen des Filtersystems. Doch um solche Konzentrationen im Körper zu sammeln, müßte man schon gezielt Cadmium einnehmen. Mit der normalen Umweltbelastung läßt sich das bisher nicht erreichen, zumal Cadmium vom menschlichen Organismus großteils wieder ausgeschieden wird.

Aber auch bei geringen Dosen, die über einen längeren Zeitraum auf den Menschen einwirken, zeigen sich unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen und neurologische Störungen.

Das BfR warnt daher vor jeder zusätzlichen Aufnahme wie etwa durch die Nutzung von Keramikgeschirr. Das Institut kommt nun zu dem Schluß, daß bei einer Beibehaltung der bisherigen Höchstmengen für den Übergang von Blei und Cadmium aus Keramikgegenständen auf Lebensmittel in Einzelfällen Aufnahmemengen resultieren können, die insbesondere für Blei nicht mehr als sicher anzusehen sind. Nicht vorhersagbar bleibt, für wieviele Menschen diese Kontaminationquelle überhaupt in Frage kommt und wie oft diese auf diesem Weg Schwermetalle aufnehmen. Insbesondere im Hinblick auf die Empfindlichkeit von Kindern empfiehlt das BfR aber, die Höchstwerte für die Abgabe von Blei und Cadmium aus Keramik zu senken.

Kinder sind besonders gefährdet, da der Körper im Entwicklungsstadium noch empfindlicher auf Blei reagiert. Bei ihnen kann eine erhöhte Bleibelastung irreversible Nervenschäden bis hin zu Störungen der Hirnfunktionen verursachen. Chronische Vergiftungen gehen mit Schwächegefühl, Appetitlosigkeit, Nervosität oder Abmagerung einher.

27. März 2009