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RATGEBER/288: Gesunde Ernährung mit Vorbehalt - Rotwein läßt Pilze sprießen (SB)


Gesunde Ernährung mit Vorbehalt

Rotwein läßt Pilze sprießen


Dieser Titel läßt sich wohl kaum mit wirklich gesunder Ernährung oder mit der als "französisches Paradox" bekannten, dem Rotweingenuß zugeschriebenen Wirkung vereinbaren, d.h. seiner vermeintlich positiven Wirkung bei der Prophylaxe von koronaren Herzkrankheiten, Zellalterungsprozessen und sogar Krebs.

Dennoch wollten die US-Forscher seinerzeit durchaus ernst genommen werden, als sie die Diskussion über die gesundheitsfördernde Wirkung durch wohldosierten Rotweingenuß mit weiteren statistischen Daten aus ihren Labors fütterten. Wie sie in der online-Ausgabe der Fachzeitschrift Nature (DOI 10.1038/nature 01960) behaupteten, wollen sie nachgewiesen haben, daß der bisher schon mit vielen Vorschußlobeeren geschmückte Rotweinbestandteil Resveratrol, ein sogenanntes Polyphenol, tatsächlich auch direkt lebensverlängernd wirken kann - zumindest auf Hefepilze. Wie die Süddeutsche Zeitung im August 2003 schrieb, hatte man mit Hilfe dieser allerdings isolierten und somit konzentrierten Substanz die Lebenszeit von Hefepilzen um 70 Prozent verlängern können.

Fast skurril wirkt der angedeutete Wirkungsmechanismus:

Entscheidend sei dabei weniger der bekannte antioxidative Effekt, sondern die Stabilisierung des Erbguts, so die Forscher. Resveratrol wirke dabei ähnlich wie eine kalorienarme Diät, die sich zumindest in Versuchen mit Kaninchen als lebensverlängernd erwies.
(Süddeutsche Zeitung, August 2003)

Daß ein asketisches Leben mit hohem Alter belohnt wird, ist ein zu den alten Legenden zählendes Gerücht, das jedoch immer wieder neue Nahrung bekommt und derzeit voll im Trend liegt. Wird doch tatsächlich tagesaktuell davon gesprochen, es könne durch Verzicht auf Nahrung (vor allem Verzicht auf kalorische, hochwertige Lebensmittel) und durch die daraus gewonnene Schlankheit und Beweglichkeit (sprich: Mobilität zu Fuß oder per Fahrrad) die eigene CO2-Bilanz niedrig gehalten werden, so daß man Übergewichtigen einen Teil der Klimaschuld auflasten kann.

Im Falle des Resveratrols (bzw. des legalisierten, zur Heldentat stilisierten Rotweingenusses) wird der lebensverlängernde "Hungereffekt" etwas komplizierter eingeleitet. Sowohl bei den hungernden Kaninchen als auch bei den Resveratrol-gefütterten Hefezellen sollten sogenannte Sirtuin-Enzyme stimuliert werden, die das Erbgut von Hefezellen stabilisieren könnten. Und ein stabilisiertes Erbgut verlängert offenbar die Lebenszeit. Doch soll man das nun so verstehen, daß Rotweingenuß auch schlank macht oder ersetzt der regelmäßige Rotweintrunk die asketische Lebensweise vollständig? Dürfen Rotweintrinker mollig und gesund das Leben genießen? Und wie verhält sich Resveratrol im Zusammenhang mit krankheitserregenden Hefen oder Pilzen?

Auch die Frage, was hungernde Kaninchen mit alkoholisierten Hefepilzen gemein haben und ob die Sirtuin-Enzyme dieser so verschiedenen Lebewesen überhaupt miteinander vergleichbar sind, bleibt ebenso offen wie ungeklärt und unwissenschaftlich...

Dabei sind auch die früheren Fragestellungen über die vermeintlich lebensverlängernde oder gesundheitsfördernde Wirkung des Rotweingenusses immer noch nicht beantwortet.

Da in südeuropäischen Ländern selbst kleine Kinder zum Mittagstisch Rotwein verdünnt trinken und ansonsten kaum etwas anderes aufgetischt wird, hat man sich auf die Theorie versteift, daß hierin der mögliche Grund für die wesentlich höhere Lebenserwartung der Mittelmeer-Anwohner gegenüber ihren nördlichen Nachbarn besteht.

Auch die antioxidative Wirkung der Polyphenole bzw. ihre Funktion als Radikalenfänger wurde in diesem Zusammenhang schon häufiger diskutiert. Da aber das zellschädigende Radikal nur eine chemische Fiktion ist, die eine Erklärungslücke im unvollständigen Reaktionsmechanismus der Fettoxidation (sprich: Ranzigwerden) schließen soll, wonach es laut Definition nur für Bruchteile von Sekunden auftaucht und sofort wieder zerfällt, also nicht nachweisbar ist, bleibt zweifelhaft, ob überhaupt Sauerstoffradikalen oder sonstigen "radikalen" Umweltchemikalien die zellschädigenden Einflüsse zuzuschreiben sind.

Selbst der allgemein propagierte Gesundbrunnen mäßigen Rotweingenusses ist anderen Untersuchungen zufolge durchaus nicht unproblematisch. Einem Bericht des Internetmagazins Telepolis zufolge, ist beispielsweise nicht nur der chronische Alkoholmißbrauch, sondern auch jede geringe Spur von Alkohol dazu in der Lage, Nervengewebe im Gehirn zu zerstören:

Mit zunehmenden Alkoholkonsum, ..., nimmt auch die Größe der Ventrikel und des Subarachnoidalraums zu. Nehmen diese Bereiche, die mit Flüssigkeit gefüllt sind, zu, so sind die umliegenden Bereiche mit Gehirngewebe geschrumpft und es liegt eine Gehirnatrophie vor. Allerdings gab es keine Unterschiede im Hinblick auf die Zahl der Hirninfarkte und der grauen Zellen.
(telepolis, 7. Dezember 2003)

Bei genauerer Betrachtung sind allerdings die aufgeführten Atrophien von verschwindend geringer Größe, so daß es einfach nur eine Frage der Sichtweise bleibt, bzw. was wissenschaftlich nachgewiesen werden soll.

Ob aber - um allen schädigenden Einflüssen vorzubeugen - der Genuß unvergorener Weintrauben oder die Einnahme einer Tablette mit konzentriertem Wirkstoff den gleichen lebensverlängernden Effekt besitzt wie das gesellige Trinken, bleibt dahingestellt. Abgesehen davon gibt es viele Dinge, die in Frankreich konsequent anders gehandhabt werden, als in den nordischen Nachbarstaaten. Allein der regelmäßige Genuß von Schimmelkäse und Baguette wären wohl durchaus in der Lage, Hefe- wie Körperzellen glücklich zu machen...

21. April 2009