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RATGEBER/293: Schluß mit dem Gerücht, Käse sei nur aus Milch (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT ...

Käse sei nur aus Milch

weitere Schritte zur Surrogat-Ernährung


Immer wieder kommen Mogelpackungen ins Gespräch, bei denen dem Verbraucher statt der erwarteten Lebensmittel gestreckte Ersatzstoffe untergeschoben werden. Angesichts der zunehmend brisanter werdenden Welternährungslage muß statt reiner Geschäftemacherei doch ein ernsterer Hintergrund angenommen werden: Der Konsument soll zunehmend an nährstoffarme, geschmacksanaloge Kunstnahrung gewöhnt werden.

Den ersten Schritt dazu hatten wir unter dem Index RATGEBER/229: Schluß mit dem Gerücht - Kunststoff sei ungenießbar (SB) schon angekündigt:

...denn schon jetzt stehen Verpackungsmaterialien, d.h. Kunststoff- Folien zur Verfügung, die der Verbraucher einfach mitessen soll. Abgesehen davon, daß sich der Konsument keine Gedanken über die Entsorgung von Verpackungen zu machen braucht und seine Pizza einfach mitsamt der Hülle in die Mikrowelle schiebt, und er darüber hinaus einige zusätzliche Kalorien oder verdauungsanregende Ballaststoffe zu sich nimmt, steht gewissermaßen die Frage im Raum, warum denn überhaupt noch echte Lebensmittel in der Packung sein müssen, zumal Pizza und Belag ebenfalls einen hohen Anteil unverdaulicher Kunstprodukte und Nahrungsmittelzusatzstoffe enthalten.
(Schattenblick 9. Januar 2008)

Als einen weiteren Schritt zur allmählichen Entwicklung geschmacks- und formidentischen, analogen Kunstnahrung ohne Nährgehalt, sogenannten Surrogaten, wie sie offensichtlich im Trend zu liegen scheinen, wäre möglicherweise das noch als Kunstkäse, Pseudokäse oder Analogkäse verharmloste Produkt zu verstehen, von dem im vergangenen Monat die Medien berichteten.

Mit dem Kommentar "Wenn Sie wüssten, was sich auf manchen Ihrer überbackenen Brötchen oder auf der Pizza Käse nennt - Sie würden sich wundern..." wurde auf eine Liste von vermeintlich besonders "ekligen" Lebensmitteln, die von der Verbraucherzentrale Hamburg veröffentlicht worden war, aufmerksam gemacht. Das Mogelprodukt mit Ekelkäse zu titulieren, ist allerdings ein Schritt zu weit, denn den um 30 bis 40 Prozent preiswerteren Analogkäse als Streckung des Käseanteils von Pizzen, Lasagnen, Cheesburgern oder Cordon bleus aus dem Tiefkühlregal oder Käsebrötchen vom Bäcker unterzuschieben, kann zwar vom Betroffenen nicht als Fälschung erkannt werden, ist jedoch - da es sich noch um ein offizielles, nicht verdorbenes Lebensmittel handelt - bei entsprechender Beschriftung auch nicht verboten. Ekel kann man allenfalls vor den Praktiken empfinden, mit denen das geschieht.

Tatsächlich existiert keine besondere Kennzeichnungspflicht für die Verwendung von Kunstkäse. Allerdings ist es nach der GMO-Verordnung 1234/2007 der EU, in der unter anderem der Schutz der Bezeichnung der Milch und Milcherzeugnisse bei ihrer Vermarktung geregelt ist, unzulässig, Erzeugnisse, bei denen Milchfett gegen pflanzliches Fett ausgetauscht wurde, mit dem Namenszusatz "Käse" zu bezeichnen. Daher sind eigentlich nicht einmal die Bezeichnungen "Kunstkäse", "Analogkäse" oder "Käseimitat" gestattet.

Ob entsprechende Produkte verwendet wurden, läßt sich allenfalls anhand der Zutatenliste vermuten. Im Handel, besonders im Großhandel, werden Kunstkäse bzw. Mischungen aus Kunstkäse und Käse zum Überbacken unter Fantasiebezeichnungen wie "Pizza-Mix" oder "Gastromix" angeboten.

Findet man also verschleiernde Hinweise wie "Lebensmittelzubereitung mit Pflanzenfett", "Hähnchenschnitten Cordon bleu Art", "Zubereitung mit Käse" u.ä., bei denen man nur ahnen kann, daß es sich nicht allein um reinen Käse handelt, auf der Packung vermerkt, wird eine darin enthaltene minimale Menge echten Käses wahrscheinlich mit sehr viel Imitat gestreckt worden sein. Auch das Wort "überbacken" wird verwendet, um die Bezeichnung "Käseimitat" zu vermeiden. Fehlt die Inhaltsangabe "Käse" ganz, hat man es ziemlich sicher nur mit dem Imitat zu tun.

Verbraucher können den Kunstkäse eigentlich gar nicht erkennen, selbst geschmacklich hat man sich an solche Surrogate schon zu sehr gewöhnt.

Die Verbraucherzentrale Hamburg fordert eine bessere, verpflichtende Kennzeichnung auf Lebensmittelverpackungen, bei loser Ware und in der Gastronomie auf der Speisekarte oder auf Schildern.

Doch was genau verbirgt sich eigentlich hinter diesem Surrogat?

Als Kunstkäse, Analogkäse, Pseudokäse oder Käseimitat bezeichnet man Imitate von Käse, die nicht oder nur zu einem geringen Anteil aus Milch oder Milchprodukten hergestellt werden. Das Milchfett und teilweise sogar das Milcheiweiß werden dabei durch andere tierische oder pflanzliche Fette oder Eiweiße ersetzt. D.h. Kunstkäseprodukte können in ganz unterschiedlicher Qualität vorliegen.

Die Erfindung von Kunstkäse ist auch gar nicht so neu. Schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, parallel zur Entwicklung eines Streichfettes (Margarine), wurde die Suche nach preiswerten Methoden zur Lebensmittelherstellung und -konservierung (für die Sicherstellung der Truppenversorgung) staatlich gefördert und auch entsprechende Kunstprodukte entwickelt.

In den Vereinigten Staaten wurde ein Kunstkäse synthetisiert (und auch bald in Europa) bei dessen Herstellung durch Zentrifugieren gewonnene Magermilch verwendet wurde, die mit flüssigem Rindertalg (Oleomargarin) vermischt und mit Lab dickgelegt wurde. Der so gewonnene Käse war durch den Ersatz des Milchfetts durch den preiswerteren Rindertalg deutlich billiger als herkömmlicher Käse. Gängige Bezeichnungen neben Kunstkäse waren Schmalzkäse, Oleomargarinekäse oder Margarinkäse. Auch hierbei handelte es sich um veränderte Lebensmittel aus normalen, teilweise chemisch aufbereiteten Grundnährstoffen. Ekelerregend wäre dieses spezielle Produkt allerdings für Vegetarier und Veganer, denen damit tierische Fette untergeschoben wurden, die möglicherweise nicht auf den Packungen deklariert waren. Von seiner Definition her könnte eine solche Rezeptur durchaus noch als Käseimitat durchgehen.

Heutige Kunstkäse enthalten allerdings normalerweise keinen Rindertalg mehr. Gemeinhin dienen außer Wasser Milch-, aber auch Soja- oder Bakterienproteine und Pflanzenöle wie Palmöl als Grundstoffe. Wobei die Qualität bzw. die Herstellung dieser Ausgangsstoffe durchaus variieren kann.

Gestreckt bzw. stabilisiert wird diese Mischung teilweise noch durch Stärke. Weitere Zutaten sind Emulgatoren, Aroma- und Farbstoffe, Salz und Geschmacksverstärker, um Geschmack und Aussehen an Vorbilder wie Parmesan, Emmentaler, Mozzarella, Feta oder Camembert anzunähern und sein Schmelzverhalten zu verbessern.

Im wesentlichen werden trockene Fertigmischungen hergestellt, die in das erwärmte Pflanzenfett gerührt werden müssen. Das ganze wird erhitzt und wieder abgekühlt. Erst in der Kühlphase kommt das empfindliche Aromakonzentrat dazu. Dann wird das fertige Produkt verpackt und gekühlt. Da kein Reifungsprozeß notwendig ist, läßt sich die Produktionsdauer gegenüber echtem Käse stark verkürzen.

Je nach Rezeptur können das Schmelzverhalten oder die Hitzebeständigkeit (bis zu 400 Grad Celsius) an die Erfordernisse für die Weiterverarbeitung angepaßt werden. Auf diese Weise hat man es mit einem industriellen Lebensmitteldesignprodukt zu tun, in dem sich bei entsprechender Analyse auch chemische Begleitstoffe oder sogar Schadstoffe aus dem Herstellungsprozeß (Abrieb von Katalysatoren ect.) anfinden würden. Aber "Bio-" oder Reformhausqualität wird von solchen Billignahrungsmitteln gemeinhin auch nicht erwartet.

Die Produktionsmenge von Kunstkäse wird für Deutschland auf jährlich 100.000 Tonnen geschätzt. Die größte Menge davon würde in andere Länder exportiert. Amtliche Untersuchungen in Gaststätten und Bäckereien ergaben aber in rund 20 bis 30 Prozent der Fälle, daß Kunstkäse als Zutat verwendet wurde, den man rechtswidrig sogar als echten Käse deklariert hatte. Der eigentliche Trend besteht jedoch darin, bei preiswerten, käsehaltigen Lebensmitteln einen hohen Prozentsatz des verwendeten Käses mit dem Billigprodukt zu ersetzen.

Da auch durch entsprechende Lebensmittelchemie das Schmelzverhalten und die Konsistenz im Mund so beeinflußt werden kann, daß sie allen Erwartungen genügen und auch den verwöhnten Gaumen befriedigen, wird mit den Surrogaten durchaus der Eindruck erweckt, daß Milch verwendet wurde.

Die Forderung in dem von der Union beantragten Bericht der Bundesregierung im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und speziell von dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, Peter Bleser MdB, und der Verbraucherschutzbeauftragten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Julia Klöckner MdB, am 22. April 2009,

Wir fordern die Unternehmen der Lebensmittelindustrie und der Gastronomie auf, den zunehmenden Einsatz von Kunstkäse in Pizzen, Aufläufen oder Käsebrötchen zu beenden und zur traditionellen Zutat Käse aus Milch zurückzukehren. Damit könnten sie einen Beitrag zur Erhaltung einer leistungsfähigen heimischen Milchwirtschaft leisten.
(pressrelations, 22. April 2009)

soll nur verschleiern, daß überhaupt nicht mehr genügend Milch für die ausreichende Produktion von "echtem" Käse zur Verfügung steht. So wird in der gleichen Pressemitteilung unter anderem auch auf die aktuelle Misere im Milchsektor hingewiesen, die viele Lebensmittelproduzenten dazu zwingt, die Milch in ihren Rezepturen durch entsprechende Surrogate zu ersetzen.

So gibt es inzwischen sogar schon verschiedene Luxuslebensmittel wie Eiscreme, in denen auf Milch verzichtet werden muß. Hauptsache doch, der Gaumen wird chemisch getäuscht.

4. Mai 2009