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RATGEBER/299: Mit Aspirin zu Blumen sprechen - viel Lärm um nichts (SB)


VON APFELESSIG BIS ZITRONE

Bewährte Alltagschemie einfach erklärt

Schnittblumenbalsam Aspirin


Immer wieder wird Aspirin als Geheimtip und Zusatz für das Blumenwasser empfohlen, um das Leben von Schnittpflanzen zu verlängern.

In einem einfachen Versuch läßt sich die Behauptung überprüfen. Nehmen sie mehrere gleich große Blumenvasen oder Marmeladengläser, füllen sie diese mit Leitungswasser und stellen sie jeweils nur eine einzelne frisch angeschnittene Blume hinein. Das sieht zwar nicht so hübsch aus wie ein Strauß, befriedigt dafür aber den wissenschaftlichen Forschungsdrang.

Im ersten Glas bleibt als Kontrollversuch einfaches Wasser, im zweiten Glas lösen Sie zusätzlich eine halbe Aspirin-Tablette in dem Wasser auf, im nächsten eine ganze, dann zwei, fünf oder zehn, je nachdem, wie genau Sie arbeiten wollen. Günstig ist es auch, jeweils, um eine nachvollziehbare Konzentration zu gewährleisten, die gleiche Wassermenge genau abzumessen, beispielsweise 300 ml. Diese sollte dann auch täglich ergänzt werden, damit die Pflanzen nicht im Trockenen stehen, denn dann müßte wohl selbst Aspirin versagen.

Mit dieser Bandbreite können Sie nun die Wirkungen der verschiedenen Aspirinkonzentrationen genaustens prüfen: einfach die Tage zählen, bis die Blumen die Farbe verlieren und welken! Soviel sei verraten: Die Pflanzen reagieren auf Aspirin dankbarer als so mancher Mensch, dem es den Kopfschmerz nehmen soll.

Das ist nun eigentlich kein Wunder, denn Aspirin wurde Ende des 19. Jahrhunderts von dem deutschen Chemiker Felix Hoffmann, einem Mitarbeiter der späteren Bayer AG, hergestellt, und zwar als geringfügige Abänderung eines reinen Pflanzenstoffs, der u.a. in der Weidenrinde (Salix) vorkommt. Der Name, Salicylsäure, leitet sich ebenfalls davon ab. Genaugenommen handelt es sich bei Aspirin um den Essigester dieser Salicylsäure, Acetylsalicylsäure, heute oft verkürzt ASS genannt.

Schon vor Jahrhunderten kauten Menschen Weidenrinde (Salix), um mit der darin enthaltenen Salicylsäure ihre Kopfschmerzen zu lindern. In der neuen Welt sollen sich die Indianer, wenn sie unter Kopfschmerzen litten, einen Brei aus Weidenrinde auf die Stirn gestrichen haben. Ob für diese kopfhautentspannende, äußerlich angewendete Breipackung die chemischen Inhaltsstoffe der Pflanze überhaupt maßgeblich waren, oder es nur die Geschichtsschreibung so sehen will, sei dahingestellt. Zum einen würde dieses Bild die heute gängige Theorie, daß Aspirin beim Menschen den Schmerz stillt, indem es bestimmte schmerzauslösende Hormone (Prostaglandine) abfängt, durchaus in Frage stellen. Zum andern wird daraus nicht klar, welche Funktion Salicylsäure in der Pflanze selbst hat. Das läßt sich auch nicht so leicht herausfinden, weil dazu schon bestimmte vorgefertigte Ideen bestehen, die die Forscher eigentlich nur bestätigt haben wollen.

Das als Salicyl in der Apotheke erhältliche Pulver kauften unsere Großmütter lange Zeit zu einem ganz anderen Zweck, um nämlich selbst eingemachte Marmeladen oder Obstkonserven zusätzlich vor Schimmel und ähnlichen mikrobiologischen Verderbern zu schützen. Es wirkt dabei ähnlich wie Alkohol auf die Zellwände der Mikroorganismen, die anschließend der Austrocknung preisgegeben sind und absterben.

Die Weidensäure findet man durchaus auch in anderen Pflanzenarten, allerdings in sehr viel kleineren Mengen. Dort sollen sie u.a. ebenfalls eine - wenn auch geringe - Schutzfunktion gegen mikrobielle Parasiten entfalten. Nach der derzeit vorherrschenden Überzeugung vieler Biologen ist die Wirkung jedoch nicht direkt, sondern ein Bestandteil des noch unerforschten und äußerst komplizierten Kommunikationssystems von Bäumen, Sträuchern und Kräutern, die in irgendeiner Form Signale austauschen sollen.

So nannte Dr. Jürgen Wildt vom Institut für die Chemie der Belasteten Atmosphäre (ICG-2) des Forschungszentrums Jülich in der Heftreihe "Forschen in Jülich, Nr. 1, 1. Juni 1997" zum Thema Pflanzenkommunikation das folgende Beispiel:

"Ein bekannter Fall ist die Produktion von Abwehrstoffen gegen Raupenfraß." Befallene Eichen etwa produzieren solche Stoffe, ebenso gesunde Nachbarbäume in Windrichtung. Bäume auf der windabgewandten Seite bilden diese Substanzen dagegen nicht. Womit ein Informationsfluß in der Pflanzenwelt schon fast bewiesen wäre." (Archiv Schattenblick 2000, NATURWISSENSCHAFTEN\BIOLOGIE "FORSCHUNG/25: Pflanzen haben was zu sagen
(FJ)")

Pflanzen sollen sich, so wird hier unverblümt behauptet, kurz gesagt über Signalstoffe in der Luft gegenseitig vor einfallenden Schädlingen und Parasiten warnen?

Welcher Hobbygärtner oder Zimmerpflanzenliebhaber jedoch die Hoffnung hegt, mit seiner Yucca-Palme, seinem Kaktus oder Alpenveilchen eines Tages in eine Art kommunikativen Austausch zu treten (vielleicht, indem er sie mit einer Prise Aspirin zum Lächeln bringt), der braucht zur Übersetzung der vermeintlichen Pflanzensprache eine ausgefeilte chemische Analytik:

Ethen, Isopren, Monoterpene, Sesquiterpene und Alkohole, Methylsalicylat und Jasmonat sowie viele andere zum Teil noch unbekannte Verbindungen sollen nämlich die Buchstaben und Wörter dieser Pflanzensprache bilden. Allerdings gibt es dafür noch kein Wörterbuch.


Mit Pflanzen sprechen durch Aspirin?

Nimmt man die Forscher ernst, dann ist alles, was sie bisher über den Ausdruck "Salicyl" gefunden haben, eine mögliche Aktivierung der natürlichen Abwehr gegen Mikroorganismen auf bisher ungeklärtem Weg. Auch mit synthetisch hergestelltem Aspirin soll das möglich sein.

Auf der Suche nach natürlichen Botenstoffen stießen amerikanische Wissenschaftler Ende der 80er Jahre bei Untersuchungen an Tabakpflanzen ebenfalls auf die Salicylsäure: In mit dem Tabakmosaikvirus infizierten Pflanzen stieg die Konzentration der Salicylsäure fast um das Fünffache, noch bevor irgendein Anzeichen einer Infektion entdeckt wurde. Dieser Anstieg soll wie ein Alarmsignal gewirkt und im Endeffekt bewirkt haben, daß rund um die befallene Stelle das Pflanzengewebe regelrecht abstarb. Indem Gewebe vertrocknet, kann sich der auf Feuchtigkeit angewiesene Erreger darauf nicht weiter ausbreiten.

Um dem Prozeß, den man wie die konservierende Wirkung der Salicylsäure über seine dehydrierende Wirkung erklären könnte, noch einen etwas spektakuläreren und demzufolge wissenschaftlich-komplizierten Anstrich zu verleihen, erklärten die Forscher, daß der Vertrocknungsprozeß in weiter entfernten Zellen eine Art Immunreaktion auslösen würde: Eine ganze Kaskade von verschiedenen Eiweißstoffen würde produziert und zersetze dann die Zellwände der von den Viren befallenen Pflanzenzellen.

Salicylsäure käme dabei indirekt eine Schlüsselfunktion zu. Als Botenstoff oder Vermittler wäre sie quasi der Auslöser der Mobilmachung. Damit stand für die Forscher fest, daß Salicylsäure als natürliches Hormon in Pflanzen vorkommt und seine gentechnische Vermehrung nützlich sein könnte.

Zur gleichen Zeit kam man in den Labors des Pharmaherstellers Ciba- Geigy in Basel zu ähnlich hergeholten Schlußfolgerungen: Die dortigen Wissenschaftler identifizierten ebenfalls Salicylsäure als Botenstoff, der in pilzinfizierten Kürbisgewächsen eine Resistenz hervorrufen sollte. Nun werden in einem großangelegten Feldversuch tatsächlich infizierte Feldfrüchte mit Aspirin besprüht, um ihr Immunsystem zu aktivieren.

Allerdings bleibt die Frage, wie äußerlich applizierte Salicylsäure biochemische Prozesse im Innern der Pflanze auslösen soll, genauso ungeklärt, wie die eingangs gestellte Beobachtung einer erhöhten Überlebensfähigkeit von Pflanzen oder Schnittblumen. Letzteres läßt sich weder über die Immunabwehr noch über Austrocknungsprozesse erklären.

Doch wie immer, wenn in vielversprechenden, einleitenden Erklärungsmodellen plötzlich ein unlogisches Element entdeckt wird - haben die Biochemiker sogleich etwas zur Hand, das die Lücke zwar nicht ganz paßgerecht ausfüllt, aber doch entfernt damit zu tun zu haben scheint, so daß zumindest der Eindruck erweckt wird, man hätte - rein wissenschaftlich gesehen - noch alles im Griff.

In diesem Falle ist es die Jasmonsäure. Diese ist ebenfalls in allen Pflanzen zu finden und hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Prostaglandinen. Auch Jasmonsäure bzw. ein chemischer Verwandter, das sogenannte Methyljasmonat, soll die Abwehr einer Pflanze gegen Insekten oder Krankheitserreger auslösen, indem sie beispielsweise in Tabakpflanzen die Produktion von Nikotin anregt. Nikotin ist ein für Insekten giftiges Alkaloid und wirkt als Fraßschutz. Wird eine Tabakpflanze von Raupen befallen, soll ihr Nikotingehalt auf 220 Prozent ansteigen.

Die beiden Befunde (Salicyl und Methyljasmonat als Fraßschutzauslöser in der Tabakpflanze) haben nichts miteinander zu tun, aber über die vermeintliche Ähnlichkeit von Jasmonsäure und Prostaglandinen wird von den Wissenschaftlern gewissermaßen eine Beziehung nahegelegt, um die scheinbar lückenlose Illusion perfekt zu machen.

Das ist viel Lärm um nichts. Bleibt doch die Funktion von Salicylsäure in Pflanzen nach wie vor ungeklärt. Aber mal Hand aufs Herz: Was weiß man eigentlich wirklich genau von der schmerzlindernden Wirkung des Aspirin im menschlichen Organismus?

Erstveröffentlichung 2000
neue, aktualisierte Fassung

7. August 2009