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RATGEBER/306: Schluß mit dem Gerücht - Xylitol mache schlank (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT

der Zuckeraustauschstoff Xylitol habe keine Kalorien...


Daß Zuckeraustauschstoffe, wie der Name impliziert, in ähnlichen Mengen wie Zucker verwendet werden, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen, ist allgemein bekannt. Süßwaren, die einen Zuckerausstauschstoff enthalten, tragen allerdings häufig die für den Verbraucher doch manchmal sehr verwirrende Aufschrift: "enthält keinen Zucker" und dies kann besonders für Diabetiker gefährlich werden, wenn die Deklaration damit verwechselt wird, daß das Produkt statt dessen wohl einen für den menschlichen Organismus nicht verwertbaren Süßstoff enthält, der nicht zu einem erhöhten Glucose- bzw. Blutzuckerspiegel führt.

Doch das ist nicht unbedingt der Fall: Zu den Zuckeraustauschstoffen werden nämlich u.a. auch Einfachzucker wie Fructose, Glucose (!) und Galactose und Disaccharide wie Maltose (Malzzucker, der sich aus zwei Glucose-Molekülen zusammensetzt) und Lactose (Milchzucker, der sich aus Glucose und Galactose zusammensetzt) gezählt, die in jedem Fall wie die als Haushaltszucker (Rohr- oder Rübenzucker) bekannte Saccharose (Disaccharid aus Glucose und Fructose) vom Stoffwechsel mit Hilfe von Insulin abgebaut und verarbeitet werden und dabei teilweise sogar in die vom Organismus bevorzugte Glucose umgebaut werden. Es ist daher wichtig, trotz des irreführenden Hinweises "enthält keinen Zucker" immer die Hinweise zur näheren Zusammensetzung zu beachten.

Statt der oben aufgeführten Zuckeraustauschstoffe finden sich aber in letzter Zeit immer häufiger synthetische Substanzen, die vom Namen her nicht mehr an Zucker erinnern und somit noch leichter mit Süßstoff zu verwechseln sind: Hierzu zählen vor allem Sorbitol, Xylitol oder Erythritol, die häufig auch als Sorbit, Xylit oder Erythrit abgekürzt werden. Bei diesen süß schmeckenden Zuckeraustauschstoffen handelt es sich aber keinesfalls um Süßstoffe ohne Kalorien und Brennwert, sondern um Kohlehydrate. An den chemischen Grundgerüsten kann man das leicht erkennen, denn sie sind alle ganz nahe mit dem ebenfalls süßschmeckenden Glycerin verwandt, stellen vier bis sechswertige Alkohole dar und setzen sich alle aus Kohlenstoffkettengliedern und Wasser (H2O bzw. HOH) zusammen, wovon sich auch der Begriff "Kohlehydrat" ableitet.

H2OCH-CHOH-CH2OH, Glycerin
(Summenformel: C3H8O3)

Glycerin oder chemisch: Propan-1,2,3-triol, ist eine klare, farblose, ölige Flüssigkeit, die als Nebenprodukt bei der Seifenherstellung entsteht, wenn die Fette in Fettsäuren und Glycerin gespalten werden.

H2OCH-CHOH-CHOH-CH2OH, Erythritol
(Summenformel: C4H10O4)

1,2,3,4-Butantetrol, kommt in der Natur in Protocaccus vulgaris und anderen Flechten vor.

H2OCH-CHOH-CHOH-CHOH-CH2OH, Xylitol
(Summenformel: C5H12O5)

eine weiße, kristalline, süßschmeckende und sehr gut wasserlösliche Substanz. In einem Liter Wasser lösen sich 1,6 Kilogramm Xylit.

H2OCH-CHOH-CHOH-CHOH-CHOH-CH2OH, Sorbitol
(Summenformel: C6H14O6)

wird in Kosmetika, Zahncremes, Süßwaren, als Stabilisator für Kunstharze und technisch als Verdickungsmittel, Emulgator und Antiklumpmittel verwendet.

Wie Glycerin wirken alle Zuckeralkohole durch eine Reizung der Darmschleimhaut abführend (und zwar umso stärker je mehr OH-Gruppen im Molekül enthalten sind), was möglicherweise ebenfalls das Gerücht, man könne mit Xylit und Sorbit abnehmen, unterstützt. Abführmittel werden ja oft irreführend auch als Entschlackungsmittel bezeichnet. Der entleerte Darm täuscht einen flacheren Bauch vor und Hungerkünstlern einen positiven Effekt ihrer Bemühungen...

Eine regelmäßige Zufuhr leichter Abführmittel führt jedoch schon zu einer gewissen Gewöhnung, bis man sich ohne Zufuhr von Xylitol oder Sorbitol erst recht aufgeschwemmt und unförmig vorkommt, weil die Verdauung nicht mehr ohne Hilfsmittel und Unterstützung funktioniert.

Die am häufigsten als Zuckeraustauschstoff verwendeten Kohlenhydrate Xylit und Sorbit sind somit Träger sogenannter "leerer Kalorien", d.h. außer dem immanenten Brennwert enthalten sie keinen weiteren Stoff, der für eine ausgewogene Ernährung unverzichtbar wäre, also keine Proteine, Vitamine oder Mineralstoffe. Sie schmecken süß und machen dick, mehr nicht!

Xylitol ist dabei derjenige Zuckeraustauschstoff, dessen Eigenschaften an die von Zucker am nächsten herankommen. Seine Süßkraft entspricht etwa 1:1 der von gewöhnlichem Haushaltszucker, was seine Verwendung in Rezepten u. dgl. vereinfacht. Er wird derzeit am meisten in Süßwaren und Zahnpflegemitteln verwendet.

Man fragt sich allerdings, wie es kommen kann, daß Xylitol, der erst vor über einem Jahrhundert von Emil Fischer und seinen Mitarbeitern entdeckt wurde, je mit einem Diätetikum zum Kaloriensparen verwechselt werden konnte. Die Kennzeichnung "kein Zucker" bezieht sich letztlich darauf, daß Plaque-Bakterien der Mundflora Xylitol im Gegensatz zu anderen Zuckern nicht abbauen können. Das bedeutet, daß nach dem Genuß von Xylitol keine zahnschädigenden Säuren entstehen. Mehr noch unterstützt Xylitol möglicherweise aktiv die Kariesvorbeugung, indem es verhindert, daß die schädlichen Bakterien sich am Zahnschmelz festsetzen oder einnisten können.

Diese positive zahnschonende Wirkung wurde erstmals in Finnland auf breiter Basis durch Reihenuntersuchungen von Schulkindern von 1982 bis 1984 beobachtet und auch eine Kontrolluntersuchung der ehemaligen Probanden 1987 hatte einen nachhaltigen Effekt von nur halb soviel Kariesfällen bei jener Gruppe von Schülern gezeigt, die dreimal täglich ein Xylitkaugummi kauten, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die eine ganz normale Kindheit genießen durften. Derartige Untersuchungen lassen sich allerdings schnell anfechten, weil ein Zufallsergebnis nie ausgeschlossen werden kann und immer der Verdacht bleibt, die Ergebnisse könnten zugunsten des gewünschten Erfolges manipuliert worden sein, indem junge Probanden mit ohnehin guten Zahnvoraussetzungen und wenig Kariesneigung für die Gruppe der Xylitkaugummikauer ausgewählt wurden und vice versa.

Kurzum, gerade Finnland, ein Land mit ausgedehnten Birkenwäldern, ist für den größten Teil der Weltproduktion an Xylit verantwortlich und hat daher auch ein großes Interesse an einem positiven Image seines Produkts. Der alte Name für Xylitol, Birkenzucker, weist auf seine Herkunft hin. Es wird in einem langwierigen und aufwendigen Prozeß mit Wasser aus Birkenholz extrahiert und zwar im wesentlichen aus dem Holzbestandteil Xylose. Zwar kann Xylose leichter als Cellulose extrahiert werden, doch die anschließende Umsetzung zu Xylitol erfordert etliche Syntheseschritte, was das Verfahren kostspielig werden läßt. Das Fertigprodukt ist daher auch wesentlich teuerer als gewöhnlicher Zucker, weshalb es nicht für Produkte geeignet ist, in denen größere Mengen Zucker benötigt werden. Es bleibt daher für spezielle Anwendungen wie eben Zahnpflegekaugummis, Lutschbonbons oder Arzneitabletten, die schon im Mund zergehen müssen, vorbehalten.

Es gibt allerdings nicht nur Gutes über Xylit zu berichten. Abgesehen davon, daß es nicht für Diäten geeignet ist, wurde immer wieder Kritik laut, weil es in den siebziger Jahren bei Ratten (die ja bekanntlich eine Menge Gift vertragen können) eine Reihe von Krankheitssymptomen hervorgerufen hatte. Wie sich später herausstellte, waren die zum Test verfütterten Mengen allerdings extrem groß gewesen. Dies und die oben beschriebenen positiven Ergebnisse als probates Mittel gegen gefürchtete Zahnschäden konnten Xylit jedoch vor dem Entzug der Zulassung bewahren.

Tatsächlich gäbe es in der oben dargestellten Reihe von süßschmeckenden Mehrfachalkoholen durchaus einen, der auch als Diätetikum in Frage käme und bei dem zu Recht die Aufschrift "enthält keinen Zucker" mit dem Versprechen, Kalorien einzusparen, verbunden werden könnte. Die Rede ist von Erythritol, dem Vierfachalkohol, der schon heute in vielen Früchten, fermentierten Speisen und Sojasauce enthalten ist. Er hat zwar nur 75% der Süßkraft von gewöhnlichem Zucker, dafür aber für den menschlichen Organismus keine verwertbaren Kalorien und ist darüber hinaus ebenfalls vollkommen unschädlich für die Zähne. Er hat nur einen wesentlichen Nachteil: Er ist noch um einiges teurer als Xylit. Zwar wurde er bereits im Jahr 1874 entdeckt, doch sein Herstellungsverfahren, bei dem Glucose mit Hilfe von Hefestämmen fermentiert und umgewandelt wird, liefert nur eine sehr kleine und somit völlig unwirtschaftliche Ausbeute. An alternativen Verfahren wird derzeit in Japan gearbeitet.

Bis dahin muß jeder, der wirklich Kalorien sparen will, aber nicht auf Süßes verzichten will, nicht nur den Haushaltszucker meiden, sondern auch alle anderen Zuckeraustauschstoffe!

Erstveröffentlichung 2002
neue, aktualisierte Fassung

30. September 2009