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RATGEBER/314: Trojanisches Pferd - gentechnisch erzeugte Pflanzenpigmente (SB)


VON APFELESSIG BIS ZITRONE

Bewährte Alltagschemie einfach erklärt


Invasion von Fremd-DNA durch "naturidentische" Farbstoffe

Rot ist bekanntlich eine Signalfarbe und wird international verständlich für Verbots- und Warnhinweise verwendet. Aber auch Gelb ist eine Farbe, die Gesundheitsgefährdung anzeigt. Das attraktive, sonnige Orange aber wird gemeinhin als harmlos empfunden; doch kann sich hinter dieser vermeintlich ungefährlichen, natürlich vorkommenden Lebensmittelfarbe für Käse, Kosmetika, Bonbons, Eis oder andere Süßspeisen mit diesem Farbton, der einem bisher wohl eher das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, ein neues gentechnisch hergestelltes Produkt verstecken.

Der von der Lebensmittelindustrie als unschädlich deklarierte Carotinabkömmling Bixin (E 160b), der bisher aus den Samen der südamerikanischen Oleanderpflanze Annatto (Bixa Orellana L) gewonnen und in Salben und Lebensmitteln verwendet wurde, kann durchaus schon in Bioreaktoren mit gentechnisch manipulierten Mikroorganismen gewonnen werden. Auf diese Weise würden die Produkte, denen er zugemengt wird, ohne Wissen der Verbraucher mit Fremd-DNA verunreinigt.

Nachdem das Wissenschaftsmagazin Science (Band 300, Seite 2089, 2003) davon 2003 berichtete, machte die gentechnische Errungenschaft, für die sich Forscher aus Frankreich und der Elfenbeinküste verantwortlich zeichnen, seine Runde in den Medien. Sie hatten den genetischen Bauplan für Bixin entdeckt und das Pigment zunächst mit Hilfe von Escherichia coli-Bakterien produziert.

Sie fanden heraus, dass das Carotinoid Lycopin - der Stoff, der Tomaten rot macht - den Vorläufer zu Bixin bildet und in drei Schritten in dieses umgewandelt wird. Sie brachten die Bakterien dazu, Bixin herzustellen, indem sie einen E. coli-Stamm, der bereits gentechnisch manipuliert war, um Lycopin zu produzieren, nochmals veränderten.
(Süddeutsche Zeitung, 1. Juli 2003)

Florence Bouvier von der Universität Louis Pasteur in Paris und ihre Kollegen hatten im Orleander drei Gene identifiziert, mit deren Proteinen der Vorläufer Lycopin in Bixin umgewandelt wird. Die biotechnische Umsetzung der Produktion mit Reaktoren, in denen dann entsprechende bixinproduzierende Bakterien gezüchtet werden könnten, gehört inzwischen schon zu den Standardmethoden, um beispielsweise pharmazeutische Wirkstoffe herzustellen. So ließe sich auf sehr viel einfacherem und kostengünstigem Weg der orangerote Farbstoff in großen Mengen hierzulande aus der Retorte produzieren und müßte nicht aus tropischen Ländern eingeführt werden. Allerdings lassen sich dabei genetische Verunreinigungen aus Tomaten, Viren sowie Escherichia coli nicht vermeiden.

In wieweit solche Verunreinigungen harmlos oder schädlich sind, kann sich erst beim Versuch erweisen. Was Genfood- und Biotechnikgegner jedoch u.a. befürchten, den unkontrollierten Austritt von genmanipulierten Mikroorganismen aus dem Bioreaktor in die Umwelt, wird wohl kaum unbemerkt bleiben: Austretende Bakterienkolonien würden unübersehbare, orangerote Spuren hinterlassen, wären also somit leicht wieder einzufangen.

Doch es soll nicht bei Bakterien, die von vielen Verbrauchern als unästhetisch empfunden werden, bleiben: Spätestens 2005 wollten die Wissenschaftler ebenfalls transgene und Bixin produzierende Tomaten vorweisen können.

Die Tomate bietet sich nach Ansicht der ForscherInnen an, da sie das Lykopin herstellt und anreichert. (Berliner Zeitung, 27.06.03).

"Damit würde man einen Stoff, der bisher schwer zu kriegen war, überall herstellen können", sagte Gerd Jürgens vom Tübinger Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen.
(Süddeutsche Zeitung, 1. Juli 2003)

Tatsächlich findet man heutzutage beinahe auf jeder Käsepackung den Zusatzstoff E106b oder auch den Pflanzenstoffnamen "Annatto" bzw. "Bixin". Ob der Farbstoff aber natürlichen Ursprungs ist oder nur naturidentisch aus entsprechenden Reaktoren oder gentechnisch manipulierten Pflanzen gewonnen wurde, ließe sich analytisch nicht so leicht erkennen, selbst wenn es für diese Fälle von hochgereinigten Zusatzstoffen aus geschlossenen Systemen eine Kennzeichnungspflicht gäbe.

Derzeit müssen tierische Lebensmittel wie Milch, Eier oder Fleisch nicht gekennzeichnet werden, wenn die Tiere gentechnisch verändertes Futter erhalten haben. Das gilt auch für Zusatzstoffe, Vitamine oder Enzyme, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in geschlossenen Systemen produziert werden. Lebensmittel, die solche Zusatzstoffe enthalten, dürfen sogar die neue, von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner entworfene Kennzeichnung "ohne Gentechnik" tragen. Anders gesagt, derart gekennzeichnete Lebensmittel können noch eine Menge Gentechnik enthalten.

Zugelassen ist der Farbstoff für Schmelzkäse, Schmelzkäsezubereitungen, Snacks wie Erdnüsse, Nüsse, Kartoffeln, Getreide und Getreideprodukte oder auch in Desserts, Likören und Backwaren, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Darüber hinaus kommt die Farbe Orange in orangeroten Eidottern, Paprika, Currygewürzen, Cremetörtchen, Marmeladen uvm. ausgesprochen gut beim Verbraucher an, zumal es farblich an gesunde Möhrchen erinnert, was die damit eingefärbten Produkte zusätzlich aufzuwerten scheint.

Da es sich sicher nicht um einen Einzelfall handelt, müssen die Verbraucher in der industrialisierten Welt damit rechnen, daß Lebensmittel zunehmend mit solchen durch Gentechnik erzeugten preiswerteren Zusatzstoffen befrachtet werden, die anders schwer zu beschaffen sind.

Umdenken ist erforderlich: Galt bisher ein bunter Salat als besonders vitaminreich und unverfälschte Farben als Zeichen geringer Garzeiten und besonderer Frische, heißt es in Zukunft: Vorsicht Farbe! bzw. Vorsicht Gentechnik!

Ein farbloser, aber naturbelassener Haferbrei bekommt auf diese Weise einen ganz neuen Stellenwert.

Erstveröffentlichung 2004
neue, aktualisierte Fassung

5. Februar 2010