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RATGEBER/325: Schluß mit dem Gerücht, daß Schokolade bei Husten hilft (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT

daß Schokolade den Hustenreiz stillt


Alle Jahre wieder, kurz vor den Festtagen, sammeln sich die seltsamsten, meist sehr kurzlebigen Gerüchte über Schokolade in den Medien, die dem wohl populärsten Konsumartikel dieser Saison neuen Aufschwung verleihen, den potentiellen Verbrauchern dabei ein reines Gewissen vermitteln und jene hochgezüchteten Gewissensbisse vertreiben sollen, die solchen leckermäuligen Eskapaden gemeinhin die den Bodymass-Index entgleisen lassenden Kalorien, den herzschädigenden Kakaobuttergehalt, den zahnschädigenden Kristallzuckeranteil oder andere diätetischen Unzulänglichkeiten samt Normwerten vorhalten...

Von ihrer wohltuenden Wirkung gegen den "Winterblues", den darin enthaltenen, auf vielfache Weise (z.B. gegen jedwede Alterseinerscheinungen) wirkenden Antioxidantien oder auch nur den darin enthaltenen essentiellen Mineralstoffen und Vitaminen einmal abgesehen, gipfelte der Anspruch pharmazeutischer Verwertbarkeit des Kakao vor wenigen Jahren in einer kleinen, aber durchaus wissenschaftlich fundierten Meldung (u.a. durch den Pressedienstes ddp, 23. November 2004 (online) vermittelt), Schokolade könne aufgrund ihrer Wirkstoffe tatsächlich den Hustenreiz lindern. Angesichts des gesundheitspolitischen, krankenkassenschonenden Kostenersparnis-Trends, der den modernen Patienten zu Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit erziehen und jedwede "Initiative motivieren" soll, hat dies vielleicht bei einigen zu der Schlußfolgerung geführt, mit ausreichend Schokolade im Schrank sei man gut gegen Erkältungskrankheiten gerüstet.

Doch mal nachgefragt: Schokolade als Hustenmittel? Wer spürt denn schon, Hand aufs Herz, bei einer ausgewachsenen Erkältung ein Nachlassen des Hustenreizes, sobald er ein Stück Schokolade zu sich nimmt? Spätestens, wer sich schon mal an den frisch zermalenen Nußstückchen feinster Haselnußschokolade bei einer plötzlich einsetzenden Hustenattacke verschluckt hat, wird bei Erkältungen und grippalen Infekten einen großen Bogen um den vermeintlich zarten Schokoschmelz machen. Zumal im verschnupften, hustenverschleimten Zustand gar kein rechter Sinn nach Schokolade aufkommen will. Denn der im Munde zergehende, genußvolle Trost will sich nicht so schnell einstellen, wenn die organoleptischen Sinne (Geschmack und Geruch) durch Viren oder Bakterien lahmgelegt sind.

Kurzum sollte eigentlich jeder Mensch aus eigener Erfahrung beurteilen können, was in einer solchen Situation gut für ihn ist. Nur scheint der gesunde Menschenverstand manchmal auszusetzen, wenn es um wissenschaftliche Erkenntnisse geht. So hieß es in der besagten Pressemitteilung seinerzeit, ein bestimmter Bestandteil der Schokolade helfe sehr wirkungsvoll gegen Reizhusten...

Gemeint ist das Theobromin, ein chemischer Verwandter des Coffeins, der in Kakao in so großer Menge vertreten ist, daß er seinen Namen von dem botanischen Namen des Kakaobaumes, Theobroma cacao ableitet. Theobroma wird mit "Götterspeise" übersetzt, was mit Sicherheit nicht auf das Theobromin zutrifft. Es unterscheidet sich von Coffein nur an einer Stelle. Während letzteres ein sogenanntes 1,3,7-Trimethylxanthin ist (siehe Strukturzeichnungen) fehlt dem Theobromin eine Methylgruppe an der Stelle 1. Chemiker nennen diese Struktur ein 3,7 Dimethylxanthin:

Strukturformel für Theobromin - Foto: © Zentrales Medienarchiv Wikimedia Commons [1]

Theobromin
Foto: © Zentrales Medienarchiv Wikimedia Commons [1]

Strukturformel für Coffein - Foto: © Zentrales Medienarchiv Wikimedia Commons [1]

Coffein, C8H10N4O2 = Methyltheobromin, 1,3,7-Trimethylxanthin, bildet in Reinform lange, weiße, biegsame, bittere Kristalle mit einem Schmelzpunkt von 237°C.
Foto: © Zentrales Medienarchiv Wikimedia Commons [1]

Dazu kommt, daß Coffein im Organismus zu Theobromin abgebaut wird. Somit müßte genaugenommen nicht nur Schokolade als Hustenmittel wirken, sondern auch alle anderen coffeinhaltigen Getränke, allen voran Tee und Kaffee, die zudem neben Coffein auch noch Theobromin und Theophyllin enthalten.

Durch den Stickstoffanteil in ihrem Grundgerüst gehören die Xanthine oder auch Purinderivate genannten Naturstoffe von Kaffee, Tee und Schokolade zu den sogenannten Alkaloiden. Ein Vergleich mit anderen Alkaloiden, die pharmazeutisch anerkannt gegen den Hustenreiz wirken, ist allerdings nicht zulässig, da es sich - wenn überhaupt - um vollkommen verschiedene Wirkmechanismen handelt, mit denen Theobromin oder z.B. der Hustendämpfer Codein gegen den Hustenreiz vorgehen. Dieser Vergleich wurde aber im obigen Fall gezogen:

Der Theobromin genannte Stoff ist im Vergleich zu dem bisher als bestes Hustenmittel gehandelten Codein um fast ein Drittel effektiver, fanden Omar Usmani vom Imperial College in London und seine Kollegen heraus. Außerdem traten keine der bekannten Nebenwirkungen wie beispielsweise Schläfrigkeit auf, berichten die Forscher im Fachmagazin "FASEB Journal".
(Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1096/fj.04-1990fje)

Bei Codein handelt es sich allerdings um einen nahen Verwandten des als süchtigmachendes Analgetikum bekannten Morphins. Dieses wirkt auch einschläfernd, beruhigend auf das Atemzentrum und unterdrückt direkt den Hustenreiz.

Strukturformel für Codein - Foto: © Zentrales Medienarchiv Wikimedia Commons [1]

Codein - keine Ähnlichkeit zu Theobromin
Foto: © Zentrales Medienarchiv Wikimedia Commons [1]

Mit der Stoffgruppe der Purine oder Xanthine wie Coffein (s.o.) hat dieser Wirkstoff überhaupt nichts zu tun. Dennoch mag Theobromin, das im übrigen als Einzelsubstanz und Reinstoff, also ohne die in der Kakaobohne und dem fertigen Genußmittel Schokolade befindlichen Begleitstoffe, auf seine Hustenwirksamkeit untersucht wurde, durchaus eine beruhigende, reizlindernde Wirkung zukommen, die aber über einen anderen Weg als den zentralen Angriff auf das Atem- bzw. Hustenzentrum (wie beim Codein) zustande kommt.

Und daß Kakao oder heiße Schokolade unter Umständen dennoch sehr müde machen kann, weiß jeder Kakaofreund aus eigener Erfahrung, doch das hat ebenfalls nichts mit einer dem Codein vergleichbaren zentraldämpfenden Wirkung zu tun...

Um die Wirkung der Substanz genauer zu untersuchen, ließen sich die Forscher jedoch gar nicht auf eine akute Hustensituation oder Erkältungssituation ein, sondern erzeugten schon den Hustenreiz mit chemischen Mitteln. Die beschriebene Vorgehensweise könnte das Endergebnis durchaus in Frage stellen, da Theobromin hiernach nachweislich bestenfalls die Reizschwelle für einen bestimmten künstlichen Reizstoff herabsetzt und mehr nicht:

Die Wissenschaftler gaben nämlich vollkommen gesunden Probanden wahlweise Theobromin, ein Placebo oder Codein. Anschließend wurde den Testteilnehmern der Reizstoff Capsaicin verabreicht, der scharfem Paprikagewürz und den bekannten Chillischoten ihre Schärfe verleiht und in purer Form ein brennendes Gefühl auf den Schleimhäuten und Hustensymptome hervorruft.

Erhielten die Probanden also Theobromin, war die verträgliche Konzentration an Capsaicin um rund ein Drittel höher als bei der Gruppe, die Placebos einnahm. Bekamen die Probanden Codein, benötigten die Forscher im Vergleich zu der Placebo-Gruppe nur wenig mehr Capsaicin, um den Hustenreiz auszulösen. Ihre Schlußfolgerung aus diesem gestellten Experiment:

Theobromin unterdrückt nach Ansicht der Wissenschaftler die Aktivität des Vagus-Nervs, eines Gehirnnervs, der sich vom Kopf bis in die Bauchhöhle erstreckt und bei Reizungen Husten hervorrufen kann.
(ddp, 23. November 2004)

Die Forscher fanden bei Theobromin keine Nebeneffekte: Weder das Herz noch das zentrale Nervensystem wurden beeinträchtigt. Theobromin könne daher im Gegensatz zu Codein, das als Betäubungsmittel eingestuft wird und nicht ohne ärztliche Verschreibung bezogen werden kann, ohne Einschränkung eingenommen werden, schrieben die Wissenschaftler.

Eine Hoffnung auf die "Schokoladentherapie" gegen Husten wiesen die beteiligten Forscher allerdings doch vehement zurück: Schokolade enthalte ihrer Meinung nach letztlich doch viel zu wenig Theobromin, als daß ein Einfluß auf Reizhusten wie in dem oben beschriebenen Experiment mit dem hochdosierten Reinstoff zu erwarten sei. Und das gilt dann wohl auch wohl für die oftmals doch so wohltuenden Tassen Kaffee oder schwarzen bzw. grünen Tee. Wie schade...

Anmerkung:

[1] Die Strukturformeln sind vom Hersteller als weltweit "gemeinfrei" klassifiziert, d.h. zur Verwendung und Verbreitung freigegeben und als solche dem Zentralen Medienarchiv Wikimedia Commons entnommen.


Erstveröffentlichung am 23. November 2004
Neue, überarbeitete Fassung 9. Dezember 2011