Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE


RATGEBER/342: Hitzespitze - Klappe zu, Affe tot ... (SB)



Augenblicklich werden Rekordtemperaturen von über 46 Grad in Spanien und Portugal gemessen. Die damit einhergehende körperliche Zusatzbelastung ist für ältere und bereits krankheitsbedingt eingeschränkte Personen am schwersten zu ertragen und führt nachweislich zu einer höheren Mortalitätsrate. Einer hawaiianischen Studie zufolge leben heute 30 Prozent der Weltbevölkerung in Regionen, in denen die Temperatur jährlich mehr als an 20 Tagen oberhalb der tödlichen Hitzeschwelle liegt. Diese Prozentzahl wird sich bald auf 50 Prozent erhöhen, selbst wenn drastische Klimaschutzmaßnahmen tatsächlich durchgeführt werden und auch greifen. [1] Der Ratgeber geht der Frage nach, was es bedeutet, wenn klimatische Bedingungen tödlich werden und was dabei im Körper passiert.


46 Grad - Wieviel Hitze kann ein Mensch vertragen?

Der Mensch gehört zu den privilegierten homoiothermen Lebewesen, d.h. er kann in Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter bei unterschiedlichsten Temperaturen und eine zeitlang sogar in der Sauna - zumindest im Inneren von Rumpf und Schädel - eine konstante Körperkerntemperatur von etwa 37 Grad Celsius aufrecht halten, die für seine Stoffwechsel- und Körperfunktionen optimal ist. Je nach Umgebungstemperatur liegt die Oberflächentemperatur bis zu 9 Grad unter diesem Wert. Damit der körpereigene Temperaturausgleich funktioniert, muß der Mensch überschüssige Hitze abgeben können. Doch bei Außentemperaturen ab 37 Grad wird das immer schwieriger. Ist zudem die Luftfeuchtigkeit hoch, funktioniert auch das Verdunstungskühlsystem, kurz: heftiges Schwitzen, nicht mehr.

Die Schwelle, über der ein Sommer droht "letal" zu werden, indem die Mortalität sichtbar ansteigt, wird somit überwiegend von einer Kombination zweier Faktoren bestimmt. Je höher die Luftfeuchtigkeit, umso geringer muß die Außentemperatur ansteigen, bis dem Betroffenen Überhitzung - und im schlimmsten Fall der Tod - droht. Der Studie "Global Risk of Deadly Heat" von Forschern der Universität von Hawaii in Manoa, Camila Mora et al. [1] zufolge kann bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 20 Prozent bereits ein Temperaturanstieg auf 37 Grad diese tödlichen Bedingungen schaffen. Es sind aber bei genauerer Betrachtung sogar weit weniger Grad.

Derzeit melden Hitzerekordreporte aus Portugal und Spanien Temperaturen über 40 Grad in Lissabon und Barcelona. Der höchste Wert betrug 46,8 Grad im Schatten des Ortes Alvega im Distrikt Santarém. In den nächsten Tagen soll die Temperatur noch weiter steigen. In einigen Ländern des ärmeren Südens, z.B. Ägypten, sind auch Temperaturen um die 50 Grad Celsius nichts Ungewöhnliches mehr. In Pakistan wurde bereits im April an zwei Orten über 50 Grad gemessen. Und auch die noch ungewohnte Hitze, die derzeit in Mitteleuropa das Quecksilber auf 29 bis 35 Grad klettern läßt, könnte in vielen Regionen in naher Zukunft zur Regel werden. Die Klimaforscher werteten ihre Daten dahingehend, daß 75 Prozent der Weltbevölkerung ohne eine sofortige radikale Nullbremse aller klimarelevanten Emissionen spätestens 2100 regelmäßig lebensbedrohlichen Hitzewellen ausgesetzt sein werden.

Doch selbst wenn alle versprochenen Klimaziele eingehalten und auch die nicht versprochenen, aber notwendigen, drastischen Klimaschutzmaßnahmen heute noch umgesetzt würden, sieht ihre Prognose nur unwesentlich günstiger aus. Die Zahl der von Hitzerekorden betroffenen Menschen würde dann immer noch auf rund die Hälfte der Weltbevölkerung (48 Prozent) ansteigen, schrieb die Gruppe im Credo ihres Berichts, der 2017 im Fachmagazin Nature Climate Change erschien und dieser Tage akute Relevanz bekommt. [1] Die Studie befaßt sich zum einen mit bislang noch wenig erforschten klimatischen Schwellenwerten, also den klimatischen Bedingungen, die tödlich wirken können, und untersucht zum anderen, in welchen Teilen der Welt diese bereits heute regelmäßig erreicht werden. Dafür wertete das Forscherteam 1.949 Fallstudien über Hitzewellen aus, die zwischen 1980 und 2014 in 164 Städten und 36 verschiedenen Ländern stattgefunden haben. Sie fanden dabei heraus, daß 55.000 Todesfälle während der Hitzewelle in Rußland 2010 auf die tödlichen Klimabedingungen zurückgeführt werden müssen, rund 10.000 Opfer davon allein in der Region Moskau. Auch andere Hitzewellen, wie die im Jahrhundertsommer 2003, könnten in Mitteleuropa sogar an die 100.000 Todesopfer gefordert haben, denn viele Todesfälle werden noch immer nicht Hitzeereignissen zur Last gelegt und die Dunkelziffer sei diesbezüglich groß. Zudem konnten die Forscher belegen, daß tödliche Hitzeereignisse wesentlich häufiger auftreten, als bisher anhand von dokumentierten Beispielen vermutet wurde.


Was macht den Sommer tödlich?

Dazu schrieb die Medizinjournalistin Dr. rer. nat. Silke Kerscher-Hack in einem aktuellen Beitrag der DocCheck-News [2]: Leidtragende der sommerlichen Temperaturen sind insbesondere Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen. An heißen Tagen (ca. 28 Grad Celsius) erhöht sich danach ihr Sterberisiko um bis zu 14 Prozent - bei längeren Hitzewellen [3] sogar um bis zu 43 Prozent, weil sich dann die Lungenfunktion der Betroffenen deutlich verringern könnte, wie einige Experten annehmen. [4] Den Grund dafür sehen sie darin, daß das körpereigene Kühlsystem die Hitze nicht nur über die Haut, sondern auch über die Lunge reguliert. Dabei muß sich auch die Atemfrequenz erhöhen. Der damit bewirkte Wärmetransport ist somit bei Menschen mit geschädigter Lungenfunktion, die ihre Atemfrequenz nicht mehr steigern können, bereits eingeschränkt. Die anstrengende Muskelarbeit der vermehrten Atembewegung erhöht zusätzlich die Körpertemperatur. Dazu kommt eine höhere Infektanfälligkeit der geschwächten Lunge, weil das Gewebe durch den hitzebedingten Wasserverlust des Körpers schlechter durchblutet ist.

Bereits ab 20 Grad Celsius steigt laut einer Studie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau- und Reaktorsicherheit (BMU) [5] die Sterblichkeit bei Herz- und Kreislauferkrankungen nahezu linear an. Abzüglich der altersbedingten Todesfälle konnten die Forscher ihren Daten ein deutlich erhöhtes Risiko um 10 Prozent entnehmen, während einer Hitzewelle an einer sogenannten ischämischen Herzkrankheit zu versterben.

Abgesehen von Badeunfällen oder Infektionen, die bei sommerlicher Hitze ebenfalls häufiger die Krankenhaus- und Pathologiestatistiken füllen, weil auch daran Menschen sterben können (siehe die EHEC-Epidemie 2015) kann allein andauernde Hitze dem gesunden Homoiothermen (Gleichwarmen) erheblichen Schaden zufügen. Hitzeschäden wie Sonnenstich, Hitzekrampf, Hitzekollaps und Hitzschlag bringen laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes zwischen 1.000 und 2.300 Menschen jährlich ins Krankenhaus. Die meisten können nach ein bis drei Tagen wieder entlassen werden. 2015, dem laut NOAA angeblich zweitwärmsten Jahr seit Beginn der Messungen, erlitten immerhin 60 Menschen allein in Deutschland den Hitzetod. Die meisten starben aufgrund eines sogenannten Hitzschlags oder Sonnenstichs. Im ersten Fall handelt es sich um eine Überwärmung des Körpers auf über 40 Grad Celsius, die nicht durch Schwitzen allein kompensiert werden kann. Es kommt zu einem Schock durch den großen Flüssigkeitsverlust, Störungen des Herz-Kreislaufsystems und Wassereinlagerungen im Gehirn, die zu gefährlichen Hirnödemen auswachsen können. Bei einem Sonnenstich kommt es zu ähnlichen Symptomen, die aber lokal durch eine Überhitzung der Hirnhaut ausgelöst werden, wenn Sonnenstrahlen durch die ungeschützte Schädeldecke dringen können und die Durchblutung des umliegenden Gewebes nicht mehr ausreichend Kühlung bringt. Das Gewebe reagiert dann mit sehr schmerzhaften, entzündlichen Reaktionen.

Die maximale Körperkerntemperatur, die ein Mensch überleben kann, liegt bei 42,3 Grad Celsius. Bei höheren Temperaturen gerinnen labile Eiweißstrukturen, es gibt gewissermaßen körpereigenes Rührei. Auch die Eiweißstrukturen des Gehirns werden ab diesem Schwellenwert irreparabel durch Denaturierung geschädigt.

Bei gleichwarmen Organismen, z.B. Menschen, liegen die Optima der meisten Enzyme bei 37 Grad Celsius. Geht man aber über das Optimum hinaus und erhöht die Temperatur, wird die Sekundär- und Tertiärstruktur der Proteine (Enzyme), d.h. ihre räumliche Anordnung, zerstört bzw. denaturiert und das Enzym kann nicht mehr funktionieren. Diese Veränderungen sind meistens irreversibel, d.h. die verlorenen Proteinstrukturen können nicht in umgekehrter Richtung wieder hergestellt oder repariert werden. [6]

Das geschieht auch bei einer Körpertemperatur ab 42 Grad Celsius (wie bei einem sehr hohen Fieber). Ohne sofortige Abkühlungshilfe in der ersten Phase des Fiebers stirbt der Mensch daran. Solange der Hitzeeinfluß nicht allzu lange anhält, soll der Vorgang mit eigens dafür vorgesehenen Hitzeschockproteinen noch reversibel bleiben, d.h. die Reparatur der Eiweiße ist noch bedingt möglich. Doch nach sechs Stunden Hitze versagt auch dieses Hilfsprogramm. Ob die Hilfsstrukturen, ebenfalls Proteine, vor einer Hitzedenaturierung ihrer eigenen Aminosäureketten gefeit sind oder ob ihr Versagen schon eine weitere, durch Hitze verursachte, Qualifikation darstellt, konnte bis Redaktionsschluß nicht geklärt werden.

Wie lange man bei Hitze überleben kann, bis die innere Kerntemperatur die tödlichen Werte erreicht, hängt vor allem von der Luftfeuchtigkeit ab: Je niedriger diese ist, umso länger hält der Mensch durch. In einer 110 Grad Celsius heißen Sauna schaffen es die meisten Erwachsenen höchstens 3-4 Minuten, in einem brennenden Gebäude bis zu 10 Minuten - sofern sie durch das Kohlenmonoxid nicht vorher bewußtlos werden. Kinder fallen hohen Umgebungstemperaturen allerdings viel schneller zum Opfer, z.B. in einem 50 Grad Celsius aufgeheizten Auto nach wenigen Minuten. Auch solche Werte gelten mancherorts bereits als Außentemperatur - wie eingangs erwähnt - nicht mehr als ungewöhnlich.


Wer nicht verkocht, ertrinkt ...

Was Hitze und hohe Temperaturen tödlich machen kann, hängt allerdings nicht nur von Temperatur und Luftfeuchtigkeit ab. Viele Sekundärfaktoren wie sozialer Streß, der zu tödlichen Unfällen führt, oder die Verknappung von essentiellen Nährstoffen, Wasser und anderen Ressourcen, schlechte Ernten, Hunger u.v.m. lassen sich nur bedingt in Statistiken unterbringen, gehören aber definitiv zu den Faktoren, die eine letale Klimaveränderung ausmachen. Daß das Leben auf der Erde durch die zunehmende Klimakrise immer tödlicher wird, läßt sich kaum verhehlen. Wer nicht direkt an der Hitze stirbt, verliert durch die schmelzenden Polkappen und den steigenden Meeresspiegel möglicherweise wie jetzt schon viele Inselbewohner des pazifischen Raums seine Heimat oder kommt, wenn er nicht weichen will, in den Fluten um. Der jüngste Bericht der Wetter- und Ozeanographiebehörde der Vereinigten Staaten (NOAA) spricht für sich. 2017 wird darin zum drittwärmsten Jahr seit Meßbeginn erklärt. Erst vor kurzem wurde ein neuer Höchststand des ansteigenden Meeresspiegels notiert, der 7,7 Zentimeter über dem ersten Wert 1993 lag, der per Satellit ermittelt wurde. [7,8]


Anmerkungen:

[1] Studie: Camila Mora et al.,"Global Risk of Deadly Heat".
https://www.nature.com/articles/nclimate3322

[2] http://news.doccheck.com/de/newsletter/4784/33360/?utm_source=DC-Newsletter&utm_medium=E-Mail&utm_campaign=Newsletter-DE-DocCheck+News+18.32+%28Apo_Dienstag%29-2018-08-07&user=072ed7680f721e35125a461681b35bec&n=4784&d=28&chk=c9ee78678eec72b3ba06f6d8a17fbede

[3] Dafür gibt es bislang keine weltweit einheitliche Definition. Laut DWD:
Liegen die aktuellen Rasterwerte des Temperaturmaximums an drei aufeinanderfolgenden Tagen oder mehr über diesem Klima-Schwellwert und über 28 Grad Celsius so liegt für das markierte Gebiet und die Periode eine Hitzewelle vor.
https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?lv2=101094&lv3=624852

[4] https://www.lungenaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/hitzestress-infolge-klimaerwaermung-erhoeht-sterberisiko-von-lungenpatienten/

[5] https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Forschungsdatenbank/fkz_3711_61_238_klimawandel_einfluss_bevoelkerung_anlage_3_bf.pdf

[6] http://www.chemie.de/lexikon/Denaturierung_%28Biochemie%29.html

[7] https://www.ncei.noaa.gov/news/global-climate-201712?position=0&list=K-0sY4TdErH0lr8rbKhA4pLsupaZ02FhM0yUUrozGNM

[8] http://www.schattenblick.de/infopool/nachrich/tag/umw-7853.html


8. August 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang