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WERKSTOFFE/038: Neue Nanostabilisatoren - Sand statt Sahne (SB)


Sand statt Sahne


Wer schon einmal versucht hat, "Schokoküsse" (früher: Negerküsse) nachzumachen, weiß, daß der Laie an der Mixtur des locker-leichten Innenlebens meistens scheitert. Zwar lassen sich Eiweiß und Zucker zu einer hinlänglich festen, hellen Schaummasse aufschlagen, doch fällt die Pracht oft schon während des Betrachtens in eine Art schleimigen Brei zusammen. Der Geschmack und auch der Schokoüberzug sind dann noch einmal eine Sache für sich...

Das Los befristeter Standfestigkeit teilt selbstgemachter Eischnee mit der Schaumkrone des Biers ebenso wie mit Schlagsahne, Bade- oder auch Rasierschaum u.v.a. aufgeschäumten Dingen des täglichen Lebens.

Schäume sind bekanntlich Gasblasen, die durch flüssige oder feste "Stege" oder Flächen begrenzt werden. Während feste Schäume recht stabil sind (z.B. Schaumgummi), fallen flüssige Schäume meist rasch in sich zusammen: Lassen wir ein Bier zu lange stehen, ist die Schaumkrone weg und auch das dickste Schaumbad löst sich bald in Wohlgefallen auf.

Bisher wurden oberflächenaktive Substanzen oder Proteine eingesetzt, um Schäume zu stabilisieren. Laut einer Pressemitteilung der Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V., vom 23. Juni 2005 durch den Informationsdienst Wissenschaft (idw) wurden inzwischen durch britische Forscher vielversprechendere Schaumstabilisatoren entwickelt: feinst verteilte silikatische, d.h. von Kieselerde abstammende, feste, mineralische Nanopartikel.

Das scheint zunächst paradox, wenn man an den Badeschaum denkt und sich dabei vorstellt, wie schon das Auftreffen eines Staubkorns eine Seifenblase zum Platzen bringen kann.

Um die stabilisierende Wirkung von nanoskaliger Kieselerde (Nanosand gewissermaßen) in der Schlagsahne oder in der Bierkrone zu verstehen muß man sich noch einmal vergegenwärtigen, wie Schaum beschaffen ist und warum er überhaupt in sich zusammenfällt:

Die Flüssigkeit, die die Gasbläschen umgibt, fließt langsam nach unten ab, ein Teil verdunstet auch. Dadurch werden die Lamellen zwischen den Bläschen immer dünner. Die Blasen an der Oberfläche zerplatzen, Blasen verschmelzen miteinander, kleine Blasen schrumpfen zu Gunsten größerer.
(idw, 23. Juni 2005)

Was die winzigen Klümpchen aus Kieselerde-Nanopartikeln dagegen tun können, ist fast zu einfach, um wahr zu sein. Sie sind klein und leicht genug, um auf den feuchten Filmen der einzelnen Blasen haften zu bleiben. Bis dahin gleichen sie also den sonst eingesetzten Oberflächenstabilisatoren.

Wie Bernard Binks und Tommy Horozov herausfanden, sollen sich die Nanopartikel jedoch nicht mehr von den Blasenlamellen ablösen. Sie bilden somit ein filigranes, dreidimensionales Netz aus festen Bestandteilen, das selbst dann noch besteht, wenn der ursprüngliche Film verdunstet oder abläuft.

Erfolgsgeheimnis des hauchdünnen Silikatgitters ist die künstlich erzeugte und exakt austarierte "Wasserscheue" der Einzelpartikel. Dafür müssen die an sich wasserfreundlichen silikatischen Partikel nämlich mit einer weiteren, wasserabstoßenden Schicht überzogen werden.

Je wasserscheuer die Partikel sind, desto tiefer und fester drücken sie sich in die Luftblase. Zu wasserabweisend (hydrophob) dürfen sie andererseits aber nicht werden, weil sie sich sonst gar nicht erst in ausreichendem Maße von der Wasserphase benetzen lassen.
(idw, 23. Juni 2005)

Optimal stabilisierend wirkten - wen wundert's - Kieselerdepartikel mit mittlerer Hydrophobizität.

Unter einem entsprechend hochauflösenden Mikroskop soll die Oberfläche der Blasen geriffelt erscheinen, womit die Forscher ihre Theorie, daß die Blasen am Ende mit einer Schicht dicht-an-dicht gedrängter Teilchen bedeckt sind, bestätigt sehen.

Ein normales Verhalten des Schaumzerfalls, mit abfließendem Wasser und verschmelzenden kleinen Bläschen muß nach dieser Behandlung zu einem immer festeren Schaumskelett führen, vermuten die Wissenschaftler, die von der mechanischen Vorstellung ausgehen, daß die kleineren Bläschen, die zunächst nicht so dicht eingehüllt sind, beim Verschmelzen zu größeren Bläschen ein größeres Volumen aber auch eine insgesamt kleinere Oberfläche erhalten, auf der sich die Nanoteilchen immer stärker konzentrieren.

An einem bestimmten Punkt des Abbauvorgangs ist das Ganze dann so stabil, daß es einem weiteren Verschmelzen entgegensteuert.

Da sich die Partikel nicht ablösen können, schützen sie so die Luftblasen vor dem Kollabieren und stabilisieren den Schaum, der allerdings dann kaum noch mit dem bekannten zarten Schaum zu vergleichen ist. Nach einiger Zeit ist eher eine gewisse ungewohnte "Knusprigkeit" von den bisher locker-leichten Schäumen zu erwarten. In Kosmetika für die Anwendung auf Haut und Haar muß man mit einem leichten abschilfernden "Peeling"-Effekt rechnen.

In Lebensmitteln läßt sich angesichts des vergleichsweise zu Wasser wesentlich höheren Gewichts von Kieselsäure leicht denken, daß diese geschmacklich neutrale und ungiftige Komponente, die sich am besten mit ultrafeinem Sand vergleichen läßt und sich zum dauerhaften Aufschäumen und unsichtbaren Verlängern von Lebensmitteln gut eignet, im Zuge von Diätprodukten und angesichts der zu erwartenden Nahrungsmittelverknappung reichlich Anwendung finden wird. In jedem Fall steigert sie das Verpackungsgewicht bei reduziertem Inhalt.

18. Juni 2008