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UMWELTLABOR/205: Brunnenfaden - Methankiller ohne Appetit (SB)


Brunnenfaden - Methankiller ohne Appetit


Kaum scheint die Lösung zum Greifen nah, wird auch schon die nächste Enttäuschung offenbar: Der derzeit als erstaunliche Entdeckung hochgelobte "Brunnenfaden", den man plötzlich als Methanfresser erkannt haben will und der schon manchem Wissenschaftsjournalisten als mögliches Gegenmittel zur Klimaerwärmung freudiges Herzklopfen verursachte, hat schlicht gar nicht so großen Hunger, als daß er das überschüssige Methan in der Atmosphäre bewältigen könnte. Zudem ist er so widerspenstig, daß er sich nicht als gezähmtes mikrobielles Vertilgungsmittel für irgendwelche Zwecke ausnutzen ließe und lieber nur die eigenen Ziele verfolgt.

Zunächst hörte sich das allerdings ganz anders an. Sowohl in Meldungen im Deutschlandfunk (Forschung aktuell, täglich 16.35) als auch in den Agenturen wurde immer wieder der sogenannte Brunnenfaden erwähnt, dessen Rätsel beispielsweise laut einer Pressemitteilung der Technischen Universität Hamburg- Harburg über den Informationsdienst Wissenschaft (idw) vom 14. Februar 2006 nun gelöst sei: Er verwerte Methan!

Ein Forscherteam der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) sowie der Universitäten Wien und Aalborg berichten in der heute erscheinenden Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Science" (PNAS) über einen entscheidenden Fortschritt bei der Erkennung eines Methan verwertenden Bakteriums. Der gelegentlich in Trinkwasser vorkommende harmlose Brunnenfaden nutzt als Energiequelle das Treibhausgas Methan und bedient sich dabei eines äußerst ungewöhnlichen Enzyms.
(idw, 14. Februar 2006)

Das an sich schien schon eine Feier wert, denn der scheue Brunnenfaden (Crenothrix polyspora) ist für den Mikrobiologen gar nicht leicht verfügbar. So läßt er sich weder im Labor züchten noch mit herkömmlichen Labormethoden untersuchen.

Im Institut von Prof. Dr.-Ing. Knut Wichmann von der TUHH und der dort angesiedelten Forschungsstelle der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) rühmt man sich nun, ihn überlistet zu haben, indem ausreichend große Mengen des Brunnenfadens aus dem Rückspülschlamm eines Wasserwerkes gewonnen werden konnten. Man hat ihn also quasi aus seinem natürlichen Lebensraum geraubt.

Damit waren laut idw erstmals die Voraussetzungen für molekularbiologische Untersuchungen des Crenothrix polyspora geschaffen worden. Obwohl die Bedingungen nicht ideal waren, da es sich bei einem natürlich gewachsenen Kraut-und-Rüben- Organismus nicht um eine definierte Reinkultur handelt, die eigentlich bei solchen Nachweisen erforderlich ist, glauben die Wissenschaftler aus Wien sowie aus Aalborg den Beweis für die Methanverwertung des Brunnenfadens erbringen zu können. Außerdem soll es ihnen gelungen sein, die Verwandtschaft zu anderen Methan verwertenden Bakterien nachzuweisen.

Die Forscher gehen von folgenden Erkenntnissen aus, die sie aus der nicht im einzelnen definierten Wildkultur geschlossen haben:

Obwohl der Brunnenfaden eindeutig bei den Methan verwertenden Bakterien einzuordnen ist, verwendet er ein bislang unbekanntes Enzym, um das Methan umzusetzen. Diese Form des Enzyms wurde bisher bei keinem anderen untersuchten Lebewesen nachgewiesen. Es ähnelt mehr dem Enzym zur Oxidation des Ammoniums als jenen anderer Methan verwertender Bakterien.

Für die Grundlagenforschung ergeben sich hieraus völlig neue Einblicke in die Evolution und Biochemie Methan verwertender Bakterien.
(idw, 14. Februar 2006)

Das alles konnte man ohne "herkömmliche Labormethoden" feststellen, was auf verschiedene Bereiche der weiteren Forschung und praktischen Anwendung Einfluß haben wird.

Zum einen ist der Brunnenfaden im Trinkwasser, wo er die Filter verstopfen kann, natürlich unerwünscht:

"Für die angewandte Forschung und die Praxis der Trinkwasseraufbereitung ist nach langer Zeit der Vermutungen die Ursache für die Massenentwicklung des Brunnenfadens eindeutig geklärt und kann künftig gezielt unterbunden werden", sagt Dr. Bernd Bendinger, Mikrobiologe der DVGW- Forschungsstelle an der TUHH und Initiator des Forschungsprojektes.

[...]

Mehr als 100 Jahre hatte sich die Fachwelt weltweit bemüht, neue Erkenntnisse über den Brunnenfaden zu gewinnen, der in der Trinkwasserversorgung immer wieder für Probleme sorgte. Seine Fähigkeit, sich massenhaft zu vermehren, führt zur Bildung schleimiger Schichten, in deren Folge Filteranlagen verstopfen, manchmal einzelne Brunnen vorübergehend abgeschaltet werden müssen. In seltenen Fällen erreichte der Brunnenfaden sogar das Verteilungsnetz. (idw, 14. Februar 2006)

Das alles wußte man aber schon aus früheren Beobachtungen und hier vor allem von jenen, die mit der Reinigung der entsprechenden Anlagen betreut sind.

Einzig, daß sich der Brunnenfaden vermutlich hauptsächlich von Methan ernährt, das in größeren Mengen gerade in dem von ihm verunreinigten Wasser vorkommen könnte, ist neu, obwohl es schon lange vermutet wurde. Es ließ sich nur nicht (um das noch einmal zu wiederholen) mit herkömmlichen Methoden untersuchen.

Daß Methan im Trinkwasser auf wesentlich schlimmere Verunreinigung hinweist, als Bakterien und auf mögliche Verbindungen zum Brauchwassersystem schließen läßt, übergeht man in den Neuigkeiten über den Brunnenfaden jedoch aus gutem Grund. Statt dessen betont man seine Neigung, Methan zu verspeisen, um den Leser auf andere Gedankengänge zu leiten.

Nun könnte man meinen - und einige gewitzte sensationshungrige Hobbyumweltforscher haben diese Schlußfolgerung auch schon längst nahegelegt -, man müsse den Brunnenfaden nur an anderer Stelle einsetzen, wo er ausreichend Nahrung, sprich Methan, zu sich nehmen kann, so daß er unser Klima zum Besseren kehre. Doch hier bauen die Harburger Forscher gleich vor und so hieß es in der Pressemitteilung des idw:

Als Retter des Klimas wird der Brunnenfaden allerdings nicht in die Geschichte eingehen. Methan verwertende Bakterien sind zwar für die Verringerung der Konzentration des Treibhausgases Methan in der Atmosphäre bekannt, jedoch spielt der Brunnenfaden hierbei keine Rolle: Weil er Methan nur in Konzentrationen, wie sie zum Teil im Grundwasser vorkommen, verwerten kann.
(idw, 14. Februar 2006)

Anders gesagt, der Brunnenfaden ist ein äußerst genügsamer Trinkwasserbewohner und angesichts der Massen, die in der Atmosphäre auf ihn zukämen, vergeht ihm ganz schlicht der Appetit.

Da also die Reduktion seines Wachstums dem Entzug einer Nahrungsgrundlage gleichkommt, die ohnehin kaum oder gar nicht im Trinkwasser vorkommen dürfte, bleibt letztlich alles beim alten und die genauen Details kann man unter den gegebenen Voraussetzungen ohnehin nicht klären, da es sich bei dem wild abgefischten Bakterienklumpen auch um eine Vergesellschaftung mit anderen harmlosen Trinkwasserbakterien oder gar Methanfressern handeln kann.

Das mäßigt die beteiligten Forscher allerdings nicht in ihrer Selbstzufriedenheit:

"Hier wurden wichtige Fragen der Praxis mit modernsten Methoden der Grundlagenforschung beantwortet", sagt Prof. Dr.-Ing. Knut Wichmann. Der Wissenschaftler ist in Personalunion Leiter des Instituts für Wasserressourcen und Wasserversorgung sowie der DVGW-Forschungsstelle an der TUHH.
(idw, 14. Februar 2006)

Die Ergebnisse dieser Studie wurden noch am gleichen Tag in der Druckausgabe der Fachzeitschrift PNAS unter dem Titel "Cohn's Crenothrix is a filamentous methane oxidizer with an unusual methane monooxygenase" veröffentlicht.

Erstveröffentlichung 16. Februar 2006

3. Januar 2008