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UMWELTLABOR/225: Wer Fisch ißt, ist selbst schuld (SB)


Wissenschaftler verschleiern die Gefahr

Fische in Nord- und Ostsee verweiblichen


Europäische Aale sind laut einer Studie der Umweltorganisation Greenpeace so stark mit Chemikalien belastet, daß ihr Verzehr bedenklich ist.

Mit dem Titel "Ein Bad in Chemikalien" belegt die Studie die weit verbreitete Belastung der Fische vor allem mit den als Flammschutzmitteln bekannten polybromierten Diphenylethern und Polychlorierten Biphenylen (PCB) neben dem bei Fischen ohnehin stark vertretenen Umweltgift Methylquecksilber.

Dabei hat Fisch gerade aufgrund seines großen Omega-3 Fettsäurengehalts, der eine positive Wirkung auf das Gedächtnis sowie bei Herz- und Alzheimer Erkrankungen haben soll, vor allem bei älteren Menschen eine Renaissance der Beliebtheit erfahren.

Fische sind für die Anreicherung von organischen lipophilen (fettlöslichen) Umweltgiften prädestiniert, weil sie einen hohen Fettanteil in ihrem Körpergewebe besitzen. Mit jeder Portion "gesunden Fischs" nimmt der Verbraucher einen ganzen Cocktail aus Umweltgiften zu sich.

Doch nicht nur Aale sind betroffen: Vom Kabeljau bis zum Haifisch werden hohe Belastungen mit Methylquecksilber u.a. Umweltchemikalien festgestellt. Sogar die Bestände gehen zurück, weil viele Tiere krank oder nicht mehr fortpflanzungsfähig sind.

Erst vor kurzem gab das Umweltbundesamt (UBA) in einer
Pressemitteilung seine Besorgnis über Fehlbildungen an
Meeresbewohnern kund:

Eine Untersuchung für die Umweltprobenbank des Bundes (UPB), die das Institut für angewandte Ökologie (IFAÖ) an den Geschlechtsorganen (Gonaden) der Aalmutter (Zoarces vivparus) durchführte, hatte ergeben, daß die Geschlechtsorgane dieser Meeresfische in Nord- und Ostsee stark geschädigt sind.

Laut UBA sammele die UPB bereits seit 1985 jährlich Tausende von Proben aus der Umwelt und vom Menschen. Diese würden eingelagert und stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für Analysen der Schadstoffbelastung zur Verfügung. Auf diese Weise könne der Probenstock der Aalmutter durchaus repräsentative Rückschlüsse auf die Chemikalienbelastung dieses typischen Küstenfisches in Nord- und Ostsee geben. In diesem Jahr wurde nun eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Fische verzeichnet:

Erstmals hat die UPB nun die Geschlechtsorgane eines jährlichen Aalmutterfangs auf Veränderungen des Gewebes untersuchen lassen. Das von der UPB damit beauftragte Rostocker Institut für angewandte Ökologie (IFAÖ) fand Besorgnis erregende Ergebnisse: Eindeutig weibliche Geschlechtszellen bildeten sich in den Hoden der männlichen Aalmutter. Solche Fehlbildungen werten Fachleute als Indiz für eine Belastung der Tiere mit hormonell aktiven Schadstoffen, die in das Fortpflanzungssystem eingreifen. Diese so genannten endokrinen Stoffe können mit der Produktion und Verwendung von Industriechemikalien oder der Anwendung von Haushaltsprodukten, Pflanzenschutzmitteln und Medikamenten in das Meer gelangen. Hinweise auf die Verweiblichung männlicher Fische in der Ostsee gibt es bereits seit längerem.
(idw, 29. Mai 2008)

Erstmalig entdeckte das IFAÖ diese Fehlbildung nun auch in Aalmuttern- Männchen der deutschen Nordsee. In den Geschlechtsorganen der weiblichen Aalmuttern fanden die Rostocker Fachleute ebenfalls gravierende Fehlbildungen: Die Eizellen in den Eierstöcken waren bereits Wochen vor der Geschlechtsreife und dem Beginn der Paarungszeit massiv degeneriert. Dieses Phänomen ist als unspezifischer Indikator für Streß bekannt, den allerdings nicht nur Chemikalien, sondern auch andere Faktoren hervorrufen können.

Neu sei aber das Ausmaß der Veränderung: In nahezu jeder gefangenen Aalmutter fanden die Fachleute mittelschwere bis schwere Degenerationen der Eizellen.

Bisher können die Wissenschaftler noch keine Aussage darüber treffen, inwieweit diese Veränderungen einen Einfluß auf die Fortpflanzung der Tiere haben werden. Sie vermuten, daß die wenigen Eizellen in den Hoden die Fortpflanzungsfähigkeit der Männchen nicht nennenswert beeinträchtigen werden. Bei den Weibchen besteht hingegen der begründete Verdacht, daß die deutlichen Befunde auf eine gestörte Fruchtbarkeit der Tiere hinweisen.

Um die genauen Ursachen dieser degenerativen Veränderungen herauszufinden, will die UPB weitere Fische in anderen, zum Teil chemisch weniger belasteten Stellen der Nord- und Ostsee untersuchen:

Die Studien sollen zeigen, ob und falls ja, welchen Anteil Chemikalien an den Veränderungen der Geschlechtsorgane haben und welche anderen Ursachen in Frage kommen.
(idw, 29. Mai 2008)

Das wirkt allerdings wie eine plumpe Ausrede, um mit Untersuchungen an weniger belasteten und somit auch weniger kranken Fischen vor der Tatsache auszuweichen, daß diese grundsätzlichen Zusammenhänge schon seit Jahren bekannt und an verschiedenen Fischarten und Amphibien mehrfach untersucht und bestätigt worden sind.

Auch diese Untersuchungen wurden letztlich nur deshalb durchgeführt, weil der Mensch, der Fische ißt, möglicherweise ebenso von den chemischen Veränderungen in Umwelt und Nahrung direkt betroffen sein könnte. Seither hat man nun ein ganzes Spektrum möglicher Giftstoffe in den Meeresbewohnern gefunden, die für die äußeren Erscheinungen in Frage kommen und sich auch noch gegenseitig beeinflussen oder gar in ihrer Wirkung verstärken können:

Wasserunlösliche organische Umweltchemikalien wie DDT und Toxaphen, polychlorierte Biphenyle (PCBs) und Dibenzo-p-Dioxine und Dibenzofurane (PCDD/Fs) weisen oft lange Verweilzeiten in der Umwelt auf. Sie sind in der Regel toxisch und zeigen eine Tendenz, sich in den Fettgeweben von Organismen anzureichern. Insbesondere die Organismen am Ende der Nahrungskette, zu denen nach den Fischen auch noch der Mensch zählt, sind diesen Stoffen über die Nahrung in hohem Maße ausgesetzt. Trotz eines inzwischen weit verbreiteten Verbotes vieler dieser Verbindungen sind auch heute noch - bedingt durch ihre Langlebigkeit - vergleichsweise hohe Konzentrationen in der Umwelt, sowie in Tieren und Menschen nachweisbar. Darüber hinaus wächst die Liste der organischen Chemikalien mit einem Gefährdungspotential für Mensch und Umwelt stetig an und umfaßt heute z.B. auch verschiedene organische Flammschutzmittel, die nachweislich hormonartige und kanzerogene Wirkung haben.

Gemeinhin versuchen die Umweltchemiker diesen Umstand zu vertuschen, indem sie behaupten, daß sich das Gefährdungspotential einer Chemikalie für den Menschen mit Eigenschaften wie einer hohen Fettlöslichkeit nur unzureichend beschreiben lasse. Es wechsle vielmehr in hohem Maße in Abhängigkeit von der Lebensdauer der Chemikalien in der Umwelt, der geographischen Lage und den Ernährungsgewohnheiten der Menschen.

Anders gesagt wird der konkrete Nachweis von Umweltgiften erst dann für relevant gehalten, wenn der Fisch, indem er sich angereichert hat, tatsächlich auch gegessen wird. Da die Menschen in den Industrieländern und auch die Anwohner von Nord- und Ostsee selten mehr als einmal in der Woche Fisch zu sich nehmen, und zahlreiche Alternativen haben, sind sie jedoch kaum in ernsthafter Gefahr.

Ob aber die Fische selbst oder andere Tiere, die sich von Fisch ernähren, unter den Folgen der Umweltgifte leiden, scheint weniger von allgemeinem Interesse, ebenso wie der Gesundheitszustand von Küstenbewohnern, die sich ihre Nahrungsgrundlage nicht aussuchen können.

In der Arktis, in der die Menschen sich traditionell aus dem Meer ernähren, wurde in den dort ansässigen Inuit hohe Konzentrationen von PCB, HCB und DDT in der Muttermilch festgestellt, obwohl sie doch weit entfernt von direkter industrieller Umweltverschmutzung leben. Als Ursache dafür war schon frühzeitig eine schrittweise Anreicherung über das Fettgewebe von Fischen und Meeressäugern angenommen und gemessen worden. Tatsächlich können in diesen Regionen auch schon an größeren Säugetieren, die sich von Fisch ernähren und ebenfalls an Vögeln Veränderungen an den Geschlechtsmerkmalen bis hin zur Fortpflanzungsunfähigkeit festgestellt werden.

Im Gegensatz dazu ist in der Ostseeregion die industrielle Belastung der Umwelt sehr hoch. Die Belastung der Menschen ist dagegen vergleichsweise niedrig, da sie das Privileg besitzen, sich "gesund" ernähren zu können.

Die Rostocker Umweltchemikerin Czub, die in einem theoretischen Modell und Regelinstrument zusammenfaßte, welche Rolle die Ernährung bei der Umweltbelastung spielt (und nicht umgekehrt), wurde dafür bezeichnenderweise auch noch mit einem Förderpreis prämiert:

Mit ihrem neuen Modell gelang es Dr. Czub in beiden Regionen den gesamten Weg zu beschreiben, den die Chemikalien über die verschiedenen Nahrungsketten bis hin zum Menschen beschreiten. Gleichzeitig wurde die Anreicherung berechnet, die sie in den verschiedenen Organismen erfahren. Die Modellergebnisse wurden anhand von Messergebnissen überprüft und bestätigt. Das überraschende Ergebnis: bei einem breiten Spektrum der untersuchten Chemikalien waren ihre Verteilungseigenschaften - Faktoren wie Löslichkeit und Flüchtigkeit, von denen abhängt, ob ein Stoff bevorzugt im Wasser, in der Luft oder in organischem Material (z.B. Fetten) vorkommt - für die Anreicherung im Menschen von vergleichsweise geringer Bedeutung. Eine viel größere Rolle spielten vielmehr die Abbaubarkeit der Chemikalien in der Umwelt, sowie die Struktur der Nahrungskette und die Zusammensetzung der menschlichen Nahrung.
(Informationsdienst Wissenschaft, 11. November 2005)

Und als hätte man es nicht längst gewußt, wurde somit auch die Schuldfrage eindeutig auf jene zurückgeworfen, die aus Ignoranz, Unwissenheit oder Armut nicht auf ihre Ernährung achten:

So konnte u.a. gezeigt werden, dass die hohe Belastung der sich traditionell ernährenden Inuit tatsächlich durch den hohen Anteil an mariner Nahrung, und dabei insbesondere den Verzehr von Speck mariner Säugetieren wie Walen und Seehunden hervorgerufen wird.
(Informationsdienst Wissenschaft, 11. November 2005)

Ausgezeichnet wurde damit also ein wissenschaftliches Relativierungsinstrument, mit dem sich behaupten läßt, daß Industrieemissionen nicht zwangsläufig auch kranke Menschen hervorbringen müssen. Damit darf dann alles beim alten bleiben.

Daß die Fische trotz des Modells nicht gesünder geworden sind, zeigen neben den oben erwähnten Untersuchungen an der Aalmutter auch weitere Greenpeacestudien: So konnten in Aalproben aus 20 verschiedenen europäischen Flüssen jeweils Flammschutzmittel und entsprechend körperliche Veränderungen nachgewiesen werden.


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Den Forschungsbericht "Biologisches Effektmonitoring mit Aalmuttern aus Nord- und Ostsee" findet man im Internet auf der Website des Umweltbundesamtes.

6. Juni 2008