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UMWELTLABOR/234: Gekochter Fisch, mit Quecksilber und Zitrone (SB)


Gekochter Fisch, mit Quecksilber und Zitrone


Fisch oder kein Fisch? Das ist die Frage, die Köche und Fischliebhaber angesichts widersprüchlicher Aussagen über die Schadstoff- und Quecksilberbelastung immer wieder verwirrt. Dabei sollten sich die kritischen Beobachter aktueller Umweltveränderungen, denen rückläufige Fangquoten und eine für Meeresbewohner zunehmend lebensfeindliche Umgebung zu denken geben dürften, doch wohl eher fragen, ob das Überleben der Spezies Fisch überhaupt soweit gesichert ist, daß sie noch als Nahrungsgrundlage in Frage kommt.

Es ist daher kein Wunder, daß mit neuen Meldungen zur Überfischung in bestimmten Regionen oder über die Ausbreitung sauerstoffloser "toter" Zonen im Meer auch gleichzeitig an anderer Stelle solche zu finden sind, die die Angst vor Vergiftung schüren, um den Bedarf an den gesunden Omegafettsäuren und D-Vitaminspeichern und somit die Nachfrage ein wenig zu senken.

In diesen Tagen macht der Mangel an Vitamin D in der Nahrung wieder von sich reden, der vor allem durch den Verzehr von viel Fischfleisch ausgeglichen werden könnte, wäre da nicht die Sorge, ob damit nicht zuviel Gift in den Körper gelangt.

Laut einer Studie des U.S. Institute of Medicine hieß es noch vor zwei Jahren "Eat more fish, study urges, despite toxin risk" [Studie fordert: Eßt mehr Fisch, ungeachtet der toxischen Risiken, Übers. Schattenblick-Red.].

Zwar wurde die Studie noch im gleichen Monat ihres Erscheinens von Umweltorganisationen und Wissenschaftsbeobachtern angegriffen, die ihr u.a. die Verwendung von überaltertem Datenmaterial vorwarfen, doch die Wege, wissenschaftlich etwas nachzuweisen, das man dem Verbraucher gerne verkaufen möchte, sind zahlreich:

So wurde noch im Januar 2004 in der englischsprachigen Fachzeitschrift Chemistry World eine These veröffentlicht, der zufolge die Quecksilberbelastung, die man seit Jahrzehnten in Seefischen nachweist und der zunehmenden industriellen Umweltverschmutzung zuschreibt, möglicherweise auf natürliche Quellen zurückgehen soll. Das behaupten zumindest Wissenschaftler der Universität Princeton, und sie wurden bis dato noch nicht widerlegt.

Die Wissenschaftler legten ihrem Bericht Daten zugrunde, nach denen die Quecksilberbelastung im Hawaianischen Thunfisch in den letzten 26 Jahren relativ konstant geblieben und nicht - wie erwartet - mit der zunehmenden atmosphärischen Quecksilberbelastung angestiegen ist.

"Man habe bisher angenommen, daß der hohe Quecksilbergehalt im Fisch aus der Umweltverschmutzung stamme", meinte der Leiter der Forschungsgruppe Francois Morel gegenüber Chemistry World.

Tatsächlich ist die Quecksilberkonzentration in der Luft ungefähr um das Dreifache angewachsen. Man sollte daher inzwischen auch von einer dreifachen Quecksilbermenge im Meer ausgehen. Daß die Meeresbewohner naheliegenderweise unter dem zusätzlichen Gifteintrag leiden, wird aber immer wieder gerne übersehen. Exemplarisch ist hierfür die von Morel vertretene Beweisführung zu diesem Thema, der lapidar behauptete, daß Quecksilber im Fisch vermutlich eine ganz natürliche Angelegenheit sei:

"But maybe mercury that occurs in fish is a natural thing, and it may have been there all along." [Aber vielleicht ist das Quecksilber, das man im Fisch findet, eine ganz natürliche Sache und einfach schon immer da drin. Übersetzung Schattenblick-Red.]
(Chemistry World, Seite 10, Januar 2004)

Fische nehmen Quecksilber in Form von Methylquecksilberchlorid auf und bauen dieses in Methylquecksilbercystein um. Die Umweltchemiker um Morel maßen die Konzentrationen von Methylquecksilber im sogenannten "Yellowfin tuna" (Gelbflossen Thunfisch), der 1998 an der Küste von Hawai gefangen wurde, und verglichen ihre Meßwerte mit einer ähnlichen Untersuchung, die 1971 durchgeführt worden war. In diesem Zeitraum schienen die Werte relativ konstant geblieben zu sein.

Im Unterschied dazu hatte ihr Computersimulationsprogramm einen Anstieg des Methylquecksilbers im Thunfisch (und dem Oberflächenwasser) zwischen 9 bis 26 Prozent von 1971 bis 1998 vorausgesagt.

Nun hätte man auch nach einem möglichen Fehler im Programm suchen oder Simulationsprogramme an sich in Frage stellen können, die gemeinhin dafür bekannt sind, Erwartungen der Forscher rechnerisch zu projizieren. Morel und sein Team nahmen die Daten ernst, und sie brauchten ganze 5 Jahre, um die folgenden Schlußfolgerungen aus sich herauszuarbeiten:

1. Wenn Seefische Methylquecksilber absorbieren, welches als Quecksilbereintrag aus der Luft in das Oberflächenwasser des Meeres gelangt, müßte ein kürzlich gefangener Thunfisch wesentlich mehr Quecksilber enthalten als ein früherer Fang.

2. Da die Werte dies nicht bestätigen, kann also das Quecksilber im Thunfisch nicht aus der Luftverschmutzung stammen.

3. Ergo sind natürliche Quellen für die Quecksilberbelastung im Fisch verantwortlich.

Und hier hatten die Forscher auch gleich bestimmte Quellen im Auge: Ihrer Meinung nach müsse das Quecksilber zwangsläufig aus sulfatreduzierenden Bakterien aus den heißen Quellen in der Tiefsee stammen.

Diese reichlich abwegig erscheinende Vermutung, bei der eine Vielzahl von Bedingungen erfüllt sein muß, damit der Thunfisch überhaupt mit Quecksilber in Kontakt kommt, dient offensichtlich nur dazu, die chemische Industrie bzw. die Industrie überhaupt zu entlasten.

Denn wie Chemistry World schrieb:

These findings suggest, says Morel, that decreasing mercury pollution would not reduce mercury levels in tuna living in the open ocean. It would, however, reduce mercury in lakes and coastal waters, and the organisms that live there, he adds. [Diesen Ergebnissen zufolge, meint Morel, dürften die Quecksilberwerte der im Meer lebenden Thunfische selbst bei abnehmender Quecksilberbelastung in der Umwelt nicht zurückgehen. Daß es in Seen und Küstengewässern und in den dort lebenden Organismen durchaus zu einer Quecksilberreduktion kommen könne, schließt er aber nicht aus. Übersetzung Schattenblick-Red.]
(Chemistry World, Seite 10, Januar 2004)

Daß Morels Schlußfolgerungen sehr industriefreundlich und relativ kurzgeschlossen sind, bemängeln seine Kritiker. Abgesehen von der Möglichkeit, daß der konstante Wert nur darauf hinweist, daß durch die hohe Belastung im Meer vielleicht schon die Höchstmenge, die ein Fisch überhaupt in seine Zellen aufnehmen kann, erreicht ist, was in dieser Studie an keiner Stelle in Erwägung gezogen wird, halten andere Umweltchemiker neben atmosphärischem Quecksilber auch zahlreiche andere industriebedingte Quellen für möglich, die ebenfalls Morels Meßwerte bestätigen könnten. So meinte die Biogeochemikerin Cynthia Gilmour von der Academy of Natural Sciences' Estuarine Research Center in Maryland, daß gerade der Thunfisch große Strecken zurücklegen und seine Quecksilberbelastung möglicherweise an ganz anderen Orten aufnehmen könne, beispielsweise aus den Abwässern in Küstennähe. Aber auch moderne Fangpraktiken der Fischerei hätten die Nahrung der Fische betroffen und "verändert".

Ob nun die stärker quecksilberbelasteten und somit verlangsamten Thunfischbeutefische schneller ins Fischernetz und der Thunfischnahrung verloren gehen, so daß die zunehmende Wasserverschmutzung durch ein Ausweichen auf andere Beute ausgeglichen werden muß, Grund für die konstanten Quecksilberwerte im Thunfisch sind, ist jedoch irrelevant. Für den Menschen, der sowohl den Thunfisch wie auch dessen Beutefische zu sich nimmt und Quecksilber in Knochen und Fettgewebe speichert, ist auch eine konstant geringe Quecksilberbelastung immer noch zu hoch.

Mit jedem Bissen nimmt der Mensch auch Quecksilber auf, im Durchschnitt etwa 5 Mikrogramm pro Tag.

Zunächst sind alle Quecksilberverbindungen giftig. Es kann aber auch leicht in andere Verbindungen umgewandelt bzw. metabolisiert werden. Besonders giftig ist jedoch das sogenannte Dimethylquecksilber (CH3)2Hg, das von manchen Mikroorganismen aus anderen Quecksilberverbindungen synthetisiert wird. Dimethylquecksilber ist sehr flüchtig, was ein Grund für die weite und gleichmäßige Verteilung von Quecksilber in der Umwelt ist. Außerdem ist es etwa hundertmal so giftig ist wie gewöhnliches Quecksilber.

Beim Menschen, so fanden die Wissenschaftler heraus, können 90 Prozent der bisher bekannten organischen Quecksilberverbindungen vom Magen- Darm-Trakt resorbiert und anschließend jahrzehntelang in Fettgewebe und Gehirn gespeichert werden kann.

Die bloße Vermutung, daß Quecksilber und Fisch zusammengehören wie Pech und Schwefel oder Fingerhut und Digitoxin (Gift des Fingerhuts), macht Fisch nicht weniger schädlich.

Zudem sind die dem Fisch zugeordneten organischen Quecksilberverbindungen noch gefährlicher, weil sich erst nach Wochen oder Monaten Symptome bemerkbar machen, die möglicherweise nicht auf eine Quecksilbervergiftung zurückgeführt werden.

Wer nimmt schon die ersten Anzeichen, die sich in einer geringeren Konzentrationsfähigkeit, stärkeren Reizbarkeit, Unentschlossenheit, Furchtsamkeit oder allgemeinen Schwäche zeigen und einer gewöhnlichen Befindlichkeitsstörung zugerechnet werden, wirklich als Vergiftungssymptome ernst?

Und noch etwas bleibt bei diesen Betrachtungen meist unerwähnt. Gelangt Quecksilber, und vor allem Methylquecksilber, erst in die Nahrungskette, ist das Überleben der Fische gefährdet, die das Umweltgift mit Nahrung oder Wasser aufnehmen - ein weiterer Grund, warum die eingangs gestellte Ernährungsfrage "Fisch oder nicht Fisch?" wohl eher lauten sollte: "Fisch? Was für'n Fisch?" oder "Fisch? Wo?"

12. September 2008