Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

UMWELTLABOR/241: Allen Warnungen zum Trotz - jetzt doch Meeresdüngung (SB)


Bodenbereitung durch Medienarbeit

Schavan findet keine wissenschaftlichen Bedenken gegen das Experiment


Fast schneller als erwartet läßt die Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) das Forschungsschiff Polarstern mit dem unter Umweltschützern umstrittenen und erst vor wenigen Wochen kurzfristig gestoppten Experiment zur Meeresdüngung im Südatlantik nun doch fortfahren:

"Nach der Auswertung der mir vorliegenden Gutachten bin ich davon überzeugt, dass es keine naturwissenschaftlichen und rechtlichen Bedenken gegen das deutsch-indische Meeresforschungsexperiment gibt", erklärte Schavan in Berlin. Bei dem Experiment soll das deutsche Forschungsschiff "Polarstern" eine Fläche von rund 300 Quadratkilometer mit Eisensulfat düngen, um damit das Planktonwachstum anzuregen und dessen Fähigkeit zu untersuchen, das Treibhausgas Kohlendioxid zu binden.
(AP, 26. Januar 2009)

Daß der Leiter der Expedition, Prof. Dr. Victor Smetacek, der auch schon frühere "Meeresdüngungs-Experimente" zu verantworten hat, sich für eine Fortführung der Experimente einsetzen würde, war vorauszusehen [siehe auch NATURWISSENSCHAFTEN -> CHEMIE, UMWELTLABOR/240: CO2-Senke durch Meeresdüngung - Schlag ins Wasser (SB)]. Wie schon seit dem eindeutig mißlungenen Experiment 2000 hat sich vor allem das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven mit positiven, scheinbar nebensächlichen Meldungen wie die "Alge des Jahres" ins Gespräch gebracht, so daß einer interessierten Öffentlichkeit nahegelegt wurde, daß vielleicht doch noch etwas an der Idee sein könnte, mit Eisen und Algen das Klima zu schützen.

So wählten Algenforscher der Deutschen Botanischen Gesellschaft kürzlich "Emiliania huxleyi" zur Alge des Jahres, um sie als einen Schlüsselorganismus der Erde zu würdigen. Im nebenherein erfährt man in der Pressemitteilung des Informationsdienstes Wissenschaft, daß es sich dabei eigentlich um jenen Schlüsselorganismus handelt, den man durch Zugabe von Eisensulfat weltweit vermehren will, denn Emiliana gehört laut idw zu jenen kohlenstoffverstoffwechselnden Algen, die sich explosionsartig vermehren und unter bestimmten Bedingungen oder in künstlich erzeugten Algenblüten bis zu 90 Prozent des Phytoplanktons ausmachen können:

Ihre einflussreiche Rolle rührt daher, dass Emiliania während der Photosynthese große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid bindet und später in die Tiefsee transportiert, was Wissenschaftler als biologische Kohlenstoffpumpe bezeichnen. Gleichzeitig bildet Emiliania Kalziumkarbonat, wobei es zur Ansäuerung des Meerwassers kommt, das dann wiederum vermehrt Kohlendioxid freisetzt (sog. "Karbonat-Gegen-Pumpe"). Beide Prozesse wirken jeweils unterschiedlich auf die Kapazität der Ozeane, Kohlendioxid aufzunehmen. [...]

Der menschenverursachte Anstieg des Kohlendioxids führt langfristig zu einer Versauerung der Meere. Wie sich dies nun auf die Fähigkeit von Emiliania auswirkt, Kohlenstoff zu binden und in die Tiefsee zu transportieren, und ob dies die Auswirkungen des Klimawandels nun verstärken oder abpuffern wird, untersuchen Algenforscher am Alfred- Wegener-Institut in Bremerhaven. "Wir haben die offenen Fragen aufgegriffen und erforschen, wie kalzifizierende Algen wie Emiliania mit der Ozeanversauerung zurechtkommen und welche Konsequenzen sich daraus für das marine Ökosystem ergeben", erklärt Dr. Björn Rost, Leiter der Arbeitsgruppe PhytoChange, die die Folgen des Klimawandels auf das Phytoplankton im Meer untersucht. "Emiliania ist dabei besonders faszinierend, weil wir immer wieder staunen und uns fragen, warum diese Alge in einigen Regionen so dominierend ist."
(idw, 21. Januar 2009)

Daß eine derart angestrebte Dominanz die biologische Vielfalt im Meer stark beeinflussen muß, wird von Biologen gar nicht bestritten. Dies ist jedoch einer der Hauptkritikpunkte in der aktuellen Diskussion um die Meeresdüngung, der mit der neuerlichen Genehmigung des Experiments gewissermaßen unter den Teppich gekehrt wird.

Ein weiterer Kritikpunkt, der auch in dem vorangegangenen Beitrag UMWELTLABOR/240 ausführlich besprochen wird, ist die Ungewißheit, mit der man das Absinken des künstlich erzeugten Algenteppichs voraussagen kann, der durch Zwischenströmungen immer wieder hochgespült werden könne.

Auch diese Befürchtungen werden inzwischen durch weitere wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt. So kann man im Fachpool UMWELT -> REDAKTION einen Beitrag lesen, in dem offengelegt werden kann, daß sich durch die zunehmende Klimaerwärmung nicht nur die CO2- Absorptionsfähigkeit des Meeres verändert, sondern sich auch der Austausch zwischen bodennahen Schichten und dem Oberflächenwasser deutlich verringert:

Die Wissenschaftler hatten im Mai 2008 das Japan-Meer mit dem russischen Forschungsschiff "Professor Gagarinskiy" befahren und Wasserproben an 24 Stellen genommen. Dann maßen sie die CO2- Konzentration und verglichen sie mit denen aus Proben, die Forscher 1992 und 1999 gesammelt hatten. In den "Geophysical Research Letters" schrieben die Forscher, dass überraschenderweise fast die gesamte Aufnahme von anthropogenem Kohlendioxid der jüngsten Zeit an die oberste Meeresschicht von 300 Metern gebunden war. Die Forscher führen dies auf eine Abschwächung der Zirkulation zurück. Ob diese auch in anderen Meeresgebieten auftritt, wäre Gegenstand weiterer Untersuchungen. Ebenso wie die Frage, welche Bedeutung eine mangelnde Umwälzung für die umstrittenen Versuche zur Eisendüngung, wie sie mit dem Forschungsschiff "Polarstern" durchgeführt werden sollen, hat. (Schattenblick, KLIMA/352: Schwindende CO2-Absorptionsfähigkeit des Meeres
(SB))

Doch wenn erst künstlich massenproduziertes Phytoplankton an der Meeresoberfläche vergärt, wird der Treibhauseffekt durch das dadurch freigesetzte CO2 erheblich verstärkt.

Selbst wenn vier Gutachten das Experiment mit internationalen Abkommen und Bestimmungen vereinbar sowie aus Umweltgesichtspunkten als unbedenklich einstufen, zeigen doch zumindest diese weiteren Ansätze, daß es zumindest von naturwissenschaftlicher Seite durchaus immer noch ernstzunehmende Bedenken gibt. Die Bundesforschungsministerin fördert somit wissentlich ein Unternehmen, das ein 300 Quadratkilometer großes Meeresgebiet mit Chemikalien belasten und das vorherrschende Ökosystem verändern soll, um eine ungewisse Kohlenstoffverarbeitung anzuregen und zu erforschen, die aber - wenn sie denn jemals als Mittel letzter Wahl eingesetzt werden soll - garantiert nach hinten losgehen wird.

28. Januar 2009