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UMWELTLABOR/245: Bioindikatoren - Mysteriöses Fledermaus-Sterben (SB)


Seltsames Weißes-Nasen-Syndrom läßt Fledermäusen in New York keine Chance

Doch woher kommt diese neue Krankheit?


Seit 2007 kommen immer mehr Fledermäuse im Staat New York durch die sogenannte mysteriöse Weißnasenkrankheit zu Tode. Sie heißt so, weil man bei den verendeten Tieren stets einen weißen Flaum an der Schnauze findet, bei dem es sich um einen infektiösen Pilz handelt. Die Tiere scheinen frühzeitig aus dem Winterschlaf zu erwachen, sind meist abgemagert und geschwächt.

Abgesehen davon, daß man diesen Pilz laut David Blehert, Mikrobiologe vom National Wildlife Health Center, in der Onlineausgabe des Wissenschaftsmagazins Science als "noch nicht beschriebene Spezies" identifiziert hat und als Todesursache vermutet, läßt sich nicht erklären, warum Vertreter einer Tierart, die hochangepaßt seit Millionen von Jahren in ihrer ökologischen Nische überlebt haben (die Knochenfunde des bisher ältesten Fledermausskeletts werden auf 60 Millionen Jahre datiert (Wilson, S. 79)), seit nunmehr nur zwei Jahren plötzlich vom Aussterben bedroht sind.

Waren es anfänglich nur ein paar Hundert gewesen, so wurden im Winter 2008 schon Zehntausende von der Krankheit dahingerafft. Inzwischen bedroht die mutmaßliche Seuche ganze Fledermausbestände in den USA. Allein in der Hailes Cave, einer Höhle nahe Albany im Bundesstaat New York, sind von ehemals 16.000 Fledermäusen inzwischen laut Alan Hicks, einem Spezialisten für aussterbende Arten des New York State Department of Conservation, nur noch etwa 1.400 Exemplare übrig. Auch in anderen Höhlen sind die Populationen innerhalb von zwei Jahren zwischen 70 und 90 Prozent eingebrochen. Exakte Zahlen sind schwer zu ermitteln, da sich die Tiere in den Höhlen meist gut verstecken. Es gibt aber sogar schon Plätze, an denen gar keine Tiere mehr zu finden sind. Bisher ist nicht abzusehen, auf welche Weise das Sterben beendet werden könnte.

Über den Pilz weiß man nicht viel:

"Der Pilz bildet eine bislang unbekannte Art von Sporen aus", sagt Blehert. Diese sogenannten Konidien dienen dem Pilz, um sich zu vermehren und können möglicherweise allergische Reaktionen auslösen. Bei den Fledermäusen frisst sich der Pilz sogar durch die Haut, wie Blehert und sein Team entdeckt haben. "Er bevölkert Haarschäfte, Talg- und Schweißdrüsen der Tiere und frisst sich durch das Gewebe der Flügel", erläutert Blehert.
(Zeit Online, 31. Oktober 2008, Siechtum an der Höhlendecke)

Die Tatsache an sich, daß es sich um eine bisher wenig untersuchte und kaum bekannte Pilzart handelt, bedeutet jedoch nicht, daß eine solche Spezies spontan entstehen und gewissermaßen aus dem Nichts plötzlich Lebewesen bedrohen kann. Es ist vielmehr anzunehmen, daß die Pilzsporen seit jeher in den Höhlen und in der Atemluft des Lebensraums der Höhlenbewohner vorhanden sind, und Fledermäuse und Pilze Hunderte von Jahren friedlich koexistieren konnten. Es muß andere Faktoren geben, die das Immunsystem der Tiere oder diese selbst so schwächen, daß ein bisher harmloses Agens sich nun so verheerend auswirken kann. Davon allerdings sprechen Mikrobiologen und Tierexperten nicht.

Auch die Tiermediziner, Mikrobiologen und Artenschützer, die sich bislang mit der Weißnasen-Krankheit befaßten, können die Frage, ob der Pilz tatsächlich der Auslöser des Massensterbens ist oder die Tiere nur von ihm befallen werden können, da sie ohnehin schon geschwächt sind, nicht mit Sicherheit beantworten. Rätselhaft sei neben dem Pilzbefall nämlich auch, daß viele der toten Fledermäuse wenig bis gar keine Fettreserven mehr haben. Diese sind jedoch wichtig, damit die Tiere in den feuchtnassen Höhlen überhaupt ihren Winterschlaf abhalten können.

Auch andernorts werden Fledermäuse als zunehmend "krankheitsanfällig" bezeichnet und weltweit zu den bedrohten Tierarten gezählt, als sei mit den Tieren über Nacht etwas Unerklärliches geschehen. Dabei sind gerade diese teilweise hochspezialisierten und extrem stoffwechselangepaßten Tiere, die in manchen Gebieten wie Costa Rica als Fruchtfresser und Nektartrinker eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Pflanzensamen und Pollen spielen, während sie in Europa vor allem Insekten dezimieren, durch ihre Ernährung allgemein von Veränderungen in Umwelt und Landwirtschaft und neuen Pflanzenschutzmitteln oder Insektiziden im Besonderen stark betroffen.

Allein die mögliche toxische Belastung durch Umweltschadstoffe und Gifte, denen Lebewesen, die selten auf Reserven zurückgreifen und einen äußerst hohen Stoffwechselumsatz besitzen, durch ihren hohen Nahrungsumsatz in besonderem Maße ausgeliefert sind, müßte die Experten eigentlich mit den Nasen darauf stoßen, daß weder Ursache noch Heilung des Massensterbens bei den Pilzen zu suchen ist. Auch der in den Vereinigten Staaten zunehmende Anbau gentechnisch veränderter Arten könnte hier einen Einfluß haben. Schließlich wurden schon in der natürlichen Bakterienflora des Verdauungsystems bei Bienen solche genetischen Veränderungen festgestellt.

Auch in Europa wird eine allgemeine Schwächung der örtlichen Populationen festgestellt, bei denen allerdings keine Pilze, sondern andere Krankheitserreger gefunden werden.

So schreibt Kristin Mühldorfer, Tierärztin und seit Juli 2007 am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), in ihrer Doktorarbeit über "Krankheiten bei einheimischen Fledermäusen":

100 frisch tote Tiere von elf verschiedenen einheimischen Fledermaus Spezies im IZW seziert und histo-pathologisch, sowie die Hälfte der Tiere zusätzlich bakteriologisch untersucht. In Kooperation mit dem Robert-Koch-Institut, Berlin, und dem Friedrich-Löffler-Institut, Standort Wusterhausen, erfolgten Untersuchungen zu möglichen Infektionen mit spezifischen viralen Erregern.

Die Ergebnisse:

- Rund 50% der Tiere wiesen entzündliche Veränderungen in den Lungen auf.

- 33% zeigten eine Leberentzündung, davon 10% in Kombination mit einer Lungenentzündung.

- Mindestens 25% der bakteriologisch untersuchten Tiere verstarben an bakteriellen Infektionen.

- Bei weiteren 25% konnte eine Infektion mit verschiedenen Herpesviren nachgewiesen werden.

- Bei keinem Tier wurde die Fledermaustollwut nachgeweisen.

- 25% aller histologisch untersuchten Tiere zeigten keine morphologischen Veränderungen.

(Doktorarbeit über "Krankheiten bei einheimischen Fledermäusen, Kristin Mühldorfer, Juli 2007)

In der Rahmenstudie des Berliner Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) von Dr. Gudrun Wibbelt, Pathologie und Dr. Stephanie Speck, Bakteriologie, wurden vor allem seltene Herpesviren unter die Lupe genommen. Dabei handelte es sich um neu beschriebene Herpesviren, die nie zuvor in Fledermäusen gefunden wurden. Das Journal of General Virology veröffentlicht die Arbeit (J Gen Virol 2007; 88: 2651-2655).

Auch auf diese Erreger wurde man erst durch Todesfälle aufmerksam:

In ihrem Pilotprojekt untersuchten Wibbelt und Kollegen Tiere von acht europäischen Fledermausarten, die tot aufgefunden worden waren.

Lungengewebe von 25 dieser Tiere wurde mittels molekularbiologischer Methoden auf Herpesviren (Dr. B. Ehlers und Dr. A. Kurth, RKI) untersucht; 21 dieser Individuen stammten aus dem Großraum Berlin, 4 aus der Gegend um Freiburg. Mehr als die Hälfte der toten Tiere wiesen Anzeichen einer Lungenentzündung auf. Die Untersuchungen zeigten bei 15 Tieren eine Infektion mit bislang unbekannten Herpesviren, sieben davon Gamma-Herpesviren, eines ein Beta-Herpes-Virus.

Es zeigte sich außerdem, daß die gefundenen Herpesviren entfernt mit jenen Erregern verwandt sind, die beim Menschen Lippenbläschen verursachen können. Kurzum: Auch in Deutschland sterben Fledermäuse an ubiquitär vorkommenden und latent vorhandenen Erregern, die bisher keine Probleme gemacht haben. Ein durchaus naheliegender Zusammenhang zwischen der plötzlichen Schwächung des "Bioindikators Fledermaus" und dem erst vor wenigen Jahren eingeführten Anbau genetisch veränderter Pflanzen oder andere Faktoren einer veränderten und toxischeren Umwelt wird von den fraglichen Institutionen nicht gezogen und auch nicht weiter untersucht.

Hier wie in den USA wird die Schuldfrage systematisch auf
Mikroorganismen umgelastet, um von den wesentlich gravierenderen und
brisanteren Umweltauswirkungen abzulenken und um nicht zugeben zu
müssen, daß es sich bei der Spezies Fledermaus um einen klassischen
Bioindikator für die eigenen wortwörtlichen "Feldversuche" handelt.

Quellen:
New Scientist magazine, issue 2645, 28. März 2008

Zeit online 31. Oktober 2008, Siechtum an der Höhlendecke

USA TODAY online, 18. Februar 2009

24. Februar 2009