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UMWELTLABOR/247: Sick Building Syndrom (1) Sensibel und ausgegrenzt (SB)


Ursache unbekannt und unvermeidbar ...


Augenbrennen, Atemwegsinfekte, Haut- und Schleimhautreizungen, Kopfschmerzen oder Schmerzen des Gesichts, Jucken, Müdigkeit, allgemeines Unwohlsein und Allergien sind die unspezifischen Symptome einer schon in den 70er Jahren "entdeckten" Umweltkrankheit, die von der Medizin in Anlehnung an den angelsächsischen Sprachgebrauch als "Sick Building Syndrom" (SBS) - Gebäudekrankheit - klassifiziert wird, ein nur unzureichender Begriff für die Erscheinung...

"Sich in einem 'krankmachenden' Gebäude schlecht fühlen" wäre wohl die im Deutschen zutreffendere Bezeichnung für diese Vergiftungssymptome. Der Begriff 'krankmachend' steht in Anführungszeichen, da bis heute nicht eindeutig geklärt werden konnte, ob es tatsächlich nur Gebäudeeinflüsse sind, die zu den Befindlichkeitsstörungen führen und falls ja, welche.

Das durch viele, schwer identifizierbare Faktoren hervorgerufene Sick- Building-Syndrom wird daher in der Medizin von einer ähnlichen Erscheinung, der Building Related Illness (BRI) - der gebäudebezogenen Krankheit - abgegrenzt. Bei letzterer sollen sich die negativen Gebäudeeinflüsse angeblich durch Messungen exakt nachweisen lassen. SBS und BRI gelten heute als nicht zu unterschätzende Probleme der Innenraumhygiene. Genaugenommen wurde aber durch diese Unterscheidung und der damit auch gleichzeitig möglichen Verwechslung nur eine Verschleierungsmöglichkeit geschaffen, mit der die undefinierbaren, nicht einfach behebbaren Probleme des SBS wesentlich bewältigbarer erscheinen, da es eine ähnliche, auf bestimmte Gifte zurückführbare, Krankheit gibt.

Bei letzterer lassen sich die Symptome durch die Beseitigung der Ursachen ganz einfach mindern, also durch Vermeidung von gesundheitsschädlichen Ausdünstungen, giftigen Farben und Lacken, von Elektrosmog sowie in der Abschaffung bzw. Nachrüstung alter oder defekter Klimaanlagen. Erste einfache Lösungsansätze sind häufiges Lüften in neuen oder frisch renovierten Gebäuden und das Beachten der richtigen Luftfeuchtigkeit (zwischen 50 und 65 Prozent in Büroräumen, bei Klimaanlagen 70 Prozent). Zudem sollen geeignete Grünpflanzen Luftschadstoffe und Möbelgifte filtern...

Doch gerade diese harmlosen Problemlösungen legen nahe, daß sowohl bei BRI als auch bei SBS von einer ernsten Vergiftung ausgegangen werden muß. Die ersten Fälle wurden zwar vor allem in Bürogebäuden zur Kenntnis genommen, da sich die Befindlichkeitsstörungen umgehend auf die Leistungsfähigkeit auswirken, die Betroffenen erkranken jedoch auch in jenen vier Wänden, in denen sie eigentlich Zuflucht suchen, und es ist dann letztlich das eigene Zuhause, das sie mit einer variierenden Mixtur von Giftstoffen angreift. Selbst unter vermeintlich optimal eingestellten klimatischen Bedingungen bekommen Menschen diese Gesundheitsprobleme, die gewissermaßen mit der Atemluft (einer Mischung aus der keimbelasteten Lüftungsluft verschmutzter Klimaanlagen, Lösungsmitteldämpfen und anderen ausdünstenden Giftstoffen) transportiert werden. Der Zigarettenqualm, der früher meist für solche Befindlichkeitsstörungen verantwortlich gemacht werden konnte, hat sich in den heutigen Bürokomplexen meistens durch Rauchverbote und Raucherzonen überlebt.

Die Betroffenen klagten über Beeinträchtigungen der Lebensqualität und des Allgemeinbefindens, des Arbeitslebens und der Belastbarkeit. Schlafstörungen, Kopfschmerzen, häufige Infektionskrankheiten, Müdigkeit und Schwindelanfälle beeinträchtigen den Berufsalltag, das Alltagsleben, das Privatleben und die Beziehung. Sie können schließlich zu häufigen Arztbesuchen, Krankschreibungen, Fehlzeiten und sogar zur Arbeitsunfähigkeit führen. Besonders bei ständigen Kopfschmerzattacken besteht darüber hinaus die zusätzliche Gefahr einer Medikamentenabhängigkeit. Außerdem leiden die Betroffenen auch noch unter der Stigmatisierung, "hysterisch", "übersensibel" oder "psychisch krank" zu sein.

Eindeutige Beweise für die tatsächliche Existenz einer Erkrankung fehlen jedoch nach wie vor. Was das ganze für neue Theorien und Spekulationen prädestiniert, in denen die Ursachen ihres Leidens auf die Betroffenen selbst zurückgeführt werden, so daß ein unter den SBS- Vergiftungssymptomen Leidender am Ende für die eigene Erkrankung verantwortlich gemacht wird, weil er nicht belastbar genug ist oder den psychischen Streß seiner Arbeit nicht aushält. Ganz unbenommen führen die als "Sick-Building-Syndrom" (SBS) bezeichneten Beschwerden zu bedenklichen Fehlzeiten am Arbeitsplatz (Absentismus) und haben somit ernstzunehmende betriebs- und volkswirtschaftliche Konsequenzen.

Zu diesem Thema ist in letzter Zeit das Buch "Das Sick-Building- Syndrom unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses von Mobbing" von Sylvia Mackensen von Astfeld verfaßt worden. Vermutlich erhofft man sich davon, daß sich das SBS-Problem im Zuge wachsender Rezession und drohender Erwerbslosigkeit quasi von selbst behebt, wenn es offiziell als psychisches Problem eingestuft wird. Diese Ansicht scheint schon recht weit verbreitet, denn nur das Online-Lexikon Wikipedia zweifelte an:

Behauptungen, es handle sich bei den auch mit Kopfschmerz, Schleimhautreizungen und Müdigkeit verbundenen Beschwerden um ein massenpsychologisches Phänomen, konnten durch Untersuchungen nicht bestätigt werden.
(aus: "http://de.wikipedia.org/wiki/Sick-Building-Syndrom", 21. Januar 2009)

Ansonsten gilt es gemeinhin zwar noch als ungeklärt, welche Rolle psychosoziale Variablen bei der Entstehung des SBS spielen, hält es aber durchaus für möglich, daß die auf die oben genannten Faktoren zurückgeführten Beschwerden durch psychischen Streß verstärkt oder auch erst zum Vorschein gebracht werden können:

Wie erste Analysen aus dem ProKlimA-Projekt gezeigt haben, können durch psychosoziale Variablen bis zu 48% der Varianz von Befindlichkeitsstörungen erklärt werden. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Belastungen, die mit dem Arbeitsplatz einhergehen, eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des SBS spielen. Die Beziehungen am Arbeitsplatz können belastet sein, indem eine Person von einer anderen schikaniert und benachteiligt wird. Kommen diese Drangsalierungen oft und über einen längeren Zeitraum vor, so spricht man von "Mobbing". Mobbing ist ein bedeutender Stressor am Arbeitsplatz und kann bei langandauernder Exposition zu sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Die Studie geht davon aus, dass bei Personen, die als gemobbt eingestuft werden, die Wahrscheinlichkeit, SBS-Beschwerden zu bekommen, erhöht ist, möglicherweise aufgrund sensiblerer Reaktionsweisen der Betroffenen auf ihre Umwelt.
(1)

Dabei wären allein die in Frage kommenden Giftstoffe vielfältig genug, zumal die Sensibilität gegen Umweltchemikalien bekanntlich steigt.

Den Gipfel des Eisbergs stellen dabei die bekannten Symptome der Multiplen Chemikaliensensibilität (MCS) dar: Der Körper von MCS- Patienten erkennt in diesem Fall schon Spuren von Chemikalien (weit unter der allgemeinen Wirkschwelle) und reagiert darauf mit Vergiftungssymptomen. Anders gesagt handelt es sich um nichts anderes als die auch für SBS und BRI beschriebenen, in Frage kommenden Auslöser, nur hat sich hier die Wirkung um einiges potenziert.

Die Betroffenen klagen über Gelenkschmerzen, Erschöpfung, Hautausschlag und Depressionen. Da diese vagen und wenig spezifischen Hinweise auf eine Vergiftung gemeinhin auch mit der eigenen schlechten Körperverfassung verwechselt werden, leiden die Geschädigten oft lange, ehe die Krankheit überhaupt diagnostiziert wird. Und viele Beschwerden werden gar nicht erst ernst genommen.

Die Betroffenen, die in derartigen Interessenkonflikten bezeichnenderweise gerne nur als "potentiell Geschädigte" deklariert werden, ziehen aufgrund der "komplexen Gemengelage" aus unzureichenden, beliebig interpretierbaren wissenschaftlichen Daten, unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansichten und verschiedensten Interessen von Wirtschaft und Politik gewöhnlich einfach den kürzeren. Nur wer seine Chemikalienüberempfindlichkeit konkret nachweisen kann (und wer kann das schon), hat Chancen, mit seinem Anliegen überhaupt Beachtung zu finden, wie das folgende Fazit einer offiziellen Studie über Insektizide beweist, das sich auf die altbekannte Verschleierungsstrategie bezieht:

Die Ergebnisse der Studien geben keine belastbaren Hinweise auf eine gesundheitliche Gefährdung von Menschen durch Pyrethroide in Innenräumen, wenn die Insektizide dort zur Schädlingsbekämpfung einmalig oder zum Schutz von Wollteppichen und -teppichböden vor Fraßschäden durch Motten- und Käferlarven in sachgerechter Weise eingesetzt werden. Forschungsbedarf besteht hinsichtlich besonders empfindlicher Personen.
(Quelle: Pyrethroidexposition in Innenräumen, Bundesministerium für Bildung und Forschung 2002)

Ein beruhigendes und glattes Ergebnis. Die Erkrankten leiden allerdings weiterhin an unerklärlichen Kopfschmerzen, Müdigkeit, Taubheitsgefühlen oder schlimmeren Symptomen. In einem Artikel aus der Zeitschrift "medizin + umwelt" (2), der drei Jahre vor dieser vermeintlichen Studie erschien, konnte man noch den Eindruck gewinnen, daß es zumindest dort um eine rechtzeitige Prophylaxe für die möglicherweise Gefährdeten ginge:

Zur Zeit läßt sich feststellen, daß für die allermeisten Schadstoffe keine ausreichenden Erkenntnisse vorliegen. Wissen über die Wirkung von Schadstoffgemischen ist nur vereinzelt vorhanden. Wichtig ist, die Menschen jetzt schon vor Auswirkungen von Schadstoffen zu schützen, man kann selbstverständlich nicht warten, bis das letzte Detail für eine Einschätzung geklärt ist.
(medizin + umwelt, Januar 1999, 12. Jahrgang, Seite 19-22)

Laut einem Bericht in dem populärwissenschaftlichen Magazin PM (6/2001) gibt es offizielle Schätzungen, nach denen etwa drei Millionen Deutsche an der multiplen Chemikaliensensibilität leiden. Doch sei dies erst der Anfang meinte der deutsche Umweltmediziner Klaus-Dietrich Runow gegenüber PM:

"Uns steht das Jahrhundert der Umweltkrankheiten bevor."
(PM, Juni 2001)

Faktisch bleibt, daß jeder Mensch in seinem Arbeits- und Wohnbereich mit zahllosen Giftstoffen, Altlasten und mikrobiellen Verunreinigungen in seinem Organismus fertig werden muß, deren Wechselwirkung und synergistische Effekte man bis heute nicht wirklich vorhersagen kann. Mit einer Aufstellung, womit man im einzelnen konfrontiert wird, beginnt der nächste Teil dieser Serie.

Fortsetzung folgt...

Anmerkungen: (1) Das Sick-Building-Syndrom unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses von Mobbing, Sylvia Mackensen von Astfeld, HIPPOKRATES - Schriftenreihe Medizinische Forschungsergebnisse, Bd. 55, Hamburg 2000, 217 Seiten, ISBN-13: 978-3-8300-0130-0)

(2) "medizin + umwelt", 1/99, 12. Jahrgang, Seite 19-22

5. März 2009