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UMWELTLABOR/264: Warum Nashörner in Gefangenschaft sterben (SB)


Ist Eisen für Nashörner tödlich?

Neue biochemische Erkenntnisse bringen noch lange keine Freiheit


Daß eine mögliche Todesursache von Nashörnern in Gefangenschaft eine Überdosis an Eisen sein kann, haben Veterinärmediziner aus Cape Town bei der Ergründung der Todesursache des bedrohten schwarzen Nashorns, das nur schwer in Gefangenschaft gehalten werden kann, herausgefunden.

Einer Studie der Universität von Cape Town in Südafrika zufolge unterscheidet sich das Nashornblut in seiner chemischen Zusammensetzung wesentlich von anderen Tierarten.

Offenbar ist in den Blutzellen des schwarzen Nashorns 50 mal so viel sogenanntes Tyrosin enthalten wie in menschlichen roten Blutkörperchen bzw. Erythrocyten. Die aromatische Aminosäure, die normalerweise nicht als Baustein beim Aufbau von Proteinen, sondern im Organismus als Vorstufe des Melanins und Adrenalins gebraucht wird, wirkt bei den Nashörnern in dieser hohen Konzentration als Antioxidanz, um radikal auftretenden, elementaren Sauerstoff zu neutralisieren. Das überschüssige Eisen kann dann nicht mehr gebunden werden und wird ausgeschieden.

Inzwischen nimmt die Zahl der Tiere in freier Wildbahn, die durch die skrupellose Jagd auf wertvolle "Nashorn Hörner" schon stark dezimiert waren, wieder leicht zu. Dennoch ist man zur Erhaltung der noch vom Aussterben bedrohten Spezies auf die in Gefangenschaft gehaltenen und gezogenen Tiere angewiesen.

Allerdings überleben die wenigsten Tiere die Gefangenschaft. Allein im letzten Jahrzehnt starb die Hälfte der schwarzen Nashörner in den Zoos an sogenannter chronischer Anämie. Die betroffenen Tiere leiden unter niedrigem Niveau an Blutzellen, Schwäche und Apathie. Oft findet sich kurz vor dem Tod Blut im Urin.

Während beim Menschen solche Formen der Anämie von einem niedrigen Eisengehalt abhängen und durch zusätzliche Eisengaben verbessert werden können, dürfte bei Nashörnern gerade die hohe Eisenzufuhr, die sie mit dem ungewohntem Futter im nebenherein verabreicht bekommen, verantwortlich sein. Die südafrikanischen Forscher legen nahe, daß diese Erkenntnisse die häufigen Todesfälle von Nashörnern in Gefangenschaft erklären könnten.

In der Wildnis weiden sich die Tiere an Akazien, die im Vergleich zu Pflanzen wie Gras relativ wenig Eisen enthalten. Es kann zwar noch nicht bestätigt werden, aber die natürliche Nahrung des Nashorns dürfte auch ein höheres Tyrosin-Niveau beinhalten. Die Diät der Nashörner in den Zoos scheint ein zweiseitiges Problem darzustellen: Sie bekommen mehr Eisen als sie gewöhnt sind, aber weniger Tyrosin, das dem Effekt entgegenwirken könnte.

Um diesen tödlichen Zirkelschluß zu durchbrechen, kamen die Forscher auf die Idee, dem Futter von Nashörnern in Gefangenschaft den Gerbstoff Tannin zuzusetzen. Tannin ist bekannt dafür, mit Eisen unlösliche Komplexe einzugehen. Damit soll das Eisen im Futter gebunden werden.

Nun, wer einmal stark gerbsäurehaltigen Tee auf nüchternen Magen getrunken hat, weiß, daß einem davon außerordentlich übel werden kann. Das kommt von dem adstringierenden (gerbenden) Effekt auf alle Schleimhäute, damit auch auf die Magenschleimhaut, was sich je nach Empfindlichkeit in der Befindlichkeit niederschlägt. Offensichtlich gehen die Forscher davon aus, daß Nashörner einen Pferdemagen besitzen. Doch tatsächlich geht es den Tieren mit dem chemisch angereicherten Komplexfutter auch nicht viel besser. Denn das könnte zwar an der Nebenwirkung der Gerbsäure liegen oder aber die bisherige Hypothese in Frage stellen.

Dennoch scheinen sich die Veterinärmediziner zu wundern, warum ihr genialer Schachzug den Gesundheitszustand der Zootiere bisher noch nicht verbessern konnte. Ihrer Meinung nach müsse die perfekte Futterchemie noch erfunden werden:

Das kann aber darauf zurückzuführen sein, dass die perfekte Kombination der Chemikalien noch nicht eruiert wurde. "Bei einer chronischen Erkrankung kann nicht einfach die Diät umgestellt werden, um nach zwei Wochen die Auswirkungen zu untersuchen", erklärt Marcus Clauss, ein Experte für Nashorn-Nahrung von der Universität München. "Bei einer Spezies, die bis zu 30 Jahre alt werden kann, ist das ein Langzeit-Prozess."
(Pressetext, 3. August 2004)

Abgesehen davon, daß auch die Sauerstoff-Eisen-Tyrosin-Abhängigkeit ein wenig an den Haaren herbeigeholt zu sein scheint, kommt offenbar niemand auf die naheliegende Idee, daß es durchaus auch die Gefangenschaft an sich sein könnte, welche die Tiere krank werden läßt, während ihre besondere Stoffwechseldisposition nur eine untergeordnete Rolle in diesem Dilemma spielt.

Erstveröffentlichung 23. August 2004
neue, aktualisierte Fassung

18. Dezember 2009