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MELDUNG/008: Erdbeben invasiv (SB)


Erd- und Denkanstöße - Methaneinlagerungen mit ungeahnten Nebenwirkungen

Künstliche CO2-Untertage-Deponien (Carbon Capture and Storage CCS) oder Fracking-Vorhaben erhalten eine weitere umweltgefährdende Dimension



Das Konzept scheint schlüssig. Kohle- und Gaskraftwerke könnten trotz ihrer unausweichlichen Produktion an klimaerwärmenden Treibhausgasen noch eine Zukunft haben, wenn es gelänge, die dabei entstehenden Kohlenstoffdioxid-Emissionen (CO2) abzufangen, zu verflüssigen und beispielsweise unter der Erde zu lagern. Dies ist in aller Kürze eine Methode, die seit einiger Zeit unter dem Begriff CCS (Carbon Capture and Storage) immer wieder zum Thema wird, wenn es um die Einsparung von CO2 Ausstößen geht [1]. Um das 2-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 75% einzuhalten, dürften die gesamten Treibhausgas-Emissionen von 2000 bis 2050 nämlich nicht über 1.000 Milliarden Tonnen anwachsen. Aktuell werden noch 36 Milliarden Tonnen CO2 jährlich emittiert. Da allein von 2000 bis 2006 auf diese Weise bereits 234 Milliarden Tonnen emittiert wurden, liegt das verbleibende Emissionsbudget bereits unter 766 Milliarden Tonnen. Um das Ziel einzuhalten, müßten laut Mark Zoback, Professor für Geophysik an der Stanford University in Kalifornien, in Zukunft jährlich mindestens 3 Milliarden Tonnen CO2 sicher eingelagert werden. Doch genau das ist auch ein Problem. Denn das CCS-Verfahren, an das ebenso große Umweltauflagen gestellt werden müssen wie an das derzeit vieldiskutierte Fracking [2], gilt in den meisten Fällen als nicht sicher genug. Laut Zoback, der hierzu in der Sendung Forschung aktuell zitiert wurde [3], können durch das Verpressen riesiger Mengen an verflüssigtem CO2 Erdbeben ausgelöst werden, vor allem im Innern von Kontinenten, also genau dort, wo auch die größten CO2-Schleudern stehen, gäbe es Verwerfungen von Gestein, also Brüche und damit auch hohe Spannungen.

Eine Kostprobe, wie sich diese potentielle Gefahr anfühlen könnte, sollte die Technologie einmal Anwendung finden, können derzeit die Menschen an der spanischen Mittelmeerküste südlich des Ebro-Deltas, in Katalonien und Valencia, erleben. Dort wird das Land seit dem 8. September 2013 von einer Serie von Erdstößen erschüttert. Die ersten Beben wurden nur von Seismographen wahrgenommen und bisher sei noch kein großer Schaden entstanden, berichteten die Medien, aber inzwischen macht sich in der Bevölkerung Angst breit, wenn plötzlich in der Nacht die Wände zittern, Fensterscheiben vibrieren oder sich das Mobiliar verschiebt. In dem Gebiet an der Mittelmeerküste zwischen den Städten Amposta und Castellón hatte es seit Jahrzehnten keine nennenswerten Beben mehr gegeben, nun wurden in wenigen Wochen über 400 Erschütterungen registriert, zwei davon erreichten eine Stärke von 4,1 und 4,2 auf der Richterskala und waren bis Barcelona zu spüren. Das ist ein neuer Rekordwert für diese Region. Ein natürlicher Ursprung scheint sehr unwahrscheinlich.

Die Kleinstädte Vinaròs, Benicarló und Peñíscola forderten auf Druck der besorgten Bevölkerung über das Industrieministerium Experten an, um abzuklären, inwieweit die Erdbeben mit der unterirdischen Einlagerung von Erdgas in Verbindung gebracht werden müssen, mit denen ein Erdölunternehmen quasi kurz vor Beginn der seismischen Unruhen, im Juni, probeweise begonnen hatte. Ein Beben in der Stärke von 3,6 am 24. September war direkt nach einer Einlagerung spürbar geworden.

Zwischen 1973 und 1998 wurde in der Nähe des Ebro-Deltas im Mittelmeer Erdöl gefördert. Unter dem Projektnamen "Castor" soll nun in den ehemaligen Erdöllagerstätten, 20 Kilometer von der Mittelmeerküste entfernt und 1.700 Meter unter der Meeresoberfläche, das größte unterirdische Erdgaslager des Landes entstehen. Durch temporäre Einlagerungen in die freigewordenen Speicher will Spanien, das fast seinen gesamten Bedarf importieren muß, größtenteils aus Algerien, von den Schwankungen des Weltmarkts unabhängiger werden. Ein solcher Gasspeicher, von dem es bereits einige Hunderte auf der Welt gibt, dient als Puffer, um Angebot und Nachfrage auszugleichen. Laut Berliner Zeitung [4] könnte darin der gesamte Gasbedarf Spaniens von 17 Tagen zwischengelagert werden.

Die Internetzeitung Telepolis [5] schrieb am 4. Oktober 2013, daß der Industrieminister José Manuel Soria weitere Einspeisungen von Gas mit einer einstweiligen Verfügung bereits am 26. September 2013 gestoppt habe. Soria habe betont, hieß es weiter, daß die mit dem Projekt beauftragte Firma Escal UGS über alle notwendigen Gutachten verfüge, bei denen jegliche Erdbebenrisiken ausgeschlossen worden seien.

Im Widerspruch dazu heißt es in der Berliner Zeitung, daß das Projekt Castor bereits 2009 seinen Segen von der damaligen spanischen Regierung erhielt, ohne die seismologischen Risiken begutachten zu lassen, wie Umweltminister Miguel Arias Cañete nun einräumte. Alle anderen notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfungen waren zugunsten des Vorhabens ausgefallen. In einem Gutachten wurde sogar festgestellt, daß das Rauschen in den Gasleitungen das Gehör von Schildkröten und Fischen nicht beeinträchtigen werde. [6]

Die katalanische Regionalregierung machte nach eigenen Angaben im Vorfeld zwei Mal darauf aufmerksam, dass die Möglichkeit geprüft werden müsse, ob das Auffüllen der alten Erdöllagerstätte mit Gas Erdbeben auslösen könne. "Das war sicherlich nicht Vorschrift", meint der katalanische Regionalminister Santi Vila, aber Tatsache sei: "Es wurde nicht gemacht." [4]

Die Betreibergesellschaft von Castor, Escal UGS, habe jedoch beteuert, ein solches Gutachten auf eigene Verantwortung in Auftrag gegeben zu haben - mit dem Ergebnis, daß keine besondere Erdbebengefahr zu fürchten sei. Wie auch immer, nun bebt die Erde.

Escal-UGS, das im Juni damit begonnen hatte, das alte Erdöllager probeweise mit Gas aufzufüllen, glaubt nicht daran, daß ein derart "winziger Eingriff" an der alten Lagerstätte dieses gewaltige Ausmaß zu verantworten habe. In der Berliner Zeitung wird Projektleiter Recaredo del Potro mit der Überzeugung zitiert, daß sie damit möglicherweise etwas anderes ausgelöst haben müßten, das dann zu den starken Beben führte. Doch für Escal-UGS steht immerhin eine 1,3 Milliarden Euro-Investition auf dem Spiel. Die Firma versichert, daß derzeit sowohl das Einfüllen wie die Entnahme von Gas gestoppt und damit Auflagen des Industrieministeriums strikt ausgeführt worden seien. Sowohl das zweite Lager im Meer, als auch das an Land seien im perfektem Zustand und die Sicherheit und Operierbarkeit beider Anlagen gewährleistet.


Kleiner Auslöser große Wirkung

Daß auch eine kleine Veränderung im strukturellen Gefüge eine Art Kettenreaktion nach sich ziehen kann, wäre jedoch durchaus denkbar und ist zudem nichts Neues. Auch bei der Hydraulischen Fraktionierung wird Flüssigkeit mit starkem Druck in die Erdtiefe injiziert, womit absichtlich eine Art Kettenreaktion bzw. unterirdisches Mini-Erdbeben erzeugt werden soll, um das gashaltige Gestein aufzubrechen. Die Gefahr, daß sich beim hydraulischen Zertrümmern tektonische Spannungen im Gestein entladen und zu seismischen Ereignissen führen können, gehört zu den bekannten Risiken sowohl der Schiefergasförderung als auch der petrothermalen Geothermie. So wurden im Rheingraben in Landau (2009) und Basel (2006) nach dem Fracken für Geothermie-Projekte leichte Erdbeben ausgelöst. [2]

In diesem Fall füllte sich, wie der Minenexperte Ángel Cámara [5] in Telepolis erklärt, ebenfalls kein großer Hohlraum mit flüssigem Gas, sondern es wurde neues Gas in den porösen Untergrund eingepreßt. Die Berufsgenossenschaft der Geologen erkennt durchaus einen Zusammenhang zwischen den Einlagerungen und den Erdbeben. Ihr Präsident Luis Eugenio Suárez spricht von einer "induzierten Erdbebentätigkeit". [7] Das Herauspumpen des Öls verringere den Druck im Gestein, das sich dadurch an manchen Stellen zusammengezogen habe. Beim Injizieren des Flüssiggases muß es sich wieder weiten und das kann zu Spannungen und, wenn der Druck zu groß ist, zu Brüchen und Verrutschungen führen. Dieses Risiko besteht jedoch immer, wenn Flüssigkeiten oder Flüssiggas verpreßt werden, das heißt ebenso bei der unterirdischen Einlagerung von CO2 wie auch bei der Hydraulischen Fraktionierung. Hier kommt noch ein weiterer denkbarer Mechanismus dazu, da das Gas möglicherweise an manchen Stellen aus den porösen Schichten auch noch Wasser verdrängen muß, das an den Ort des vor Jahrzehnten geförderten Erdöls nachgeflossen ist. Auch diese Umlagerungen von Masse können seismische Ereignisse nach sich ziehen.

Tiefengestein, das sich für CCS eignet, enthält Poren, die mit Salzwasser gefüllt sind. Injiziert man CO2 in ein solches Reservoir, erhöht sich der Druck, unter dem das Salzwasser steht. So kann es leichter zu Erdbeben kommen. Im vergangenen Jahr hat das Verpressen von Abwasser im Untergrund gleich an mehreren Orten in den USA Erdbeben verursacht. Auch durch die Injektion von Wasser bei Geothermie-Projekten ist so etwas schon passiert. [3]

Die Erdbebengefahr der Gegend sollte laut dem Geologie-Institut Kataloniens (IGC) ebenfalls nicht unterschätzt werden. Es schließt selbst stärkere Beben als die bisherigen nicht aus. Bis jetzt seien größere Beben dadurch verhindert worden, daß sich die Bodenverschiebungen noch vor der Küste unterhalb des Meeres ereigneten.

Hier nicht erwähnt, aber bei CO2 Einlagerungen im Untergrund bereits diskutiert, wurde, daß schon ein Erdbeben der Stärke 4, das man zwar sicher weiträumig spürt, das aber kaum oder überhaupt keine Schäden an der Oberfläche verursacht, zu Rissen im Tiefengestein führen und den potentiellen CO2-Speicher undicht werden lassen kann. Auch können bereits Verschiebungen von wenigen Zentimetern eine Störungsfläche von mehreren Kilometern betreffen. Das könnte möglicherweise das gesamte Projekt in Frage stellen. [1]


Was nun?

Eulàlia Masana, Professorin für Geologie an der Universität Barcelona, sowie ihr Kollege Cámara halten zwei Entwicklungen für möglich: Entweder hätten die bisherigen Beben die Spannungen im Boden abgebaut, dann könne sich die Lage ohne weitere Reizungen wieder beruhigen. Denkbar sei jedoch auch ein Domino-Effekt. Bei einem Beben über der Stärke 6,0 wäre theoretisch nicht auszuschließen, daß es bei entsprechenden Verwerfungen der Erdkruste zu einem Tsunami an der Küste kommen könne. Inwieweit dies Folgen für die Atomkraftwerke am Ebro haben könnte, wurde hier nicht diskutiert. Diese sind allerdings von anderer Seite her ebenfalls durch induzierte Erdbeben gefährdet. Ein Staudamm drückt am Oberlauf auf Erdfalten und löst so indirekt Erdstöße aus. Da dieser ohnehin für unsicher gehalten wird, weil eine Hangseite abzurutschen droht, sind auch hier bereits dramatische Krisenszenarien angedacht.

Vorerst gilt das Versprechen von Industrieminister José Manuel Soria, das Erdgaslager erst in Betrieb zu nehmen, wenn die Sicherheit der Bevölkerung vollständig garantiert sei. Die Frage, ob das Milliardenprojekt nicht besser ganz einzustellen sei, bleibt allerdings offen. Sollte sich der vermutete und sehr wahrscheinliche Zusammenhang zwischen Gaseinlagerungen und Erdbeben bewahrheiten, wer könnte da angesichts eines Zwischenlager-Projekts in dem bestimmungsgemäß ständig Gas ein- und ausgelagert würde, das somit niemals zur Ruhe kommen könnte, jemals so etwas wie Sicherheit garantieren?

Die Interessen der Betreiberfirma Escal UGS, die zu einem großen Teil der Gruppe ACS gehört, die wiederum auch Mehrheitsaktionär des deutschen Baukonzerns Hochtief ist, stehen augenscheinlich auf schwankendem Boden. Angesichts der unberechenbaren Gefahren, die sich - wie an einem anderen Beispiel in jüngster Zeit gesehen - aus einem Zusammenwirken von Tsunami und Erdbeben für andere Einrichtungen der Zivilisation ergeben können, scheinen 1,3 Milliarden Euro in den Sand zu setzen, noch ein geringer Preis zu sein. Allerdings werden es vermutlich eher die sicheren materiellen Verluste sein, die sich möglicherweise aus der mangelnden Dichtigkeit der Lagerstätte ergeben, daß man in diesem Fall die vernünftige Lösung wählt und nicht über Leichen gehen wird.

Anmerkungen:

[1] Den ausführlichen Beitrag zum Thema siehe:
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula272.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula276.html

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/1788550/

[4] Berliner Zeitung
http://www.berliner-zeitung.de/panorama/spanien-400-erdbeben-in-einem-monat,10808334,24544926.html

[5] http://www.heise.de/tp/blogs/8/155072

[6] Frankfurter Rundschau
http://www.fr-online.de/panorama/spanien-erdbeben-erschuettern-spanien,1472782,24524268.html

[7] http://www.rtve.es/alacarta/audios/radio-5-informacion/colegio-geologos-relaciona-proyecto-castor-seismos-tarragona-castellon/2040260/

16. Oktober 2013