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PHARMAZIE/078: Umckaloabo - Altes Hustenmittel, neues Placebo (SB)


Umckaloabo - Glaube versetzt Berge und macht aus einer alten Geranie

ein schleimlösendes Hustenmittel, Antibiotikum und Virustatikum


Alte südafrikanische Geranienwurzeln sollen der neue Geheimtip gegen die immer aggressiver werdenden Infektionskrankheiten sein. Wie vor allem in der Boulevardpresse gerne berichtet wird, kann der angeblich gut verträgliche Umckaloabo-Extrakt nicht nur viele Atemwegserkrankungen erfolgreich bekämpfen und hartnäckige Verschleimungen lösen, sondern darüber hinaus einen natürlichen Schutz gegen weitere Angriffe von Viren und Bakterien aufbauen sowie die körpereigene Abwehr stärken, allerdings nur unter dem Vorbehalt rechtzeitiger und regelmäßiger Anwendung. Durch diesen Zusatz fügt er sich jedoch in die Reihe all jener Mittelchen ein, mit denen - wie der Volksmund sagt: die Unpäßlichkeiten "nur acht Tage bleiben, ohne dagegen eine Woche lang".

Bei genauerer Betrachtung wird hier offensichtlich der schwarze Peter an den Betroffenen zurückgegeben, der bei ausbleibender Wirkung darauf verwiesen wird, die Dosierungsvorschriften nicht eingehalten zu haben. Nun sind aber auch die akuten Heilversprechen, die gerade an dieses Medikament und vor dem Hintergrund einer zunehmenden Antibiotikaresistenz geknüpft werden, so massiv, daß wir es einmal genauer unter die Lupe nehmen wollen.

Es handelt sich bei dem neuen "Wundermittel" um den Extrakt aus der Wurzel einer speziellen Geranienart mit Namen "Pelargonium sidoides", die nur in Südafrika wächst. Der Strauch wird bis zu einem halben Meter hoch und trägt lilafarbene Blüten. Aus der knolligen Wurzel, die nach dreijährigem Wachstum die meisten Wirkstoffe enthält, läßt sich ein Extrakt gewinnen der - nach Aussage des Herstellers - bereits jahrhundertelang in der afrikanischen Volksmedizin erfolgreich zur Behandlung von Atemwegserkrankungen eingesetzt wird, während man hierzulande bzw. in der westlichen Medizin die Wirkung schon fast vergessen habe.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts tauchte der Name "Umckaloabo"-Pflanze erstmals auf. Damals litt ein Engländer mit Namen Charles Henry Stevens an einer schweren Lungentuberkulose. Am Ende dieser gefährlichen bakteriellen Infektionskrankheit stand zu jener Zeit zwangsläufig der Tod, da man noch keine Antibiotika kannte. Die davon Betroffenen wurden allmählich immer schwächer, litten zunehmend an Atemnot und konnten auf keine wirkliche Hilfe hoffen.

Deshalb wurde C.H. Stevens damals von seinem Arzt angeraten, zumal er auch die finanziellen Möglichkeiten hatte, nach Südafrika zu reisen. Er hoffte, sein Patient würde unter dem dortigen Klima eine gewisse Linderung seines schweren Leidens erfahren.

Während seines Aufenthaltes in Lesotho - so die Legende - fand Mr. Stevens Kontakt zu einem Medizinmann des dort ansässigen Zulu-Stammes. Dieser behandelte den Engländer vier Monate lang mit dem abgekochten Sud einer afrikanischen Pflanzenwurzel. Danach konnte Charles Henry Stevens geheilt in seine Heimat zurückkehren. Tief beeindruckt nahm er die Wurzel, die ihm wieder zu einem gesunden Leben verholfen hatte, mit nach Hause und propagierte und verkaufte das Wurzelpulver als Heilmittel gegen die Tuberkulose.

Da der Medizinmann, dem Stevens sein neues Leben verdankte, immer von "Umckaloabo" gesprochen hatte, wenn er ihm den Sud verabreichte, glaubte Stevens seinerseits, dieses sei der Name der Medizin. In Wahrheit aber war das die Bezeichnung für die Krankheit. Umckaloabo heißt in der Zulu-Sprache soviel wie "schwerer Husten". Doch dieses anfängliche Mißverständnis hat bis heute im Namen "Umckaloabo" für die Pflanze und ihre Wurzel erhalten.

Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis sich etwa 1920 der Wurzelextrakt der "Umckaloabo-"Pflanze in der Medizin als Heilmittel gegen Lungentuberkulose durchsetzen konnte. Doch dann entdeckte Gerhard Domagk im Jahre 1935 die Sulfonamide. Sie waren die erste, gut wirksame chemische Waffe gegen bakterielle Erkrankungen. Auch gegen die Erreger der Lungentuberkulose ließen sich Sulfonamide einsetzen. Die ungetrübte Fortschrittsgläubigkeit der Menschen in den dreißiger Jahren, die an segensreiche Heilmittel aus den Retorten der aufblühenden chemischen Industrie glaubten, ließ sie den abgestandenen Pflanzensud schnell vergessen.

Inzwischen hat die moderne Arzneipflanzenforschung dieser Tage, aber vor allem die zunehmende Resistenzentwicklung aller Infektionskeime gegen Antibiotika und Chemotherapeutika, dafür gesorgt, daß der Wurzelextrakt eines afrikanischen Zulu-Medizinmannes im 21. Jahrhundert erneut eine Renaissance als Hoffnungsträger erlebt.

Im Handbuch Medikamente der Stiftung Warentest (Berlin 2001) ist Pelargonium tatsächlich als pflanzliches Antibiotikum aufgeführt, das eingesetzt wird, um das Immunsystem unspezifisch anzuregen, seine Wirksamkeit wird jedoch angezweifelt:

Das Mittel soll bei Atemwegsinfektionen (Schnupfen, Heiserkeit, Rachen- und Mandelentzündung) angewandt werden. Diese werden jedoch fast immer durch Viren ausgelöst, gegen die Antibiotika unwirksam sind.
(Handbuch Medikamente, Stiftung Warentest, 2001)

Ganz anders hören sich die in Apothekerzeitungen und von der Boulevardpresse herausgegebenen Artikel an, die den wiederentdeckten Wirkstoff nicht genug loben können. Zusammengefaßt wird über Pelargonium behauptet, daß seine Inhaltsstoffe sich im menschlichen Körper fast ebenso verhalten wie hochwertige moderne Antibiotika.

Unter den "strengen Kriterien wissenschaftlicher Studien" soll (laut Apotheken Ratgeber 12/02) der "Infektblocker aus der Natur" seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt haben. Umckaloabo würde neue Perspektiven in der Behandlung von Bronchitis und Entzündungen von Nasennebenhöhlen, Mandeln und Mittelohr eröffnen und sich auch zur Therapie von Atemwegsinfekten bei Kindern gut eignen, also gewissermaßen dreifach wirken.

Wie Pelargoniumextrakt wirkt, ist unklar, die therapeutische Wirksamkeit ist nicht ausreichend nachgewiesen.
(Handbuch Medikamente, Stiftung Warentest, 2001)

heißt es dagegen im Handbuch Medikamente, das die Umckaloabo Tropfen deshalb in seiner Bewertung für "wenig geeignet bei bakteriellen Infektionen" hält.

Wenn aber schon die vom Hersteller behauptete Wirksamkeit als pflanzliches Antibiotikum fraglich ist, die Betroffenen allerdings doch eine gewisse Linderung ihrer Beschwerden bestätigen können, wird dieser unerklärbare Effekt von den Werbestrategen und der Presse ungemein aufgebauscht, wenn behauptet wird: "Die Wirkung des Pelargoniumwurzelextrakts ginge sogar über die herkömmlicher Antibiotika hinaus!"

Der Extrakt bekämpft nicht nur Bakterien, er legt sich auch erfolgreich mit den heimtückischen Erkältungsviren, die sich an den Schleimhäuten von Bronchien und Hals-Nase-Ohren-Bereich angesiedelt haben, an und besitzt zudem auch noch einen schleimlösenden Effekt, der eine Schleimüberproduktion bei einer Bronchitis verhindert. Das können auch die neuesten Antibiotika nicht leisten. Sie können zwar Bakterien in den Bronchien abtöten, aber um das Abhusten zu erleichtern, muß man gewöhnlich noch dazu ein schleimlösendes Medikament einnehmen. Vor den Erkältungsviren kapitulieren derzeit noch alle Antibiotika.
(Apotheken Ratgeber 12/2002)

Umckaloabo soll die Erreger von Halsentzündungen und Bronchialkatarrhen und bei rechtzeitiger und ausreichend hoch dosierter Anwendung sogar Schnupfenviren beseitigen, bevor die Nase überhaupt erst richtig zu laufen beginnt. Auch über diesen vermeintlichen Effekt des Naturheilmittels gibt es keinen nachgewiesenen Wirkmechanismus.

Und schließlich soll der Wunderwurzelextrakt sogar sogenannte Reinfektionen verhindern.

Unter einer Reinfektion versteht man das erneute Auftreten der Erkältung, und zwar meist dann, wenn der Betroffene glaubt, endlich alles überstanden zu haben. Es kann sich dabei um einen echten Rückfall (d.h. den gleichen Erreger), aber auch um eine Folge einer Mischinfektion (d.h. ein weiterer Erreger) handeln.

Zusammengefaßt muß man laut Hersteller nur 3 mal täglich 20 bis 30 Tropfen des Wundermittels einnehmen (dies aber unentwegt) um...

... die Entstehung chronischer Krankheitsverläufe [zu] verhindern, was vor allem bei Jugendlichen und Kindern eine große Rolle spielen kann. Diese Wirkung beruht auf einer weiteren guten Eigenschaft des afrikanischen Wurzelextrakts; er ist nämlich in der Lage sozusagen nebenbei die körperlichen Abwehrkräfte zu aktivieren, so daß sie gegen die Erkältungserreger extrem aktiv werden können. Aufgrund dieser Eigenschaft ist das pflanzliche Heilmittel auch sehr gut zur Vorbeugung gegen Erkältungskrankheiten geeignet.
(Apotheken Ratgeber 12/2002)

Angesichts des hohen Preises für relativ kleine Packungen (20 ml Extrakt kosten etwa 10 Euro, 20 Tropfen entsprechen etwa 1 ml) werden wohl die meisten Betroffenen auf die "vorbeugende Wirkung" verzichten und nur im akuten Fall zu diesem Mittel greifen, womit sie dann laut Hersteller automatisch "selbst schuld" sind, wenn die erwartete und erhoffte Wirkung ausbleibt.

Daneben wird als besonderer Pluspunkt für die Behandlung von Kindern immer wieder auf die gute Verträglichkeit der Naturarznei hingewiesen, die an klinischen Versuchen an einigen tausend Kindern bestätigt worden sei. Abgesehen davon, daß hier Kinder zu Versuchen an einem Medikament zweifelhafter, aber behaupteter hoher Wirksamkeit mißbraucht wurden, nur um festzustellen, daß sie davon keinen Schaden genommen haben, mußten auch alle nichtpflanzlichen, herkömmlichen Antibiotika einen ähnlich gearteten Unschädlichkeitsnachweis erbringen. Da auch die meisten der herkömmlichen Antibiotika, von Penicillin angefangen, auf Produkte von Pilzen und Hefen zurückgehen, also ebenfalls als "Naturprodukte" verkauft werden könnten, läßt sich zwischen dem fraglichen pflanzlichen Antibiotikum und konventionellen Antibiotika oberflächlich kaum ein Unterschied feststellen.

Nicht geklärt ist allerdings die Frage der Resistenzentwicklung, die gerade bei einem Medikament, das sich angeblich als hochwirksam gegen Bakterien und Viren bezeichnet, andererseits aber auch unentwegt zur Vorbeugung genommen werden soll, damit es überhaupt wirkt, doch zumindest erwähnt sein müßte. Handelt es sich tatsächlich um ein Antibiotikum, das Bakterien wirksam ausschaltet (was gewöhnlich über einen definierten Zeitraum mit entsprechend hohen Dosen geschieht), dann stünde eine Langzeittherapie mit niedriger Dosierung dazu in einem krassen Widerspruch. Denn das wären genau die Bedingungen unter denen die zu bekämpfenden Bakterien gewöhnlich Mittel und Wege finden, das Antibiotikum so zu verstoffwechseln, daß es ihnen nicht mehr schadet.

Dieses durchaus naheliegende Problem bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten wird jedoch in den ausschließlich als Werbung gedachten Artikeln über Pelargonium vollkommen ausgeklammert. Und dafür gibt es eigentlich nur eine schlüssige Erklärung: Es gibt keine Resistenzentwicklung! Es ist nicht schädlich! Es ist dann aber auch kein Antibiotikum. Kurzum, es handelt sich um ein Placebo.

Stevens muß seinerzeit bei seiner wundersamen Heilung, die unumstritten so stattgefunden haben mag, offensichtlich auf das falsche Pferd gesetzt haben. Von einer Pflanze war hier nie die Rede.

Erstveröffentlichung 2002
Neue, aktualisierte Fassung

22. Dezember 2008