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PHARMAZIE/088: Da kann der Kaktus nichts dafür ... (SB)


Monokulturplantage für Aloe Vera in Fuerteventura - Foto: 15. Januar 2013, by Nikodem Nijaki als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Maskottchen für gute Geschäfte und Symbol für Armut und Ausbeutung in ihren Anbaugebieten
Aloe Vera macht Werbung für Frische und Selbstheilung
Foto: 15. Januar 2013, by Nikodem Nijaki als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Aloe - Königin der Heilpflanzen oder berühmt für ihre Bitterkeit?

Aloe Vera ist so etwas wie die "Gut-Pflanze" im Reich der Botanik. Über die unmittelbare Heilkraft der anspruchslosen Wüstenlilie werden in sozialen Netzwerken derzeit wahre Wunderdinge ausgetauscht. [1] Gegen Besenreißer, Cellulite und Akne wird ihre innerliche wie äußerliche Anwendung als Geheimtip weitergegeben und das Ausbleiben zahlreicher Wehwehchen wie Migräne oder Verdauungsbeschwerden im Gegenzug verkündet. Noch dazu werben die Produzenten mit ökologischem und nachhaltigen Anbau, Verpackungs- und Vertriebsmethoden für die Güte und die Qualität ihrer Mittelchen.

Dabei läßt der Name "Aloe", wörtlich übersetzt "berühmt für ihre Bitterkeit", nicht unbedingt nur "Gutes" vermuten. Die kaktusähnliche Lilie ist aber bereits ein Maskottchen für gute Geschäfte und Handelsbilanzen eines ganz neuen Industriezweigs, dem Aloe-Vera-Barbensis Miller"-Business, der nur die "wahre Aloe" von 400 Aloe Arten komplett und vertikal vermarktet. Zielgruppe sind meist wohlbetuchte Wellness-Kunden, die für den möglichst zertifizierten Qualitätsglibber gern auch ein bißchen mehr ausgeben.


Wirklich gut?

Gepriesen wird der hohe Gehalt an Vitaminen, Mineralien und Nährstoffen, der die Pflanze auch für den möglichst frischen Verzehr als Gemüse, Smoothie oder Saft ebenso wie ihre Extrakte als Nahrungsergänzung ins Gespräch und in die Regale von Gemüsehändlern, Drogerien, Wellness- oder Gesundheitsshops, Bodybuilder-Zubehör, Health- & Beauty-Vertrieben im Internet und ganz gewöhnlichen Supermärkten gebracht hat. Laut Hersteller kann Aloe den Stoffwechsel in allen Organen positiv beeinflussen, Umweltgifte unschädlich machen, schädliche Radikale fangen, sogar Strahlenschäden und Krebs verhindern, aber vor allem antioxidativ der Zellalterung, also dem Altern an sich vorbeugen und vieles mehr.

Als praktische Anwendungsbereiche für das natürliche Mark oder Gel der fleischigen Blätter bieten sich akute Schnitt- oder Brandverletzungen einschließlich Sonnenbrand an. Außerdem werden Aloe Vera-haltige Mittel bei Prellungen, Zerrungen, Verstauchungen, Sehnenentzündungen, Fußpilz, Insektenstichen, Akne, Neurodermitis, Gürtelrose, Schuppen und Schuppenflechte sowie schlecht heilenden Narben empfohlen. Neben entzündungshemmenden und wundheilenden Eigenschaften für den äußeren Gebrauch soll Aloe aber auch bei Arthritis-, Rheuma-, Gicht-, Migräne-, Rücken- und anderen Schmerzen oder bei Problemen des Magens, der Niere, der Bauchspeicheldrüse, bei Darmträgheit, Diabetes und Zwölffingerdarmgeschwüren oder einfach als eine Art Allgemeinzustandsverbesserer dienen. Neben dem eigenen Vitamingehalt soll das in Aloe vertretene Inhaltsstoffgemisch auch die Bioverfügbarkeit der Vitamine B12, C und E um ein Vielfaches verstärken. [2] Acemannan, ein Mucopolysaccharid (ein gallertartiger, schleimiger Zucker), der einen Bestandteil des Blattgels bildet, werden immunstimulierende, aber auch antivirale, antibakterielle und antimykotische (pilzhemmende) Eigenschaften nachgesagt. Insgesamt wurden bisher 270 wirksame Inhaltstoffe im Preßsaft der Pflanze unterschieden, deren Wirkung noch lange nicht vollständig erforscht ist, von denen man sich aber ein großes Heilungsreservoir sowohl in dem natürlichen Gesamtkomplex als auch von den einzelnen Wirksubstanzen erhofft.

Schließlich soll Aloe, als Zimmerpflanze aufgestellt und zur möglichen Nahrungsergänzung durchaus für die spätere eigene "Wohnzimmer-Ernte" gedacht, effektiv das toxische und krebserregende Formaldehyd aus der Raumluft filtern, das z.B. aus neuen Möbeln ausdünsten kann. Ob die Blätter der Pflanze dann allerdings noch in klassischer Win-Win-Manier für den Verzehr als Gemüse geeignet sind, ist wohl eine Geschmacksfrage. Kurzum, das Potential der gesundheitlichen Bedeutung und somit wirtschaftlichen Ausbeutung der Pflanze scheint nach oben hin offen.

Darüber, inwieweit vor allem die innere Wirksamkeit auch ausreichend wissenschaftlich belegt ist, herrschen durchaus geteilte Auffassungen. Die Gesundheitsexperten von Stiftung Warentest, die dem Gesundheits-Hype mal nachspüren wollten, kritisierten unlängst fehlende klinische Studien. [3] Trotz zahlreicher Untersuchungen sei nur für wenige Anwendungsgebiete überhaupt ein positiver Nutzen tatsächlich wissenschaftlich erkennbar. Warentest hat dabei nur die beiden Rohstoffe, d.h. Aloe-Latex und -Gel, untersucht, nicht die einzelnen Inhaltstoffe und bestätigt damit aber Untersuchungsergebnisse, die vor Jahren bereits in der pharmazeutischen Fachpresse veröffentlicht wurden. Die erklärten überhaupt nur die Anwendung des Latex-Safts als Abführmittel für wissenschaftlich abgesichert, auch wenn sie nicht empfehlenswert sei und bei Daueranwendung sogar das Gegenteil bewirkt. [4] In anderen Studien deuteten sich bestenfalls Hinweise einer möglichen Indikation für Psoriasis (Schuppenflechte), seborrhoischer Dermatitis (extrem fettige Haut) und Herpes genitalis an, die jedoch in weiteren Studien noch validiert werden müßten. Andere Wirkzusammenhänge wie die Vorbeugung von Strahlungsschäden wurden durch wissenschaftliche Überprüfungen bislang eher widerlegt. Die reine Salbengrundlage wies oftmals den gleichen oder besseren Effekt auf als das Aloe-Gel. Die Gutachter von Stiftung Warentest stellen nun, ein paar Jahre und vielleicht auch einige Untersuchungen später, den Einsatz der Pflanze bei Schuppenflechte vehementer in Frage.

All das wird von Webseiten im Heil- und Gesundheitsmittel-Vertrieb als Auswuchs monopolistischer Bestrebungen des Pharmamarktes gewertet, der ihrer Auslegung nach den Konkurrenzkampf auf dem Heilmittelsektor am liebsten durch gesetzliche Verbote geregelt sehe. Im Gegenzug nutzt das Aloe-Marketing jede Lücke im gültigen Heilmittelwerbegesetz, um mit jedem kleinen Studienergebnis die Heilwirkung der Produkte als "wissenschaftlich untersucht" hervorzuheben. Manche kokettieren damit, daß sie bei Produkten wie Kosmetika, Joghurts, Kapseln oder Säften zwar rechtlich gesehen nicht mit einem gesundheitlichen Nutzen werben dürften, geben aber gerne Links zu privaten, wissenschaftlichen Instituten an, die diese Lücke dann schließen. Dazu kommt der Wettkampf der einzelnen Wellness-Unternehmen untereinander, die ihre Kunden mit Biosiegeln und Zertifizierungen bzw. durch bessere, reinere, ökologischer angebaute oder eben wirksamere oder verträglichere Qualität an sich binden müssen.

So versichert die unabhängige Aloe Medical Group International (AMGI) [5] die Heilwirkungen und Qualitätsnachweise ausschließlich von Aloe Vera-Pflanzen und -Produkten eines der größten Aloe-Konzerne und macht zudem auf neu erschienene Forschungsprojekte aufmerksam. Foren wie Pro Vita worldwide [6] erwecken mit Newslettern über neue Studien oder wissenschaftliche Symposien den Eindruck, als gäbe es einen immensen Forschungsbereich, der sich ausschließlich mit Grundlagen, Gewinnung und technologischer Verarbeitung der gesundheitlich nutzbaren Bestandteile von Aloe Vera befaßt. Bei genauerem Hinsehen wurde das bislang einzige Symposium der Interessengruppe zum Beispiel vom Bundesverband der Industrie- und Handelsunternehmen und der LR Health & Beauty Systems GmbH veranstaltet und fand im Rahmen einer Kosmetikmesse statt. Gesponsort wurde es von einem Internationalen Aloe Science Council (IASC), hinter dem sich ein Zusammenschluß von Gesundheitskonzernen verbirgt, die alle mehr oder weniger große Mengen von unterschiedlichsten Aloe-Produkten vermarkten. [7]

Allen Anstrengungen zum Trotz konnten den 270 oder 300 (hier differieren die Angaben ein wenig) angeblich isolierten Wirkstoffen bislang keine eindeutige Wirkung zugeordnet werden, so daß wohl der kombinierte Wirkstoffcocktail letztlich für die Wirkung verantwortlich gemacht werden muß, welche die Blätter für einige Menschen seit Alters her offensichtlich haben. Warum also die Aufregung um Studien und Forschung, zählt nicht doch am Ende: "Wer heilt, hat recht"?


Bittere Erkenntnis ...

An überteuerten Placebo-Effekten oder auch komplett nutzlosen mit Pseudostudien gestützten Wellness-Hypes, die sich der Homo sapiens luxuriae gönnt, um die Unternehmer seiner Spezies noch reicher zu machen, wäre weiter nichts auszusetzen, wenn nicht der unkontrollierte Verzehr des Aloe-Blattes als Gemüse oder Smoothie, wie der bekannte Lebensmittel-Kritiker Uwe Pollmer im Deutschlandfunk berichtete [8], durchaus schaden könnte. Denn auch die negativen Begleiterscheinungen, toxischen Effekte oder Nebenwirkungen, die zum Prüfprogramm der klinischen Untersuchungen gehören, sind durch das wissenschaftliche Mißverhältnis nicht ausreichend erkundet.

Pollmer macht zu Recht darauf aufmerksam, daß gerade die einzige, tatsächlich auch in Arzneibuchmonographien aufgeführte und wissenschaftlich verifizierte, abführende Wirkung wegen des starken Kaliumverlusts und der drastischen, krampferzeugenden Darmwirkung, die man den laxierenden Wirkstoffen der Aloe anlasten muß, umstritten ist. Diese geht ausschließlich auf die bitteren Antrachinone bzw. laut Europäischem Arzneibuch Anthranoide (Hydroxyanthracen-Derivate = Anthrachinone), hauptsächlich auf die Aloine A und B, außerdem 2-Alkylchromone zurück, die aus dem gelblichen Latexsaft der Blattrinde gewonnen werden. Wegen gravierender Nebenwirkungen und der Gefahr, bei mißbräuchlicher Daueranwendung das krasse Gegenteil (Darmträgheit) zu provozieren, sind Aloe Vera Extrakte wie auch andere Anthranoid-haltige Naturheilmittel (Sennesblätter) aus pharmazeutischen Abführmittel-Zubereitungen in der Regel zu Gunsten von kontrollierbareren Stoffen oder harmloseren Schleimdrogen verschwunden. [9] Anthranoide oder Anthrachinone sind bereits seit 20 Jahren als toxische Schadstoffe bekannt und dürfen nach einer Empfehlung vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) beispielsweise in Lebensmittelverpackungen nicht mehr vorkommen. [10] Bei der Zellstoff und Papierherstellung werden Anthrachinone als Hilfsstoffe eingesetzt, die anschließend im fertigen Produkt bleiben und so in die Lebensmittel übergehen könnten. In einem Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) werden Anthrachinone als potentiell cancerogen (krebserregend) eingestuft.

Die Sendung "Mahlzeit" des Deutschlandfunks [8] wies darauf hin, daß zwar der giftige Anthrachinon-haltige Latex vor allem im Randbereich des Blattes lokalisiert ist und durch Abschälen und Waschen des ebenfalls verwendbaren Aloe-Gels von diesem getrennt werden könnte. Doch vor Selbstzubereitungen - nach Ernte des Wohnzimmer-Aloes etwa - wird gewarnt:

Ein Versuch des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Stuttgart zeigt: Selbst bei peinlich genauer Einhaltung der Zubereitungshinweise besteht das Risiko,"dass hohe Mengen an toxikologisch bedenklichen Stoffen aus der Klasse der Anthrachinone in das verzehrfertige Blattgel gelangen können". Auch bei korrekter Vorgehensweise kam es zu einer Überschreitung des Grenzwertes, der für Arzneimittel gilt. Die Behörde warnt deshalb ausdrücklich vor der Selbstzubereitung. Besser sieht die Lage bei industriell gefertigten Produkten aus. Nach den Ergebnissen der Stuttgarter Lebensmittelüberwachung liegen deren Giftgehalte um den Faktor 300 niedriger als bei Selbstzubereitung. Es sei dahingestellt, ob dies im Einzelfall der sparsamen Verwendung des Rohstoffes zuzuschreiben ist oder einer peinlich genauen Kontrolle der Anthrachinon-Gehalte im fertigen Produkt. [8]

Die hier implizierte "homöopathische" Dosierung von Aloe-Wirkstoffen nur um mit der "Königin der Heilpflanzen" irgendein Durchschnittsprodukt aufzuwerten, ist ein weiterer Kritikpunkt, an den wir hier nur der Vollständigkeit halber erinnern. [11]

Das ist leider noch nicht alles. In einer jüngeren Meta-Studie eines amerikanischen toxikologischen Forschungsinstitut in Jefferson, Arkansas, die 2016 im englischsprachigen Fachblatt "Journal of Environmental Science and Health, Part C" (Environmental Carcinogenesis and Ecotoxicology Reviews) mit dem Titel "Aloe vera: A review of toxicity and adverse clinical effects" schreiben die Toxikologen Xiaoqing Guo und Nan Mei dem Gesamtauszug der vermeintlichen Wunderpflanze außer einer erwiesenen Cancerogenität auch nachweislich cytotoxische und genotoxische Eigenschaften zu, sowie zahlreiche schädliche Nebenwirkungen, wie die Schädigung von Leber und Nieren, phototoxische Effekte, Juckreiz, Krämpfe, Verfärbungen der Darmhaut u.a.m. Dabei konzentrieren sich die toxischen Resultate vor allem in den Untersuchungsergebnissen von Aloe-Latex, Genotoxizität und Cytoxizität wurden aber in einigen Studien auch durch Anwendung bzw. Fütterung des Gels nachgewiesen. Die Zusammenstellung von Einzelergebnissen wirft schon für sich gesehen die Frage auf, wie unbedenklich der unkontrollierte und oftmals sogar unfreiwillige Konsum von Aloe tatsächlich ist. [12] Kaum ein Haushalt, der nicht in Bad oder Küche zumindest ein Mittelchen aufweisen kann, das, ob gewollt oder nicht, ein bißchen Aloe enthält, und wenn es nur die Zahncreme gegen Parodontitis ist ...

Selbst wenn die Stiftung Warentest im April 2017 nur die langfristige Anwendung des Latexsafts mit einer Erhöhung des Krebsrisikos gleichsetzte [13], ist das Interesse eher gering, den Aufstieg der "Königin der Heilpflanzen" von einer antiken Arznei gegen Verstopfung zum vielseitig verwendbaren Lifestyleprodukt aufzuhalten.

Denn das Geschäft mit Aloe-Produkten boomt weltweit. Zwar gibt es keine wirklich gesicherten Zahlen, aber insgesamt sollen sich die jährlichen Umsätze mit Aloe-Vera-Gel, Direktsäften, Konzentraten, Nahrungsergänzungen und Kosmetikprodukten, die Aloe-Extrakte enthalten, auf rund 13 Milliarden Dollar weltweit belaufen. Davon gehen allein 100 Millionen auf den deutschsprachigen Raum. [14] Von den rund 60.000 Tonnen Aloe Vera, die jährlich geerntet werden sollen, finden rund 45 Prozent des Rohstoffs in kosmetischen Produkten Verwendung, schätzt ein amerikanisches Research Institut. Andere Quellen taxieren den Rohstoffmarkt auf Hunderttausende Tonnen pro Jahr, die auf einer zwischen 24.000 und 36.000 Hektar großen Agrarfläche weltweit über fünf Kontinente verteilt angebaut werden. Das milliardenschwere Aloe-Vera-Business beschäftigt weltweit mehrere Hundertausend Menschen in der Landwirtschaft, der Verarbeitung, Herstellung und Produktion, Marketing und Vertrieb, von den hauseigenen Forschungslaboren, die ein günstiges wissenschaftliches Bild erzeugen sollen oder die notwendigen Zertifizierungen vornehmen, einmal abgesehen.


Ökologische Gut-Pflanze?

Wäre der überschaubare gesundheitliche Schaden und enttäuschte Erwartungen durch den Genuß des Aloe-Vera Blattgels noch akzeptabel, da er ohnehin eine ausgesiebte Klientel betrifft, die sich mehr davon leisten, als der Durchschnitt, so sollte aber nicht unerwähnt bleiben, daß durch die Kultivierung eines größtenteils nutzlosen Luxusartikles gewaltige Anbauflächen vor allem in Regionen wie Mexiko, Australien, Indien, Spanien, auf den Kanaren und in der Dominikanischen Republik besetzt und zugepflanzt werden, die neben großen Wassermengen und Nährstoffen diesen Ländern über Jahre nicht mehr der Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehen. Der "geraubte" Boden wird durch Monokulturanbau "nachhaltig" zerstört. [15] Fünf Jahre muß eine Kultur gewässert und regelmäßig gedüngt werden, um Blätter in ausreichender und marktfähiger Qualität zu ernten. Da stellt sich die Frage, ob der ohnehin schon nährstoffarme Boden in diesen heißen Regionen tatsächlich für die Menschen vor Ort "entwickelt" wird, oder was von ihm noch übrig bleibt, sollte der Hype einmal vorüber sein.


Karge, trockene Landschaft, darin eine Aloe-Plantage mit künstlicher Bewässerungsanlage - Schlauchsysteme versorgen die einzelnen Pflanzen - Foto: März 2012 by Frank Vincentz als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Fuerteventura ist die einzige Region, in der Aloe vera angeblich nicht in Monokultur angebaut wird.
Das Feld in Pájara an der Straße FV-617 tritt den Gegenbeweis an.
Foto: März 2012 by Frank Vincentz als CC BY-SA 3.0 [http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0], via Wikimedia Commons

Was dieser Landraub und die industrielle Erschließung des Landes an vermeintlichen Vorteilen für die Bevölkerung zum Beispiel in Form von Arbeitsplätzen tatsächlich bringt, mit denen einer der führenden Hersteller auch noch wirbt, kann man am Beispiel der traditionellen Zuckerrohr-Industrie ablesen. Der Aloe-Konzern betreibt mit 3.000 Hektar, auf denen allein 30 Millionen Aloe-Vera-Pflanzen wachsen, die weltweit größte Plantage der Welt in der Dominikanischen Republik. Die Arbeiter auf seiner Plantage schöpfen nur hier jährlich 24.000 Tonnen gewachsene Aloeblätter bzw. "Biomasse" aus dem Boden ab. Viele Hände sind dafür gefragt, die nicht viel kosten dürfen. So übertrieb ein Artikel der taz sicher nicht, als er die aktuelle Situation der Land- und Plantagenarbeiter in der Dominikanischen Republik mit einer Form moderner Sklaverei verglich. Tagelöhner verdingen sich auf dominikanischen Plantagen für 6 Dollar pro Tag. Es sind oftmals Fremdarbeiter aus Haiti, die auch nach Jahrzehnten harter Arbeit nur beschränkte Aufenthaltsgenehmigung haben und sich nur auf dem Plantagengelände bewegen dürfen. Ansprüche auf Rente oder andere Leistungen der Republik besitzen sie nicht. [16]

So wie in der Dominikanischen Republik Parallelwelten, die der Armen mit Hütten, undichten Dächern, ohne sanitäre Anlagen und die der Reichen mit Villen und Pools, Hotels und Touristenattraktionen nebeneinander existieren, scheint das Aloe Vera-Symbol oder -Label vor allem diese krassen Widersprüche zu vereinen.


Anmerkungen:

[1] Eine Zusammenfassung der wichtigsten Pluspunkte finden Sie hier:
https://www.aloeveraland.at/de/aloe-vera-pflanze

[2] http://provita-world.com/fileadmin/medien/Deutsch/Downloads/ProVita_Aloe_Vera.pdf

[3] Stiftung Warentest:
https://www.test.de/Aloe-Vera-1107149-0/

[4] http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=pharm1_04_2004

[5] Die Aloe Medical Group International (AMGI) ist ein internationales Netzwerk aus Ärzten, Therapeuten, Ernährungs- und Gesundheitsberatern, die sich auf Initiative Ihrer Gründerin Dr. med. Susanne Schwemmlein damit befaßt, Informationen und wissenschaftliche Studien zu Einsatz und Wirkung von Aloe-Produkten zu bündeln und verfügbar zu machen. Allerdings werden auf den Seiten der Gruppe nur Produkte eines bestimmten Herstellers empfohlen. Umgekehrt verweist dieser Hersteller auf wissenschaftliche Nachweise über die Wirkung seiner Produkte vor allem auf diese Quelle.
https://www.aloe-medical-group.com/

[6] http://provita-world.com/de/

[7] http://www.iasc.org/About/MemberDirectory.aspx

[8] http://www.deutschlandfunkkultur.de/aloeveragiftaufdemteller.993.de.html?dram%3Aarticle_id=386970

[9] http://www.arzneipflanzenlexikon.info/aloe.php

[10] http://www.bfr.bund.de/cm/343/bfr-streicht-anthrachinon-aus-den-bfr-empfehlungen-fuer-lebensmittelverpackungen.pdf

[11] http://www.focus.de/finanzen/news/21-produkte-von-rossmann-und-dm-getestet-test-zeigt-sie-sollten-im-drogeriemarkt-keine-aloe-vera-produkte-kaufen_id_7039716.html

[12] https://www.researchgate.net/publication/298795803_Aloe_Vera_-_A_Review_of_Toxicity_and_Adverse_Clinical_Effects?enrichId=rgreq-0be1924edd58e078ca83db678f18a52f-XXX&enrichSource=Y292ZXJQYWdlOzI5ODc5NTgwMztBUzo0MDA0NDIwNDQ1MDIwMTZAMTQ3MjQ4NDIzMTA3MQ%3D%3D&el=1_x_2&_esc=publicationCoverPdfabgerufen am 19.6.2017

[13] https://www.test.de/Aloe-Vera-1107149-2107149/

[14] http://www.mlm-worldwide.de/das-geschaeft-mit-aloe-vera-produkten-ist-ein-multi-milliardenmark

[15] Ebenso wie Nahrung ist Wasser in den bevorzugten Anbaugebieten für einen Großteil der Bevölkerung knapp. In Indien leben zwei Drittel der Menschen in Armut, 49 Millionen Mexikaner und Mexikanerinnen (46 Prozent der Bevölkerung) sind mangelernährt. In der Dominikanischen Republik leiden laut Angaben der Welthungerhilfe immerhin noch 24 Prozent an Unterernährung, der Schweregrad des Hungers wird nach dem Welthungerindex von 10,2 noch als ernst eingestuft.

[16] http://www.taz.de/!5229178/
siehe auch
https://monde-diplomatique.de/artikel/!853627 1/

23. Juni 2017


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