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BERICHT/105: Ein ganzer Reigen von Dresdner Namensreaktionen (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 2 vom 3. Februar 2009

Ein ganzer Reigen von Dresdner Namensreaktionen
Wissenschaftler als Namensgeber in der Geschichte der TU Dresden (29)

Von Prof. Wladimir Reschetilowski


"Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften."
(William Shakespeare, "Romeo und Julia", Zweiter Akt, 2. Szene)

Jede Wissenschaft hat ihre Namensgeber, die aufgrund von originellen und bleibenden Entdeckungen auf immer mit dem Kulturgut der Menschheit verbunden sind. Die Chemie reiht sich in diese Tradition ein, denn bereits seit Jahrzehnten werden chemische Reaktionen zu Ehren ihrer Entdecker nach ihrem Namen benannt, z.B. Cannizzaro-Disproportionierung, Friedel-Crafts-Acylierung, Knöevenagel-Kondensation, Wagner-Meerwein-Umlagerung etc. Mit der Namensgebung von Reaktionen sollte nicht nur Respekt und Anerkennung dem Entdecker gezollt, sondern auch ein gewisser zusammenfassender Oberbegriff zur Bezeichnung eines neuen Terrains mit vielfältigen Verwandtschaftsreaktionen verwendet werden. Heute sind bereits mehrere Hundert Namensreaktionen bekannt, allerdings wird in der Literatur die Namensgebung auch häufig mit neuen experimentellen Techniken, Reagenzien, Lösungsmitteln, analytischen Methoden etc. vermengt. Echte Namensreaktionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie erstens neu- und einzigartig sind, zweitens von den Entdeckern in ihrem Mechanismus weitestgehend aufgeklärt wurden und drittens, weil sie Anstoß für die weltweite Entwicklung von ganz neuen Arbeitsgebieten der Chemie gaben.

Es ist erfreulich festzustellen, dass auch die Dresdner Chemiker mit ihren Entdeckungen einen Beitrag zur Bereicherung der Liste von Namensreaktionen geliefert haben. Nicht immer sind die entscheidenden Arbeiten dazu direkt an der TU Dresden oder ihren Vorgängereinrichtungen entstanden, doch waren die Namensgeber in verschiedenen Jahren und unterschiedlichen Zeiträumen aufs engste mit ihrer Alma Mater verbunden.

Den Reigen Dresdner Namensreaktionen eröffnete Rudolf Wilhelm Schmitt (1830-1898), der 1870 Professor für Organische Chemie am Königlich-Sächsischen Polytechnikum wurde. Zusammen mit seinen Schülern Richard Seifert (1861-1919) und Friedrich von Heyden (1838-1926), dem Gründer der späteren Chemischen Fabrik von Heyden in Radebeul, verbesserte er die von Hermann Kolbe (1818-1884) vorgestellte künstliche Darstellung der in der Natur vorkommenden antiseptisch und fiebersenkend wirkenden Salicylsäure zur Kolbe-Schmitt-Synthese, deren Siegeszug in der Entwicklung des Medizinpräparates der Firma Bayer mit dem Handelsnamen Aspirin im Jahre 1899 mündete. Als Rudolf Schmitt im Jahre 1893 nach 23-jähriger Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen vom Lehramt zurücktrat, wurde der aus der organischen Chemie hervorgegangene Lehrstuhl für Chemie der Teerfarbstoffe gegründet und Richard Möhlau (1857-1940), einem Assistenten von Rudolf Schmitt, übertragen. Der Schüler stand dem Lehrer in seinen Verdiensten für die organische Chemie in nichts nach. Bereits in seiner Jugend entwickelte er eine technisch bedeutsame Synthese von Indol und dessen Derivaten, die später unter dem Namen Bischler-Möhlau-Reaktion in die Annalen der organischen Chemie eingegangen ist. Indol ist Grundstein für Farbstoff, Hormone und Alkaloide. Der bekannteste vom Indol abstammende Farbstoff ist das Indigo, aber auch der antike Farbstoff Purpur. Zudem wird es für die Herstellung künstlicher Jasmin- und Neroliöle verwendet.

Den Staffelstab von Richard Möhlau übernahm sein Nachfolger im Amt Hans Bucherer (1869-1949), der eine für die Praxis interessante Synthese von b-Naphthylamin aus b-Naphthol und Ammoniak in Gegenwart von Ammoniumsulfit entwickelte, die seither als Bucherer-Reaktion bezeichnet wird. Naphthylamine erlangten ihre Bedeutung vornehmlich bei der Herstellung von sog. Azofarbstoffen. Beispiele dazu sind Methylrot, Methylorange, Kongorot und Alizaringelb. Bucherer verfasste zu seinem Wirkungsfeld die Monographien "Teerfarbstoffe" und "Mineral-, Pflanzen- und Teerfarben" sowie gemeinsam mit Richard Möhlau das "Farbenchemische Praktikum", mit dem er für Generationen von Studenten seine umfangreichen industriellen Erfahrungen weitergegeben hat.

Ein anderer Industriechemiker namens Richard Müller (1903-1999), zunächst Laborleiter der Chemischen Fabrik von Heyden in Radebeul und später nebenamtlicher Professor für Silikon- und Fluorcarbonchemie an der TU Dresden (1954-1968), hat mit seiner Entdeckung der sog. Direktsynthese von Methylchlorsilanen, die Ausgangspunkt für die Herstellung der Silicone sind, auf sich aufmerksam gemacht. Das Verfahren beruht auf der Verwendung von Kupfer als Katalysator, um eine Reaktion des Siliciums mit Methylchlorid zu Methylchlorsilanen zu bewirken. Richard Müller erinnerte sich: "Allerdings war diese Entdeckung eher ein Zufallsprodukt. Ich hatte im Jahre 1932 die Idee, einen künstlichen Nebel zu erfinden, um ganze Städte damit einzuhüllen, falls es jemals wieder einen Krieg geben würde. [...] Da entdeckte ich schließlich eine zähe heiße Masse - das Silikon."

Dieselbe Entwicklung gelang zu gleicher Zeit dem US-amerikanischen Chemiker Eugen G. Rochow (1909-2002). Deshalb wird diese Synthese heute Müller-Rochow-Synthese genannt. Im Jahre 1992 wurde beiden Industriechemikern anlässlich des 50. Jahrestages dieser epochalen Entdeckung die Ehrendoktorwürde der TU Dresden verliehen. Noch heute nutzt die Wacker-Chemie das nach seinen Erfindern genannte Verfahren für die Produktion von Siliconen, die als Allround-Talent in vielen Produkten enthalten sind: in Dichtungsmassen, technischen Hydraulikölen, medizinischen Schläuchen, Hautcremes, Brustimplantaten, Kuchen-Backformen etc.

Ein anderer technischer Chemiker, Friedrich Asinger (1907-1999), hat trotz seiner kurzen Schaffensperiode an der damaligen TH Dresden von etwa zwei Jahren bleibende Spuren hinterlassen. Friedrich Asinger wurde vor allem bekannt durch seine Arbeiten zur Petrolchemie und zu Substitutionsreaktionen an Alkanen und Olefinen. Während seines fast 8-jährigen Aufenthaltes in der damaligen Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg machte er als Leiter einer Arbeitsgruppe auf dem Gebiet der Raketentreibstoffe Beobachtungen der gemeinsamen Einwirkung von Ketonen/Aldehyden, Schwefel/H2S und Ammoniak/Aminen, die zu zahlreichen S-N-Heterocyclen führte und von da an als Asinger-Reaktion bezeichnet wurde. Im weiteren Sinne spricht man heute auch von Asinger-Chemie, denn auf diesem Arbeitsgebiet wurden unter der Leitung des charmanten Wieners bei seinen Tätigkeiten in Leuna, Halle, Dresden und Aachen 96 Diplomarbeiten und 78 Dissertationen sowie 118 Veröffentlichungen angefertigt. Ein Höhepunkt dieser Chemie ist zweifelsohne die Totalsynthese des Wirkstoffs D-Penicillamin (Asinger-Verfahren), das in Folge als Arzneimittel Trolovol zur Behandlung rheumatoider Arthritis von der Degussa Pharma Tochter und der Bayer AG auf den Markt gebracht wurde. Die Bücher und Monographien von Friedrich Asinger "Chemie und Technologie der Paraffine", "Chemie und Technologie der Monoolefine" und "Die Petrolchemische Industrie I und II" sind auch heute noch aktuell und haben kaum an Informationswert verloren. Insbesondere das Buch "Methanol - Chemie- und Energierohstoff" zeugt von der ausgeprägten Weitsichtigkeit Asingers für die Zeit nach dem Erdöl und Erdgas, wenn "... außer den Biomassen nur noch die in der Luft oder im Wasser gelöste Kohlensäure als Rohstoffquelle für die organisch-chemische Industrie übrig bleibt." Die Persönlichkeit Asingers und sein Vorbild animierten viele seiner Schüler und Weggefährten aus seiner Leuna-Halle-Dresden-Zeit zum Nacheifern, und dies mit großem Erfolg bei der Entdeckung von einzigartigen Reaktionen, die durch eine Namensverleihung in die historische Perspektive gerückt wurden. So kann der Organiker Klaus Rühlmann (geb. 1929), dessen wissenschaftlicher Werdegang zu Asingers Zeiten in Halle begann, sich an der Humboldt-Universität in Berlin auf dem Gebiet der siliciumorganischen Chemie erfolgreich fortsetzte und durch eine Umberufung an der TU Dresden endete, auf eine von ihm gefundene und präparativ bedeutende Silylierungsreaktion verweisen, die ihm den internationalen Ruf und gleichfalls die Eintragung in die Liste der Namensreaktionen als Rühlmann-Reaktion einbrachte. Ein weiterer Asinger-Schüler aus Dresdner Zeit, Karl Gewald (geb. 1930), ist durch vielseitige, elegante und meist einfach durchführbare Synthesen in der Thiophen- und Heterocyclenchemie international bekannt geworden (Gewald-Reaktion), die vor allem für die Darstellung von Wirkstoffen und die Arzneimittelsynthese große Bedeutung erlangt haben.

Damit ist der Dresdner Strauß von Namensreaktionen wieder um eine weitere Blume reicher geworden. Man kann nun auf die floristische Gestaltung dieses Straußes durch die tüchtigen Dresdner Chemiker von heute gespannt sein, die bei der Suche nach neuen Reaktionen, Methoden, Arbeitstechniken, Reagenzien, Lösungsmitteln etc. ganz gewiss einen Beitrag dazu werden leisten können.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 20. Jg., Nr. 2 vom 03.02.2009, S. 9
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2009