Ruhr-Universität Bochum - 25.10.2016
Schwefelbrücken in Wasser spalten ist komplizierter als gedacht
Die Spaltung von Schwefelbrücken unter Zugspannung ist chemisch betrachtet ein wesentlich komplizierterer Prozess als bislang angenommen. Was dabei im Detail passiert, fanden Forscher um Prof. Dr. Dominik Marx von der Ruhr-Universität Bochum heraus - mithilfe umfangreicher Computersimulationen am Jülicher Supercomputer "Juqueen". Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler in der Zeitschrift Nature Chemistry.
Abhängig davon, wie stark man an der Bindung zwischen zwei Schwefelatomen
zieht, ändert sich der Reaktionsmechanismus, mit dem die Bindung gespalten
wird. "Das wusste man bislang nicht, und es macht vor allem die korrekte
Interpretation von experimentellen Daten viel komplexer als gedacht", sagt
Dominik Marx.
Schwefelbrücken kommen zum Beispiel in Proteinen vor - um diese in bestimmten strukturellen Anordnungen zu halten, aber auch als Schalter für biologische Prozesse. Befinden sie sich in einer alkalischen wässrigen Lösung und man erhitzt diese, bringt das folgende chemische Reaktion in Gang: Ein Hydroxid-Ion (OH-) greift die Schwefelbrücke an, bildet eine neue Bindung mit einem der Schwefelatome aus und spaltet so die Bindung. Wissenschaftler bezeichnen diesen Mechanismus als alkalische Hydrolyse in Wasser.
Die Bochumer Forscher untersuchten, was passiert, wenn man die Schwefelbrücke zusätzlich unter Zugspannung setzt. Sie bauten ein entsprechendes Molekül in wässriger Lösung im Computer nach und zogen virtuell an beiden Enden der Bindung. "Solche mechanochemischen Prozesse treten tatsächlich für kleine Kräfte in Zellen auf, oder sie werden eingesetzt, um altes Gummi zu recyceln", erklärt Marx.
Entscheidend für die Simulation dieser Prozesse war es, die Rolle des umgebenden Wassers korrekt einzubeziehen. Das Hydroxid-Ion, das die Schwefelbrücke angreift, ist von einer Hülle aus Wassermolekülen umgeben, die sich im Lauf des Angriffs auf komplexe Weise verändert.
Üblicherweise nutzen Theoretiker Methoden, die die Effekte des umgebenden Wassers drastisch vereinfachen, um die benötigte Rechenleistung zu reduzieren. Um die Prozesse realistisch abzubilden, muss das Wasser aber ebenso wie alle anderen Moleküle quantenmechanisch berechnet werden. Nur dann liefert die Simulation den korrekten Energieverlauf der Reaktion in wässriger Lösung.
Schlüssel zum Erfolg war eine besonders aufwendige Form der Computersimulation, die sogenannte ab initio Molekulardynamik-Methode. "Das erfordert allerdings einen immensen Rechenaufwand", erklärt Marx. Dieser wurde von einem der schnellsten Rechner Europas geschultert - dem IBM-Blue-Gene/Q-Rechner "Juqueen" des Jülich Supercomputing Centre am Forschungszentrum Jülich. Möglich war dies durch ein Großprojekt des Gauss Centre for Supercomputing.
"Obwohl sich mit steigender Zugkraft komplexe chemische Prozesse abspielen, passiert bei einer maximal großen Kraft etwas ganz Einfaches", erzählt Dominik Marx. Zieht man fest - mit etwa zwei Nanonewton Kraft - an der Bindung, findet keine alkalische Hydrolyse der Schwefel-Schwefel-Bindung mehr statt. Stattdessen reißt einfach die Bindung zwischen einem der Schwefelatome und einem benachbarten Kohlenstoffatom. Oder, wie Marx pointiert zusammenfasst: "Wenn rohe Kräfte walten, siegt die brutale Physik über die subtile Chemie."
Förderung
Langjährige finanzielle Unterstützung für die Studie kam von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Reinhart-Koselleck-Projekts
"Understanding Mechanochemistry" (MA 1547/9) sowie des Exzellenzclusters
Resolv (EXC 1069), der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, der spanischen
Regierung (Ramón-y-Cajal-Stipendium), dem National Science Center in Polen
(2014/13/B/ST4/05009) sowie dem polnischen Ministry of Science and Higher
Education (627/STYP/9/20l4).
Originalveröffentlichung
Przemyslaw Dopieralski, Jordi Ribas-Arino, Padmesh Anjukandi, Martin
Krupicka, Dominik Marx:
Unexpected mechanochemical complexity in the mechanistic scenarios of
disulfide bond reduction in alkaline solution,
in: Nature Chemistry, 2016,
DOI: 10.1038/nchem.2632
Angeklickt
Frühere Presseinformation: Mechanochemie von Schwefelbrücken
http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2013/pm00184.html.de
Reinhart Koselleck-Projekt
http://www.pm.rub.de/pm2008/msg00416.htm
Exzellenzcluster Resolv
http://www.ruhr-uni-bochum.de/solvation/
Jülich Supercomputing Centre
http://www.fz-juelich.de/ias/jsc/DE/Home/home_node.html
Gauss Centre for Supercomputing
http://www.gauss-centre.eu/
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution2
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Julia Weiler, 25.10.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2016
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang