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FORSCHUNG/203: Wenn uns der Himmel auf den Kopf fällt (research*eu)


research*eu Nr. 55 - Januar 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Wenn uns der Himmel auf den Kopf fällt

Matthieu Lethé


Sieht so der Klimawandel aus? Vielleicht. Es ist sicher, dass Europa seit einigen Jahren regelmäßig von unterschiedlichen Wetterkatastrophen heimgesucht wird. Heftige Unwetter, nie da gewesene Überschwemmungen, lange Hitzewellen, vernichtete Wälder. Die Liste der Opfer wird immer länger und der Anstieg der verursachten Schäden erregt die Gemüter der Versicherungsgesellschaften. Gleichzeitig stehen die Fortschritte der Forschungsarbeiten unter einem Motto: die Genauigkeit der Vorhersagen erhöhen.


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Die Küstengebiete der Mittelmeerregion reagieren besonders empfindlich auf starke Niederschläge. Der ausgetrocknete und durch lange Hitzeperioden harte und undurchlässige Boden ist nicht mehr in der Lage, plötzliche und starke Regenfälle aufzunehmen. Das Wasser stürzt hinab in die Talkessel, lässt die Flüsse anschwellen, verwandelt sie in Sturzbäche und reißt alles mit, was sich ihm in den Weg stellt. Die menschlichen Verluste und materiellen Schäden sind oft sehr hoch. Zwischen 1950 und 2000 starben in Spanien ungefähr 2 200 Menschen infolge dieses Phänomens. Davon verloren 815 innerhalb von drei Stunden ihr Leben, weil sie von den Wassermassen überrascht wurden. Vor nicht allzu langer Zeit, im September 2002, haben die Überschwemmungen in Le Gard (FR) 23 Menschen das Leben gekostet, und die Materialschäden waren auf 1,2 Milliarden Euro angestiegen.

Zur Begrenzung der Folgen dieser flutartigen Überschwemmungen - im Englischen flash-flood genannt - hat sich das Forschungsprogramm Flash, das unter dem 6. Rahmenprogramm der Europäischen Kommission mit 1,2 Millionen Euro gefördert wird, das Ziel gesetzt, die Vorhersage der Auslöser solcher Überschwemmungen zu verbessern: der ebenso starken wie plötzlichen Niederschläge. Und zwar sowohl mittelfristig - ein bis zwei Tage im Vorhinein - als auch sehr kurzfristig, d. h. zwei bis drei Stunden vorher. "Wir wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen den starken Niederschlägen in den Gewitterzonen und den sich dort entwickelnden elektrischen Aktivitäten gibt", erklärt Colin Price, Koordinator von Flash an der Universität Tel Aviv (IL). "Mehrere Studien haben in der Tat gezeigt, dass in einem Gewitter die Intensivierung der elektrischen Aktivitäten oft mit einem Anstieg der Niederschlagsintensität einhergeht." Allerdings sind die Abläufe dieses Zusammenspiels noch unklar.


Dreiundzwanzig Überschwemmungen als Zeugen

Im Gegensatz zu den Regenwolken, die von den Radaren erst auf eine Distanz von einigen hundert Kilometern geortet werden können, können Gewitter leicht auf viel größere Entfernungen beobachtet werden. Elektrische Entladungen, die von den Blitzen erzeugt werden, senden nämlich Niederfrequenz-Wellen (Mikrowellen) aus, die sich über mehrere tausend Kilometer ausbreiten und so in erster Linie von Satelliten wahrgenommen werden können. Die Bildung von Gewitterfronten vorherzusagen, ist daher möglich. Zu wissen, wo, wann und mit welcher Intensität sich der begleitende Regen niederschlagen wird, ist allerdings eine andere Sache. Und dies genau ist das Anliegen der Forscher von Flash.

"Der Anfang unserer Untersuchungen", fährt Colin Price fort, "bestand in der nachträglichen Analyse von 23 flutartigen Überschwemmungen, die in der Mittelmeerregion als Folge von plötzlichen Regenfällen aufgetreten waren und deren Daten bezüglich der Niederschläge und elektrischen Aktivitäten komplett vorliegen. Sie stammen von Wettersatelliten und Radaren, aber auch aus Beobachtungen der Wetterstationen auf der Erde. Diese Daten haben wir anschließend in Computermodelle integriert, die eine Vorhersage von starken Regengüssen über einen kurzen und sehr kurzen Zeitraum ermöglichen. Indem wir für jeden der 23 untersuchten Fälle die Resultate des Modells mit den tatsächlichen Ereignissen vergleichen, können wir die Zuverlässigkeit der angewendeten Algorithmen bewerten. Nach ihrer Bewertung können wir sie testen und dann in Echtzeit anwenden. Die Bevölkerung kann so vor dem drohenden Aufzug starker Niederschläge gewarnt werden."

Wenn diese Modelle einsatzbereit sind, ist die Arbeit der Forscher von Flash aber noch nicht beendet. Es müssen noch andere, zuverlässige Modelle geschaffen werden, um vorherzusagen, wie sich die Niederschläge in den Wassereinzugsgebieten jeder betroffenen Region verteilen werden. Entsprechend der Geologie, dem Relief, dem Urbanisationsgrad, dem Grad der Undurchlässigkeit des Erdreichs und einiger anderer Parameter kann eine Überschwemmung mehr oder weniger reißend oder mehr oder weniger verheerend sein. "Das ist die größte Herausforderung für Flash", betont Colin Price, "Beobachtungsdaten in verschiedenen raumzeitlichen Formaten und Maßstäben zu kombinieren und anschließend in genauso unterschiedliche Modelle zu integrieren, ist eine besondere Schwierigkeit, die wir für das gemeinnützige Ziel, das uns angetragen wurde, überwinden müssen: die Bevölkerung vor dem Ausmaß flutartiger Überschwemmungen warnen zu können und so die schlimmsten Schäden zu verhindern."


COPS - Auf dem Weg zu einem Präzisionsmodell

Szenenwechsel. Im Juni 2007 marschierte ein Schwarm von Wissenschaftlern unter dem Decknamen Cops (Convective and Orographically-induced Precipitation Study) für die Dauer von drei Monaten in einem Gebiet auf, das sich zwischen den Vogesen (FR) und dem Schwarzwald (DE) erstreckt. Ihre Aufgabe bestand darin, die Bildung gewittriger Niederschläge zu beobachten. Warum zu diesem Zeitpunkt und in diesem Gebiet? "Weil die Sommersaison die Gewitterbildung begünstigt", erklärt Evelyne Richard, Forschungsleiterin des Centre national de la recherche scientifique - CNRS (FR) und Koordinatorin des französischen Gebietes von Cops. "Und diese Tendenz wird durch das Mittelgebirgsrelief des Gebietes, das wir erforscht haben, begünstigt. Außerdem waren wir bei der Wahl des Gebietes sicher, dass wir eine ausreichende Anzahl an bedeutenden Forschungsfällen erhalten werden."

Aber Cops ist Teil eines weit umfangreicheren Projekts. Es betrifft die Umsetzung neuer, lokaler Modelle der numerischen Wettervorhersage, die jene des ECMWF (Europäisches Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage) [1] in Reading (UK) ergänzen, indem sie die bestehenden, sekundären Modelle in Deutschland und Frankreich ersetzen. "In mehreren Jahren haben sich die Modelle im Hinblick auf die Temperaturvorhersage, die Wolkendecke, den Wind usw. beträchtlich verbessert. Aber die Niederschlagsvorhersage hat sich nur sehr wenig weiterentwickelt. Es geht also darum, die Schieflage für die nächsten Modelle zu korrigieren", ergänzt Evelyne Richard. "Eine Perspektive ist die beträchtliche Verbesserung der Modellgenauigkeit durch Verdichtung der Gittermaschen. Wir müssen eine Gittermaschengröße von 2,5 km Kantenlänge in der Ebene und etwa 10 m in der Höhe erreichen, um die Schichten, die dem Erdboden am nächsten sind, zu erfassen. Auch wenn es für genaue Schlussfolgerungen noch zu früh ist, so können wir doch sagen, dass wir einen Fortschritt erzielt haben, weil einige der von uns getesteten Modelle Gewitter voraussagen konnten, die nicht von den Modellen im Einsatz vorhergesagt worden sind."


Operation Boden-Luft

Man kann sagen, dass die umgesetzten Modelle den Erwartungen in höchstem Maße entsprachen. Fünf Beobachtungsstationen, die technisch auf dem neuesten Stand sind, wurden entlang einer West-Ost-Achse, von den Vogesen bis zur Grenze des Schwarzwaldes durch die Rheinebene, angeordnet. Alle sind mit der gleichen Ausrüstung für die Beobachtung des Himmels ausgestattet und können alle Bestandteile - Temperaturen, Winde, Wasserdampf, Partikeln - ermitteln, die möglicherweise "konvektive Sommerniederschläge" erzeugen können, die gemeinhin als Gewitter bezeichnet werden. So konnten die Forscher die Entwicklung der Gewitterwolken von ihrer Entstehung, im Allgemeinen in den Höhenlagen der Vogesen, bis zu ihrer Auflösung in den Niederungen des Schwarzwaldes verfolgen.

Die Radare und Lidare - mit Laser funktionierende Radare -, die in diesen provisorischen Wetterstationen installiert wurden, wurden von einem Netz aus 80 GPS-Stationen unterstützt, die über das ganze Forschungsgebiet verteilt waren. Warum GPS? Weil das von den Satelliten an diese Ortungsgeräte gesendete Signal sich leicht verzögert, wenn der Feuchtigkeitsgehalt in der Atmosphäre gemessen wird. Es ist also möglich, diese Besonderheit auszunutzen, um die zwischen dem Satelliten und der GPS-Basis vorhandene Wasserdampfmenge zu berechnen.

Zur Ergänzung dieser Beobachtungen verfügt Cops unter anderem über zwei mobile Radare, die die "Lücken" zwischen den 80 GPS-Stationen und den fünf Wetterstationen stopfen sollen. Mit gleichem Ziel sind Mannschaften kreuz und quer durch die Gegend gefahren und haben Wetterballons aufgelassen. Schließlich überflog eine Flotte von nicht weniger als acht mit hoch spezialisierter Technik ausgestatteten Flugzeugen das Forschungsgebiet: An Bord befanden sich Radare und Lidare zur Abtastung der Atmosphäre unter dem Flugzeug und zahlreiche sogenannte Dropsonden, die während des Fluges ausgeklinkt werden.

"In drei Monaten und dank dieser Geräte", schließt Evelyne Richard, "hat Cops eine große Datenmenge erfassen können. Diese wurden in Testmodellen eingesetzt, die nach und nach angepasst wurden. Am Ende ist das ein zuverlässiges Modell, mit dem wir zumindest bei der Vorhersage von gewittrigen Niederschlägen in Gebieten mit hügeligem Gelände erfolgreich sein könnten."


Vierfarbiger Alarm

Donnerstag, 8. November 2007. Bei den Wettervorhersagediensten des KNMI - Koninklijk Nederlands Meteorologisch Instituut (NL) herrscht große Aufregung. Man erwartet für den Abend und den darauf folgenden Tag große Gezeitenbewegungen, die für die Infrastruktur und die Bevölkerung des Landes gefährlich werden könnten. Sofort werden die Behörden gewarnt, damit sie die für diese Situation geeigneten Maßnahmen ergreifen. Zur gleichen Zeit schickt das KNMI ein Signal an Meteoalarm, um die höchste Alarmstufe, Rot, auszulösen.

Gestartet am 23. März 2007 als Initiative von Eumetnet - dem Netzwerk Europäischer Wetterdienste -, ist es die Aufgabe der Internetseite www.meteoalarm.eu, den Internetbenutzer vor wetterbedingten Risiken zu warnen: Überschwemmungen, Gewitter, Hitzewellen, Nebel, Schneefall, Stürme, Waldbrände usw. Dazu bedient sie sich eines Farbcodes von vier Farben: Grün, Gelb, Orange und Rot - je nach Warnstufe. So kann man in jeder Region der teilnehmenden Länder die Wettersituation auf einen Blick erfassen. "Unsere Stärke ist es", erklärt Michael Staudinger, technischer Leiter, "auf einer einzigen Plattform ein auf ganz Europa abgestimmtes Warnsystem zu vereinen. Viele Menschen reisen ins Ausland und können dank Meteoalarm ein einzigartiges Wetterwarnsystem in jedem besuchten Land vorfinden."

Mit 280 Millionen Besuchen seit der Eröffnung der Website und mit Spitzen von 12 Millionen Besuchern pro Tag im Falle einer Wetterwarnung erreicht Meteoalarm eine genauso große Öffentlichkeit wie die Rettungsdienste. Verwaltet vom Meteorologischen Institut Österreich und mit 2 Millionen Euro ausgestattet, wird sie regelmäßig von den nationalen Wetterstationen mit neuen Daten aktualisiert. - "Einige schicken ihre Dateien alle fünf Minuten, andere viermal pro Tag", führt Michael Staudinger aus. Die Site ist auch noch ausbaufähig, denkbar wären etwa "die Öffnung für andere europäische Länder oder die Gründung eines Intranetdienstes, in dem sich die Katastrophenschutzdienste auf Warnungen vorbereiten können, die erst fünf Tage später eintreten."


Anmerkung

[1] siehe Artikel S. 11 [im Heft]

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
im Schattenblick siehe unter: Schattenblick -> Infopool -> Naturwissenschaften -> Klima
BERICHT/075: Reading - die unmögliche Wettergleichung (research*eu)]


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Quelle:
research*eu Nr. 55 - Januar 2008, Seite 14-16
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2008