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FORSCHUNG/246: Die Wetter-Zurücksage (DFG)


forschung 4/2009 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Wetter-Zurücksage

Von Thomas Schneider von Deimling und Stefan Rahmstorf


Aus der Klimageschichte lernen: Seit Jahrhunderten werden Temperaturschwankungen und Treibhausgaskonzentrationen erfasst. Potsdamer Forscher nutzen die Messwerte der Vergangenheit, um die Zukunftsszenarien zur globalen Erwärmung zu optimieren


Die Feststellung war besorgniserregend, die der amerikanische Chemiker Charles David Keeling 1957 bei der ersten kontinuierlichen Kohlendioxid (CO2)-Messung der Welt auf dem Vulkan Mauna Loa, Hawaii, machte. Die als Keeling-Kurve bekannt gewordene Messreihe ließ schon damals einen stetigen Anstieg des Treibhausgases in der Atmosphäre erkennen. Als Folge der anhaltenden Verbrennung fossiler Energieträger und der steigenden CO2-Freisetzungen messen wir heute Konzentrationen dieses Treibhausgases, die weit über den Werten der letzten Millionen Jahre Klimageschichte liegen.

Vielfach wiederholte Messungen der Luftzusammensetzung belegen, dass dieser Anstieg durch den Menschen und seine technische Zivilisation verursacht wird. Etwa die Hälfte des emittierten CO2 verbleibt in der Atmosphäre, während die andere Hälfte von Ozeanen und der Biosphäre aufgenommen wird. Für Keeling stand nach Auswertung seiner Daten fest, dass die Freisetzung von Treibhausgasen in einem bis dato unbekannten Umfang zu einer Erwärmung der Erde führen wird. Doch wie stark wird diese ausfallen? Und mit welcher globalen Erwärmung muss bei einer bestimmten Erhöhung des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre gerechnet werden?

Um diese Frage zu beantworten, hatte schon im Jahr 1896 der schwedische Physiker, Chemiker und spätere Nobelpreisträger Svante Arrhenius ein Gedankenexperiment unternommen. Er berechnete die globale Erwärmung, die sich aus einer Verdoppelung des atmosphärischen CO2-Gehalts ergeben würde. Seine Antwort: 4 bis 6 Grad Celsius. Im Jahr 2009 ist diese Frage aktueller denn je. Bei einer weiterhin ungebremsten Verbrennung fossiler Energieträger wie Öl, Erdgas und Kohle wird spätestens gegen Mitte des 21. Jahrhunderts eine Verdoppelung des Kohlendioxidgehalts im Vergleich zum Wert der letzten 10 000 Jahre zu erwarten sein. Während dieser - aus geologischer Sicht unmittelbar zurückliegenden - Zeit blieb die globale Durchschnittstemperatur nahezu unverändert, und der atmosphärische CO2-Gehalt hatte sich auf einen Wert von 280 p.p.m. (parts per million) eingependelt.

Der bis zum Jahr 2050 zu erwartende Temperaturanstieg wird allerdings außer von der CO2-Konzentration auch vom Anstieg weiterer klimawirksamer Gase und Partikel (beispielsweise Methan und Schwefel-Aerosolen) geprägt sein. Verschiedene Modellstudien haben gezeigt, dass sich die Einsicht in die CO2-Konzentrationsänderungen im Klimasystem auch auf weitere, klimabestimmende Einflussgrößen übertragen lässt. Somit ist die von Arrhenius damals berechnete Temperaturerhöhung zu einer heute zentralen Kenngröße in der Klimaforschung geworden, der sogenannten "Klimasensitivität". Sie gibt an, wie empfindlich das Klimasystem auf eine Störung seiner Energiebilanz reagiert. Je genauer der Wert dieser Maßzahl angegeben werden kann, desto genauer fallen die Modellprognosen aus.

Zahlreiche Studien haben seit Arrhenius versucht, diese Maßzahl zu bestimmen. In seinem letzten Sachstandsbericht aus dem Jahr 2007 hat der Weltklimarat (IPCC) die Unsicherheit in der Schätzung der Klimasensitivität mit 2,0 bis 4,5 Grad Celsius beziffert. Diese Spanne konnte im inzwischen vierten Sachstandsbericht erstmals etwas eingeengt werden, nachdem sie nahezu unverändert in den letzten 30 Jahren mit 1,5 bis 4,5 Grad Celsius veranschlagt wurde. Obwohl diese Einschränkung der Unsicherheit gering erscheinen mag, so kann diese Spanne heute jedoch mit einer deutlich größeren Sicherheit angeben werden als noch vor einigen Jahren. Außerdem haben Klimamodellstudien verstehen lassen, welche Prozesse im Klimasystem eine genauere Abschätzung der Klimasensitivität erschweren.


Auch hier ist der Rückblick hilfreich: Schon im Jahr 1824 schrieb der französische Mathematiker und Physiker Jean-Baptiste Fourier von der erwärmenden Links: Ausgedörrter Boden. Änderungen im globalen Wasserkreislauf sind in einigen Regionen mit Dürren verbunden. Rechts: Prognostizierte Temperaturänderungen auf dem Erdball bis Ende des 21. Jahrhunderts. Die stärkste Erwärmung wird im Bereich der Arktis erwartet. Foto: Digital Vision Wirkung atmosphärischer Spurengase. Diese Sicht bestätigten in der Folgezeit zahlreiche Laborexperimente. Klimamodelle können die Wirkung genau berechnen: Durch eine Verdoppelung des CO2-Gehalts in der Luft wird eine direkte Erwärmung von 1,2 Grad Celsius bewirkt, und zwar durch die gesteigerte atmosphärische Aufnahme von Wärmestrahlung - also aufgrund eines stärkeren Treibhauseffekts. Unterschiedliche Klimamodelle liefern hier eine in sich schlüssige Abschätzung. Die direkte Erwärmung beschreibt jedoch nur einen Teil des zu erwartenden Temperaturanstiegs. Zusätzlich machen sich im Klimasystem Rückkopplungsmechanismen bemerkbar, welche eine einmal in Gang gesetzte Temperaturerwärmung abschwächen oder verstärken können.

Und genau hier kommen die Unsicherheiten hinsichtlich der tatsächlichen Größe der Klimasensitivität ins Spiel. Die eigentliche Herausforderung für die Klimamodelle besteht in der realitätsnahen Beschreibung dieser Rückkopplungsmechanismen. So kann eine sich erwärmende Atmosphäre mehr Wasserdampf aufnehmen. Dieser wirkt - ebenso wie CO2 - als Treibhausgas und führt zu einer weiteren Erwärmung. Man hat es mit einer positiven, das heißt verstärkenden Rückkopplung zu tun.

Die Ausdehnung von Schnee- und Eisflächen wiederum beeinflusst nachhaltig, welcher Anteil des Sonnenlichts wieder ins All zurückgespiegelt wird. Eine Abnahme der Schnee- und Eisbedeckung durch steigende Temperaturen übt ebenfalls eine positive Rückkopplung aus. Die entscheidende Unsicherheit besteht mit Blick auf das Verhalten von Wolken: Wie reagieren diese auf eine sich erwärmende Welt und wie beeinflussen sie die weitere Klimaentwicklung? Überwiegt ihr kühlender oder ihr erwärmender Einfluss auf das Klima? Hier zeigen sich die größten Unterschiede bei den Modellen.

Insbesondere in den letzten Jahren haben Klimaforscher intensive Anstrengungen unternommen, um die Sensitivität des Klimasystems auf Änderungen im Gehalt an Treibhausgasen genauer zu bestimmen. Durch Fortschritte in der Computerleistung können inzwischen große Sätze von unterschiedlichen Klimamodellversionen durchgespielt werden (bis hin zu einigen 1000 Simulationen pro Modell). Dabei nimmt man ein Klimamodell und verändert darin systematisch die noch unsicheren Parameterwerte (etwa Parameter, die bei der Berechnung der optischen Eigenschaften von Wolken verwendet werden).

So werden eine große Zahl verschiedener Modellversionen unterschiedlicher Sensitivität generiert: zum Beispiel solche, in denen Wolken sehr stark auf eine Änderung der Globaltemperatur reagieren und einen großen Wert der Klimasensitivität aufweisen, aber auch Modelle mit einer deutlich kleineren Sensitivität, bei denen Wolken eher geringe Änderungen zeigen.

Die Kernfrage bleibt: Welches dieser Modelle eignet sich am besten, die tatsächliche Temperaturgeschichte der Vergangenheit zu erklären? Insbesondere der Blick in die Jahrtausende zurückliegende Erdgeschichte ist hierbei aufschlussreich. Ganz unterschiedliche Klimaarchive ermöglichen inzwischen die Rekonstruktion weit zurückliegender Klimaänderungen.


So erlauben beispielsweise Eisbohrkerne aus der Antarktis eine Entschlüsselung der Klimaentwicklung der vergangenen 700 000 Jahre. Die in den Eisbohrkernen enthaltenen Daten liefern Informationen über die Zusammensetzung der früheren Atmosphäre sowie der damals herrschenden antarktischen Temperaturen. Als charakteristisches Muster zeigt sich eine wiederkehrende Abfolge von Warm- und Kaltzeiten, die durch die bekannten Erdbahnzyklen verursacht werden. Klimaforscher haben auch festgestellt, dass während der kältesten Phasen der Eiszeiten die Temperatur in der Antarktis um etwa 10 Grad Celsius unter den heutigen Werten lag; zugleich fielen die damaligen CO2-Konzentrationen deutlich niedriger aus.


Das Wissen über die klimatische Vergangenheit bietet somit eine vielversprechende Möglichkeit, die Güte von Klimamodellen zu testen: Indem man das gleiche Eiszeitsimulationsexperiment mit verschiedenen Modellversionen durchführt, lässt sich untersuchen, wie unterschiedlich die einzelnen Modelle auf die niedrigeren glazialen CO2-Konzentrationen reagieren. Die verschiedenen simulierten Eiszeitabkühlungen (die weitere Einflussgrößen wie beispielsweise die Ausdehnung riesiger Inlandeismassen berücksichtigen) können dann mit Beobachtungsdaten der Klimageschichte verglichen werden. Somit ist eine Unterscheidung zwischen realistischen und unrealistischen Modellversionen möglich: ein Modell, welches zu sensitiv auf Änderungen im CO2-Gehalt reagiert, simuliert ein zu kaltes Eiszeitklima - ein Modell zu geringer Sensitivität eine zu warme Eiszeit. Auf diesem Wege konnte beispielsweise die Abschätzung des IPCC (2,0 bis 4,5 Grad Celsius für die Klimasensitivität) gut bestätigt werden. Mit Blick auf die Klimasensitivität scheint ein Wert von ca. 3 Grad Celsius am wahrscheinlichsten. Ist die ermittelte Klimasensitivität aus der deutlich kälteren Klimavergangenheit eine gute Maßzahl für die künftige Erwärmung? Durchaus denkbar ist, dass Wolken ein unterschiedliches Verhalten in einem sich abkühlendem und einem sich erwärmenden Klima zeigen. Solche Unterschiede können in Modellen abgebildet werden und sind aktueller Gegenstand der Klimaforschung. Hochinteressant wäre es, den Blick weiter zurück in die Erdgeschichte zu richten - auf Zeiten, zu denen deutlich wärmere Temperaturen und höhere CO2-Konzentrationen geherrscht haben. Dann könnte man untersuchen, wie stark die Temperatur in der Vergangenheit auf höhere Treibhausgaskonzentrationen reagierte.

Leider liegen diese Zeiten jedoch sehr weit zurück (mehrere Millionen Jahre), sodass die Unsicherheit in den Daten sehr groß ist und eine genaue Bestimmung der Klimasensitivität bislang unmöglich macht. Jedoch erlaubt unser heutiges Wissen über die Sensitivität des Klimasystems - namentlich die Beschreibung prägender physikalischer Prozesse in Klimamodellen -, die Spanne der zu erwartenden globalen Erwärmung mit hoher Wahrscheinlichkeit anzugeben. Nun gilt es, diese Spanne weiter zu verkleinern.


Dr. Thomas Schneider von Deimling und Prof. Dr. Stefan Rahmstorf forschen am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Adresse: PIK, Postfach 601 203, 14412 Potsdam

Das Projekt wird von der DFG in der Einzelförderung unterstützt.


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Quelle:
forschung 4/2009 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 4-8
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2010