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FRAGEN AN DIE NEBELKAMMER/001: Higgs, Nix und der Rest... (SB)


Higgs, Nix und der Rest oder
der Urknall aus der Dose


Das Ganze erscheint dem unbedarften Beobachter wie ein Stück aus einer Science-Fiction-Komödie von Douglas Adams ("Hitchhiker's Guide through the Galaxy - Per Anhalter durch die Galaxis"): Da stecken 2700 Wissenschaftler aus 85 Ländern des Planeten Erde in einer relativ unbedeutenden Galaxie namens Milchstraße ihre Köpfe zusammen und bauen eine gigantische Weltmaschine, den Large Hadron Collider (LHC) in Genf, der die ultimativen Fragen auf "absolut alles" beantworten soll: Woraus besteht das Universum? Was hält es zusammen? Was wird mit ihm geschehen? Aber vor allem: Wie entstand all dies aus dem puren Nichts?

Bei genauerer Betrachtung läßt sich feststellen, daß im Gegensatz zum Ereignisverlauf im Roman in dem die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens nach vielen, vielen, endlosen Jahren des Wartens endlich die enttäuschend nichtssagende, aber doch überraschende Zahl "42" ergab, der neu gebaute Collider offenbar gar keine andere Antwort geben darf, als die von den Wissenschaftlern ohnehin schon erwartete, sonst ist das Disaster vorprogrammiert! Zum Glück weiß man schon genau, wonach gesucht und was auch gefunden werden soll.

Und eins ist klar: Auch wenn die Medien immer wieder "Den Urknall von Genf" zitieren, wagt sich das CERN an den ganz großen Knalleffekt und seine Letztbegründung nicht heran. Vielleicht reichen die Vorstellungen darüber einfach nicht aus. Was dagegen eine Billionstel Sekunde nach dem geheimnisvollen Big Bang geschehen sein soll, darüber sind sich die Wissenschaftler relativ einig: Teilchen kollidierten und veränderten sich, generierten Materie, Planeten, Galaxien ..., mit anderen Worten, das Universum, wie wir es kennen. Das soll jetzt auch im CERN nachgeahmt werden, aber nur soweit, wie es nicht die Röhre sprengt. - Na, dann ...

Die Vorstellungen darüber, wie das im einzelnen ablaufen soll, sind schon festgelegt. Anders könnten die Wissenschaftler in Garching mit ihrem Superrechner Aquarius wohl nicht behaupten, das Wachstum des Universums simulieren zu können. Die Diskrepanz zwischen simuliertem und beobachtetem Universum, soll nun - wenn wir das richtig verstehen - ebenfalls durch einen der Versuche im CERN mit den nötigen Rechendaten korrigiert werden. Auch da weiß man aber offensichtlich schon, welche Daten brauchbar wären. - Und das beruhigt ungemein.

Wenn man nämlich nur ein ganz kleines bißchen von der rätselhaften dunklen Materie erzeugen könnte, dann hätte man den Nachweis dafür, warum das Universum so viel schneller auseinanderdriftet, als in der Simulation errechnet, und diese dunkle Materie ist es auch, die am Ende im sogenannten "Big Rip" alles bis ins kleinste, elementarste Teilchen auseinanderreißt. - Toll.

Nur was, fragen wir uns, reißt dann möglicherweise in der Genfer Röhre?

Wie schon Frank Grotelüschen in der Sendung "Forschung aktuell" (Deutschlandfunk, 10. September) bestätigte, gibt es für die Teilchen, die hier in dem riesigen Reagenzglas für den quasisimulierten Urknall aufeinander losgelassen werden, nicht besonders viel Bewegungsraum. Sie können und dürfen nicht so, wie sie vielleicht wollten. Und deshalb sollte dann hoffentlich auch das dabei rauskommen, was von dem Experiment erwartet wird. - C'est la vie.

Denn angesichts der ungeheuren Energien, die beim Aufprall eines Protons entstehen (bei 1100 Runden/Sekunde über die 27 km-Strecke des Colliderringes sollen die nicht einmal staubkorngroßen Teilchen beim Aufprall die Wucht eines Personenwagens bei 1600 km/h erhalten), müssen allein schon die Ausgangsbedingungen exakt eingestellt und eingehalten werden, sonst zerstört der künstlich erzeugte Protonenfluß die Maschine:

Grotelüschen: [...] Man muss die Maschine noch einstellen, man muss die Energie dieser Teilchen langsam steigern, auch die Intensität dieser Teilchen. Wenn man da nicht aufpasst, dann macht man sich die eigene Maschine kaputt. So ein Strahl hat unter Umständen die Energie einer Herde galoppierender Elefanten. Da kann man sich vorstellen, dass man sich dann die Magneten zum Beispiel kaputt schießt. Da muss man sehr vorsichtig sein.
(DLF, 10. September 2008)

Rolf Landua, Leiter der CERN-Abteilung für öffentliche Forbildung, meinte hierzu in der Sendung "hitec" gegenüber 3sat: man müsse sich das so vorstellen, als wolle man einen Strahl von dem Durchmesser eines menschlichen Haares (etwa 15 µm) durch 9000 Nadelöhre fädeln. D.h. 9000 mal fädeln und justieren in die eine Richtung, dann 9000 mal das gleiche Procedere in die andere Richtung, und alles nur, damit kein Teilchen aus der Reihe tanzt. - Das macht Mühe.

Die supraleitenden Magneten, die das garantieren, brauchen eine Arbeitstemperatur von minus 271 Grad Celsius. Das Risiko, mit dem gebündelten Protonenstrahl durch die Welt zu schießen, falls der Kühlschrank versagt, geht man wohl ein. Man nennt das Vertrauen in die Linde-Kühltechnik. - Immerhin...

Allerdings mußte der Betrieb des Teilchenbeschleunigers schon nach der ersten Woche eingestellt werden, wegen des eben doch nicht reibungslos funktionierenden Kühlsystems, die Anlage lief heiß.

Da fragt man sich doch, was alles passieren könnte, wenn dies unter voller Nutzlast geschehen würde und unvorhergesehene, fremdartige Teilchen entstehen, Vakuumblasen, oder auch nur energiereiche Spaltprodukte nach "gelungener" Kollision ihre vorgeschriebene Bahn verlassen ... .

Da müssen nicht einmal die befürchteten kleinen, schwarzen und alles verschlingenden Löcher entstehen, deren Erscheinen die beteiligten Wissenschaftler zwar einerseits ausschließen, aber andererseits - falls man sie unter den gegebenen Voraussetzungen erzeugen könnte - doch als Bestätigung der Stringtheorie begrüßen würden... (doch darauf kommen wir später noch zurück).

Die Wissenschaftler im CERN haben, wie sie behaupten, alles unter Kontrolle. Die Techniker wollen den Schaden bis Ende der Woche beheben und dann gäbe es keinen Anlaß, die Versuche nicht weiter durchzuführen. Schließlich soll gar nichts geschehen, was nicht vorausberechnet wurde oder nicht von der Röhre oder den äußeren Schutzvorkehrungen gehalten werden kann, oder?

Dazu antwortete Dr. Detlef Küchler (GWUP-Mitglied) in einem Interview mit der Zeitschrift "Skeptiker" auf die Frage: Angenommen, mit der neuen Protonenkanone am CERN geht tatsächlich etwas schief - was könnte im schlimmsten Fall passieren?

Erst einmal, es handelt sich nicht um eine "Protonenkanone", wie in der Presse steht. Wir machen ein Kollisionsexperiment mit Protonen in einem Beschleunigerring. Was dabei im schlimmsten Fall passieren kann, weiß ich auch nicht, aber alle menschenmöglichen Vorkehrungen wurden getroffen, um das Personal, die Bevölkerung und auch die Anlage selbst zu schützen.

Und zu der nächsten Frage, "Aber könnte nicht ein völlig unbekannter physikalischer Effekt auftreten?" meinte er:

Ein bislang unbekannter physikalischer Effekt? Tja, das würde zu spontanen Jubelfeiern und der einen oder anderen leeren Champagnerflasche führen. Ernsthaft: Nach dem Unbekannten sind wir doch auf der Suche! Das Bekannte kennen wir ja eben schon.
(Skeptiker, 21, 3/2008)

Mit anderen Worten: wer etwas Neues entdecken will, muß auch etwas riskieren - Kollateralschäden und kleinere Katastrophen werden nicht ausgeschlossen, fragt sich nur, in welchen Dimensionen.

Dabei scheitert allein schon die eingangs gestellte Behauptung, mit den Experimenten am CERN die ultimativen Weltfragen auf "absolut alles" zu beantworten, was aus dem Nichts kam, im Ansatz. Denn der aus Wasserstoffgas generierte Protonenstrahl (der aus Wasserstoffatomen besteht, denen man die Elektronen wegnimmt) ist alles andere als Nichts.

Es ist ganz normale, von der chemischen Industrie synthetisierte Materie, die beschleunigt wird, sich im punktförmigen Aufprall (s.o.) in Energie umwandeln soll (das kurzfristige Nichts?) und dann - gemäß der einsteinschen Formel: E=mc² - wieder in Masse umgewandelt wird. Davon sieht man aber nichts.

Nun, ein gewöhnliches Auto, das nach der Kollision bei 1600 km/h garantiert anders aussieht und unvorhersehbar viele Einzelteile um sich streut, bleibt ein Auto, auch wenn die Form verändert ist. Aber ein Teilchen soll auf die gleiche Weise zur energetischen Ursuppe werden, in der alle Teilchen nebeneinander existieren, die die Physiker für die Erklärung der Materieentstehung brauchen und uns mit leckeren Assoziationen aus dem Alltag verständlich zu machen suchen:

"Wir versuchen, die gesamte Materie aufzuheizen, und dann schmelzen wir sie. Bei weiterer Energiezufuhr wird sie zu Gas. Wenn man noch höher heizt, fangen auch die Protonen und Neutronen an zu "schmelzen", und man erhält eine Ursuppe, die nur noch aus Elementarteilchen besteht. Diese sind so fundamental, dass sie nicht mehr aus "kleineren" Partikeln zusammengesetzt sind".
(Sterne und Weltraum, September 2008, Seite 50)

Damit erklärt Jürgen Schukraft gegenüber "Sterne und Weltraum" eines der Experimente zur Frage der "Entstehung aus dem Nichts". Doch selbst, wenn sich solche Übergänge, wie er weiter behauptet, von einer Phase in eine andere in der Frühzeit des Kosmos abgespielt haben sollen und die Materie in dieser Zeit ein sogenanntes Quark-Gluon- Plasma einnahm, welches dann wieder zu Protonen und Neutronen kondensierte, so ist das doch immer noch "etwas", oder?

Um dem eigentlichen Nichts näher zu kommen, müßte man wohl noch dichter an den Urknall heranrücken, in jenen Zeitraum während der Entstehung des Universums, in dem es, wie die Wissenschaftler behaupten, keine massehaltigen Teilchen gab und das sogenannte Higgs-Teilchen die masselosen Partikel gewissermaßen erleuchtete, so daß sie zu massiven Teilchen wurden. Auch dieses Teilchen sucht man in den Protonentrümmern, die man am CERN herstellen will. Es soll entstehen, indem die beschriebenen Prozesse gewissermaßen rückgängig gemacht werden. Allerdings rechnet man bestenfalls mit einem Higgs- Teilchen bei einer Billion registrierbarer Ereignisse. Da muß man schon geduldig suchen.

Doch wie entstand das Higgs aus dem Nichts - etwa, wie der Phönix aus der Asche? Schon jetzt wissen die Wissenschaftler im CERN ganz genau, welche Fragen auch in Zukunft offen bleiben werden. Denn wer könne schon hinter den Urknall schauen...

Dieser und weiteren Fragen, die die wohl größte und vielleicht aufwendigste Maschine der Menschheit vom Big Bang bis zum Big Rip aufwirft, werden wir an dieser Stelle in den nächsten Folgen hinterherforschen.

Fortsetzung

19. September 2008