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ASTRO/241: Kosmische Raserei (idw)


Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn - 10.01.2014

Kosmische Raserei



Die Lokale Gruppe, in der sich unser Milchstraßensystem befindet, rast mit rund zwei Millionen Stundenkilometern durch das Weltall. Wissenschaftler rätseln, was die Ursache für diese kosmische Raserei ist. Ein internationales Forscherteam unter wesentlicher Beteiligung von Physikern der Universität Bonn kommt zu dem Schluss, dass neben dem gigantischen Shapley-Superhaufen eine weitere riesige Masse mit ihrer Gravitation die Lokale Gruppe auf Touren bringt. Die Ergebnisse sind im Fachjournal "Astronomy & Astrophysics" vorab online veröffentlicht. Die Printausgabe erscheint voraussichtlich in den nächsten Wochen.

Mit der Andromeda-Galaxie, dem Dreiecksnebel (M33) und kleineren Galaxien bildet das Milchstraßensystem die Lokale Gruppe, die mit rund zwei Millionen Stundenkilometern durch das Universum rast. "Der Grund für die rasante Fahrt und die Ursache für ihre Bewegungsrichtung sind bis heute nicht schlüssig erklärt", sagt Prof. Dr. Marek Kowalski vom Physikalischen Institut der Universität Bonn. Ein internationales Forscherteam aus den USA, Frankreich, Australien und China hat unter wesentlicher Beteiligung der Physiker der Universität Bonn nun einen Ansatz gefunden, wie sich das Bewegungsprofil der Lokalen Gruppe erklären lässt. In dem Konsortium ist auch der US-Astrophysiker Prof. Dr. Saul Perlmutter vertreten, der im Jahr 2011 den Physik-Nobelpreis erhielt.

Im Rahmen des Supernova-Factory-Projekts nutzte das internationale Wissenschaftlerteam mehr als 100 Supernovae-Beobachtungen vom Typ Ia mit dem 2,2-Meter-Teleskop der Universität Hawaii auf dem Gipfel des Vulkans Mauna Kea. Bei Supernovae handelt es sich um Sterne, die am Ende ihrer Lebenszeit in einer gigantischen Explosion so hell wie eine ganze Galaxie aufleuchten. Die Forscher verwendeten sie als eine Art Leuchttürme im All: "Anhand ihrer Helligkeit können wir feststellen, wie weit entfernt die Supernovae sind und mit welcher Geschwindigkeit sie sich im Weltraum bewegen", erklärt Prof. Marek Kowalski.


Die Forscher teilen den Weltraum in Zwiebelschalen auf

Wie bei einer Zwiebel teilten die Forscher den Weltraum um die Erde in einzelne kugelförmige Schalen auf und bestimmten anhand der sich darin befindenden Supernovae die Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung dieser Teilräume. "Unsere Hypothese war, dass für die Bewegung der Lokalen Gruppe die Anziehungskraft einer gigantische Masse die Ursache ist", sagt Ulrich Feindt, Doktorand bei Prof. Kowalski und Erstautor der Studie. In der Vorzugsrichtung der durch das Universum rasenden Lokalen Gruppe befindet sich der Shapley-Superhaufen (SCI 124), die größte Ansammlung von Sternensystemen in einer Entfernung von 650 Millionen Lichtjahren zur Milchstraße.

"Unsere Berechnungen ergaben jedoch, dass die Gravitation des Shapley-Superhaufens nicht ausreicht, um das Geschwindigkeitsprofil der Lokalen Gruppe zu erklären", berichtet Prof. Kowalski. "Wir müssten eine zweite, noch einmal annähernd gleichgroße Masse hinzufügen, um auf die erforderliche Anziehungskraft zu kommen." Die Wissenschaftler vermuten, dass es sich bei dieser rätselhaften gigantischen Masse um eine lockere Ansammlung verschiedener Galaxien handeln könnte, der sogenannten Sloan Great Wall. Die Gravitation dieser Agglomeration und des Shapley-Superhaufens zusammen könnten nach den Erkenntnissen der Forscher sowohl die Geschwindigkeit als auch die Bewegungsrichtung der Lokalen Gruppe erklären.


Einfluss noch aus einer Milliarde Lichtjahre Entfernung

Die Studie ist die bislang umfassendste zum Thema. Das internationale Forscherkonsortium verwendete ein Schalenmodell und Daten, die nahezu doppelt so tief in den Weltraum hineinreichen wie die vorangegangener Arbeiten. "Wir konnten damit zeigen, dass Strukturen in rund einer Milliarde Lichtjahre Entfernung noch einen Einfluss auf die Bewegung der Lokalen Gruppe haben", sagt Prof. Kowalski. Damit verbunden sind sehr grundsätzliche Fragen der Kosmologie: Ist das Universum auf großen Skalen in alle Raumrichtungen gleichartig beschaffen? "Unsere Untersuchungen zeigen, dass diese Grundannahme im Standardmodell der Kosmologie hier an ihre Grenzen stößt", sagt Prof. Kowalski. Denn die Kräfte, die die Strukturen im Weltraum beeinflussen, wirkten auch im ganz Großen.

Publikation:
Measuring cosmic bulk flows with Type Ia Supernovae from the Nearby Supernova Factory,
Journal "Astronomy & Astrophysics",
DOI: 10.1051/0004-6361/201321880

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution123

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Johannes Seiler, 10.01.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2014