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ASTRO/312: Gravitationswellen - Der Kosmos bebt (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 1/2016

Der Kosmos bebt

von Helmut Hornung


Albert Einstein hatte recht: Gravitationswellen existieren wirklich. Am 14. September 2015 gingen sie ins Netz. Das wiederum hätte Einstein verblüfft, glaubte er doch, sie seien zu schwach, um jemals gemessen zu werden. Umso größer war die Freude der Forscher - insbesondere jener am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, das an der Entdeckung maßgeblich beteiligt war.

An jenem denkwürdigen Montag im September 2015 zeigt die Uhr in Hannover 11.51 an, als Marco Drago am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik das Signal als Erster sieht. Für etwa eine Viertelsekunde ist die Gravitationswelle durch zwei Detektoren namens Advanced LIGO geschwappt. Die Anlagen stehen Tausende Kilometer entfernt in den USA, eine in Hanford (Bundesstaat Washington), die andere in Livingston (Louisiana).

Drago glaubt zunächst an ein Signal, das absichtlich eingestreut wurde, um die Reaktion der Wissenschaftler zu testen. Das ist in der Vergangenheit immer wieder einmal vorgekommen. Doch Advanced LIGO läuft noch gar nicht im regulären Betrieb. So informiert Drago seinen Kollegen Andy Lundgren. Die beiden sind sich einig: Die Kurve sieht perfekt aus, das Signal scheint echt zu sein. Die Max-Planck-Forscher ahnen, das sie eben Zeugen eines historischen Augenblicks geworden sind.

Mit der Entdeckung erreicht die Geschichte der Gravitation ihren vorläufigen Höhepunkt, die allgemeine Relativitätstheorie hat jetzt mit Bravour ihren letzten Test bestanden. Zudem stößt die Messung ein neues Beobachtungsfenster auf. Denn nahezu 99 Prozent des Universums liegen im Dunkeln, senden also keine elektromagnetische Strahlung aus. Mit Gravitationswellen hingegen lassen sich kosmische Objekte wie schwarze Löcher erstmals im Detail untersuchen. Und selbst bis fast zum Urknall zurück werden die Forscher in Zukunft "hören" können.

Was aber hat es mit den Wellen aus dem Weltall auf sich? Die Wurzeln moderner Gravitationsforschung liegen in der Schweiz. Dort denkt im Jahr 1907 am Berner Patentamt ein "Experte II. Klasse" intensiv über die Schwerkraft nach: Albert Einstein. Er simuliert Schwerkraft mit Beschleunigung. Denn auch die Beschleunigung erzeugt Kräfte, wie sie etwa in einem schnell anfahrenden Lift auftreten. Wäre dessen Kabine schall- und lichtdicht, könnten die Fahrgäste glauben, die Anziehungskraft der Erde habe plötzlich zugenommen.

Die Erkenntnis, dass Gravitation zumindest teilweise eine Frage des Bezugssystems ist, führt Albert Einstein zu revolutionären Ideen, die er nach achtjähriger Arbeit im Herbst 1915 in seiner allgemeinen Relativitätstheorie vorstellt. Diese ist letztlich eine Feldtheorie. In ihr führt die beschleunigte Bewegung von Massen zu Störungen, die sich lichtschnell durch den Raum bewegen - Gravitationswellen.

Wer etwa auf dem Trampolin auf und ab hüpft, verliert Energie und schlägt in der Raumzeit solche Wellen. Sie sind unmessbar klein, denn ein Mensch hat eine geringe Masse und hüpft vergleichsweise langsam. Im All dagegen findet man große Massen - und sogar ein Trampolin: die Raumzeit. Darin ist alles in Bewegung, weil kein einziger Himmelskörper in Ruhe an einem Ort verharrt. So beult die Erde bei ihrem Umlauf um die Sonne den Raum aus und strahlt dabei Gravitationswellen mit einer Leistung von 200 Watt ab. Aber auch diese Gravitationswellen sind noch so schwach, dass man sie nicht mit einem Detektor aufspüren kann.

Glücklicherweise gibt es im Universum viel heftigere Erschütterungen der Raumzeit: Wenn zwei Neutronensterne oder schwarze Löcher extrem schnell umeinanderlaufen oder gar miteinander kollidieren. Oder wenn ein massereicher Stern als Supernova explodiert. Solche kosmischen Ereignisse erzeugen Gravitationswellen mit einer Energie von rund 1045 Watt.


Lichtwellen löschen sich gegenseitig aus

Gravitationswellen verändern den Abstand zwischen den im Raum enthaltenen Objekten senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Das zu messen ist höchst schwierig. Albert Einstein hielt den Nachweis daher für unmöglich. Und doch haben die Wissenschaftler Instrumente ersonnen, denen das gelungen ist. Die Geräte der ersten Generation in den 1960er-Jahren bestanden aus tonnenschweren, mit sensiblen Sensoren bestückten Aluminiumzylindern. Gravitationswellenpulse müssten sie zum Schwingen bringen wie der Klöppel eine Kirchenglocke. Aber trotz hochgezüchteter Verstärker brachten solche Resonanzdetektoren keine Ergebnisse.

Daher konstruierten die Forscher noch weit empfindlichere Empfänger, sogenannte Laserinterferometer. Dabei trifft ein Laserstrahl auf einen Strahlteiler und wird dort in zwei Strahlen aufgespalten; einer läuft geradeaus weiter, der andere wird im Winkel von 90 Grad abgelenkt. Am Ende einer jeden Strecke sitzt ein Spiegel, der das Licht wieder auf den Strahlteiler reflektiert. Dieser lenkt die Strahlen nun so um, dass sie sich überlagern, also interferieren, und auf eine Photodiode treffen.

Im Fall von ungestörten Messstrecken schwingen die ankommenden Lichtwellen nicht im Gleich-, sondern im Gegentakt: Wellenberg trifft auf Wellental, die Lichtwellen löschen sich gegenseitig aus. Stört eine Gravitationswelle das System und verändert somit die Messstrecken, geraten die Lichtwellen aus dem Takt. Der Empfänger bleibt nicht länger dunkel - ein Signal erscheint.

Am Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik baute eine Gruppe um Heinz Billing im Jahr 1975 den Prototyp eines solchen Interferometers mit einer Streckenlänge von drei Metern, 1983 einen mit 30 Metern. So wurden die Grundlagen geschaffen für alle folgenden Anlagen dieser Bauart. Vor allem für den Detektor GEO600, der seit Mitte der 1990er-Jahre auf einem Feld nahe Hannover seine 600 Meter langen Arme ausstreckt, haben die Wissenschaftler innovative Techniken entwickelt - sei es die Aufhängung der Spiegel oder die Stabilisierung des Lasers.

"So gesehen, ist Advanced LIGO auch unser Detektor", sagte Karsten Danzmann am 11. Februar in Hannover anlässlich der offiziellen Bekanntgabe der Entdeckung. Denn die beiden baugleichen Anlagen in den USA stecken voll technischem Know-how aus Danzmanns Team. Als sie die Erschütterung der Raumzeit registrierten, hatte sich die Länge der jeweils vier Kilometer langen, senkrecht zueinander stehenden Laserlaufstrecken lediglich um den winzigen Bruchteil eines Atomkerndurchmessers verändert.

Um die Gravitationswellensignale im Datenwust zu entdecken, mussten die Wissenschaftler wissen, wonach sie überhaupt suchen sollten. Daher arbeiten die Forscher in der Abteilung von Bruce Allen in Hannover an Programmen, um die Signale zu sehen und zu analysieren. Und die Gruppe von Alessandra Buonanno in Potsdam-Golm hat die Modelle entwickelt, um die Quellen der Wellen besser zu verstehen.

Das am 14. September 2015 aufgefangene Signal kündete von der Verschmelzung zweier schwarzer Löcher mit 29 und 36 Sonnenmassen, 1,3 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt. Dank des engen Zusammenspiels von Experiment, Simulation, analytischer Berechnung und Datenanalyse brachten die Wissenschaftler hier Licht in die dunklen Ecken des Universums. Die Rippel der Raumzeit werden die Astronomie erhellen.


Der Artikel kann mit Abbildungen im PDF-Format heruntergeladen werden unter:
https://www.mpg.de/10445704/W001_Spezial_-Gravitationswellen_078_087.pdf

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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 1/2016, Seite 78-81
Herausgeber: Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation der
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Das Heft als PDF: www.mpg.de/mpforschung
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2016

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