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BERICHT/059: Quanteninformatik - Eine andere Physik des Universums (research*eu)


research*eu Nr. 55 - Januar 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Eine andere Physik des Universums

François Rebufat


Jozef Gruska, der Pionier der Informationswissenschaften, ist vor allem ein Theoretiker, der sowohl geografische als auch geistige Grenzen zu überwinden sucht. Durch seine Arbeit als Professor an der Masaryk-Universität in Brno (CZ) kommt er in Kontakt mit Forschern aus der ganzen Welt und erhält Impulse, um die klassischen Paradigmen zu durchbrechen und eine Informationswissenschaft zu entwickeln, in die die großen wissenschaftlichen Domänen integriert sind. Im Zentrum dieser Herangehensweise laufen Quantenphysik und Informationsverarbeitung zusammen.


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RESEARCH*EU: Seit einigen Jahrzehnten gerät die Quanteninformatik immer wieder in den Blickpunkt. Wie steht es damit?

JOZEF GRUSKA: Als 1985 die ersten theoretischen Konzepte für Quantenrechner aufkamen, interessierte sich vielleicht ein knappes Dutzend Spezialisten ernsthaft für das Thema. Erst zwischen 1993 und 1996 erhielt diese Disziplin besondere Aufmerksamkeit, unter anderem durch die Entdeckung der Quantenteleportation und die Konzeption von Fehler korrekturcodes zum Kampf gegen den Feind Nummer Eins: die Dekohärenz.

Heute übersteigen die Fortschritte alles, was sich die Vorreiter der 90er Jahre träumen ließen, aber die Realität bleibt noch weit hinter den Hoffnungen mancher zurück. Obwohl eine Entdeckung auf die andere folgt, sind die Schwierigkeiten beachtlich. Bis heute beschränken sich experimentelle Rechner auf ein Dutzend Qubit. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass in Kürze signifikante Fortschritte erzielt werden. Die Technologien, auf die man sich dabei stützt, sind noch nicht klar identifiziert, aber man wendet sich Trägern im festen Zustand zu, wie Halbleitern oder Supraleitern.

Im Bereich der Quantenkryptographie zeigen sich beachtliche Ergebnisse. Es sind bereits Systeme zur Quantenkryptographie auf dem Markt, die eine als uneingeschränkt bezeichnete Sicherheit bieten: Der Grad an Sicherheit ist - anders als bei den herkömmlichen Systemen - nicht von der Rechnerkapazität des Computers abhängig, der versucht, den Schlüssel zu entziffern. Aber die Datensicherheit ist ein sehr komplexer Bereich, der sich rasant entwickelt. Ich bin geneigt, den Standpunkt des Kryptographen Adi Shamir zu vertreten, der sich vor einigen Jahren folgendermaßen zum Thema Sicherheit geäußert hat: "Wir haben viele Schlachten gewonnen, aber den Krieg werden wir verlieren." Welche Rolle die Quantenkryptographie in diesem Krieg übernimmt, ist noch weitgehend ungeklärt...


RESEARCH*EU: Stellt die Einführung der Konzepte der Quantenmechanik in die Informationswissenschaften eine Revolution dar?

JOZEF GRUSKA: Diese Konzepte, wie beispielsweise die Quantenverschränkung, sind schon schwer mit dem aus der klassischen Physik hervorgegangenen Verständnis vereinbar, das wir von der Welt haben. Einstein konnte jedoch die Prinzipien der Verschränkung und der "Nichtlokalität" noch nicht akzeptieren. Die Wissenschaft der Dateninformatik versucht sie zu nutzen, und wir sind erst am Anfang der Entdeckung der geheimnisvollen Eigenschaften der Quantenwelt.

Im Bereich Kommunikation ist die Verwendung der Verschränkung ein beeindruckender Fortschritt, wie das Konzept der Quantenteleportation zeigt. Ganz allgemein ermöglicht die Quantenverschränkung die Realisierung von Dingen, die in der klassischen Welt nicht möglich sind. In Verbindung mit dem Superpositionsprinzip führt es zu überraschenden Ideen. Eine "Quanten berechnung" beispielsweise lässt sich auf eine Reihe von Messungen reduzieren. Eine Messung positioniert den Rechner für die Initialisierung der möglichen Eingangswerte. Eine weitere simuliert einen Quantenkreis, der die "Berechnung durchführt", und eine dritte erfasst das Ergebnis. Berechnen bedeutet hier Messen, was in der klassischen Welt einfach undenkbar ist.

Die Quanteninformatik wirft die Theorien über den Haufen, die heute die Grundlage für die Informationswissenschaften bilden. Funktionen, die aus Sicht der klassischen Theorien als schwierig oder sogar überhaupt nicht berechenbar gelten, könnten auf der Basis der Quanteninformatik leicht berechnet werden. Die in diesem Bereich laufenden Forschungsarbeiten versprechen noch zahlreiche Entdeckungen und niemand weiß heute, wohin sie führen werden. Das war schon bei den klassischen Informationswissenschaften so, deren Auswirkungen und Fortschritte vor 50 Jahren niemand einschätzen konnte.


RESEARCH*EU: Ersetzt die Quanteninformatik eines Tages ihre große klassische Schwesterdisziplin?

JOZEF GRUSKA: Sicher sieht heute niemand die Quanteninformatik als Alternative zur klassischen Informatik mit der Entwicklung einer vollkommen neuen Generation von Computern. Es geht eher darum, den aktuellen Rechnertyp durch Hybridrechner zu verbessern. Eine interessante theoretische Aussage zu diesem Thema lautet, dass das Hinzufügen bereits eines einzigen Qubit zu einem endlichen Automaten (dem theoretischen Modell eines Computers) einen leistungsfähigeren Hybridrechner ergebe als sein klassisches Äquivalent. Für das Moore- Gesetz, das eine Verdopplung der Rechnerleistung alle 18 Monate vorsieht, könnte eine Quantenversion lauten, dass die Anzahl der Qubits im gleichen Zeitraum um eins zunimmt. In diesem Fall würde sich die Leistung tatsächlich verdoppeln...


RESEARCH*EU: Hat diese Fusion zwischen Quantenmechanik und Informationswissenschaften Auswirkungen darauf, wie Physiker ihre Wissenschaft und die Welt allgemein sehen?

JOZEF GRUSKA: Physik und Informationswissenschaften sind zwei Fenster, durch die wir unser Universum zu verstehen versuchen. Das erste Fenster liefert einen Blick auf die Organisation der Materie, das zweite auf die Verarbeitung der Informationen, die diese übertragen kann. Die Relationen zwischen beiden sind weder einfach noch offensichtlich. Philosophen haben sich lange die Köpfe zum Thema der Dualität von "Geist und Materie" zerbrochen. Die moderne Form müsste vielleicht lauten "Information und Materie". J. A. Wheeler, einer der Mitarbeiter von Einstein, behauptete sogar, sein Leben als Physiker sei in drei Phasen unterteilt. Während der ersten Phase bestünde alles nur aus Teilchen. Während der zweiten würde alles zu Feldern. Und die dritte bringe eine neue Vision der Physik, bei der sich alles in Information verwandle. Vielleicht ist die Art der Information der Schlüssel zu einer vereinheitlichten Sicht der physischen Welt, für die die Quantenmechanik ein treffendes Mittel der Beschreibung wäre. Die Quanteninformatik bietet der Physik nur Konzepte, Modelle, Werkzeuge, Bilder und Paradigmen für ein besseres Verständnis der Quantenwelt und ihrer Physik.

Ein weiteres, technischeres Ziel besteht in der Isolierung, Manipulation und Übertragung von Teilchen. Davon könnten viele wissenschaftliche Bereiche bei ihrem Versuch profitieren, die Natur in ihrem tiefsten Inneren, auf Quantenebene zu beleuchten.


RESEARCH*EU: Wie steht es mit der europäischen Forschung in diesem Bereich?

JOZEF GRUSKA: Insgesamt ist die Arbeit gut, sogar sehr gut im Vergleich zu den Fortschritten in der klassischen Physik. Trotzdem liegt der Schwerpunkt hauptsächlich auf der "Quanten-Seite" und weniger auf dem Aspekt der "Informationsverarbeitung". Die Forschung in diesem Bereich wird so geführt, wie die europäische Forschung allgemein, d. h. mit einem breiten Standpunkt und unter Bildung eines breiten Wissens. Allerdings fehlen Steuerungsstrukturen, wie man sie aus den USA kennt. Und die Mittel, um die weltweit besten Forscher anzuziehen.


Jozef Gruska - "Die Wissenschaft der Quanteninformatik ist die Verbindung der beiden wichtigsten wissenschaftlichen Bereiche des 20. Jahrhunderts, der Informatik und der Quantenphysik. Es wäre sehr überraschend, wenn diese Verbindung keine bedeutenden Konsequenzen mit sich brächte."


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Quelle:
research*eu Nr. 55 - Januar 2008, Seite 34-35
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2008