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BERICHT/091: Schwere in Potsdam und eine gravitätische Christbaumkugel (idw)


Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, - 21.12.2009

Schwere in Potsdam und eine gravitätische Christbaumkugel
Die Einführung des Potsdamer Schwere-Referenzsystems vor 100 Jahren

Vor genau einhundert Jahren wurde erstmals die Erdanziehungskraft mit einer solchen Genauigkeit bestimmt, dass man diesen Messwert zu einem weltweit gültigen Referenzwert machen konnte.


Wenn eine Kugel vom Weihnachtsbaum fällt und auf dem Boden zwischen den Geschenken zerschellt, dann liegt das an der Schwerkraft. Der weihnachtsgerecht mit einer roten Zipfelmütze verkleidete Physiker weiß: die Kugel wurde mit 9,81 Meter pro Sekunde-Quadrat in Richtung Erdmittelpunkt beschleunigt, und das reicht zum Zersplittern am Boden. Aber woher kommt dieser Wert für die irdische Gravitation?

Vor genau einhundert Jahren wurde erstmals die Erdanziehungskraft mit einer solchen Genauigkeit bestimmt, dass man diesen Messwert zu einem weltweit gültigen Referenzwert machen konnte. Im 1892 eingeweihten Potsdamer Geodätischen Institut auf dem Telegrafenberg maßen die Vorgänger des GeoForschungsZentrums (GFZ) mit Pendeln die Erdbeschleunigung mit einer solchen Präzision, dass dieser Potsdamer Absolutwert weltweit Gültigkeit erlangte. "Der damalige Direktor, Professor Robert Helmert, bewies eine großartige wissenschaftliche Weitsicht bei diesen Arbeiten," sagt Professor Reinhard Hüttl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ. "Mit Helmert wurde Potsdam zur Wiege der wissenschaftlichen Geodäsie."

Pendel auf dem Potsdamer Telegrafenberg

Mit der Veröffentlichung seines Berichts über die relativen Messungen der Schwerkraft mit Pendelapparaten in der Zeit von 1908/09 und ihre Darstellung im Potsdamer Schweresystem führte Emil Borrass das Potsdamer System als erstes international verwendetes Schwerereferenzsystem ein, das ein absolutes Schwereniveau definiert. Der Bezugswert basierte auf Reversionspendel-Messungen, die Friedrich-Jacob Kühnen und Philipp Furtwängler in den Jahren 1898 bis 1904 im Pendelsaal des Geodätischen Instituts vorgenommen hatten. Das basierte auf Erfahrung: Robert D. v. Sterneck war der erste, der im neu eingerichteten Institut Pendelmessungen vornahm. In zeitgemäß würdigem Ton vermerkte er: "Herr Director Helmert hatte die große Güte, den theilweise noch in Ausführung begriffenen Pendelsaal provisorisch soweit herstellen zu lassen, dass ich die Beobachtungen in demselben ausführen konnte. ...Es gereicht mir zur besonderen Ehre und größten Befriedigung, dass es mir vergönnt war, in Gegenwart des geistigen Schöpfers dieses Musterinstituts, Herr Directors Dr. Helmert, diesen, der Schwere auf der Erde geweihten Raum als Erster zu benützen." (v. Sterneck, 1893).

Nicht genau genug? Immer noch aktuell!

Das Potsdamer Schweresystem war mehrere Jahrzehnte das Standard-Referenzsystem, auf das alle Schweremessungen weltweit bezogen wurden. In den 1930er Jahren zeigten Messungen eine systematische Abweichung zum Potsdam Bezugswert, die durch Untersuchungen in den Folgejahren bestätigt wurde. Schwerewerte, die im Potsdamer Schweresystem definiert sind, liegen um 140 µm/s² zu hoch. Die letztendliche Ursache für diese Diskrepanz konnte bis zum heutigen Tag nicht völlig zweifelsfrei geklärt werden. Auch heute gerät das Potsdamer Schweresystem nicht in Vergessenheit. Obwohl es im Jahr 1971 durch das International Gravity Standardization Net 1971 (I.G.S.N.1971) offiziell abgelöst wurde, findet es trotzdem noch in einigen Ländern Anwendung. Bei der Zusammenfügung von Datensätzen aus verschiedenen Ländern, fallen diese Schweredaten durch den genannten Versatz auf und müssen entsprechend korrigiert werden.

Beulen und Dellen: die Potsdamer Schwerekartoffel

Eine der wichtigsten Bezugsflächen für die Erdanziehung ist der mittlere Meeresspiegel. Wer am Ozean steht, sieht eine große, ebene Fläche, nämlich Normal-Null. Tatsächlich aber weist die Meeresoberfläche Hügel und Täler auf, auch ohne Wind, Wetter und Gezeiten. Ursache dafür sind regional unterschiedliche Anziehungskräfte aufgrund ungleichmäßiger Massenverteilungen im Erdinnern. Diese ziehen auch das Wasser an. Der Meeresspiegel stellt sich immer senkrecht zur Gravitationskraft und wenn diese Kraft etwas von der Seite wirkt, dann beult sich das Meer dort ein: südlich von Indien bildet der Meeresspiegel ein rund 110 Meter tiefes Tal, nördlich von Indonesien ein 85 Meter hoher Hügel. Wohlgemerkt: es fließt dort kein Wasser hin, weil es sich um eine Fläche gleicher Erdanziehung handelt. Die Forscher des Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam haben hierfür ein Modell entwickelt: Das "Potsdamer Geoid" zeigt die Unregelmäßigkeiten im Schwerefeld der Erde in 15.000-facher Überhöhung: eine bunte, unregelmäßige, aber gravitätische Weihnachtsbaumkugel, die Potsdamer Kartoffel.

Weitere Informationen finden unter:
http://www.gfz-potsdam.de/portal/-?$part=CmsPart&docId=2233869

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution42


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ,
Dipl.Met. Franz Ossing, 21.12.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2009