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FORSCHUNG/1082: Bin ich da, bin ich weg? (idw)


Forschungsverbund Berlin e.V. - 08.09.2014

Bin ich da, bin ich weg?

Neue Experimente mit Heliumatomen ermöglichen es, die Elektronenkorrelation beliebig ein- und auszuschalten



Abgesehen vom Wasserstoffatom, das nur aus einem Proton und einem Elektron besteht, ist das Heliumatom das am einfachsten aufgebaute Atom unserer Welt. Das Heliumatom besteht aus einem doppelt geladenen Kern und zwei ihn umkreisenden Elektronen. Die Existenz von zwei Elektronen führt zu einem neuen Gesichtspunkt mit weitreichenden Konsequenzen, nämlich dem Konzept der Elektronenkorrelation. In einer in dieser Woche erscheinenden Veröffentlichung im Fachjournal Physical Review Letters wird von der experimentellen Beobachtung des kontrollierten Auftauchens von Elektronenkorrelation in Heliumatomen berichtet. Photoionisation von Helium wurde untersucht unter Bedingungen, bei denen die Elektronenkorrelation beliebig ein- und ausgeschalten werden kann. Für ausgeschaltete Korrelation verhält sich Helium wie ein Wasserstoffatom. Für eingeschaltete Korrelation hingegen wird die Dynamik des Ionisationsprozesses stark durch die Wechselwirkung zwischen den beiden Elektronen bestimmt.

Abbildung: © MBI

Abbildung: Ionisation von Heliumatomen, aufgenommen mit einem bildgebenden Detektor. Interferenzringe werden beobachtet, die die Knotenstruktur der angeregten elektronischen Wellenfunktion wiedergeben, oder aber alternativ solche, die von Wegunterschieden zum Detektor herrühren. Im ersteren Falle zeigt Helium das Verhalten von Wasserstoffatomen, bei dem Elektronenkorrelation keine Rolle spielt. Im zweiten Fall wird die Ionisation stark von der Elektronenkorrelation bestimmt.
Abbildung: © MBI

Im Experiment wurden Heliumatome durch die Absorption eines einzelnen Photons im ultravioletten Spektralbereich ionisiert. Dies war möglich, weil die Atome durch Stöße mit energiereichen Elektronen in einer Entladungsquelle in einen langlebigen angeregten Zustand gebracht wurden. Die Energie des anregenden Photons wurde so eingestellt, dass sie gerade zur Ionisation des Atoms ausreichte. Damit wurden 99,9% der Photonenenergie zur Überwindung der Bindungsenergie des Elektrons aufgewendet und nur 0,1% an das nach der Ionisation befreite Elektron als Bewegungsenergie abgegeben. Die entstehenden Photoelektronen waren damit sehr langsam. Im Experiment wurden sie auf einen zweidimensionalen Detektor beschleunigt, wo ihre Auftrefforte gemessen wurden. Die Auftrefforte bilden die Geschwindigkeiten der Elektronen in der Detektorebene ab.

Wie eindrucksvoll in dem berühmten Doppelspaltexperiment zur Interferenz einzelner Elektronen demonstriert, das in einer Abstimmung von "Physicsworld" vor einigen Jahren zum "Allerschönsten Physik-Experiment" gekürt wurde, haben Elektronen sowohl Teilchen- als auch Wellencharakter. Dafür verantwortlich ist die Quantenmechanik. Die Welleneigenschaften von Materie werden durch eine nach dem französischen Physiker de Broglie benannte Wellenlänge beschrieben, die jedem sich bewegenden Teilchen zugewiesen werden kann. Je niedriger die kinetische Energie des Elektrons ist, desto größer wird die de Broglie Wellenlänge. Ist die Energie des Elektrons nur klein genug, wird die de Broglie Wellenlänge in der makroskopischen Welt beobachtbar. In den in dieser Woche veröffentlichten Photoionisations-Experimenten führt die Wellennatur der langsamen Elektronen zur Beobachtung einer Reihe von Interferenzringen, wobei konstruktive und destruktive Interferenzen sich auf dem Detektor abwechseln (siehe Abbildung 1).

Dieses Interferenzphänomen ist durch Experimente unseres Teams in den letzten Jahren immer genauer vermessen worden. In der Tat haben unsere vorherigen Experimente die Existenz von zwei verschiedenen Mechanismen für die Entstehung der Interferenzen zu Tage gefördert. In Experimenten mit Wasserstoffatomen wurde gezeigt, dass die Interferenzen mit der Knotenstruktur der Wellenfunktion zusammenhängen kann, die durch Photoabsorption im Atom angeregt wurde. In Experimenten mit größeren Atomen mit vielen Elektronen, wie etwa den genau vermessenen Xenonatomen, wurde gezeigt, dass die Interferenzen auch das Resultat von Unterschieden in der Länge möglicher Wege des Elektrons zum Detektor sein können. Salopp gesagt: Zwei Wege, die sich um eine ganzzahlige Anzahl von de Broglie Wellenlängen unterscheiden, werden zu konstruktiver Interferenz, zwei Wege, die sich um eine halbzahlige Anzahl von de Broglie Wellenlängen unterscheiden, werden zu destruktiver Interferenz führen.

Wie nun in der aktuellen Studie gezeigt, treten bei Heliumatomen beide Mechanismen auf. Interessanterweise reicht eine kleine Änderung (<< 1%) in der Stärke eines angelegten, äußeren elektrischen Feldes aus, um das beobachtete Interferenzmuster zu verändern. Wie sich zeigt, lassen sich damit "wasserstoffähnliche" Heliumatome, bei denen die Knotenstruktur der Wellenfunktion das Interferenzmuster bestimmt, in "xenonartige" Heliumatome überführen, bei denen die auftauchende Elektronenkorrelation die "wasserstoffähnliche" Wellenfunktion zerstört. Auf diese Weise wird das Heliumatom zu einem wunderbaren Nano-Labor für das kontrollierte Ein- und Ausschalten der Elektronenkorrelation.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution245

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Forschungsverbund Berlin e.V., Saskia Donath, 08.09.2014
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2014