Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg - 20.11.2015
Quantensimulation: Magnetismus besser verstehen
Heidelberger Physiker imitieren mit ultrakalten Atomen das Verhalten von Elektronen in einem Festkörper
Einen neuen Ansatz zur Erforschung des Phänomens Magnetismus haben Wissenschaftler der Universität Heidelberg entwickelt. Mithilfe von ultrakalten Atomen nahe dem absoluten Nullpunkt haben sie ein Modell präpariert, mit dem das Verhalten von Elektronen in einem Festkörper simuliert und somit magnetische Eigenschaften untersucht werden können. Die Erkenntnisse der Forscher um Prof. Dr. Selim Jochim vom Physikalischen Institut sollen zu einem besseren Verständnis fundamentaler Prozesse in Festkörpern beitragen und damit langfristig die Entwicklung neuartiger Materialien ermöglichen. Die Forschungsergebnisse dieser Quantensimulation, die gemeinsam mit Physikern aus Hannover und Lund (Schweden) gewonnen wurden, sind in der Fachzeitschrift Physical Review Letters erschienen.
Magnetismus ist bereits seit mehr als 2.000 Jahren bekannt und wurde schon
früh etwa für die Entwicklung des Kompass' genutzt, dessen Nadeln sich am
Magnetfeld der Erde ausrichten. Trotzdem konnten die mikroskopischen
Ursachen von Magnetismus erst nach der Entwicklung der Quantenmechanik zu
Beginn des 20. Jahrhunderts verstanden werden. Zu den wichtigsten
Erkenntnissen gehörte, dass Elektronen sich in einem Festkörper wie
winzige Kompassnadeln verhalten, die sich an einem äußeren Magnetfeld
ausrichten und sich außerdem gegenseitig beeinflussen. Die magnetischen
Eigenschaften eines Festkörpers hängen davon ab, wie sich in ihnen
benachbarte Elektronen relativ zueinander ausrichten. Bei
ferromagnetischen Werkstoffen wie zum Beispiel Eisen zeigen alle
Elektronen in die gleiche Richtung. Beim sogenannten Antiferromagnetismus
zeigen benachbarte Elektronen in jeweils entgegengesetzte Richtungen.
Für ihre Quantensimulation haben die Heidelberger Physiker nur sehr wenige, nämlich maximal vier Atome verwendet. "Das exakte Präparieren einer so kleinen Anzahl an Atomen ist eine große technische Herausforderung. Es erlaubt uns jedoch, den Zustand der Atome sehr präzise zu kontrollieren", erläutert Simon Murmann, der der Arbeitsgruppe von Prof. Jochim angehört und sich in seiner gerade abgeschlossenen Doktorarbeit mit dieser Thematik befasst hat. Die Atome befinden sich dabei in einer Falle aus Laserlicht, die nur die Bewegung in eine Raumrichtung erlaubt. Sie unterliegen ähnlichen fundamentalen Gesetzmäßigkeiten wie Elektronen in einem Festkörper, jedoch können die Physiker die Wechselwirkung zwischen den Atomen präzise kontrollieren. "Anfänglich besteht keine Wechselwirkung zwischen den Atomen. In diesem Zustand können sie sich ohne Ordnung in der Falle frei bewegen. Wenn wir jedoch eine größere Abstoßung zwischen den Atomen einstellen, kommen die Atome nicht mehr aneinander vorbei und ordnen sich in einer Kette an. In dieser Kette zeigen die Atome immer abwechselnd nach oben und nach unten. Somit wird ein antiferromagnetischer Zustand herbeigeführt", sagt der Heidelberger Wissenschaftler.
Diese Beobachtung ist für die Forscher von besonderem Interesse, weil Antiferromagnetismus mit physikalischen Phänomenen in Verbindung gebracht wird, die weitreichende Anwendungen ermöglichen könnten. "So wurde Supraleitung, also der verlustfreie Transport von elektrischen Strömen, bei vergleichsweise hohen Temperaturen von lediglich minus 135 Grad Celsius in antiferromagnetischen Materialien beobachtet", betont Selim Jochim. "Mit unseren Experimenten wollen wir zum Verständnis fundamentaler Prozesse in Festkörpern beitragen. Eine Vision in diesem Zusammenhang ist die Entwicklung neuer Materialien, die auch bei Raumtemperatur supraleitend bleiben."
Für ihre Veröffentlichung in den "Physical Review Letters" erhielten die Heidelberger Wissenschaftler die begehrte "Editors' Suggestion", die Auszeichnung als Empfehlung der Redaktion.
Originalpublikation:
S. Murmann, F. Deuretzbacher, G. Zürn, J. Bjerlin, S. M. Reimann, L.
Santos, T. Lompe, S. Jochim:
Antiferromagnetic Heisenberg Spin Chain of a Few Cold Atoms in a
One-Dimensional Trap.
Physical Review Letters (published online on 19 November 2015),
doi: 10.1103/PhysRevLett.115.215301
Weitere Informationen unter:
http://ultracold.physi.uni-heidelberg.de
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution5
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Marietta Fuhrmann-Koch, 20.11.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2015
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